Protokoll der Sitzung vom 18.07.2018

Man kann Rechtsnormen materiell infrage stellen. Man kann Grenzwerte infrage stellen.

(Abg. Anton Baron AfD: Aha!)

Man findet auch Gutachter, die diese infrage stellen.

(Abg. Anton Baron AfD: Also!)

Aber auch an Normen, die man selbst infrage stellt, muss man sich halten. Man ist nicht selbst der Richter über Normen von

Institutionen der Demokratie. Das sollte eine Rechtsstaatspar tei wissen – wenn es schon die AfD nicht begreift.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU – Zuruf der Abg. Brigitte Lösch GRÜNE – Glocke der Präsidentin)

Herr Ministerpräsident, einen Moment bitte. Es gibt zwei Zwischenfragen, und zwar von Herrn Abg. Dr. Fiechtner und von Frau Abg. Dr. Baum. Las sen Sie diese zu oder nicht?

Nein, die lasse ich jetzt nicht zu.

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Er hat im mer noch nicht viel gesagt!)

Ich bitte die FDP, darüber noch einmal nachzudenken. Ich empfehle Ihnen ein Interview Ihres Kollegen Kubicki in ei nem anderen Zusammenhang, bei dem er einfach anmahnt, dass wir uns an den Rechtsstaat halten und dass niemand da rübersteht,

(Abg. Dr. Hans-Ulrich Rülke FDP/DVP: Wir werden ihm sagen, dass er das Maß der Dinge für Sie ist!)

keine Einzelperson, keine Partei, keine Fraktion und auch kein Fraktionsvorsitzender. Das wäre doch schon eine sehr ernst hafte Bitte. Wir leben in nicht ganz problemlosen Zeiten, was diese Frage betrifft. Das sollte sich die FDP schon einmal gründlich überlegen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Eine andere Frage ist, ob der Bund das Richtige in diesen Fra gen gemacht hat. Man kann das alles infrage stellen, all die se Regelungen, wenn nachher im Realbetrieb etwas vollkom men anderes emittiert wird als auf der Testrolle. Das sind schon schwere Versäumnisse, und es sind schwere Vorwürfe, die wir der Automobilindustrie machen müssen, aber auch de nen, die solche Regelungen zulassen, die solche Ausnahmen überhaupt ermöglichen – vom Betrug einmal ganz abgesehen. Jedem ist klar: Wenn das anders gewesen wäre und wir im Re albetrieb auch nur annähernd die Werte hätten, die auf der Testrolle gemessen worden sind, dann hätten wir das Problem wahrscheinlich schon gar nicht mehr. – Aber das will ich jetzt nicht weiter vertiefen.

Wir stehen in der Situation, dass wir uns an richterliche Ur teile halten müssen, egal, Herr Kollege Stoch, was da nach Ih rer Ansicht die Fehler der Vergangenheit waren. Selbst wenn Sie recht hätten,

(Abg. Reinhold Gall SPD: Wir haben recht!)

müssen wir uns an die Urteile halten. Das ist einfach eine Tat sache.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU – Abg. Andreas Stoch SPD: Sie müssen die Urteile richtig lesen!)

Meine Damen und Herren, das Bundesverwaltungsgerichts urteil bedeutet für uns, dass wir drei Dinge unter einen Hut bringen müssen.

Erstens: saubere Luft. Wir sind verantwortlich für die Gesund heit der Bürger in unserem Land und wollen deshalb natür lich möglichst schnell die gesetzlichen Grenzwerte für Fein staub und Stickoxide einhalten.

Zweitens: Mobilität. Wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger gut von A nach B kommen. Deswegen wollen wir Fahrverbote möglichst vermeiden. Das war auch eine klare Linie in den Gesprächen, die wir zusammen hatten. Das hat sehr viele Gründe, selbstverständlich auch soziale Gründe für die Besitzer.

Drittens: Arbeit und Wohlstand. Die Automobilwirtschaft ist ein tragender Pfeiler der Prosperität in unserem Land. Rund 440 000 Arbeitsplätze hängen bei uns am Auto. Da gilt es, mit Augenmaß zu handeln. Wir können auch nicht erwarten, dass die kleinen und mittleren Betriebe, Handwerker, Taxis oder Sozialdienste neue Fahrzeuge aus der Portokasse bezahlen. Deswegen haben wir Ausnahmeregelungen vorgesehen,

(Zuruf des Abg. Reinhold Gall SPD)

die es auch ermöglichen, dass die Stadtgesellschaft weiter funktioniert und dass jeder, von dem Menschen unbedingt Hil fe brauchen – etwa ein Handwerker bei einem Rohrbruch, ei ne Hebamme, was auch immer –, weiterhin fahren kann.

Es ist uns trotz dieser komplizierten Gemengelage gelungen, ein ambitioniertes Maßnahmenpaket zu schnüren, das für sau bere Luft sorgt, das, soweit möglich, auf Fahrbeschränkungen verzichtet und das angemessene Ausnahmeregelungen vor sieht, ein Maßnahmenpaket, das den verschiedenen Anliegen gerecht wird. Dafür nehmen wir viel Geld in die Hand –: 430 Millionen € für saubere Mobilität in Stuttgart und im ganzen Land.

