Ein anderes wichtiges Beispiel: In der Kinder- und Jugend psychiatrie der Universität Tübingen fördern wir in der sek torenübergreifenden Behandlung ein telemedizinisches Pro jekt zur Videobegleitung von schweren Zwangsstörungen im häuslichen Umfeld.
Jeder von Ihnen, der einmal mit einem Menschen zu tun hat te, der an einer schweren Zwangsstörung leidet, weiß, dass dieser nicht in eine Sprechstunde gehen kann, weil er fünfzig mal in seine Tasche schaut, sich hundertmal die Hände wa schen muss oder sich nicht ankleiden kann. Wenn Sie sehen, wie dieser Mensch mit dieser Videotherapie, mit dieser Inter aktion über Skype in kürzester Zeit Schritte der Alltäglichkeit geht, dann wird Ihnen deutlich, dass wir da auf einem richti gen Weg sind.
Ein weiteres Beispiel aus der Praxis: Wir haben eine große Anzahl von Kindern und Jugendlichen mit chronischer Dia betes. Jeder von Ihnen kennt vermutlich jemanden. Was ist das für eine Gugelfuhr, zu Spezialambulanzen zu fahren, Ter mine zu bekommen, den Blutzucker zu messen, das Insulin einzustellen? Wir haben jetzt an der Oberschwabenklinik Ra vensburg ein internetbasiertes telemedizinisches Modellpro jekt laufen. In kürzester Zeit ermöglicht Technologie aus Ba den-Württemberg über einen Chip im Oberarm – das ist der technische Fortschritt – Zugang zu einem zentralen Rechner, wo die Feinwerte erfasst werden, sodass sofort reagiert wer den und die medikamentöse Einstellung für die jungen Men schen umgesetzt werden kann. Das gibt den Menschen Zu
kunft zurück. Das gibt Perspektiven zurück. Das bietet die Chance, gut mit chronischen Erkrankungen zu leben.
Natürlich wissen wir: Wir müssen bei der Gesellschaft für Te lematikanwendungen, gematik, vorankommen. Wir müssen vorankommen – die großen Chancen sind da –, um immer mehr Videokonsultationen zu haben, damit Portalkliniken, Portalpraxen mit Spezialkliniken kommunizieren, damit z. B. in der Onkologie Ludwigsburg und Tübingen mittels dieser Videokonsultation verbunden sind und so behandelt und dia gnostiziert wird. Weder die Ärzte noch die Betroffenen selbst müssen dann weite Wege gehen.
Natürlich ist es so – das ist die große Chance; darauf hat auch die Kollegin Krebs hingewiesen –: Wir bestimmen den Ein satz. Ich sage aber auch: Wir müssen ihn bestimmen. Wir müs sen die Hoheit über die Patientenakte haben. Dies muss der Staat in seiner Funktion als Träger der Fürsorge für seine Bür gerinnen und Bürger gestalten.
Dasselbe gilt für Gesundheitsinformations-Apps. Die müssen w i r zertifizieren – nicht Dr. Google, nicht andere auf Kom merz ausgerichtete Internetanbieter, die mit diesen Daten Ge schäfte machen. Nein, wir wollen die individuelle Souveräni tät der Menschen und den Datenschutz sichern. Darum ist es wichtig, dass wir in öffentlicher Verantwortung diese Ange bote aufbauen, zertifizieren, sie in Clouds miteinander verbin den und durch unsere Plattformen für die Bürgerinnen und Bürger nutzbar machen.
In diesem Sinn möchte ich noch einen Satz zur Krankenhaus finanzierung sagen. Wir haben uns jetzt – darauf bin ich sehr stolz – verständigt, dass wir zum einen 10 Millionen € zusätz lich für die Digitalisierung einsetzen wollen, dass wir zusätz lich den Krankenhausstrukturfonds vollumfänglich kofinan zieren,
und wir haben uns mit den Kommunen darauf verständigt, dass wir das Niveau der Investitionsförderung wieder anhe ben.
Ich war diese Woche in Heilbronn und habe da von einer Mit arbeiterin eine sehr nette E-Mail bekommen, in der sie sich bei uns, der Landesregierung, sehr dafür bedankt, dass wir am richtigen Ort für die richtige Medizin die richtigen Investiti onen tätigen; sie habe das Gefühl, wir hätten ein verantwor tungsvolles, einfühlsames und zukunftsfähiges Verständnis von der medizinischen Versorgung.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt nicht mehr viel Zeit, und deshalb nur ganz kurz, lieber Herr Hinderer: Ich war ja in Finnland dabei. Das war wirklich eine erfolgreiche und erkenntnisreiche Reise. Aber ich habe mir danach doch noch einmal in Erinnerung gerufen: Wenn ich die Kolleginnen und Kollegen in Finnland gefragt habe, wie sie denn bei den vie len Menschen, die an Demenz leiden, die Versorgung „geba cken“ bekommen, habe ich die Antwort bekommen: „Ja, mit Digitalisierung.“ Entschuldigung, damit ist mir nicht gehol fen, dass Digitalisierung für alles herhalten soll. Wir müssen mit der Digitalisierung gute Wege gehen, wir müssen innova tive Wege gehen, aber wir können Digitalisierung nicht für al les einsetzen. Denn der Mensch steht im Vordergrund. Wir dürfen Digitalisierung also auch nicht falsch verstehen.
