Protokoll der Sitzung vom 14.06.2018

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, bei der ärztlichen Versorgung steht Baden-Württemberg insgesamt gut da. Wir haben im Land, Stand 2017, rund 22 000 Ärztinnen und Ärzte bzw. Psycho therapeutinnen und Psychotherapeuten. Rund ein Viertel da von befinden sich im Fachgebiet Allgemeinmedizin. Diese

22 000 Vertragsärztinnen und -ärzte sowie Vertragspsychothe rapeutinnen und -therapeuten decken in über 3 700 Praxen und anderen Einrichtungen jährlich über 70 Millionen Be handlungsfälle im Land ab.

In der hausärztlichen Versorgung verfügen wir auf der Basis der gegenwärtigen Bedarfsplanung noch über eine gute Ver sorgungslage. Den niedrigsten Versorgungsgrad in der haus ärztlichen Versorgung finden wir im Mittelbereich Ostalb, Schwäbische Alb mit rund 76 %. Aber selbst hier hat der zu ständige Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen kei ne Unterversorgung festgestellt, da die vorhandenen hausärzt lichen Strukturen die Versorgung aufrechterhalten können.

(Abg. Winfried Mack CDU: Diese Mitteilung muss bedenklich stimmen!)

Das ist nur eine Deskription, Kollege Mack.

(Abg. Winfried Mack CDU: Ja! Meins war ein Kom mentar!)

Das nehme ich gern an, aber ich bin noch ein bisschen am Aufbau. Erst einmal Info, und dann machen wir weiter. – Dan ke.

(Abg. Winfried Mack CDU: Genau! Wir sind uns ei nig!)

Der höchste Versorgungsgrad in der hausärztlichen Versor gung besteht mit rund 140 % in der Stadt Freiburg. Von den 103 Mittelbereichen im Land wurden 27 zum Stand der letz ten Feststellung der Versorgungsgrade sogar gesperrt, da sie über einen höheren Versorgungsgrad als 110 % verfügten. Die se Leistungen und die Versorgung in Baden-Württemberg dür fen und sollten wir daher erst mal nicht schlechtreden.

(Beifall der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch)

Ja, das finde ich auch.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP – Abg. Andreas Glück FDP/DVP mel det sich.)

Kollege Haußmann, Sie haben es auf dem MDK-Tag richtig festgestellt: Der baden-württembergische Weg zieht. Neben bei: Dass nur wir, die Landesregierung, dort gelobt wurden, haben Sie jetzt verschwiegen.

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Ich hatte keine Redezeit mehr! – Heiterkeit)

Das habe ich gemerkt.

Herr Minister, bevor Sie fort fahren: Lassen Sie eine Zwischenfrage des Abg. Glück zu?

Ja. – Herr Kollege Glück.

Herr Minister, danke für das Zulassen der Frage. – Geben Sie mir aber trotzdem recht, dass es, wenn Sie die Zahlen jetzt gerade so runterlesen und es im mer pro Versorgungseinheit sehen, innerhalb einer Versor gungseinheit teilweise sehr, sehr unterschiedlich aussieht? So

kann z. B. die Situation in einem Landkreis im direkten Um feld einer großen Stadt zwar gut, aber 35 km weiter auf dem Land dann eben doch katastrophal aussehen.

(Abg. Dr. Friedrich Bullinger FDP/DVP: Schwäbisch Hall!)

Lie ber Herr Glück, da gilt dasselbe. Ich habe jetzt einfach vorge stellt, was derzeit ist,

(Abg. Winfried Mack CDU: Ja!)

damit wir einmal wissen, worüber wir reden. Das ist eine der Fragen, die wir in der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft zur sektorenübergreifenden Versorgung behandeln. Baden-Würt temberg ist mit 103 Mittelbereichen schon sehr kleinteilig, kleinteiliger als z. B. Nordrhein-Westfalen, möchte ich an die ser Stelle nur sagen. Da sind wir schon näher dran. Aber ich gebe Ihnen recht – das haben Sie in Ihren Beiträgen ja auch gesagt –: Wir müssen natürlich noch viel pragmatischer, sach orientiert da entscheiden können, wo Not an der Frau und am Mann ist. Da sind wir beieinander.

Wir sind schon heute in den bestehenden Strukturen grund sätzlich sehr kleinteilig und sehr nah dran. Aber – Sie haben recht – wir schauen uns jeden Einzelfall an. Das tun wir mit dieser Debatte, weil uns natürlich die hausärztliche Versor gung auch im Blick auf die Zukunft – das ist ja Gegenstand unserer Diskussion heute – Sorgen bereitet.

Natürlich gibt es im ländlichen Raum Praxen, die nicht opti mal und zeitnah nachbesetzt werden können. In der Stadt Stuttgart gibt es das genauso. Aber das wäre eine Debatte für sich. Dort tun wir ja auch etwas mit Portalpraxen an Kliniken und anderen Steuerungsinstrumenten. Das ist heute nicht der primäre Zugang zur Debatte. Aber auch da gibt es viel, was wir jetzt gemeinsam mit der sektorenübergreifenden Versor gung angehen.

Für die Sicherstellung der haus- und fachärztlichen Versor gung ist grundsätzlich die Kassenärztliche Vereinigung ver antwortlich. Über die Berichterstattung des Landesausschus ses der Ärzte und Krankenkassen bekommen wir mehrmals im Jahr eine Übersicht, wie die Versorgungslage in BadenWürttemberg aussieht. Auch das ist ein großer Vorteil des zeit nahen Transfers.

