Protokoll der Sitzung vom 08.03.2018

Ich wünsche mir, dass von der heutigen Debatte das Signal ausgeht, dass der Landtag von Baden-Württemberg den Ta felläden die Hand zu einem Dialog auf Augenhöhe reicht. Es muss um eine sachliche Analyse von Problemen und die Er arbeitung von tragfähigen Lösungsansätzen gehen.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP, Abgeordneten der Grünen und der CDU sowie des Abg. Andreas Kenner SPD)

Das Wort für die Landesregie rung erteile ich Frau Staatssekretärin Mielich.

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die heutige De batte hat sehr deutlich gezeigt: Die Frage „Ist die Tafel eine Erfolgsgeschichte?“ kann eindeutig mit Ja beantwortet wer den. Das ist eben in den Redebeiträgen noch einmal sehr klar zum Ausdruck gekommen.

In den Redebeiträgen meiner Vorredner ist auch sehr eindrück lich zum Ausdruck gekommen: Es hat fast jeder einen persön lichen Bezug zur Tafel. Fast jeder, der eine kommunalpoliti sche Vergangenheit oder auch Gegenwart hat, hat einen ganz persönlichen Bezug zur Tafel.

Heute ist auch ganz klar geworden, dass es ein Spannungsfeld ist, in dem wir uns bewegen und in dem die Tafeln eine sehr wertvolle Arbeit machen, die wir vonseiten der Landesregie rung hoch schätzen und sehr anerkennen. Tafeln sind unver zichtbar für unser Sozialgefüge und verdienen eine ganz ho he Wertschätzung. Daher auch von meiner Seite an dieser Stel le noch ein sehr herzlicher Dank für dieses hohe Engagement.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der FDP/DVP)

Wir müssen jetzt aber auch sehr genau das Spannungsfeld wahrnehmen, in dem die Tafeln sich bewegen und in dem die Tafeln – auch stellvertretend für uns alle – Begegnungen ha ben. Dort treffen Menschen aufeinander, die sonst vielleicht in einer solchen Dichte gar nicht aufeinandertreffen würden. Das sind Menschen unterschiedlicher Herkunft, Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund, die wenig Geld zum Leben haben. Da ist zum einen die Frage: Warum haben diese Men schen zu wenig zum Leben?

(Abg. Emil Sänze AfD: Das ist eine gute Frage!)

Da ist natürlich Armut und Armutsbekämpfung ein großes Thema. Wir haben in der letzten Legislaturperiode den Ar muts- und Reichtumsbericht bekommen. Wir haben uns im Koalitionsvertrag – darauf haben Sie mit Recht hingewiesen, Herr Hockenberger – verpflichtet, diesen Armuts- und Reich tumsbericht weiterzuentwickeln, und das tun wir auch. Denn es ist natürlich eine politische Aufgabe, hinzuschauen und zu untersuchen, warum Menschen in unserer Gesellschaft arm sind, was die Hintergründe sind und was wir hier tun müssen.

Bevor ich dazu komme, will ich aber zunächst noch ein paar Worte zur Arbeit der Tafeln verlieren. Die Tafeln leisten ja ins gesamt eine hoch sozialpolitische Aufgabe. Meist tun sie weit mehr, als Essen bzw. Lebensmittel auszugeben. Das ist heute noch gar nicht zur Sprache gekommen. Oftmals stehen sie

auch mit Rat und Tat zur Seite. Es gibt ja bei ganz vielen Ta feln richtig gute Strukturen von Unterstützungsangeboten. Als Reaktion darauf, dass es immer mehr Menschen mit auslän dischem Hintergrund gibt, immer mehr Flüchtlinge, die dort ihre Lebensmittel einkaufen wollen, bieten viele Tafeln mitt lerweile z. B. Dolmetscherdienste an und arbeiten mit Mig ranten, die dort in ihrer Muttersprache Hilfe und Unterstüt zung bieten können.