Was machen wir konkret? Erster Punkt: Wir schichten ab. Bei Euro-4-Dieselfahrzeugen haben wir keine Wahl. Da räumt uns das Bundesverwaltungsgericht keine Übergangsfristen ein. Deshalb können wir Euro-4-Dieselfahrzeuge ab dem 1. Janu ar 2019 nicht mehr im Stadtgebiet zulassen. Aber wir haben für Härtefälle auch Ausnahmen vorgesehen. Einzelheiten – der große Katalog ist da – im Detail stimmen wir noch ab.

Auch Anwohner sollen nach Hause kommen können. Für sie ändert sich bis zum 1. April 2019 nichts – passend zum Start der großen Tarifreform des VVS.

(Zuruf von der AfD)

Was die Euro-5-Dieselfahrzeuge angeht: Hier werden wir al les tun, um Fahrverbote zu vermeiden. Wir ergreifen dafür in einer außergewöhnlichen Kraftanstrengung zusätzliche wirk same Maßnahmen, um die Schadstoffbelastung weiter zu sen ken.

Nur für den Fall, dass zum 1. Juli 2019 die Einhaltung der Grenzwerte Ende 2019 nicht in Sicht ist, wird das Regierungs präsidium Stuttgart den Luftreinhalteplan so fortschreiben, dass der neue Luftreinhalteplan zum 1. Januar 2020 in Kraft tritt, soweit dies Anfang 2020 dann noch erforderlich ist. Es gibt also keinen Automatismus.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Hinzu kommt: Wer seinen Euro-5-Diesel mit Hardware nach gerüstet oder die Software aktualisiert hat, bleibt von Be schränkungen verschont. Deshalb sind Euro-5-Diesel mit Hard warenachrüstung dauerhaft und solche mit Softwareupdate in jedem Fall für zwei Jahre von Fahrverboten ausgenommen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Wir haben eine Lö sung gefunden, auf die sich jeder einstellen kann. Sie ist trans parent, sie ist berechenbar, flexibel und sachgerecht. Wir wer den alles daransetzen, die Luft bis 1. Juli 2019 so sauber zu bekommen, dass das Erreichen der Grenzwerte in Sicht rückt.

Damit komme ich zum zweiten Punkt: Das sind die beglei tenden Maßnahmen. Wir investieren rund 430 Millionen €, u. a. in die Prüfung und gegebenenfalls Umsetzung einer Bus spur am Neckartor, weil Busspuren sehr effektiv sind, wenn es um Luftreinhaltung geht;

(Zuruf von der AfD)

auf ihnen dürfen aber auch E-Fahrzeuge fahren.

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Noch mehr Stau!)

Wir investieren weiter in die Einführung von Expressbuslini en, um Fahrgastkapazitäten zu erhöhen,

(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktions los])

in die Einführung und Anschubfinanzierung

(Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos]: Wozu das Ganze?)

eines BW-Tarifs über Verbundgrenzen hinweg mit preisgüns tigeren Fahrscheinen und Familienpreisen, in mehr elektri sche Busse, Lkw-Flotten, Fahrzeuge und Lastenräder und noch mehr Park-and-ride-Plätze in der Region Stuttgart.

Damit komme ich zum dritten Punkt: Innovation. Wir setzen weiter alles ein, was ausgeklügelte Technik schon heute kann, um den Verkehr intelligent zu steuern und dadurch zu verste tigen: intelligente Ampeln, LED-Tafeln zur Übermittlung von Reisezeitdaten, ein digitales Baustellenkoordinierungs- und -informationssystem,

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

ein intelligentes digitales Parkraumbewirtschaftungssystem, das auch nach Emissionsklassen differenzieren kann, ein be triebliches Mobilitätsmanagement zwischen Land und Unter nehmen in der Region

(Zuruf des Abg. Emil Sänze AfD)

und nicht zuletzt die Filterung von Feinstaub.

Meine Damen und Herren, ich denke, es wird deutlich: Wir ducken uns nicht weg. Wir gehen in dieser herausfordernden Situation tatkräftig voran mit einem Maßnahmenpaket, das in Deutschland einzigartig ist und das die Lösung einer verfah renen Situation ermöglicht, eine Lösung, die die Ziele von sauberer Luft, verlässlicher Mobilität und die Anliegen des Wirtschaftsstandorts ins Gleichgewicht bringt und die unter

schiedlichen Interessen nicht gegeneinander ausspielt, son dern versucht, sie miteinander in Einklang zu bringen, eine Politik nicht der lauten Töne und der Scheinlösungen, sondern eine Politik, die sorgfältig abwägt und dann entscheidet.

(Abg. Anton Baron AfD: Sie bekommen Ihre Quit tung dafür!)