Protokoll der Sitzung vom 24.10.2018

und dass es so weit gekommen ist, ist die Schuld aller hier vertretenen Politiker – außer der AfD.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD und des Abg. Dr. Wolfgang Ge deon [fraktionslos])

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. Hinderer.

(Zuruf der Abg. Sabine Wölfle SPD)

Frau Präsidentin, werte Kolle ginnen und Kollegen! „Wie stelle ich die Erfolge anderer ins eigene Schaufenster?“ Das hielte ich, nachdem ich die Beiträ ge der beiden Vertreter der Regierungsfraktionen gehört ha be, für den passenden Titel der Aktuellen Debatte. Aber Sie

haben dann doch lieber eine etwas kryptische Überschrift – „E-Health und Empathie...“ – gewählt.

Was ist damit gemeint? Mir kamen zwei Varianten in den Sinn. Erstens: Zur Umsetzung von E-Health-Maßnahmen brauchen wir die Empathie der Bürgerinnen und Bürger. Das ist richtig. Und hierzu gehört – Herr Kollege Teufel hat dar auf hingewiesen – zuallererst die Aussage: „Wir nehmen alle mit; wir müssen die Bevölkerung aufklären.“ Sie haben eine Aufklärungskampagne gefordert. Fangen Sie damit an! Was hält Sie davon ab?

(Beifall bei der SPD und der Abg. Gabriele Reich- Gutjahr FDP/DVP)

Das ist eine Aufgabe der Landesregierung. Denn im Ganzen betrachtet, Frau Kollegin Krebs, stehen die Menschen in Deutschland der Digitalisierung positiv gegenüber. Das ist für viele nichts Fremdes, nichts Großes mehr – außer vielleicht für die AfD.

(Zurufe von der AfD)

Zwei Drittel der Befragten erwarten eher Vorteile für Patien ten; weitere 15 % erwarten sogar sehr große Vorteile. Unter dem Strich blicken also acht von zehn Menschen optimistisch in die digitale Zukunft im Gesundheitswesen – so eine Studie der TK aus dem vergangenen Jahr.

Noch einmal zur Überschrift. Die zweite Variante: Möchten Sie eine Debatte über die Bedeutung von Empathie in der Arzt-Patienten-Beziehung? Auch das ist mittlerweile eine Selbstverständlichkeit. Niemand möchte die Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten durch telemedizinische Maßnahmen er setzen. Es geht um Ergänzung. Aber auch dies ist eigentlich ausdiskutiert; selbst unser Sozialminister hat vor Kurzem ge sagt: Die telemedizinischen Angebote werden die bisherigen Behandlungsformen unterstützen und ergänzen; sie werden menschliche Zuwendung und Empathie aber niemals ersetzen können. – Auch das ist also im Grunde Schnee von gestern.

Ich blicke in die Zukunft. Was sind die Chancen der Digitali sierung? Diese Chancen sind unbestritten riesig. Wir haben dies auch bei unserer Ausschussreise nach Finnland, die sehr aufschlussreich war, gezeigt bekommen. Eine wichtige Er kenntnis dieser Reise ist für mich: Vieles wird dort einfach angegangen und wird nicht für eine unüberwindbare Hürde gehalten und immer wieder diskutiert. In Finnland ist die Te lemedizin beispielsweise auch bereits Bestandteil des Medi zinstudiums.

Hier bei uns gibt es viele gesetzliche Rahmenbedingungen, die vom Bund ausgehen. Deshalb ist es gut, dass im aktuellen Koalitionsvertrag auch der Ausbau von E-Health im Gesund heitswesen als wichtiger Punkt festgehalten wird.

In Baden-Württemberg ist festzustellen, dass verschiedene Akteure vorpreschen, z. B. in Bezug auf die elektronische Pa tientenakte, die Krankenkassen, bei „docdirekt“. Kassenärzte und Ärztekammer haben bei uns eine Vorreiterrolle. Beim E-Rezept werden von der Landesapothekerkammer wichtige Schritte eingeleitet; sie erbringen 1 Million € Förderung. Ak teure würden einzelne Projekte der Digitalisierung nicht so vo rantreiben, wenn sie nicht der Meinung wären, dass das eine Zukunft hat.

Interessant wäre für uns nun, welche konkreten Schritte die Landesregierung plant, um die bestehenden Insellösungen im Bereich der Digitalisierung zusammenzubringen. Davon hört man bisher nicht viel. Vielleicht kann der Sozialminister nach her einige Ausführungen dazu machen. Denn die Entwicklung ist keineswegs das Verdienst der Landesregierung, die sich hier regelmäßig mit fremden Federn schmückt.

