Protokoll der Sitzung vom 24.10.2018

Bitte.

Vielen Dank, Herr Kollege Haußmann. – Beim Thema Digitalisierung sind wir in vielen Punkten wahrscheinlich auf einer Linie. Nichtsdestotrotz ver anlasst mich Ihr Seitenhieb auf die Bürgerversicherung bzw. Ihr Prä für die PKV schon zu der Frage: Wie können Sie sich erklären, dass gerade bei einem der innovativsten Projekte, die wir im Land durchführen, nämlich „docdirekt“, Privatpa tienten nicht zum Zuge kommen, weil sich die PKV gerade an dieser Stelle einer Mitfinanzierung verweigert?

Wenn Sie sehen, Herr Kollege Hinderer, wie innovativ die PKV bei innovativen Arz neimitteln ist, dann gehen die dort sicherlich zu Recht teilwei se auch andere Wege.

(Unruhe)

Deswegen, glaube ich, brauchen wir dieses duale System. Denn wenn wir eine Einheitsstruktur, eine Einheitsversiche rung haben – Sie kennen die Zeiträume, die ich gerade ge nannt habe –, dann werden wir mit der Digitalisierung nicht vorwärtskommen.

Das Thema Medgate wurde schon von meinen Vorrednern an gesprochen. Das ist etwas, was wir schon vor Jahren gefor dert hatten. Ich bin froh, dass die Landesärztekammer das Fernbehandlungsverbot aufgehoben hat und dass die Kassen ärztliche Vereinigung in das System „docdirekt“ eingestiegen ist – inzwischen ausgeweitet auf das gesamte Landesgebiet, sodass man jetzt auch über den Landkreis Tuttlingen und über die Stadt Stuttgart hinausgeht. Das bringt uns einen Sicher heitsgewinn; das bringt uns Vorteile in der gesamten Versor gung, auch im ländlichen Raum.

Inzwischen haben auch die ersten Kassen begonnen – ich nen ne einmal die TK oder die DAK –, eigene Gesundheitskarten auf den Markt zu bringen, die große Vorteile bieten. Die Pa tientinnen und Patienten brauchen die Hoheit über ihre Daten, und mit dieser Gesundheitskarte besteht die Möglichkeit, wirklich in freier Wahl über den Umgang mit den eigenen Da ten zu entscheiden. Gleichzeitig gibt es aber auch einen Si cherheitsgewinn: In Notfällen oder Vertretungsfällen können die Patienten direkt mit diesen Daten in die Behandlung hin eingehen.

Das Stichwort „Digitale Infrastruktur“ ist eines der wichtigs ten Themen, wenn Sie die Digitalisierung, wenn Sie die Ge sundheitsanwendungen in der Fläche einsetzen möchten. Dann können Sie zwar über „docdirekt“ gehen, weil das über das Telefon erfolgt; wenn es aber in Richtung Televisiten oder andere Dinge geht, dann funktioniert so etwas eben nicht, wenn Sie eine Breitbandversorgung haben, wie sie in BadenWürttemberg besteht. Da frage ich mich schon: Was haben denn die Grünen in den letzten sieben Jahren in diesem Be reich getan? Hier fehlt’s und mangelt’s.

(Beifall bei der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der AfD – Abg. Dr. Timm Kern FDP/DVP: Viel zu we nig!)

Ich hatte die Potenziale genannt, die wir im Bereich der Bio technologie und der Medizintechnik haben. Wir hören und wissen aus vielen Gesprächen: Einer der größten Bremser ist die Schwierigkeit, Kapital zu beschaffen, um die kapitalinten

sive Forschung voranzutreiben. Auch hier vermissen wir das entschlossene Handeln von Land und Bund.

Eine unserer Forderungen ist schon seit Langem, mehr Mög lichkeiten für Pensionsfonds oder Lebensversicherungen zu bieten, auch in solche Bereiche zu gehen, in die wir im Land investieren. Denn wenn wir hier nicht investieren, tun es an dere Länder, und die Forschungsbereiche, die Potenziale zie hen eben in andere Länder. Deswegen müssen wir auch hier Impulse für das Thema „Kapital für die Biotechnologieunter nehmen in Baden-Württemberg“ bringen. Ich nenne hier nur einmal den Technologiestandort Tübingen; Sie können das landauf, landab hören.

Ein weiterer Punkt: das Medizinproduktegesetz. Auch hier er warten wir von Land und Bund deutlich entschiedeneres Han deln, denn die Regelungen der EU-Medizinprodukte-Verord nung sind für die Start-ups, für die kleinen und mittleren Un ternehmen in unserem Land inzwischen fast nicht mehr zu stemmen. Auch hier droht uns, dass Unternehmen ins Ausland abwandern, weil es dort eben einfachere Regelungen gibt. Das sollten wir nicht zulassen. Deswegen erwarten wir an dieser Stelle, dass auch die Landesregierung klare Akzente setzt, um diese Unternehmen in Baden-Württemberg zu halten.

