Protokoll der Sitzung vom 09.05.2018

Ja, auch Selbstkritik ist angezeigt. 68 Jahre nach Schumans Gründungsrede ist heute der europäische Zusammenhalt ge fährdet,

(Zuruf von der AfD: Warum?)

und die europäische Solidarität ist deshalb wichtiger denn je. Ein starkes Europa ist aus unserer Sicht d e r politische, fi nanzielle, ökonomische und auch soziale Stabilitätsanker an gesichts der globalen Herausforderungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ohne die Europäische Union werden wir viele Herausforde rungen nicht bewältigen, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

Da gibt es längst nicht nur die ökonomische Dimension. Eu ropa muss Weltmächten wie den USA oder China heute auf den Wirtschaftsmärkten standhalten. Aber wenn Sie sich mal die Mühe machen, heute die aktuellsten Onlinemeldungen an zuschauen: Im SPIEGEL war heute um 9 Uhr zu lesen: „US-Aus stieg aus Iran-Abkommen“, Überschrift: „Europas Stunde“. Glaubt denn irgendjemand ernsthaft, dass europäische Natio nalstaaten dieses Problem lösen? Nur Europa kann in diesem Konzert der Großmächte eine Lösung bieten und für Frieden auf dieser Welt sorgen.

(Beifall bei der SPD, den Grünen, der CDU und der FDP/DVP)

Gerade angesichts dieser Szenarien ist Europa heute notwen diger denn je, um diese Zukunftsaufgaben zu lösen. Europa muss daher nach innen wie nach außen beschützt und ge schützt werden, und seine Errungenschaften müssen tagtäg lich verteidigt werden. Der aufziehende Nationalismus, Po pulismus, Protektionismus in vielen Staaten Europas gefähr den nicht nur die Demokratie in den einzelnen Staaten, son dern auch die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union. Die Grundidee der Europäischen Union, die Friedenssiche rung und die Etablierung einer europäischen Friedensordnung, hat bei vielen Menschen heute an Anziehungskraft verloren.

Aber der Name Europa steht nicht mehr nur für eine bessere und gerechtere Gesellschaftsordnung, sondern oftmals, auch von uns politisch so diskutiert, für Bürokratisierung und Zen tralisierung. Genau diese Stimmung ist es, die es möglich macht, dass Menschen gegen eine eigentlich gute Idee, näm lich die Idee der Europäischen Union, hetzen und Europa da mit wieder in das letzte Jahrhundert zurückwerfen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, dagegen müssen wir uns entschieden zur Wehr setzen.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Deswegen ist es so wichtig, dass für die Entwicklung einer europäischen Identität von uns als politisch Verantwortlichen nicht nur das Trennende, sondern auch das Verbindende in den Vordergrund gestellt wird. Wir müssen deutlich machen, dass wir als Europäer auch aufeinander angewiesen sind. Ob da her alles, was im Rahmen der Austeritätspolitik passiert ist,

(Abg. Anton Baron AfD: Sozialismus!)

so richtig war, möchte ich für meine Partei, für die SPD, be zweifeln.

(Abg. Anton Baron AfD: Sie nicken doch alles ab im Europaparlament!)

Um den gesellschaftlichen Rückhalt der europäischen Idee zu stärken, ist es daher geboten, immer wieder auf die Vorteile der Europäischen Union hinzuweisen, zum anderen aber auch angebrachte Kritik oder Ängste der Bevölkerung ernst zu neh men und Europa erlebbar zu machen. Deswegen ist es not wendig, die aktuelle Situation der EU kritisch zu hinterfragen.

Und natürlich, Herr Kollege Schwarz, ist es richtig, sich auch mit den Vorschlägen von Präsident Macron zu beschäftigen.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Ja!)

Wir müssen in eine tief greifende Debatte über die Zukunft der Europäischen Union eintreten und dafür sorgen, dass die Menschen erkennen, dass Europa ihre Zukunft ist und dass die Europäische Union ein Instrument ist, um Europa für die Menschen erfahrbar zu machen. Das ist unser Ziel, und das ist unsere Aufgabe, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen)

In diesem Zusammenhang möchte ich nicht nur einen Blick auf die Aufgaben der Bundesregierung werfen, sondern auch auf die der Landesregierung. Ich frage dann schon: Wie ernst meint es diese Landesregierung, wie ernst meinen auch Sie, Herr Kretschmann, als Ministerpräsident es mit dem selbst gewählten Anspruch von Europa als Staatsräson? Ist es nicht vielmehr so, dass man Europa immer dann für sich bean sprucht, wenn es öffentlichkeitswirksam inszeniert werden kann, und man ganz schnell die Subsidiaritätsbremse betätigt, wenn es darum geht, tatsächlich mehr Europa zuzulassen? Das ist ein Widerspruch, meine sehr geehrten Damen und Herren. So kommen wir nicht zu einem besseren Europa und einer besseren Europäischen Union.

