Protokoll der Sitzung vom 21.02.2019

Zum Schluss verweise ich auf den Landesaktionsplan zur Um setzung der UN-Behindertenrechtskonvention und der darin aufgeführten Selbstverpflichtung der Landesregierung, die ge forderte Quote von 5 auf 6 % zu erhöhen. Hier sind alle Mi nisterien gefordert, das umzusetzen. Die Landtagsverwaltung ist auch gefordert, wir Fraktionen sind gefordert, Integrations betriebe auch für unsere Dienste zu nutzen. Da können wir al le etwas tun, denn in diesen Integrationsbetrieben werden Menschen auch für den ersten Arbeitsmarkt geschult. Hier können wir alle miteinander Vorbild sein.

Wenn jetzt diese Arbeitsgruppe genau analysiert und dann die richtigen Schlussfolgerungen zieht und dann noch unsere Vor schläge aufgreift, proaktiv auf die Schulen zuzugehen, kann alles nur noch besser werden. Dann klappt es auch mit der Quote.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Keck für die FDP/DVP.

(Zuruf von der FDP/DVP: Guter Mann!)

Sehr geehrte Frau Präsiden tin, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Nichts über uns ohne uns“ so lautete das Motto des Europäischen Jahres der Men schen mit Behinderungen im Jahr 2003. Was vor 16 Jahren rich tig und wichtig war, gilt auch heute noch. Es wäre schön gewe

sen – das wurde schon angesprochen –, wenn Frau Aeffner heu te hätte hier sein können. Sie hat sich in der „Stuttgarter Zei tung“ zu diesem Thema gemeldet.

Wir beraten heute über ein Thema von großer Bedeutung. Man muss sich nämlich davor hüten, das als Zahlendiskussion ab zutun. Denn, meine Damen und Herren, hinter jeder Zahl steht ein Mensch – ein Mensch mit seiner Chance auf Teilhabe am Arbeitsleben oder, was das Land als Arbeitgeber betrifft, mit der bedauerlicherweise vertanen Chance auf Teilhabe am Ar beitsleben.

Was ist geschehen? Trotz vollmundiger Reden und viel bunt bedruckten Papiers ist das Land unter grüner Führung wieder in der Pflicht, eine Ausgleichsabgabe zu zahlen – und das, weil bei den Landesbehörden nicht mehr erreicht wird, was lange Zeit erbracht wurde, nämlich die Erfüllung der verpflichten den Beschäftigungsquote von 5 % schwerbehinderten Men schen. Das ist schon bemerkenswert; wurde doch vor nicht allzu langer Zeit sogar die Forderung erhoben, diese Quote auf 6 % zu erhöhen. Hier wurde – Frau Kollegin Wölfle hat darauf hingewiesen – über die Kommission gesprochen, über ein Ergebnis, das im Mai kommen soll. Eigentlich sollten wir hier schon längst weiter sein.

Auch bei der Vergabe von Aufträgen an Werkstätten für Men schen mit Behinderungen hakt es gewaltig. Das Verkehrsmi nisterium fällt hier besonders auf: Für mehrere Jahre wird hier der bemerkenswerte Wert von 0 € – in Worten: null Euro – an gegeben. Wohlgemerkt: auch hier ein grün geführtes Haus. Wo bleiben da die konkreten Taten gegenüber den vielen Wor ten zur Inklusion?

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. Reinhold Gall SPD)

Das Sozialministerium erfüllt die Quote. Das ist schön, ver dient aber kein Lob; denn es wäre ja noch schöner, wenn selbst das hierfür zuständige Haus die Anforderungen nicht erfüllen würde.

Ich frage mich schon: Mit welcher Rechtfertigung wird zu al len möglichen Anlässen an die Privatwirtschaft und die Ge sellschaft insgesamt appelliert, für Beschäftigung zu sorgen und Inklusion zu leben, wenn man selbst das Ziel deutlich ver fehlt? Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit ganz eklatant auseinander.

Unser Sozialminister hat natürlich eine Arbeitsgruppe einge richtet. Es ist immer schön, wenn an Lösungen gearbeitet wird. Wir möchten aber, dass das Thema mehr Gewicht be kommt. Vielleicht sollte ein Kabinettsausschuss eingerichtet werden, oder die Landesregierung denkt darüber nach, ein ei genes Arbeitsmarktprogramm aufzulegen, um damit auch Si gnale an die Privatwirtschaft zu senden.

Vor etlichen Jahren wurden die „Aktion Arbeit für schwerbe hinderte Menschen“ sowie auch andere Aktionen wie der jähr lich stattfindende Internationale Tag der Menschen mit Behin derung initiiert. Das ist schon mehr als zehn Jahre her; damals hieß der Behindertenbeauftragte noch Hillebrand.