Herr Minister Strobl – Herr Teufel, Sie haben es angesprochen –, Sie hatten vor Kurzem in einer Pressemeldung zum Digi talisierungsbericht geschrieben:

Als erstes Bundesland haben wir das Fernbehandlungs verbot gelockert. Schon heute erproben wir deshalb mo dellhaft Fernbehandlungsprojekte.

Nicht die Landesregierung, Herr Innenminister, hat das getan. Das Fernbehandlungsverbot wurde aufgehoben durch die Lan desärztekammer und durch die Kassenärztliche Vereinigung, und das ist gut so.

Deshalb müssen wir andere und nicht die Landesregierung lo ben. Wir können z. B. auch unsere Unikliniken und die Ba den-Württembergische Krankenhausgesellschaft loben. Un ser Forschungsstandort ist hervorragend, z. B. im Bereich der digitalisierten Medizin. Ich nenne die spezialisierte, individu elle Krebsbehandlung.

Es gibt noch einiges zu tun. Was sind die notwendigen Schrit te, um die Digitalisierung in Baden-Württemberg voranzutrei ben? Zunächst geht es darum, die Infrastruktur zu schaffen. Da haben Sie sich im Koalitionsvertrag viel vorgenommen: flächendeckende Breitbandverkabelung intensiv vorantreiben. Wir erleben jedoch einen eher schleppenden Ausbau des Breit bandinternets – und ohne Internet kein E-Health, ohne Inter net keine elektronische Patientenakte oder gar Telemedizin. Hier sind Sie in der Verantwortung. Tun Sie etwas!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der AfD so wie des Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP)

Wir brauchen auch eine bessere Ausstattung der Krankenhäu ser. Hier reichen die 10 Millionen €, die im Nachtragshaus halt vorgesehen sind, definitiv nicht aus.

(Abg. Jochen Haußmann FDP/DVP: So ist es! Ge nau!)

Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Eine aktuelle Um frage des Marburger Bundes weist darauf hin, dass die Kran kenhäuser völlig unzureichend auf die Digitalisierung vorbe reitet sind. Es muss auch um die IT-Sicherheit in den Kran kenhäusern gehen. Sie müssen gegen Hackerangriffe ge schützt werden, und die Patientenakten müssen sicher sein.

Ein weiteres Thema ist die Arzneimittelsicherheit in den Kran kenhäusern. Ich erinnere an das tragische Unglück im Kran kenhaus Göppingen, wo ein Mensch wegen falscher Infusio nen zu Tode gekommen ist. Das wäre mit telemedizinischer Überwachung vielleicht nicht passiert.

Wir hatten in Finnland ein Medikamentenausgabesystem an geschaut. Das wäre durchaus eine Möglichkeit, die man in Ba den-Württemberg schnell einführen könnte. Hier hätte man z. B. auch – noch mal zur Überschrift – Empathie schaffen

können, indem man der Bevölkerung anhand dieses Beispiels zeigt, wie die Digitalisierung zu mehr Arzneimittelsicherheit beitragen kann.

Ich fasse zusammen: Baden-Württemberg hat eindeutig eine Spitzenposition im Bereich E-Health. Das ist das Verdienst der Spitzenforscher an unseren Unis, der Ärztekammer Ba den-Württemberg – da kann man auch den Präsidenten Dr. Clever herausheben –, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Apothekerkammer, der hiesigen Krankenkassen sowie vieler weiterer Akteure. Davon profitieren Patientinnen und Patien ten.

Trotzdem sehe ich z. B. im Vergleich zu Finnland, dass wir das Ende der Entwicklung noch lange nicht erreicht haben. Wenn die grün-schwarze Koalition meint, dass sie sich Resul tate, die in diesem Bereich bereits erzielt wurden, selbst als Verdienst zuschreiben kann, so sage ich: Sie schmücken sich vielfach mit fremden Federn.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Haußmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Erinnern Sie sich noch an die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland?

(Zurufe von der SPD: Ja! – Abg. Wolfgang Drexler SPD: Wo ist denn das Geld hingegangen?)

Das war eine Zeit, in der man sich Spiele der deutschen Fuß ballnationalmannschaft noch mit Begeisterung angesehen hat. Man konnte die Spiele auch noch anschauen, ohne moderne Technik zur Verfügung zu haben. 2006 gab es das I-Phone noch nicht; man erinnert sich kaum noch daran. Es ist heute undenkbar, dass man das I-Phone im Alltag nicht im Gebrauch hat.