Nur noch ganz kurz zu Ihrem Hinweis auf den Haushalt. Ich glaube, Ihnen allen ist bewusst, dass es jetzt um einen Nach tragshaushalt geht. Naturgemäß werden mit dem Nachtrags haushalt Mittel nachträglich für etwas eingestellt, wofür sich noch ein dringender Bedarf ergeben hat.
Ich habe das Gefühl, Sie wollen den Kuchen mehrmals ver teilen – zweimal, dreimal, viermal. Zum Schluss muss dann immer noch etwas übrig bleiben, um es in den Schrank zu stel len. Das funktioniert halt nicht. Also lassen wir einmal die Kirche im Dorf.
Geehrte Frau Präsidentin, sehr ver ehrte Damen und Herren! Ich glaube, das Fazit dieser Debat te steht unter dem Motto: Das eine tun und das andere nicht lassen.
Im Nachtragshaushalt wollen wir zusätzlich 150 Medizinstu dienplätze etatisieren. Wir wollen dies mit einer Landarztquo te versehen. 10 Millionen € sollen für die Krankenhäuser und 10 Millionen € für die Förderung der künstlichen Intelligenz zur Verfügung gestellt werden.
Weiter haben wir in Baden-Württemberg ein Stipendienmo dell für junge Medizinstudenten und Förderprogramme im Be reich Landärzte und zur Unterstützung des hausärztlichen me dizinischen Versorgungszentrums, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu stärken.
Fazit: Die Chancen der Digitalisierung nutzen und gleichzei tig den medizinischen und pflegerischen Nachwuchs stärken.
Ich möchte auch gern noch einmal auf unsere Finnlandreise zurückkommen. Denn im Ge gensatz zu meinen Kolleginnen und Kollegen, die dabei wa ren, können Sie den medizinischen Fortschritt, den Sie immer preisen, wahrscheinlich gar nicht richtig beurteilen. Ich war geschockt von der hohen Anzahl psychischer Erkrankungen, die wir dort erleben mussten, die man uns auch bestätigt hat. Und ich war davon geschockt, das jedes Behandlungszimmer immer abgeschlossen wurde. Ich kam mir wie in einem Ge fängnis vor.
Dann muss ich Ihnen sagen: Gerade was die zahnmedizini sche Versorgung angeht, ist man in Finnland noch auf einem Stand, der bei uns – was weiß ich – vor 20 Jahren üblich war. Dort hat man im Studentenkurs immer noch Amalgam ver wendet und einen Computer – dieses Cerec-Gerät, mit dem man Kronen und Inlays fräsen kann – als neue Erfindung an gepriesen.
Frau Präsidentin! Herr Minis ter, ersparen Sie uns doch Ihre regelmäßig wiederkehrenden Hinweise, was das Politikverständnis der Opposition anbe langt. Es ist der Opposition ausdrücklich erlaubt, die Regie rung zu kritisieren,
und es ist der Opposition ausdrücklich erlaubt, Herausforde rungen zu benennen, und zwar auch dann, wenn man einmal zusammen regiert hat. Ich sehe einige Herausforderungen, die es im Bereich Digitalisierung gibt.
Frau Kollegin Krebs, Sie haben gerade darauf hingewiesen: Es geht jetzt um den Nachtragshaushalt. Wir hatten die Mit tel für die Digitalisierung schon für den ordentlichen Haus halt beantragt. Sie hatten dieses Anliegen aber abgelehnt.
Deshalb bleibe ich dabei: Wir haben zu wenig Geld, und wir haben zu wenig Struktur im Land. Was Ersteres betrifft: „digital@bw“, 1 Milliarde €. Schauen Sie einmal über die Landesgrenze nach Bayern. Dort sind 3 Milliarden € für fünf Jahre vorgesehen, und dort hat man mit einem Mitteleinsatz von etwa 13 Millionen € bereits zurückliegend rund 60 tele medizinische Projekte unterstützt.
Dann zu meiner Aussage „zu wenig Struktur“: Hierzu zitiere ich nur noch einmal unseren Fraktionsvorsitzenden, der be reits vor einem Jahr zu der Strategie „digital@bw“ darauf hin gewiesen hat:
Eine echte Strategie wird aus dieser Aneinanderreihung von einzelnen Handlungsfeldern nur dann, wenn für die Menschen in diesem Land ein durchgehender roter Fa den erkennbar wird.
Dieser rote Faden, Herr Minister Lucha, ist für die Menschen im Land – geschweige denn für die Patientinnen und Patien ten – derzeit nicht erkennbar.