Protokoll der Sitzung vom 11.10.2018

Die Unterrichtsversorgung dürfte die entscheidende Stellgrö ße in der Erfolgs- oder eben Misserfolgsbilanz dieser Kultus ministerin werden.

Hinzu kommt Folgendes: Bei solch hohen Ausfallquoten trotz vollständig besetzter Stellen kann etwas nicht stimmen. Ent weder die Personalversorgung der Schulen ist auf Kante ge näht oder das System der Zuteilung funktioniert nicht oder beides.

Tatsächlich fällt auf, dass das gesamte System wenig transpa rent ist. Denn anders als in anderen Bundesländern wird der Unterrichtsausfall in Baden-Württemberg bisher leider nur stichprobenartig erfasst. So wurde denn auch die schon er wähnte Vollerhebung von der Kultusministerin geradezu als Pionierleistung gefeiert. Von einer vollständigen und differen zierten Erhebung des Unterrichtsausfalls wie beispielsweise in Hessen ist Baden-Württemberg aber noch weit entfernt.

Zwar hat die Kultusministerin bereits öffentlich Sympathien für einen entsprechenden Vorschlag der FDP/DVP-Fraktion geäußert, gleichwohl macht das Scheitern der Bildungsplatt form „ella“ und des Schulverwaltungsprogramms ASV-BW erhebliche Versäumnisse beim Aufbau der technischen Grund lagen für eine zeitgemäße landesweite Datenverarbeitung deutlich.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und des Abg. Daniel Rottmann AfD)

An dieser Stelle muss doch einfach einmal festgehalten wer den: Die verheerenden sieben Jahre grün geführter Bildungs politik in diesem Land haben uns in diese Situation gebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Im pädagogischen Bereich erleben wir durch den nicht zu be schönigenden Unterrichtsausfall eine mehr als inakzeptable Situation mit nicht mehr zumutbaren Mehrbelastungen für die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen. Im technischen Be reich, Herr Ministerpräsident, fährt die grün-schwarze Regie rung mit der Schulverwaltungssoftware ASV-BW und der Bil dungsplattform „ella“ ein Projekt nach dem anderen gegen die Wand.

Diese gescheiterte Bildungspolitik war doch der Hauptgrund, warum die grün-rote Regierung Kretschmann 2016 zu Recht abgewählt wurde, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Herr Ministerpräsident, Ihre Aufgabe ist es nach unserer Auf fassung nicht, in quasi-präsidialer Art über den konkreten All tagsproblemen der baden-württembergischen Schülerinnen und Schüler und Lehrerinnen und Lehrer zu stehen. Nein, Ih re Aufgabe ist es vielmehr, eine Bildungspolitik mit dem Ziel

einer ausreichenden Unterrichtsversorgung zu machen. Das ist die erste Grundvoraussetzung dafür, dass wir bei Leistungs vergleichen mit anderen Bundesländern endlich nicht mehr im letzten Drittel landen. Wir Freien Demokraten geben uns jedenfalls nicht mit der aktuellen Unterrichtsversorgung und mit dem Abschneiden der baden-württembergischen Schüle rinnen und Schüler bei Leistungsvergleichen zufrieden, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Unsere Lösungsvorschläge liegen längst auf dem Tisch. Die FDP/DVP-Fraktion fordert die Kultusministerin dringend auf, sich eingehend mit den Erfahrungen anderer Länder und Bun desländer auseinanderzusetzen und zukunftsfähige Datenver arbeitungslösungen für Baden-Württembergs Schulen zu er arbeiten.

Denn ohne Transparenz stochern Regierung und Landtag bei der Zuteilung der Ressourcen im Nebel. Vor allem besteht kei ne nachvollziehbare Verbindung zwischen den für das Jahr 2019 ausgewiesenen 107 637 Lehrerstellen und dem tatsäch lichen Personalbedarf der jeweiligen Schule vor Ort. So ist auch eine garantierte Unterrichtsversorgung nach dem Mus ter „100 % Pflichtunterricht plus x für Vertretungsunterricht sowie für eigene Profile“ hierzulande alles andere als in greif barer Nähe.

Allerdings: Was nützt das beste Verteilungssystem, wenn es beim Nachwuchs hapert, und zwar erheblich? Um die Unter richtsversorgung langfristig sicherzustellen, müssen am Lehrer beruf Interessierte auch attraktive Arbeitsbedingungen vorfin den. Volle Klassen, die Sommerferienarbeitslosigkeit sowohl bei Referendaren als auch befristet beschäftigten Lehrkräften sowie wenig Verlässlichkeit bei bildungspolitischen Entschei dungen tragen eben nicht zur Steigerung der Attraktivität die ses im Grunde wunderschönen Berufs bei.

