Protokoll der Sitzung vom 16.05.2019

Herr Sänze, Sie haben darauf verwiesen, dass ich auch in der letzten Debatte auf die Bertelsmann Stiftung hingewiesen hät te und nach Ihrer Einschätzung den Cappuccino-Index schmal lippig vorgetragen hätte. Ich bedaure; ich habe immer solche Lippen.

(Heiterkeit – Vereinzelt Beifall – Zuruf des Abg. Dr. Heinrich Fiechtner [fraktionslos])

Insofern war in dieser Situation nichts verändert. Aber klar ist, ob schmallippig oder nicht: Baden-Württemberg gehört auch nach dieser Studie der Bertelsmann Stiftung zur Spitzen gruppe der Regionen, die dank des Binnenmarkts die höchs ten Einkommensgewinne pro Kopf erzielen; Deutschland ist in der Gruppe der Top Ten und Baden-Württemberg innerhalb Deutschlands hier noch einmal ganz an der Spitze.

Wir haben in dieser Woche vorgetragen, dass die EU-Förder politik direkte finanzielle Vorteile und einen Mehrwert für uns erbringt – das war gestern auch Gegenstand der Regierungs befragung –: 5,1 Milliarden €, die in der jetzt zu Ende gehen den Förderperiode nach Baden-Württemberg geflossen sind. Also, das muss man schon all denjenigen sagen, die immer wieder unterwegs sind nach dem Motto: „Wir bezahlen in die se Europäische Union nur hinein, andere nehmen heraus.“ Nein, auch wir profitieren durch ganz konkrete europäische Projekte vor Ort, vor Ihren Haustüren, von dieser Europäi schen Union. Da steht nicht nur „Europa“ drauf, da ist „Eu ropa“ drin, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Mir ist es aber schon wichtig, bei dieser doch sehr von öko nomischen Inhalten dominierten Debatte auch immer wieder darauf hinzuweisen, dass es nicht nur darum geht, auf die di rekten monetären Vorteile in Form von EU-Geldern zu schau en. Zu diesen wirtschaftlichen Vorteilen, liebe Kolleginnen

und Kollegen, kommt die Friedensdividende, und diese lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. 70 Jahre Frieden und Frei heit im Herzen unseres Kontinents sind unbezahlbar.

(Beifall bei Abgeordneten der Grünen, der CDU und der FDP/DVP – Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Wer die Europäische Union nur mit dem Taschenrechner be trachtet, hat die europäische Idee nicht verstanden, liebe Kol leginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Wir hatten vor wenigen Tagen hier im Plenarsaal ein beglü ckendes, ein erfreuliches Bild. Da saßen nämlich auf all die sen Plätzen junge Menschen. Es sind auch heute nur Men schen jüngeren Alters auf diesen Plätzen.

(Heiterkeit)

Aber vor wenigen Tagen war es noch eklatanter. Da war spür bar, dass die junge Generation für Europa brennt...

Herr Minister!

... und selbstverständlich dieses gemeinsame Europa lebt. Mein Ein druck ist: Die junge Generation wächst mit einem ganz ande ren europäischen Bewusstsein auf. Mit unserer Kollegin Isa bell Huber hat heute auch eine Vertreterin dieser noch ganz jungen Generation zu uns gesprochen. Es ist unsere Verant wortung, dieses Europa auch als Vermächtnis für die junge Generation in die Zukunft zu tragen und weiterzuentwickeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP)

Herr Minister, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Räpple zu?

(Zuruf: Nein!)

Na ja, bit te schön. Ich bin belastbar.

(Heiterkeit)

Schönen guten Tag, Herr Minister! Sie sprachen jetzt von dem Friedensprojekt Europa. Ich neh me an, Sie meinen die EU.

Da habe ich eine Frage: Wie bewerten Sie denn die Kriegs waffenproduktion in Baden-Württemberg, wie bewerten Sie Waffenexporte nach Saudi-Arabien von Deutschland aus, wie bewerten Sie den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in den Neunzigerjahren auf die Bundesrepublik Jugoslawien von der EU aus?

(Abg. Dr. Stefan Fulst-Blei SPD: Wie bewerten Sie den Friedensnobelpreis?)

Wie bewerten Sie die Kriegswaffen, also die Bundeswehrein sätze in Afghanistan, in Mali, in Syrien? Sie sprechen also vom Friedensprojekt EU und davon, es gehe nie wieder Krieg von unserem Land aus?

Wenn die se Fragen das Einzige sind, was Ihnen zu meinem Hinweis einfällt, dass Europa vor allem auch eine deutliche Friedens dividende zu verzeichnen hat, dann ist das erbärmlich genug, Kollege Räpple. Auch das muss in diesem Haus einmal deut lich gesagt werden.

(Beifall bei den Grünen, der CDU, der SPD und der FDP/DVP – Zuruf: Jawohl!)

Ich bin froh, dass die junge Generation hier ein anderes Emp finden, ein anderes Gespür für Europa entwickelt hat. Trotz dem machen sich junge Europäerinnen und Europäer auch Sorgen um Europa. Das betrifft zum einen die kommende Wahl und die Frage: Wie kann Meinungsfreiheit im digitalen Zeitalter gesichert werden? Wie können Fake News, aus Staa ten wie Russland gelenkte Meinungsmanipulationen verhin dert werden? Da hat die junge Generation ein ausgeprägtes Problembewusstsein. Zum anderen beschäftigt junge Men schen natürlich der Klimawandel, die Flüchtlingskrise oder die Rolle der Europäischen Union in der Welt.