Zum Thema Investitionsmittel – es war wahrscheinlich auch der Anlass für diese Aktuelle Debatte, dass Sie sich loben, dass Sie jetzt 10 Millionen € für die Kliniken für die Digitalisie rungsstrategie, für Digitalisierungsprojekte bereitstellen wol len –: Im letzten Haushalt haben Sie – ich darf daran erinnern – die Investitionsmittel um 30 Millionen € reduziert. Sie ha ben dann einmal 4 Millionen € bereitgestellt. In Ihrem Antrag, Herr Teufel, steht ja, dass 90 % aller baden-württembergischen Kliniken einen Digitalisierungsplan haben. Was jedoch fehlt, sind die finanziellen Mittel.

(Zuruf des Abg. Stefan Teufel CDU)

Es ist schon bemerkenswert, dass Sie jetzt ein Jahr gebraucht haben, bis Sie weitere 10 Millionen € bereitstellen. Vielleicht liegt es auch daran, dass Sie gar nicht wissen, wo Sie das Geld jetzt ausgeben müssen.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Sie sollten sich daran erinnern, dass schon im letzten Jahr, als es die 4 Millionen € Projektmittel gab, 96 Anträge mit einem Gesamtvolumen von 40 Millionen € eingegangen waren. Wenn die Digitalisierungsstrategie also so aussieht, dass Sie einen Antrag einbringen und ein Jahr lang nichts passiert

(Abg. Stefan Teufel CDU: Wir arbeiten daran!)

und dann 10 Millionen € bereitgestellt werden, dann sind, den ke ich, hier die Falschen am Werk, was die Digitalisierungs strategie des Landes Baden-Württemberg anbelangt.

Herr Abg. Haußmann, kom men Sie bitte zum Schluss.

Fazit: Die Zeit ist reif, um aus Modellprojekten endlich in die Regelversorgung über zugehen. Wir brauchen eine bessere Breitbandversorgung. Al lein auf die Digitalisierung zu setzen, um die Gesundheitsver sorgung der Menschen zu sichern, ist nicht ausreichend; wir

brauchen auch bessere Rahmenbedingungen für Ärzte sowie für Pflegerinnen und Pfleger in unserem Land.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der AfD)

Für die Landesregierung er teile ich Herrn Minister Lucha das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Erst einmal herzlichen Dank an die Fraktion GRÜNE, dass sie die Voraussetzung geschaffen hat, dass wir heute die se extrem wichtige Aktuelle Debatte, diese daueraktuelle De batte führen. Wir können dadurch die Gelegenheit wahrneh men, die großen Chancen zu erkennen und die Gestaltungs kraft, die wir in Politik und Gesellschaft mit unseren Partnern bei diesem Thema haben, zu nutzen und die Digitalisierung und die neuen technischen Möglichkeiten zum Wohle der Menschen gezielt einzusetzen. Dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, ich durfte unlängst den Minister präsidenten bei der Eröffnung der neuen Produktions- und Forschungsanlage von Roche Deutschland vertreten. Dabei handelte es sich um die größte Einzelinvestition, die Roche, ein Schweizer Konzern, je getätigt hat – eine Investition auf Mannheimer Boden. Der Verwaltungsratsvorsitzende Dr. Franz hat gesagt, sie hätten sich bewusst für Baden-Württemberg und Mannheim entschieden, weil sie hier die beste Gesundheitsver sorgung, die fortschrittlichste Gesundheitspolitik sowie die bes te Forschungs- und Lehrumgebung vorfinden. Sie sehen darin ein hohes Potenzial und meinen, dass das Land mit den Strate gien, die es in der Gesundheitspolitik umsetzt, auf einem guten Weg ist und es hier somit den besten Plafond gibt, der ihnen gestattet, ihre neue Forschung – es sind ja vor allem Krebs medikamente, die dort produziert werden – qualifiziert vo ranzubringen. Sie sehen: Unsere Politik wirkt.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Lieber, geschätzter Kollege Hinderer, es ist schon ein merk würdiges Politikverständnis, hier von „fremden Federn“ zu reden. Es war für uns – insbesondere für uns Gesundheitspo litiker – immer klar, dass wir bei diesen geteilten formalen Zuständigkeiten in Partnerschaften agieren. Diese Partner schaft drückt sich etwa darin aus, dass wir im Rahmen unse rer Digitalisierungsstrategie einen Beirat für Digitalisierung in Medizin und Pflege beim Sozialministerium eingerichtet haben, in dem alle notwendigen handelnden Akteure, inklu sive des Datenschutzbeauftragten Dr. Brink an der Spitze, mit uns die Prozesse auswählen, steuern und einsetzen, um das Diktum „Modellhaftes Erproben“ dann in eine Regelversor gung überführen zu können.

Es waren gerade in der Vergangenheit – da haben sich auch sozialdemokratische Gesundheitsminister und andere Minis ter nicht anders verhalten – immer nur Insellösungen. Was wir heute machen, steht unter dem Anspruch, dass jedes unserer Modellprojekte in der Regelversorgung anwendbar und nutz bar sein soll und sein wird.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Dr. Balzer zu?