Wenig hilfreich ist auch, wenn Zweifel an der Rückendeckung durch Staat und Gesellschaft aufkommen, in deren Dienst ein Lehrer steht.

Wir Freien Demokraten halten außerdem deutlich mehr Kre ativität der Landesregierung bei der Lehrergewinnung für dringend erforderlich. Zwar ist Frau Dr. Eisenmann um die Demonstration von Tatkraft bei der Lehrergewinnung bemüht. Aber warum nimmt sie eigentlich keine Verbesserungen beim Quereinstieg ins Lehramt, vor allem in Mangelbereichen, vor? Systematische Angebote der Beratung und verbindliche Nach qualifizierung wären nach unserer Auffassung das Gebot der Stunde.

Warum stößt unsere Forderung nach mehr Eigenverantwor tung der Schulen vor allem im Bereich der Personalauswahl und der Personalentwicklung auf taube grün-schwarze Oh ren? Für viele Schulen, gerade im ländlichen Bereich, wäre es eine große Hilfe, wenn sie Bewerbern direkt eine attrakti ve Berufsperspektive eröffnen könnten.

Offensichtlich sind die ideologischen Gegensätze in der grünschwarzen Komplementärkoalition alles andere als gute Vor aussetzungen für mutige politische Entscheidungen. Solche wären aber im Interesse der Zukunftsfähigkeit unseres Bil dungswesens dringend notwendig.

Und ja, die Kultusministerin von der CDU zeigt sich um die Qualität der Bildung in Baden-Württemberg bemüht. Aber es ist doch eine Binsenweisheit, dass qualitativ sehr guter Unter richt nur derjenige sein kann, der auch tatsächlich stattfindet.

Die Kultusministerin kommt mir vor wie eine Stabhochsprin gerin, die bei den Olympischen Spielen einen Medaillenrang erringen will. Das, sagt sie, sei ihr Anspruch. Sie erzählt ei ner interessierten Öffentlichkeit, mit welcher Vorbereitung und mit welcher Technik sie beim Stabhochsprung eine Me daille erkämpfen will und auch wird.

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: Das glaubt sie selbst nicht!)

Als die Kultusministerin dann aber an der Reihe ist, stellen sie und der aufmerksame Zuschauer fest, dass sie den Sprung stab gar nicht dabei hat, dass sie ihn vergessen hat, dass sie ihn zu Hause liegen gelassen hat.

Ohne die Lehrer geht es eben nicht. Denn auf die Lehrer kommt es an. Wir brauchen sie in ausreichender Zahl und müssen ihnen möglichst perfekte Rahmenbedingungen ermög lichen. Erst wenn dieser erste Schritt gemacht ist, dann kann es auch was mit den Qualitätsansprüchen werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Für die Landesregierung er teile ich Herrn Staatssekretär Schebesta das Wort.

Frau Präsidentin, sehr ge ehrte Kolleginnen und Kollegen! Je lauter Sie, liebe Kollegin nen und Kollegen von der SPD, schreien, desto mehr ist mein Eindruck, dass Sie um den eigenen Anteil an der Verantwor tung an der aktuellen Situation sehr wohl wissen. Sie gerie ren sich hier als Gralshüter der Unterrichtsversorgung und len ken damit von dem ab, was Sie an eigener Verantwortung im Kultusministerium und im Finanzministerium zu tragen hat ten.

Ich möchte aber nicht nur auf die Entwicklung in Ihrer Regie rungsverantwortung verweisen, sondern auch darauf hinwei sen, was wir, die jetzige Regierung, getan haben. Daher neh men wir die Kennzahlen zum Versorgungsgrad an den allge meinbildenden Gymnasien, die ja der Anlass für die Aktuelle Debatte sind, in den Blick.

Wir hatten sowohl im Schuljahr 2016/2017 als auch im Schul jahr 2017/2018 an den allgemeinbildenden Gymnasien einen höheren Versorgungsgrad als in jedem Schuljahr, in dem Sie in der Regierungsverantwortung standen und Verantwortung im Kultusministerium und im Finanzministerium trugen. Wir haben also gehandelt. Der Versorgungsgrad liegt höher als in der Zeit Ihrer Verantwortung.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Und warum klagen dann die Eltern?)