Es ist völlig selbstverständlich, dass Bürgerinnen und Bürger Vitaldaten messen. In den USA kann man über Apps schon genetische Berichte anfordern. Und Sportlerinnen und Sport ler nutzen eine Polar-Uhr oder andere Uhren, um sich die Da ten dann direkt auf entsprechende Fitnessgeräte übertragen zu lassen.

Die Digitalisierung ist in Deutschland angekommen. Es geht nicht um die Frage, ob wir die Digitalisierung wollen, son dern nur darum, wie wir sie umsetzen, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Stichwort Gesundheitswesen: Aktuell stehen wir in BadenWürttemberg und in Deutschland insgesamt sehr gut da. Das liegt vor allem an den über 900 000 im Gesundheitswesen Be schäftigten, denen wir an dieser Stelle auch einmal einen herz lichen Dank für die tagtägliche Verantwortung sagen wollen, die sie für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger in Ba den-Württemberg tragen.

(Beifall bei der FDP/DVP sowie Abgeordneten der AfD und der SPD – Vereinzelt Beifall bei den Grü nen)

Baden-Württemberg ist der größte Pharma- und Medizintech nikstandort und der zweitgrößte Biotechnologiestandort. Da mit haben wir auch beim Thema Digitalisierung eine Verant wortung.

Ohne Frage steht Baden-Württemberg auch im internationa len Vergleich sehr gut da. Wenn es darum geht, Facharzt- oder Hausarzttermine zu bekommen, verzeichnen wir im interna tionalen Vergleich nach wie vor hervorragende Werte. Den noch zeigt sich, wenn man sich die Daten anschaut – das ist auch in der Stellungnahme zu dem Antrag der CDU-Fraktion zu lesen –: Über 35 % der 6 760 Hausärztinnen und Hausärz te in Baden-Württemberg sind über 60 Jahre alt, und in den nächsten Jahren werden über 1 600 Ärzte in den Ruhestand gehen.

Ziel muss sein, die Freiberuflichkeit zu erhalten, aber gleich zeitig auch neue Versorgungsformen zu sehen. Die badenwürttembergischen Krankenhäuser stehen unter einem hohen finanziellen Druck, und aktuell besteht ein erheblicher Man gel an Ärzten und Pflegefachkräften.

Deswegen lautet die Gretchenfrage: Ist Baden-Württemberg auf die Gesundheitsrevolution, die uns vor Herausforderun gen stellt, gut vorbereitet? Reicht die Digitalisierungsstrate gie der Landesregierung aus, und wie sehen die sonstigen Rahmenbedingungen aus?

Ohne Frage werden mit dem Forum „Gesundheitsstandort Ba den-Württemberg“ und der Digitalisierungsstrategie der Lan desregierung viele gute und wichtige Projekte angeschoben. Dennoch muss es auch eine Aufgabe der Landesregierung und der Regierungsfraktionen sein, auf den Bund mit dem Ziel einzuwirken, dass wir von den Modellprojekten zur Regelver sorgung kommen. Es gibt schon viele gute Projekte, über te lemedizinische Strukturen, Televisiten – all diese Dinge. Jetzt ist es an der Zeit, nicht nur weiter Modellprojekte zu fordern, sondern Druck zu machen, damit diese Formen in die Regel versorgung überführt werden können.

All denjenigen, die immer von der Bürgerversicherung spre chen, sei gesagt, dass Innovationen heute meist erst durch die privaten Krankenversicherungen kommen und durch diesen Druck eben auch gesetzliche Krankenversicherungen nach ziehen. Dazu nur ein Beispiel: Die Kapselendoskopie – eine hervorragende Möglichkeit für moderne Untersuchungen – wurde von der PKV schon 2001 eingeführt. 2007 gab es den ersten Antrag bei den gesetzlichen Krankenkassen, und 2014 ist die Kapselendoskopie schließlich in die Regelversorgung übernommen worden. Das kann nicht die Grundlage für eine Zielsetzung der Digitalisierung sein, sonst werden wir inter national überholt. Deswegen brauchen wir einen Push in die Regelversorgung. Da ist natürlich in erster Linie die CDU ge fordert, weil sie den Gesundheitsminister im Bund stellt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Herr Abg. Haußmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Hinderer zu?

Bitte.