(Beifall bei der SPD)

Genau dies wird in den nächsten Monaten die Aufgabe sein. In der Diskussion über den Mehrjährigen Finanzrahmen der Europäischen Union wird es genau darum gehen: um eine Pri orisierung und letztlich um die Frage, welches Europa wir wollen. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, dass ein soziales Europa

(Abg. Anton Baron AfD: Sozialismus!)

die moderne Variante des Gründungsversprechens vom fried lichen Europa ist: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Wachs tum, Wohlstand und Solidarität, weniger Armut und Arbeits losigkeit, Zugang zu Bildung und deren Qualität für alle Men schen, eine gesicherte und auskömmliche Lebensperspektive, das sind die Bausteine für ein Europa der Zukunft, und zwar für alle Menschen in Europa, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Martina Braun GRÜNE – Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Ich möchte deswegen meine Rede mit einem Zitat von Willy Brandt beenden, der im Zweiten Weltkrieg folgende Vision von Europa formulierte – Zitat –:

Der Tag wird kommen, an dem der Hass, der im Krieg unvermeidlich scheint, überwunden wird. Einmal muss das Europa Wirklichkeit werden, in dem Europäer leben können.

Lassen Sie uns für dieses Europa kämpfen!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Für die Fraktion der FDP/DVP erteile ich Herrn Abg. Dr. Schweickert das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt acht Mi nuten lang den Beitrag der AfD darüber gehört, was in der EU alles schlecht läuft. Wir können uns auch 80 Minuten lang da rüber unterhalten, was schlecht läuft. Denn da gibt es vieles. Darüber kann man diskutieren.

Aber, meine Damen und Herren, mit keiner Silbe ist erwähnt worden, dass die doch immer so gegeißelten Beiträge von Deutschland an die Union den Studierenden bei uns die Mög lichkeit geben, über den Tellerrand hinauszuschauen, den Ar beitnehmerinnen und Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, bei der Berufswahl mobil zu sein, und – ganz wichtig; das ver gessen Sie immer wieder – der deutschen Wirtschaft die Mög lichkeit des Zugangs zum größten Binnenmarkt der Welt ge ben, meine Damen und Herren. Wenn es die EU nicht gäbe, müsste man sie erfinden.

(Beifall bei der FDP/DVP, den Grünen, der CDU und der SPD – Zurufe, u. a. des Abg. Anton Baron AfD – Unruhe – Glocke der Präsidentin)

Ich darf um etwas Ruhe bit ten.

Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich

(Unruhe)

aus dem Protokoll des Landtags vom 11. Mai 2017, Seite 1867 – ich zitiere mich selbst –:

Warum stehen viele hier und sagen: „Europa ist unsere Zukunft.“? Deshalb: Ich habe zwei kleine Kinder, und ich will denen eine Zukunft und die Möglichkeit bieten, in Frieden und Freiheit aufzuwachsen. Europa und die EU sind die beste Möglichkeit dazu.

Was war die Antwort aus der AfD darauf? Ich zitiere wieder – die Antwort von Herrn Räpple –:

Was für ein schlimmer Vater! Ihre armen Kinder!

Meine Damen und Herren, ich möchte am Anfang festhalten, dass die zentrale Errungenschaft der Europäischen Gemein schaft und der Europäischen Union in der Nachkriegszeit, im Kalten Krieg und bei der Wiedervereinigung, das Auflösen der Blockkonfrontation, nicht oft genug betont werden kann. Aber dieses Argument verblasst halt zusehends bei einer Be völkerung, für die – Gott sei Dank – der Schrecken des Krie ges nur auf der Mattscheibe erlebbar ist und dies vielfach nur einen leisen Schauer oder vielleicht auch nur ein Schulterzu cken zur Folge hat. So, wie halt für manche der Strom aus der Steckdose kommt oder die Milch aus dem Tetrapack, ist für viele der Frieden selbstverständlich. Das können wir bedau ern, das ändern wir aber nicht.

Deswegen habe ich das mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, einmal visualisiert.

(Der Redner hält ein Schaubild hoch.)

Seit den Römischen Verträgen haben wir die längste Zeit in Frieden gelebt – in dieser EU –, und auch deswegen sage ich

noch einmal: Wenn es die EU nicht gäbe, müsste man sie er finden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP/DVP, den Grünen, der CDU und der SPD)

Es ist unsere Aufgabe, dafür zu sorgen und auch an diesem Europatag zu zeigen, dass diese Friedenssicherung wichtig ist für die Menschen vor Ort, dass die EU für die Bürger da ist und nicht umgekehrt. Deshalb gefällt mir schon die Über schrift der von der CDU beantragten Aktuellen Debatte „Für eine starke und einige EU: Klare Prioritäten für Europas Zu kunft“, denn sie geht genau in diese Richtung: klare Prioritä ten und klare Aussagen, wie man es machen will. Das passt auch in den Weißbuchprozess der EU mit den fünf Alternati ven für die Fortentwicklung der EU, auch wenn das ein Weg voller Gabelungen ist, wo wir immer wieder entscheiden müs sen, wo wir sind, meine Damen und Herren.

Wenn wir uns mit diesen Wegen beschäftigen, diskutieren wir darüber: Was läuft schlecht, und was können wir besser ma chen? Da gibt es vieles. Ich bin überhaupt nicht mit dem Kol legen Schwarz einer Meinung, was das Thema Bankenunion angeht. Dazu habe ich eine dezidiert andere Meinung.