Protokoll der Sitzung vom 19.12.2018

Eine Staatsfinanzierung durch die Notenbank, also mittels Druckerpresse, war vor wenigen Jahren hierzulande der ulti mative Ausdruck von Verantwortungslosigkeit.

(Unruhe)

Mittlerweile hat die EZB für rund 2,6 Billionen € –

(Zuruf von der AfD: Billionen!)

Billionen, ich wiederhole, also 2 600 Milliarden € – Staats anleihen aufgekauft.

(Abg. Dr. Christina Baum AfD: Wahnsinn! – Abg. Bernd Gögel AfD: Schrottpapiere!)

Es ist völlig klar, dass es sich hier um Staatsfinanzierung han delt.

(Abg. Dr. Christina Baum AfD: Ja!)

Aber was macht der EuGH in seinem Urteil aus der letzten Woche? Man findet juristische Spitzfindigkeiten und zimmert sich Argumente zusammen, sodass am Ende das Verbotene erlaubt ist.

(Zuruf: Stimmt doch nicht!)

Nehmen wir ein anderes Beispiel: die mehrjährige Finanzpla nung der EU. Wir reden hier über einen Nettomittelabfluss aus Baden-Württemberg in der Größenordnung von 2 bis 3,5 Mil liarden € pro Jahr. Genaue Zahlen kennt die Landesregierung angeblich nicht.

Meine Damen und Herren, das ist womöglich mehr, als wir in den Bundesfinanzausgleich einzahlen. Aber gibt es im Land darüber eine Debatte? Nein! Dabei ist es dringend angezeigt, dass wir über die Nettobelastung Baden-Württembergs durch die EU informieren und debattieren.

In der Realität geschieht das Gegenteil. Die EU will diesen Haushalt möglichst unauffällig, noch vor den EU-Wahlen – also vor Mai 2019 –, beschließen lassen. Im kommenden Mai wird dann ein EU-Parlament gewählt, das in der wichtigsten Frage, nämlich der des Haushalts, bis 2026 gar nichts Wesent liches mehr zu entscheiden hat oder haben soll.

Man stelle sich das einmal für Baden-Württemberg vor: Der heutige Landtag würde die Grundlagen der Haushalte von 2021 bis 2026 für das Land Baden-Württemberg beschließen. Wir alle zusammen würden uns herausnehmen, für die Abge ordneten der nächsten und der übernächsten Wahlperiode die wichtigsten Entscheidungen zu treffen.

Herr Kollege, Ihre Rede zeit ist abgelaufen.

Darf ich noch einen Satz sa gen?

(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Ganz ungern!)

Meine Damen und Herren, das ist verwerflich. Dies zieht sich durch alle EU-politischen Vorgänge: Es wird falsch gehandelt, weil sie falsch sind und weil das Konzept gescheitert ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der AfD)

Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Hofelich.

(Abg. Willi Stächele CDU: Jetzt macht Zuhören wie der Spaß! – Zuruf der Staatssekretärin Friedlinde Gurr-Hirsch)

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube nicht, dass das Konzept von Jean Mon net und De Gasperi gescheitert ist.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Der Kollege Frey hat mich etwas nachdenklich gemacht, als er sagte, dass halb Holland unter Wasser steht

(Abg. Dr. Erik Schweickert FDP/DVP: Das heißt Niederlande!)

dass die halben Niederlande unter Wasser stehen. Aus fuß ballpolitischer Sicht muss ich sagen: Nicht alles ist negativ; da sind dann auch die Hälfte aller Fußballplätze unter Wasser. Aber wir nehmen das natürlich ernst.

Einige aktuelle Bemerkungen vorweg, meine Damen und Her ren: Die Europäische Union sendet in diesen Wochen eigent lich stabile politische Signale aus – bei allem, was an Turbu lenzen vorhanden ist. Ich nenne einige.

Europa hält seinen Kurs zum Brexit. Es lässt sich nicht von einem spleenigen politischen Dandy wie Boris Johnson aus einandertreiben. Ja, der Brexit bereitet uns natürlich Sorgen, aber prinzipienlose Last-Minute-Deals gäben Anlass zu grö ßeren Sorgen, Kolleginnen und Kollegen.

Die Tür steht offen, aber für alle europäischen Länder muss auch klar sein: Es gibt in Europa keine Drehtüren, die ein Per petuum mobile wären, sondern wir sind eine Gemeinschaft, die zusammengehört und zusammenbleiben will.

