Protokoll der Sitzung vom 29.11.2018

Die Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“, ver öffentlicht 2009, belegt, dass auch Frauen in mittleren und ho hen Bildungs- und Sozialschichten Opfer von Gewalt werden, also die Anwältin, die Ärztin, die Geschäftsführerin genauso wie die Verkäuferin oder die Fabrikarbeiterin.

Allein der Bereich „Vergewaltigung in der Ehe“ war noch bis Mitte der Neunzigerjahre in unserer Gesellschaft überhaupt kein Thema. Ging eine Frau zur Polizei und berichtete von ih rer Vergewaltigung und stellte sich heraus, dass es der eigene Ehemann war, wurde sie nach Hause geschickt. Ein Trau schein war ein Freibrief.

Das Gesetz, das Vergewaltigung in der Ehe zur Straftat mach te, trat erst am 1. Juli 1997 in Kraft, also vor gut 20 Jahren. Der Bundestag hat es mit 470 : 138 Stimmen bei 35 Stimm enthaltungen angenommen. Die Parlamentarierinnen aller Fraktionen haben sich für dieses Gesetz eingesetzt.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der AfD: Nur die Frauen?)

Die Abgeordneten der SPD haben damals zu 100 % zuge stimmt. Aus den Reihen der 138 Abgeordneten, die mit Nein gestimmt haben, stammt auch einer der jetzigen Bewerberin nen und Bewerber um den Vorsitz der CDU Deutschlands, Friedrich Merz.

(Zurufe von der SPD: Aha! – Ui!)

Man kann nur hoffen, dass er hierzu inzwischen eine andere Einstellung hat.

(Beifall bei der SPD und den Grünen)

In Deutschland wird seit 2004 regelmäßig eine Studie erstellt, die Erschreckendes offenbart, nämlich nicht nur die akuten Übergriffe und Gefährdungen, sondern auch die Tatsache, dass Frauen, die diese Gewalterfahrungen gemacht haben, ein Le ben lang unter den Folgeschäden leiden: Sie sind traumati siert, dauerhaft krank, oftmals arbeitsunfähig, sozial isoliert und einsam. Ihre Kinder sind von Anfang an in diese Gewalt involviert.

Vor einigen Monaten habe ich eine Nachtschicht lang eine Po lizeistreife begleitet. Da gab es in einer einzigen Nacht zwei Fälle von häuslicher Gewalt. Im ersten Fall wurden einer Frau die Haare gleich büschelweise vom Kopf gezogen. Zwei Klein kinder standen daneben und haben fürchterlich geschrien. Die Frau will nicht gegen ihren Mann aussagen. Die Polizistin hat mir gesagt: „Wir sind bereits zum dritten Mal in diesem Haus halt.“

(Zuruf von der AfD: Mit Dolmetscher! – Gegenruf von den Grünen: So ein Quatsch!)

Anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Ge walt gegen Frauen am 25. November dieses Jahres wurden die aktuellen Zahlen öffentlich gemacht. Sie gingen natürlich nach oben, aber nicht deswegen, weil plötzlich mehr Migran ten da sind, sondern deshalb, weil andere Tatbestände, die es vorher nicht gab, in die Statistik aufgenommen worden sind.

Trotzdem ist die Dunkelziffer extrem hoch. Zur Anzeige ge bracht werden meist Taten durch fremde Täter, nicht aber Ta ten durch den eigenen Partner, den Chef oder Kollegen oder jemanden, den man auch nur flüchtig kennt.

(Zuruf des Abg. Anton Baron AfD)

Hier ist die Hemmschwelle deutlich größer als bei fremden Tätern, und oft gibt es auch eine Art Abhängigkeitsverhältnis zum Täter. Daher ist die öffentliche Wahrnehmung hinsicht lich der Täter – u. a. von der AfD befeuert – leider sehr schräg. Denn es gibt in der Fallzahl nur einen äußerst geringen Zu sammenhang zwischen häuslicher Gewalt und der gestiege nen Einwanderung.

(Zuruf des Abg. Dr. Heiner Merz AfD)

Ich will es an dieser Stelle noch einmal klar betonen: Es darf in der öffentlichen Wahrnehmung keinen Unterschied machen, wer der Täter ist und woher er kommt. Diese permanente Un

terscheidung, ob er Deutscher ist oder nicht, ist eine Verhöh nung der Opfer.

(Beifall bei der SPD, den Grünen und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der CDU – Abg. Anton Baron AfD: Realitätsverweigerer!)