Der gemeinsame Nenner vieler Gespräche ist aus meiner Sicht: Für all diese Fragen brauchen wir nicht weniger Euro pa, sondern mehr Europa.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen und der FDP/DVP – Abg. Andreas Kenner SPD: Ja, ja!)

Baden-Württemberg oder Deutschland allein wären überfor dert; erst die Staaten Europas zusammen bringen das nötige politische und ökonomische Gewicht auf die Waage, um wirk lich etwas zu erreichen.

Vor wenigen Tagen fand der Sondergipfel in Sibiu statt, auf dem sich die Staats- und Regierungschefs dazu verpflichtet haben, eine gemeinsame europäische Zukunftsagenda aufzu stellen. Die Erklärung von Sibiu hat zudem die hohe Bedeu tung der Rechtsstaatlichkeit als grundlegenden Wert der EU betont.

In Osteuropa und gerade in Rumänien als Gastgeberland des Gipfels haben wir in jüngster Zeit besorgniserregende Ent wicklungen, insbesondere im Hinblick auf die Unabhängig keit der Justiz, gesehen. Dies kritisch anzusprechen, deutlich zu machen, dass wir solche Verstöße gegen die Rechtsstaat lichkeit, wie wir sie uns als Fundament Europas vorstellen, nicht dulden, gehört auch zu unserer Verantwortung, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Der 26. Mai ist deswegen ein Schlüsselmoment für die künf tige Entwicklung Europas. Vor wenigen Minuten gingen auch aktuelle Zahlen des SWR über den Ticker. Die Europawahl stößt auf großes Interesse: 72 % geben an, sich für die Wahl stark oder sehr stark zu interessieren. Das ist gegenüber den Zahlen, die wir noch vor zwei oder drei Wochen hatten, ein erfreulicher Zuwachs. 52 % sehen in der EU-Mitgliedschaft eher Vorteile für Baden-Württemberg.

Das sind gute Ausgangszahlen, die sich natürlich noch entwi ckeln lassen. An diesem 26. Mai wird sich entscheiden, ob Eu

ropa den gemeinsamen Weg von Frieden, Freiheit und Wohl stand weitergeht, ob wir Europa gemeinsam besser machen wollen – denn noch ist nicht alles perfekt; natürlich muss man in diesem Europa auch manches noch besser machen – oder ob diejenigen triumphieren, die Europa scheitern sehen wol len.

Und weil Politik auch aus Personen besteht, wird das Ergeb nis der Europawahlen auch einen ganz erheblichen Einfluss auf die Besetzung zahlreicher Spitzenpositionen haben. Zwei Drittel der Kommissarinnen und Kommissare werden nach dieser Europawahl ausgetauscht.

(Zuruf: Gott sei Dank!)

Da wird sich natürlich auch Wesentliches in der künftigen Ar beit verändern. Zu viel Zeit für Personalfragen sollten sich Parlament und Rat aber nicht nehmen. Denn es geht sehr schnell darum, die künftigen Aufgaben und Herausforderun gen anzugehen. Wir brauchen in diesem Jahr noch Fortschrit te bei den Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzrah men 2021 bis 2027. Wir können es uns nicht leisten, Europa auf der Basis unkalkulierbarer Zahlen in einen Mehrjährigen Finanzrahmen in die kommenden Jahre zu schicken. Auch Kalkulierbarkeit, Planbarkeit gehören in Europa dazu, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der Grü nen, der SPD und der FDP/DVP)

Wir brauchen dazu eine Reform der gemeinsamen Asylpoli tik. Gelingen den Staaten der Europäischen Union in der Mi grationspolitik keine Fortschritte, wird der Glaube an die Pro blemlösungskompetenz der EU dauerhaft beschädigt. Und wir brauchen neue Akzente nach außen. Das betrifft die Länder des westlichen Balkans, die sich um Fortschritte bei der An näherung an die EU bemühen, das betrifft die dauernden He rausforderungen durch autokratische Regimes wie in Russ land oder der Türkei, und das betrifft das gespannte Verhält nis zu Trump und seiner Regierung in Washington.

Am Ende werden bei all diesen Herausforderungen nur Einig keit und Geschlossenheit zum Ziel führen. Wer uns schwä chen will, der will uns spalten. Das dürfen wir nicht zulassen. Wenn Europa in der Welt ernst genommen werden will, dann muss es mit einer Stimme sprechen, dann muss es zusammen stehen, auch wenn einem der Wind ins Gesicht bläst.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD – Heiterkeit des Abg. Winfried Mack CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir, das Europaministeri um, denken natürlich bereits über den Wahltag hinaus. Wir werden auf der Basis unseres in Baden-Württemberg erarbei teten Europaleitbilds die Erwartungen des Landes an die neue Kommission formulieren. Zusammen mit allen Ressorts gilt es, die Interessen der Menschen im Land zu artikulieren. Als Grundlage dafür haben wir dieses Leitbild entwickelt. Wir wollen Europa gemeinsam besser machen. Dazu gehört auch eine hohe Wahlbeteiligung, um die wir bis zur letzten Stunde vor den Europawahlen werben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich baue auf Ihre Unterstüt zung für eine hohe Wahlbeteiligung, für ein klares Votum für

Europa im Interesse unseres Heimatlands und im Interesse un seres ganzen Kontinents.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den Grünen und der CDU sowie Abge ordneten der SPD und der FDP/DVP)

Nun hat das Wort Herr Abg. Dr. Fiechtner.

(Abg. Gernot Gruber SPD: Es bleibt einem auch nichts erspart! – Unruhe)

Frau Präsiden tin, sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren! Diese Euro pasäuselei, diese Lyrik, die da abgeliefert wird, ist wirklich zum Davonlaufen.