Das erste Instrument, das Schulen die Flexibilität gibt, um auf Unterrichtsausfall zu reagieren, ist deren Ausstattung. Das be trifft die Frage, wie es über den Pflichtunterricht hinaus im so genannten Ergänzungsbereich aussieht. Auch der Ergänzungs

bereich hatte in den Schuljahren 2016/2017 und 2017/2018 einen höheren Umfang als in jedem Schuljahr in der vergan genen Legislaturperiode. Dann kommen Sie hierher und voll führen eine solche Veranstaltung mit dieser Aktuellen Debat te. Das passt nicht zusammen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen und der CDU)

Sie verlangen, Herr Dr. Fulst-Blei, Zielgrößen zu formulie ren. Sie hatten in der Tat eine Zielgröße, die lautete, 11 600 Lehrerstellen abzubauen.

(Widerspruch bei der SPD – Abg. Reinhold Gall SPD: Falscher Adressat!)

Wissen Sie, wir brauchen jetzt keine Koalitionsdiskussio nen der vergangenen Legislaturperiode zu führen.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Immer bei der Wahrheit bleiben! – Unruhe)

Moment! – Herr Schebesta – –

Ich komme durch.

(Heiterkeit)

Sie sprechen das Kultusministerium in dieser Regierungsko alition an; ich spreche das Kultusministerium in Ihrer Regie rungskoalition an.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Aber die 11 000 Stellen waren nicht von uns! – Abg. Dr. Timm Kern FDP/ DVP: Sie können doch die Gesamtverantwortung des Ministerpräsidenten nicht bestreiten!)

Diese Zielgröße von 11 600 Lehrerstellen hatten Sie formu liert. Deshalb wäre ich zurückhaltend mit einfachen Antwor ten, die ohnehin immer schwierig sind. Aber einfach zu sa gen: „Setzt doch den Versorgungsgrad hoch!“, wenn dieser schon höher ist als in jedem Jahr der vergangenen Legislatur periode, passt nicht auf die Situation, die wir haben.

Die Gymnasien waren 2017/2018 im Vergleich aller Schular ten am besten ausgestattet. Sie sind am besten in das Schul jahr 2017/2018 gestartet und hatten zum Stichtag im Oktober einen Versorgungsgrad von mehr als 104 %. Trotzdem war dort sowohl bei der Stichprobe im November 2017 als auch bei der Vollerhebung im Juni 2018 der Unterrichtsausfall im Vergleich der Schularten am höchsten. Wie man allein schon mit diesem Befund sagen kann, die Antwort sei, den Versorgungsgrad he raufzusetzen, ist mir in der Argumentation schleierhaft.

Ein Versorgungsgrad von mindestens 106 %, wie Sie ihn for dern – Frau Kollegin Boser hat auch darauf hingewiesen –, löst das Problem nicht. Etwa drei von zehn Gymnasien hatten im Oktober einen Versorgungsgrad von über 106 %. Im Mit tel fielen an diesen Schulen in der Stichwoche im Juni 2018 trotzdem etwa 5,9 % des Unterrichts aus. Das ist nicht viel besser als der landesweite Mittelwert. Also seien wir doch vor sichtig damit, zu sagen: Das ist eine einfache Antwort, sie hört sich gut an und wird die Lösung der Probleme sein.

(Beifall der Abg. Sandra Boser GRÜNE)

Wir müssen schauen, was hier läuft und was die Ursachen da für sind. Deshalb ist es richtig, dass wir Abfragen intensivie

ren – in der Quantität und in der Qualität. Das ist es, was wir unter Evidenzorientierung verstehen, die wir auch in einer Veranstaltung mit dem Wissenschaftlichen Beirat Anfang die ser Woche für die gesamte Qualitätsentwicklung in unserem Land in den Fokus genommen haben. Evidenzorientierung sollten wir eigentlich auch in der Argumentation über das The ma Unterrichtsausfall miteinander pflegen und sollten nicht sagen, einfache Antworten würden das Problem lösen.

Natürlich muss auch darüber gesprochen werden, dass es ge rade an den Gymnasien Situationen gibt, in denen Unterricht vertreten werden muss. Wenn Sie jetzt die Bezifferung des Unterrichtsausfalls in Zweifel ziehen und sagen, Sie könnten nachvollziehen, dass man nicht mehr differenziert in vertre tenen Unterricht oder nicht vertretenen Unterricht, weise ich darauf hin: Sie haben in der vergangenen Legislaturperiode doch genau dieselben Statistiken zum Unterrichtausfall ver wendet.