Ich bin froh, dass auch auf Druck der SPD auf Bundesebene der Grundsatz „Nein heißt Nein“ im Strafrecht verankert wur de.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nach der Silvesternacht 2016 in Köln hat der Bundesgesetz geber die richtigen Schlussfolgerungen gezogen. SPD-Justiz minister Heiko Maas

(Abg. Anton Baron AfD: Oje!)

sah zu Recht die Verabschiedung des neuen Sexualstrafrechts im Bundestag Mitte 2016 als wesentlichen Schritt zum Schutz von Frauen in Deutschland an. Sie würden, so Maas, in Zu kunft besser vor sexualisierter Gewalt geschützt, sagte er da mals. Die Reform sei dringend notwendig, um eklatante Schutz lücken zu schließen. Denn auch hier gilt ab sofort der Grund satz „Nein heißt Nein“.

Der aktuelle Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD hat zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ klare Vereinbarungen getroffen. Hier geht es u. a. auch um die Verpflichtungen aus der sogenannten Istanbul-Konvention und deren Umsetzung wie auch um ein eigenes Präventionsprogramm und ein Un terstützungsprogramm. Die Forderung nach einem gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und um fassende Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder klingt nach einer guten Lösung, findet aber bei den Ländern leider keine Mehrheit. Es mangelt eben an der Be reitschaft, auch finanzielle Mittel in die Hand zu nehmen.

Es ist gut, dass auf Betreiben der SPD in der Koalition im Bund vereinbart wurde, ressortübergreifende Maßnahmen zu bündeln und Lücken im Hilfesystem zu schließen. Studentin nen, Auszubildende, Frauen mit Migrationshintergrund und auch Flüchtlingsfrauen haben oft mit erschwerten Bedingun gen beim Zugang in die Hilfesysteme zu kämpfen.

Ich möchte unterstreichen: Im Sinne aller Schutz suchenden Frauen muss eine sichere Finanzierung der Frauenhäuser ge währleistet sein, unabhängig von Einkommen, Aufenthaltsort oder Aufenthaltsstatus. Hier können wir aufgrund der steigen den Fallzahlen nicht mehr allein den Kommunen die Verant wortung zuschieben. Es ist daher gut und richtig, dass die SPD-Frauenministerin Dr. Franziska Giffey sich mit Bund und Ländern an einen Tisch setzt, um mit allen Akteuren eine ver bindliche Absprache zu treffen.

Jetzt mal der Blick nach Baden-Württemberg: Wir haben hier leider bis heute keine ausreichende Förderung für Frauen-Not rufe und Fachberatungsstellen erreichen können. Seit 2011 bin ich regelmäßig in diesen Fachberatungsstellen und auch in den Frauenhäusern. Die kommunale Finanzierung ist eine reine Freiwilligkeitsleistung; deshalb besteht eine starke Ab hängigkeit von der jeweiligen Haushaltslage.

Frau Kollegin Neumann-Martin hat den Landkreis Emmen dingen genannt. Ich weiß, dass bei uns im Kreistag immer

wieder darüber diskutiert wird, das Frauenhaus in Freiburg zu unterstützen, obwohl nachweislich viele Frauen aus Emmen dingen dort hingehen. Also, es ist immer wieder ein Kampf.

Aber auch andere wie die Trägervereine müssen mit hohen Eigenbeteiligungsleistungen ihre Existenz sichern. Das führt dazu, dass die Mitarbeiterinnen, statt in Not betroffenen Frau en zu helfen, oftmals den größten Teil ihrer Arbeitszeit mit der Akquise von Spenden verbringen.

Die Möglichkeit, mehr zu tun, haben wir mit unserem in der letzten Legislatur durch Katrin Altpeter auf den Weg gebrach ten Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen. Hier sehen wir genau, wo wir noch handeln müssen, wo es auch Bedarf gibt. Die in diesem Jahr fertiggestellte Bedarfsanalyse zur Vor haltung eines bedarfsdeckenden Angebots an Frauen- und Kinderschutzhäusern und spezialisierten Fachberatungsstel len gegen Gewalt an Frauen – ein langer Titel – war ebenfalls Teil dieses Aktionsplans. Auf dieser Grundlage muss die Lan desregierung handeln.