Damit sind sie z. B. auch eine ganz wichtige Klammer für ein sozialpolitisches integratives Projekt, das von der Landesre gierung angestoßen worden ist, nämlich den Pakt für Integra tion mit den Kommunen. Wir haben in diesem Jahr mit der Installierung von Integrationsmanagern in den Gemeinden be gonnen, passgenaue Unterstützungsmaßnahmen für Flücht linge anzubieten, um genau das zu erreichen, was Herr Ken ner eben auch deutlich formuliert hat: Wir brauchen die Un terstützung für die Flüchtlinge, damit sie durch entsprechen de Sprachkurse, aber z. B. auch durch Praktika oder Ausbil dungsplätze, in die Lage versetzt werden, hier arbeiten zu kön nen, um möglichst bald unabhängig von Leistungen der Tafel leben zu können. Das ist das eine.

Das andere ist, dass z. B. die Beraterinnen und Berater, die ehrenamtlich bei der Tafel arbeiten, muttersprachliche Unter stützung für Flüchtlinge anbieten, auch ganz praktische Hil fen anbieten. Auch das ist eine Arbeit, die sich aus der Not wendigkeit heraus entwickelt hat. Auch dafür, finde ich, ge bührt den Tafeln ein ganz großer Dank.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Völlig klar ist – das ist hier heute auch sehr deutlich zum Aus druck gekommen –, dass wir uns natürlich nicht wegducken können. Wir, die Politik bzw. die Landesregierung, können uns nicht davor wegducken, dass wir die Verantwortung ha ben, Armut in diesem Land zu bekämpfen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

Das müssen wir auf Landesebene tun, und wir haben natür lich auch die Erwartung, dass es auf Bundesebene getan wird. Da möchte ich wirklich schon einmal sagen – auch an die Ad resse der beiden Fraktionen, die jetzt die neue Bundesregie rung stellen werden –: Wenn, wie angekündigt, das Kinder geld sukzessive um 25 € erhöht wird – also noch nicht einmal in einem Schritt, sondern in zwei oder sogar drei Schritten; das ist noch gar nicht ganz klar –, dann nützt das den Men schen, die im SGB-II-Bezug sind, überhaupt nichts. Das wird angerechnet.

(Abg. Andreas Stoch SPD: Was sind die Impulse der Landesregierung?)

Das heißt: Für die Menschen, die in Armut leben, bringt eine Kindergelderhöhung nichts. Das ist das eine.

Das Zweite: Die Reform des Unterhaltsvorschusses zur Un terstützung vor allem von Alleinerziehenden mit Kindern ist eine sehr sinnvolle Maßnahme der letzten Bundesregierung, die wir wirklich sehr unterstützen, weil es sich hierbei um ei ne Entbürokratisierung handelt und eine deutliche Hilfe be deutet. Aber auch das wird angerechnet.

Das heißt, gerade die Gruppe der Menschen, die ganz beson ders von Armut betroffen sind, nämlich Alleinerziehende mit Kindern, profitiert von diesen Erhöhungen der Transferleis tungen nicht. Das bedeutet in der Tat: Wir müssen uns insge samt anschauen – sowohl auf Bundesebene als auch hier auf Landesebene –: Wie wird der Hartz-IV-Satz berechnet? Ist das, was dort berechnet wird, noch zeitgemäß? Müssen wir dort nicht auch deutlich umsteuern, oder müssen wir da nicht auch andere Kriterien zugrunde legen, damit wir es endlich schaffen, dass Armut in unserem Land nicht mehr vorkommt?

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Aber wir haben noch eine andere Aufgabe. Das ist eine klare landespolitische Aufgabe. Wir haben den Landesbeirat für Ar mutsbekämpfung, in dem Vertreterinnen und Vertreter aus je der Fraktion mitwirken. Dort geht es um die ganz praktische Fortschreibung des Armuts- und Reichtumsberichts. Das gro ße Thema ist natürlich auch, dass wir sehen müssen, wie wir langfristig z. B. Armutsentwicklung, Armutsbiografien von der sozialen Herkunft abkoppeln können.