Ja.

Herr Abg. Dr. Balzer, bitte.

Danke, Herr Minister, für das Zulassen der Frage. Sie haben positiv berichtet von der An siedlung Roche in Mannheim. Können Sie uns Angaben dar über machen, wie viele Arbeitsplätze dort eventuell entstehen sollen – das ist ein wichtiges Thema in Mannheim –, und kön nen Sie uns bezüglich der Mittel bzw. der Gewerbesteuern, die bezahlt werden müssen oder eben nicht bezahlt werden müssen, Auskunft geben, falls Sie dies wissen?

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Steuergeheimnis, Herr Kollege! Steuergeheimnis!)

Also kann er keine Angaben machen?

Ich glaube, ein Blick auf die Mannheimer Gewerbesteuereinnah men wird zeigen, dass Mannheim derzeit ein prosperierender Wirtschaftsstandort ist. Ich kann Ihnen jetzt natürlich, auch weil es nicht in mein Aufgabengebiet fällt, nicht sagen, wie viel Gewerbesteuer Roche jetzt in Mannheim zahlt. Ich den ke, die Zahl der Arbeitsplätze, die neu dazukommen, müsste bei 200 liegen, wenn ich richtig informiert bin. Aber da müss ten Sie direkt bei Roche nachfragen.

Das Entscheidende ist: Wir haben hier Spitzenleute, wir ha ben hier hoch motivierte Leute, die Ausstrahlung haben auf internationale Forschung. Sie wissen, Roche ist ein Schwei zer Konzern, und er macht seine größte Einzelinvestition an einem baden-württembergischen Standort.

(Abg. Dr. Rainer Balzer AfD: Danke schön!)

Lassen Sie mich zum Thema zurückkommen. Bewusst setzen wir in unserer Digitalisierungsstrategie auf mehrere Aspekte. Ich darf einmal sagen: Zu unserer Auftaktversammlung ist der damalige Abteilungsleiter Schenk aus dem Bundesgesund heitsministerium zu uns gekommen, weil Baden-Württemberg am weitesten ist. Es ist auch unserem Engagement in der Ge sundheitsministerkonferenz zu verdanken, dass wir jetzt bei der elektronischen Gesundheitskarte und bei der elektroni schen Patientenakte vorankommen und wir wirklich 2021 ei ne Lösung haben, die für alle nutzbar ist.

Das ganz Entscheidende ist erstens – das ist wirklich ein be sonderer Wert –: Diese Daten liegen in der Nutzungssouverä nität der Patientinnen und Patienten. Das ist nebenbei auch noch ein höchst demokratischer Prozess im Umgang mit Da ten der Gesundheitsversorgung. Zweitens: Wir müssen die technischen Möglichkeiten herstellen, und das tun wir. Drit tens: Wir haben die rechtlichen Rahmenbedingungen.

Natürlich, lieber Kollege Hinderer, haben die Ärztekammer und die KV – – Die Aufhebung des Fernbehandlungsverbots hat auch etwas mit der Zusage unseres Hauses zu tun, dass wir aus unserem Programm „docdirekt“ die Evaluationskos ten übernehmen. Da sind wir eine Partnerschaft. Es ist auch unser Verständnis, dass wir das partnerschaftlich miteinander umsetzen. Wenn „docdirekt“ jetzt von zwei Modellkreisen auf

das ganze Land ausgeweitet wird, dann ist das für uns ein gro ßer Erfolg.

(Beifall bei den Grünen und der CDU)

Meine Damen und Herren, dasselbe gilt jetzt auch für GERDA, das elektronische Rezept. Dies – selbstverständlich – aus un serem zweiten Paket der Digitalisierungsmittel mit 1 Milli on € zu fördern, das ist doch ein Wort.

Wir sehen gerade bei diesem Thema, wie wichtig es ist, dass wir voranmarschiert sind, dass Baden-Württemberg das erste Bundesland ist, das in diesen entscheidenden vier Bereichen diese Modelle ausgelobt hat, auch systematisch – ambulant/ stationär, sektorenübergreifend; es geht um Verbesserungen in der Pflege und in der personalisierten Medizin. Allein mit unseren Universitätskliniken, der Plattform für personalisier te Medizin, in Verbindung mit der in Baden-Württemberg gut ausgebildeten künstlichen Intelligenz, wo wir neue Algorith men aufbauen können, fördern wir enorm die breite Einsetz barkeit, die Anwendung der Erkenntnisse aus diesen großen Datenmengen.

Wir sind da vorbildlich. Alle Universitätskliniken vernetzen sich, arbeiten zusammen. Bei chronischen Erkrankungen, et wa bei Neuropathien, werden wir in Kürze exzellente Ergeb nisse haben. Das ist nur denkbar, weil wir diese Plattform för dern.

Ein anderes wichtiges Beispiel: In der Kinder- und Jugend psychiatrie der Universität Tübingen fördern wir in der sek torenübergreifenden Behandlung ein telemedizinisches Pro jekt zur Videobegleitung von schweren Zwangsstörungen im häuslichen Umfeld.