(Beifall bei der SPD)

Leider sind weder im regulären Doppelhaushalt noch im jetzt vorliegenden Entwurf eines Nachtragshaushalts Finanzmittel dafür vorgesehen. Jetzt habe ich gelesen, dass Ihr Ziel ist, Herr Minister Lucha – ich zitiere –,

... ab 2020 einen zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr zu investieren, um bis 2022 dafür zu sorgen, dass flächen deckend Frauenhäuser und Beratungsstellen im Südwes ten angeboten werden.

Ich hoffe, Sie können uns anschließend in Ihrer Rede schon darüber berichten, wie weit die Absprachen dazu mit der Fi nanzministerin und mit Ihren Kollegen aus den Fraktionen von Grün und Schwarz gediehen sind.

(Abg. Andreas Schwarz GRÜNE: Volle Unterstüt zung der Minister!)

Ich persönlich unterstelle Ihnen nicht – auch der Staatssekre tärin nicht –, dass Sie da nicht etwas machen wollten. Ich wün sche Ihnen daher viel Glück, dass Sie bei den Verhandlungen etwas erreichen. Da haben Sie uns alle auf Ihrer Seite.

Ich komme zum Schluss. Gewalt gegen Frauen ist keine Pri vatsache, und noch viel weniger ist sie eine Frauensache.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

Für die FDP/DVP-Fraktion er teile ich Herrn Abg. Haußmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die Zah len gehört. Im letzten Jahr gab es bundesweit 140 000 Fälle von Gewalt gegen Frauen im häuslichen Umfeld – die Dun kelziffer gar nicht berücksichtigt –; das sind pro Tag über 380 Fälle von Gewalt an Frauen im häuslichen Umfeld. 47 000 Frauen wurden als Opfer sexueller Gewalt im letzten Jahr sta tistisch erfasst. 140 000 Fälle, das sind 140 000 Fälle zu viel,

liebe Kolleginnen und Kollegen. Insofern wird, so fürchte ich, noch viele Jahre der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen notwendig sein, wie er am vergangenen Sonntag wieder stattgefunden hat.

Wir brauchen eine Kultur des Hinsehens, und wir brauchen die Aufmerksamkeit des Sozialraums.

(Beifall bei der FDP/DVP, Abgeordneten der Grünen und der CDU sowie der Abg. Sabine Wölfle SPD)

Es darf an dieser Stelle keine Toleranz geben. Vielmehr ist es Aufgabe von uns allen, diese Fälle zur Anzeige zu bringen und nicht zu verschweigen, wenn man über solche Fälle In formationen hat.

Dazu braucht es tragfähige Hilfestrukturen wie beispielswei se die Platzverweise. Jedes Jahr müssen in Baden-Württem berg leider 5 000 bis 6 000 solcher Platzverweise ausgespro chen werden. Das ist eine enorme Zahl.

Insofern war es sicherlich auch richtig, bereits in der letzten Legislatur den Landesaktionsplan zu erstellen. Ich weiß, So zialminister Lucha und Staatssekretärin Mielich ist dieses Thema ein Herzensanliegen. Insofern lohnt es sich natürlich, an dieser Stelle die Debatte zu führen, weil sie wichtig ist und weil wir da auch Gelegenheit haben, etwas ins Detail zu ge hen. Denn auch für mich ergeben sich aufgrund meiner Besu che in den letzten Jahren doch einige Punkte, die ich heute hier gern noch einmal ansprechen will.

Wir haben ja im Moment eine Haushaltssituation, die durch aus Handlungspotenziale bietet. Auch auf gesetzlicher Basis müssen erhebliche Beträge in die Betreuung minderjähriger Flüchtlinge investiert werden. Wir haben den Integrationspakt. Das bürgerschaftliche Engagement in Baden-Württemberg für die Integration ist zu loben. Gerade deswegen sollten wir aber auch hier noch einmal einige Punkte ansprechen, die wir auch schon mehrfach behandelt haben.

Ein Beispiel: Wir hatten 2016 auf der Basis eines Antrags von uns über Notaufnahmeplätze für von Zwangsverheiratung be troffene Mädchen und junge Frauen gesprochen. Im vergan genen Oktober war ich bei der Organisation YASEMIN, die sich mit viel Engagement um diese Thematik kümmert. Auf meine Frage, wie es mit den Notaufnahmeplätzen aussieht, bekam ich zu hören, dass man dort noch nicht so weit sei. Ich habe dann einen Brief an das Ministerium geschrieben; vie len Dank für die Antwort. Aber es wäre schön, wenn man die se vier Notaufnahmeplätze im nächsten Jahr auch umsetzen kann, damit wir da einen Schritt vorankommen.