Ein zweiter Hinweis: Die Europäische Union bekennt sich zu einer gemeinsamen europäischen Industriepolitik. Die Förde rung eines Halbleiterclusters – ich glaube, im Dresdener Raum – wird als Beihilfe im strategischen Interesse unseres Konti nents genehmigt. Ein Markt, der nur als freies Spiel der Kräf te verstanden wird, sichert nicht die industrielle Selbstbehaup tung Europas. Wir sind dafür, dass wir – auch in Konkurrenz zu Japan und den Vereinigten Staaten – eine marktkonforme europäische Industriepolitik betreiben, meine Damen und Her ren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Joachim Kößler CDU)

Die Europäische Union bekennt sich – drittens – zu einer Ein grenzung der Finanzmarktrisiken. Mit dem jetzt erzielten Kompromiss zum Abbau fauler Kredite sind keineswegs alle Bedenken im Hinblick auf ein fragiles Bankensystem ausge räumt, aber im Grundsatz wird immer klarer, dass Risiko und Haftung zusammenbleiben müssen. Dies bricht sich europa weit ein Stück weit Bahn. Man muss auch die Erfolge sehen – schwarze Schafe immer eingeschlossen.

Deshalb, in Summe: Wer Europa unterstützt, findet in diesen Tagen gute Argumente. Wer Europa ablehnt, dem gehen all mählich die Argumente aus.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der Grü nen, der CDU und der FDP/DVP)

In die AfD wollen wir nicht so viel Redezeit investieren. Ih nen sei einfach gesagt: Sie werden merken – eigentlich ist es schon heute so –: Die europäische Normalität wird über Sie hinweggehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Joachim Kößler CDU – Zuruf von der AfD: Aber da sprechen Sie nicht mehr im Parlament!)

Alle drei Sachverhalte sind übrigens tagesaktuell der heuti gen Presse zu entnehmen. Wie ich gesagt habe: Das zeigt, dass

europäische Politik relevanter und sichtbarer wird. – Dabei fehlt übrigens noch die Top-Nachricht der neuen CO2-Grenz werte, zu der wir heute vielleicht eine erste Stellungnahme der Landesregierung erfahren werden.

Nicht tagesaktuell, aber im Trend ist, dass die Europabefür worter – jetzt kommt es – Subsidiarität und Solidarität zuneh mend als sich gegenseitig bedingende Wesensmerkmale eu ropäischen Zusammenhalts begreifen, meine Damen und Her ren. Das bedingt sich gegenseitig und ist keine einseitige An gelegenheit.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen einmal klar gesagt: Wir haben uns sehr angestrengt, Herr Minister, damit Sie mit der Taskforce Subsidiarität auch selbst Input geben können. Aber – ich weiß nicht, wer es an gesprochen hat, Kollege Frey oder Kollege Kößler –: Subsi diär allein ist nicht automatisch bürgernah.

(Abg. Andreas Stoch SPD: So sieht es aus!)

Auch ein Gemeinderat kann bürgerferne Entscheidungen tref fen; das nur einmal als reine Denkfigur.

Bessere Rechtsetzung wird angestrebt. Ich freue mich, dass sich der Minister persönlich dafür einsetzt. Ich glaube, Kor ruption als ein Krebsübel, das außerhalb des europäischen Kernraums vorhanden ist, wird in Deutschland nach wie vor unterschätzt.

Wir wollen mehr politische Räume für Landesparlamente ha ben, übrigens auch für den Ausschuss der Regionen. Diese können sich auch aus den Ergebnissen der Taskforce ergeben. Wir wollen dies auch hier in Baden-Württemberg leben und subsidiäre Spielräume tatsächlich ausnutzen.

Wir haben im Berichtszeitraum Fortschritte gehabt, die wir im Ausschuss auch besprechen konnten, etwa das Verbot be stimmter Einwegprodukte aus Plastik, Richtlinien, die im Ent wurf vorhanden sind oder vielleicht schon in der fertigen Fas sung vorliegen, wie die Neufassung der EU-Trinkwasserricht linie, die Einrichtung einer ergänzenden Europäischen Ar beitsbehörde, der Kommissionsvorschlag zur Bewertung von Gesundheitstechnologien und die Zusammenarbeit zwischen Kliniken und Ärzten in Europa – alles Brot und Butter, aber wichtige Ergebnisse, die uns im Ausschuss vorlagen, meine Damen und Herren.

Wir wollen die Spielräume, die wir im Ausschuss haben, na türlich nutzen. Ich will an dieser Stelle aber auch sagen: Es geht nicht nur um die Vertikale zum Bund und nach Europa. Ein Anliegen ist uns eine weniger spröde Abwehrhaltung man cher Landesministerien im Hinblick auf die rechtzeitige und offene Unterrichtung des Landesparlaments über uns berüh rende europapolitische Vorgänge. Wir brauchen auch die Ko operationsbereitschaft der Häuser hier im Land Baden-Würt temberg.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Erik Schwei ckert FDP/DVP)

Europa ist für uns Staatsräson, mag auf den Höhen von Reit zenstein zur Imagepflege taugen, aber im Talkessel wird dies

von der Exekutive gegenüber dem Landtag öfter und auch na hezu vorsätzlich nicht gelebt. Das ist nicht schön.