Uns Freien Demokraten ist das Thema sehr wichtig. Deshalb habe ich auch einen Antrag eingebracht, und für die anstehen

de Beratung hierüber erwarte ich mir durch die heutige Aus sprache Rückenwind.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Nun darf ich das Wort Herrn Minister Lucha geben.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kolle gen! Sie haben es alle schon erwähnt, und es gibt tatsächlich nichts zu beschönigen: Das Land hat als Arbeitgeber seit 2015 drei Jahre in Folge die gesetzliche Beschäftigungsquote von mindestens 5 % für schwerbehinderte Menschen nicht erfüllt. Sie kennen die Zahlen: 2015 lag die Quote bei 4,98 %, 2016 bei 4,82 % und 2017 bei 4,62 %.

Tatsächlich ist es uns 2015 noch gelungen, mit Aufträgen an anerkannte Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Blindenwerkstätten die Ausgleichsabgabe an das Integrations amt zu vermeiden. 2016 hatten wir eine Ausgleichsabgabe von 500 000 € zu entrichten; im Jahr 2017 waren es 1,2 Millio nen €.

Mit dieser Entwicklung ist niemand von uns zufrieden, ich am allerwenigsten. Sie haben mit Ihren Beiträgen ja auch gezeigt, dass wir alle willens sind, das zu ändern.

Nach wie vor gilt unser Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Konvention. Wir haben uns selbst das Ziel gesetzt – Kol lege Poreski hat es erwähnt –, langfristig 6 % zu erreichen. Das ist uns nicht gelungen; ganz im Gegenteil.

Hinter diesen Zahlen zur Beschäftigungsquote verbergen sich aber doch einige Sachverhalte, die sehr komplex und kompli ziert sind.

Es gibt natürlich auch eine große Spannbreite. Sie haben es erwähnt: Im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst liegt der Anteil bei 3,76 %, im Ministerium für Sozia les und Integration bei 10,35 %.

Diese Unterschiede zeigen natürlich, dass manche Ressorts deutlich mehr Probleme haben, die Beschäftigungsquote zu erfüllen, als andere. Das sind natürlich die Ressorts mit einem großen und besonders strukturierten Personalkörper im nach geordneten Bereich, wie eben das Ministerium für Wissen schaft, Forschung und Kunst mit dem gesamten Hochschul betrieb oder das Ministerium für Kultus, Jugend und Sport mit den vielen Lehrerinnen und Lehrern. Bei so vielen Mitarbei terinnen und Mitarbeitern ist es tatsächlich nicht einfach, die gesetzliche Quote schwerbehinderter Menschen zu erreichen.

Kollegin Wölfle und Kollege Poreski, Sie haben es angespro chen: Wenn wir über die Begrifflichkeit „Schwerbehinderten quote“ oder das Merkmal, zu mindestens 50 % als schwerbe hindert zu gelten, reden, handelt es sich zu einem großen Teil um Personen, die eine schwere onkologische Erkrankung er litten haben. Darunter fallen auch viele Lehrerinnen und Leh rer aus der Babyboomer-Generation, die mittlerweile in den Ruhestand getreten sind.

Die gute Intention dieses Gesetzes war auch der Schutz des bestehenden Arbeitsplatzes für Menschen, die eine Arbeit hat ten und dann eine schwere chronische Erkrankung erlitten ha ben, die im sozialrechtlichen Sinn dann zu dem Merkmal ei ner Behinderung führte. Dies ist nicht immer ohne Weiteres mit der Situation der ca. 85 000 Menschen, die Ansprüche aus dem Bundesteilhabegesetz haben, zu vergleichen.

Dies gilt gerade für die sehr spezialisierten und auch sehr an spruchsvollen Personalkörper Schule und Hochschule. Die Älteren, die jetzt diese Schutzmerkmale hatten, gehen in Pen sion – Gott sei Dank. Sie dürfen auch früher gehen. Sie wis sen auch, dass sie schon im Alter von 60 Jahren gehen kön nen, wenn sie das entsprechende Merkmal haben. Wir stellen aber derzeit vor allem im akademisierten Bereich unter 35-Jährige ein, die in der Regel – und Gott sei Dank auch – nicht über diese Merkmale verfügen, zumindest nicht über die einer erworbenen schweren Erkrankung.

Wir schauen uns ganz genau an, wie wir z. B. Menschen mit spastischen Behinderungen, Menschen mit Körper- und Mehr fachbehinderungen, die nicht kognitiv eingeschränkt sind, blinde Menschen stärker an Hochschulen, an akademischen Einrichtungen, an inklusiven Schulen beschäftigen können. Das wissen Sie auch. Frau Wölfle weiß das auch aus Ihrer Vor sitzendentätigkeit. Da haben wir auch schon Erfolge.

Darum haben wir bereits Anfang 2018, als wir – Kollege Stoch war da noch Minister – gesehen haben, dass wir auf die se Entwicklung hinlaufen, diese Arbeitsgruppe eingerichtet.

(Abg. Andrea Lindlohr GRÜNE: 2016!)