Die hausärztliche Versorgung wird in diesen Mittelbereichen wie von mir beschrieben beplant. Das sind in der Regel Räu me, die kleiner als ein Landkreis sind oder auch Landkreis grenzen entsprechen, mit allen Disbalancen, die Sie, Herr Glück, angesprochen haben. Aber noch einmal: Es gibt 103 Mittelbereiche in der hausärztlichen Versorgungsplanung. Sie können sagen, bei 44 Stadt- und Landkreisen in Baden-Würt temberg besteht im Prinzip mehr als eine Verdopplung. Das ist schon sehr aufgabennah.

Damit kann dem Anspruch einer wohnortnahen Versorgung grundsätzlich Rechnung getragen werden. Gleichwohl ken nen wir alle die Situation, dass eine Hausarztpraxis schließt und sich keine Nachfolge findet.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Ja, war um wohl?)

Der Status ist auch vorher schon erwähnt worden. 35 % der Hausärztinnen und -ärzte in Baden-Württemberg sind über 60 Jahre alt, deutlich mehr als die Hälfte sind schon über 55 Jah re. 80 % derjenigen, die eine Praxis abgeben, sind männlich und – liebe Kollegin Krebs, ich bin sehr dankbar für Ihre Hin weise – 60 % derjenigen, die eine Praxis übernehmen wollen und werden, sind weiblich.

(Zuruf der Abg. Nicole Razavi CDU)

Herr Minister Lucha, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abg. Dr. Fiechtner zu?

Bit te, Herr Dr. Fiechtner.

(Abg. Winfried Mack CDU: Sie hätten ruhig erst mal Ihr Programm darlegen können!)

Ja, das machen wir einfach aus Höflichkeit, oder? Das ist doch okay.

(Abg. Winfried Mack CDU: Also gut!)

Das ist eine solch qualifizierte Debatte. Bitte, die Zeit haben wir doch. – Herr Fiechtner.

(Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Reinhart CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. – Sie sprachen gerade davon, dass etliche Sit ze nicht mehr besetzt werden. Wir haben gehört, dass sogar in der sehr attraktiven Großstadt Stuttgart etliche Hausarztsit ze keinen Nachfolger finden. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass Hausarztsitze quasi wie Sauerbier angeboten werden und niemand sie haben möchte? Eigentlich müsste doch erwartet werden, dass sich, wenn der Arztberuf so attraktiv ist, Ärzte danach die Finger lecken, endlich einen Sitz zu bekommen.

(Zuruf: Sie z. B.!)

Da würde ich sagen, lassen Sie mich einfach einmal weiterreden. Es gibt viele Erklärungen. Es gibt sicher eine Erklärung in der Stadt Stuttgart: die richtige Allokation am richtigen Ort für die richtige Versorgung.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Soll heißen: viele Privat patienten!)

Nicht nur, sondern das soll heißen, dass, wenn eine Stadt wie Stuttgart über ein derart stark ausgeprägtes Ambulanz struktursystem von vielen maximal versorgenden Kranken häusern verfügt und eine Bürgerschaft hat, die, statt den Be zug zum Hausarzt zu haben, um 20:30 Uhr in die Ambulanz geht, weil sie dort gut und schnell behandelt wird, dann be steht eine Disbalance im System. Diese Disbalancen müssen wir korrigieren, z. B. mit den Überlegungen, wie wir Portal praxen zur Steuerung einführen. Das ist ein kleiner Aspekt in der Debatte. Sie sehen also, es ist ausgesprochen komplex bis kompliziert.

Man muss einfach sagen: Nach einer Faustregel brauchen wir heute drei neue Ärztinnen und Ärzte, um die Arbeit von zwei Ärztinnen und Ärzten zu kompensieren, die in den Ruhestand gehen.

Zudem wollen – das haben Sie schon erwähnt – viele der Neu einsteigerinnen und Neueinsteiger anders arbeiten als ihre äl teren Kolleginnen und Kollegen. Sie wollen auch lieber in Teilzeit oder als Angestellte arbeiten. Also brauchen wir auch Anstellungsverhältnisse, um dem Wunsch der jungen Ärztin nen und Ärzte gerecht zu werden.

Wichtig ist auch, dass die Rahmenbedingungen im ländlichen Raum passen, damit die Ärztinnen und Ärzte – Entsprechen des gilt auch für andere Berufsgruppen – mit ihrer Familie gern dorthin oder zumindest in die Nähe ihrer Praxis ziehen. Das heißt: Dass der Wunsch nach einer guten Verkehrsanbin dung, einem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr, Schule und Kindergarten und auch weiteren Angeboten für den All tag, Angeboten zur Kinderbetreuung, auch Angeboten für äl tere Menschen da ist, das trifft natürlich für diese Berufsgrup pe – die sehr begehrt ist und überall mit offenen Armen emp fangen wird – in besonderer Weise zu, sodass wir dann nicht mehr über weiche Standortfaktoren reden, sondern über har te Standortfaktoren.

(Beifall bei den Grünen)

Das entscheidet alles mit. Das habe ich ausgeführt.

Die Zahl der in Baden-Württemberg im Rahmen der fachärzt lichen Weiterbildung absolvierten Facharztprüfungen in All gemeinmedizin ist von 110 auf 180 pro Jahr gestiegen. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der Hausarztberuf für junge Medizinerinnen und Mediziner wieder attraktiver wird.

Meine Damen und Herren, das Land und seine Partner – es wurde erwähnt – haben reagiert – sie reagieren laufend – und haben verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, um dem sich abzeichnenden Ärztemangel zu begegnen. Wir set zen dabei bereits im Studium an. So ist im April dieses Jah res das Stipendienprogramm zur Gewinnung von Medizinstu dierenden für den unterversorgten ländlichen Raum gestartet. Herzlichen Dank, Kollege Teufel, für die Initiative, für das gute Zusammenwirken in unseren Arbeitskreisen, dass wir dieses Programm starten können.