Das bedeutet eben auch: Wir investieren ganz stark in Bil dungsangebote, um dort diese Abkopplung möglich zu ma chen. Wir haben in der Vergangenheit und auch in der Gegen wart stark in die Betreuung – in den Ausbau der Kinderbetreu ung, in die Ganztagsschulbetreuung – investiert. Wir engagie ren uns im Bereich der Frühen Hilfen, insbesondere bei Sprach förderkursen, und eben auch im Landesprogramm STÄRKE.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Das alles sind Bereiche, in denen wir uns stark engagieren. Die Kultusministerin engagiert sich besonders beim Aufbau von Kinder- und Familienzentren. Natürlich ist es auch ein ganz zentrales Thema, preiswerten Wohnraum zur Verfügung zu stellen. In der Wohnraum-Allianz der Landesregierung ha ben wir darauf auch einen großen Schwerpunkt gesetzt.

(Abg. Anton Baron AfD: Was haben Sie umgesetzt?)

Ein weiterer ganz zentraler Punkt ist, dass wir die Fallpau schalen bei den Schuldnerberatungsstellen erhöht haben, um auch da zu unterstützen, damit Menschen eben nicht in die In solvenz fallen.

Insgesamt möchte ich sagen: Armutsbekämpfung ist ein zen trales Anliegen der Landesregierung. Wir schätzen und wir unterstützen die Arbeit der Tafeln sehr. Für uns sind sie ein unverzichtbares Element bürgerschaftlichen Engagements. Wir glauben auch, dass es enorm wichtig ist, Menschen aller Herkunft dabei zu unterstützen, Lebensmittel zu bekommen.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Staatssekretärin, ge statten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Bullinger?

Gern.

Bitte, Herr Kollege.

Frau Staatssekre tärin, Sie haben, wie auch schon der Kollege Keck, das Eh renamt angesprochen. Dieses Engagement ist ein Juwel in Deutschland und vor allem auch in Baden-Württemberg, egal, ob in der Tafel, in der Kirche, im Sport oder im Sozialbereich.

Deshalb frage ich Sie hier: Warum weigert sich diese Landes regierung, beispielsweise der Forderung nachzugehen, eine Ehrenamtskarte einzuführen, so, wie das die Bayerische Staats regierung mit den Landkreisen in Bayern erfolgreich macht, um ein wirkliches Zeichen zu setzen für diejenigen, die sich hier in Freizeit, Urlaub und dergleichen einsetzen? Warum verweigern Sie diese Ehrenkarte?

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der AfD)

Lieber Kollege Bullinger, dazu wird es demnächst auch eine ganz offizielle Antwort der Landesregierung geben. Denn dazu gibt es eine Kleine Anfra ge, die derzeit im Sozialministerium beantwortet wird.

Ich kann Ihnen dazu Folgendes sagen: Unsere Recherchen zei gen, dass die Ehrenamtskarte in Bayern gar nicht so erfolg reich ist, wie Sie das jetzt gerade darstellen.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Aha! – Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Da gibt es hervorra gende Beispiele!)

Es ist auf jeden Fall so, dass der Hauptteil der Kosten bei den Kommunen hängen bleibt.

(Abg. Winfried Mack CDU: Das ist in Bayern immer so! Das ist der Unterschied zu Baden-Württemberg! – Gegenruf des Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Da hast du recht!)

Was an Mitteln abgeflossen ist bzw. was es an Möglichkeiten gegeben hat, ist ein ganz verschwindend geringer Teil gewe sen. Deswegen steht der finanzielle Einsatz zur Ausgabe der Ehrenamtskarten in gar keinem Verhältnis zu der Anzahl der Personen, die sie dann tatsächlich auch beanspruchen. Daher müssen wir noch einmal genau prüfen, ob das der richtige An satz ist. Wir warten da lieber noch einmal ab, welche Erfah rungen in der nächsten Zeit mit dieser bayerischen Ehrenamts karte gemacht werden.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP meldet sich.)

Wollen Sie jetzt dazwischenreden, oder wie?

(Glocke des Präsidenten)

Eine weitere Zwischen frage. Frau Staatssekretärin, Sie können Ja oder Nein sagen.

Ja, dann stellen Sie sie doch einfach.

Also, bitte.

Frau Staatssekre tärin, Sie haben zu Recht gesagt, die Kosten bleiben bei den Gemeinden hängen. Das ist haushalterisch richtig. Entschei dend ist aber vielmehr, dass beispielsweise solche Familien – das ist die Frage – –