Ja. 2015 haben wir es schon gesehen. Wir konnten das be rechnen. – Wir haben deswegen sehr schnell die Arbeitsgrup pe – Herr Poreski hat es auch genannt –, die Schwerbehinder tenvertretung, den ganzen Beirat inklusive Frau Aeffner ein gerichtet.

Die drei Häuser Wissenschaftsministerium, Sozialministeri um und Kultusministerium haben jetzt auch ein umfassendes Paket auf den Weg gebracht, das aufzeigen soll, wie wir zu ei ner besseren Bewerberlage kommen, wie wir Personal- und Stellenbewirtschaftung noch offensiver und offener an Men schen adressieren können, die Handicaps haben, wie man die Stellen ganz speziell attraktiver macht.

Aber machen wir uns auch nichts vor. Im Gegenzug heißt das auch für unsere Arbeitsplätze: Sie müssen barrierefreier wer den. Sie müssen in den Köpfen barrierefreier werden. Sie müs sen in den Gebäuden, in der IT barrierefrei werden. Daran ar beiten wir. Sie erinnern sich: Wir haben unlängst zur Barrie refreiheit auch einen Beschluss gefasst. Das sind alles Punk te, die wir angehen. Ich sage Ihnen aber: Angesichts der gro ßen Fallzahlen werden diese Anstrengungen nicht gleich in Prozenten bemerkbar sein.

Eines noch, weil die Kollegin Dr. Baum, die jetzt nicht mehr im Raum ist, gesagt hat, die Quote gehöre abgeschafft: Selbst stellvertretend als jemand, der jetzt die Quote nicht erreicht, bin ich froh, dass ich sie habe, dass ich mich daran messen lassen muss.

(Beifall bei den Grünen sowie Abgeordneten der CDU und der SPD)

Selbst wenn ich jedes Jahr diesen kleinen Gang nach Canos sa gehe, gehe ich diesen mit vollem leidenschaftlichen Her zen, dass uns diese Analyse – –

(Abg. Andreas Kenner SPD: Aber barfuß!)

Aber barfuß.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Wahrscheinlich läuft das der Hausordnung zuwider. Ich wür de das jetzt nicht wagen. Und Sandalen sind auch nicht er laubt, Herr Kollege. Das wissen Sie.

Sie sehen, dass wir tatsächlich immer wieder überprüfen, ob die Quote das richtige Instrument ist. Sie wissen aber auch, dass es auch in der Bundespolitik – auch unter den Verbänden – eine Debatte darüber gibt, wie wir mit der Merkmalfindung von Schwerbehinderung in einer inklusiven Gesellschaft ge nerell umgehen. Es könnte sein, dass wir es selbst bei den bes ten Bemühungen tatsächlich nicht schaffen, dass wir zwar wirklich alles geben und die Situation auch besser wird, dass wir aber die Quote nicht erreichen. Trotzdem werden wir nicht lockerlassen.

Ich glaube, wir haben gute Vorschläge. Wir werden auch mit Ihnen gemeinsam über das Thema Stellenpools sprechen. In dem Antrag von Grünen und CDU im Ausschuss wurde dar auf noch einmal hingewiesen. Darum sind wir am Ende viel leicht gar nicht weit auseinander. Am 31. Mai werden wir Ih nen, wie versprochen, ein umfassendes Arbeitspaket vorlegen.

Ich möchte noch einen Satz sagen zum Kollegen Keck und zu dem, was die FDP/DVP gestern – auch etwas abfällig – ge sagt hat, wir sollten doch Inklusionsabteilungen einrichten, um mehr schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Grund sätzlich ist der Gedanke gar nicht schlecht. Sie müssen sich aber überlegen, um wen es geht. Wenn wir an den quer schnittsgelähmten Lehrer oder an die blinde Juristin denken – für die benötigen wir keinen Inklusionsbetrieb, für diese brauchen wir einen barrierefreien guten Arbeitsplatz in unse ren bestehenden Strukturen.

(Abg. Sabine Wölfle SPD: Richtig!)

Inklusionsabteilungen haben nach dem Willen des Gesetzge bers die Aufgabe, schwerbehinderte Menschen mit geistiger oder seelischer Behinderung oder mit schwerer Körper- und Mehrfachbehinderung zu beschäftigen. Für diese Menschen kommen derzeit in der Landesverwaltung regulär nicht son derlich viele Tätigkeitsfelder infrage. Die Tätigkeitsfelder, die wir haben oder hatten, waren Kantinendienste, Pfortendiens te und Haus- und Reinigungsdienste. Liebe FDP/DVP, diese Dienste wurden in Ihrer Regierungszeit mit dem Ruf nach ei nem schlanken Staat privatisiert und ausgesourct. Wir, das Land, der Staat, konnten diese geschützten Quotenarbeitsplät ze da gar nicht mehr anbieten.

(Abg. Beate Böhlen GRÜNE: Ja!)

Das Sozialministerium hat das ein bisschen anders gemacht. Darum können wir dort auch die Quote noch so hoch halten.

Herr Minister!