Protokoll der Sitzung vom 18.07.2019

(Zuruf von den Grünen: Aber nicht von vorn!)

Sehr verehrte Frau Präsident, sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren! Ich schließe mich dem Antrag der SPD vollumfänglich an. Es ist hier wieder ein Beispiel der Kumpanei, des Parkens auf hoch dotierten Posten mit kurzen Fristen. Hätte ich das gewusst, wäre ich als Schwerbehinderter natürlich kompetent gewesen

(Abg. Nicole Razavi CDU: Oh, das haben wir ganz vergessen!)

und hätte mich selbst um diesen Posten beworben.

(Zuruf der Abg. Beate Böhlen GRÜNE)

So ist es für mich leider nicht möglich.

(Abg. Reinhold Gall SPD: Sie hätten wir auf keinen Fall gewählt!)

Ich bitte Sie, dem Geschäftsordnungsantrag der SPD zuzu stimmen.

Ich sehe keine Wortmeldun gen mehr. Dann kommen wir zur Abstimmung. Da beide An träge eine Vertagung begehren, fasse ich beide zusammen.

Wer dem Antrag zustimmt, Tagesordnungspunkt 6 heute ab zusetzen, zu vertagen, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Vielen Dank. Damit ist der Antrag auf Vertagung abgelehnt. Die Tagesordnung bleibt bestehen – so, wie wir sie hatten. – Vielen Dank.

Wir treten jetzt in die Tagesordnung ein.

Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:

Aktuelle Debatte – Paralleljustiz – eine Herausforderung für den Rechtsstaat in Baden-Württemberg? – beantragt von der Fraktion der CDU

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aktuel le Debatte eine Gesamtredezeit von 50 Minuten festgelegt. Darauf wird die Redezeit der Regierung nicht angerechnet. Für die Aussprache steht eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion zur Verfügung.

Für die CDU-Fraktion erteile ich das Wort Herrn Abg. von Eyb.

Sehr geehrte Frau Prä sidentin, verehrte Kolleginnen, geehrte Kollegen! Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Aktuelle Debatte „Pa ralleljustiz – eine Herausforderung für den Rechtsstaat in Ba den-Württemberg?“ hat keinen aktuellen strafrechtlichen An lass. Daran ändert auch eine Überschrift in der „Bild“-Zeitung von gestern nichts, die lautet „Scharia-Schande in unserem Land!“, wobei der Ausgangspunkt gewesen sein soll, dass ein 18-jähriger Afghane seine Schwester an einer S-Bahn-Stati on in Stuttgart mit einem Baseballschläger attackierte, weil die Familie mit deren Partnerwahl nicht einverstanden sein soll.

Aktuell ist die Veröffentlichung der Studie von Professor Dr. Rohe, Universität Erlangen-Nürnberg, die sich mit dem straf rechtlichen Komplex einer Paralleljustiz in Baden-Württem berg beschäftigt. So sieht kluges Vorbauen aus. Justizminis ter Wolf hat diese Studie aktuell vorgestellt.

Was versteht man unter Paralleljustiz? Paralleljustiz ist eine Form der Konfliktlösung und der Beilegung von Streitigkei ten oder Straftaten, die nach deutschem Recht rechtlich rele vante Tatbestände darstellen. Die Schlichtung jedoch bewegt sich außerhalb der deutschen Rechtsordnung und außerhalb von demokratischen Statuten.

Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: die organisierte Kri minalität, Rockerbanden, Menschen, die sich aggressiv des öffentlichen Raums bemächtigen, Hooligans, Ultras, aber ge gebenenfalls auch türkische Hochzeitsgesellschaften oder an dere Gruppen, die ganze Innenstädte mit ihren Fahrzeugen lahmlegen, oder möglicherweise Hochzeitsgesellschaften, die sich auf der Autobahn danebenbenehmen.

Dies ist eher ein Problem von Großstädten, jedoch nicht aus schließlich. Auffällig sei, so die Studie, dass nicht nur das ein zelne Opfer unter Druck geraten kann, sondern auch die Fa milien der Opfer, etwa aufgrund der Forderung, nicht bei der Polizei auszusagen.

Die Studie hat festgestellt, dass das Phänomen Paralleljustiz nicht im Zusammenhang mit Religion oder Ethnie steht, son dern milieuspezifisch ist. Solche Milieus entstehen oft in Großfamilien, die isoliert leben, selbst unter einem enormen sozialen Druck stehen, einen starren Wertekomplex haben und sich einem alternativen Normengeflecht verpflichtet fühlen. Es gibt wohl auch einen Zusammenhang zwischen Parallel justiz und Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Wer sich dem zu entziehen versucht, läuft Gefahr, im Internet regelrecht ver folgt zu werden.

Was kann man dagegen tun? Hilfreich wäre eine schnelle und effiziente Repression, also der unmittelbare Hinweis vonsei ten der liberalen, offenen Gesellschaft: Wir reagieren darauf; wir sind möglicherweise auch niederschwellig bereit, sofort zu reagieren; wir haben zwar ein freundliches Gesicht, aber auf der Nase lassen wir uns nicht herumtanzen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen sowie des Abg. Nico Weinmann FDP/DVP)

Als hilfreich könnte sich auch eine entsprechende Vermögens abschöpfung darstellen. Seit wenigen Wochen gibt es eine Zentralstelle für Vermögensabschöpfung in Karlsruhe.

(Abg. Anton Baron AfD: Genau!)

Ich nehme an, dass der Justizminister nachher dazu sprechen wird.

Aber es geht auch darum, den Opfern bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche zu helfen.

Mit Repression allein kommen wir aber nicht weiter. Präven tion ist notwendig. In welche Richtung müssen wir denken? Wir müssen Familienarbeit leisten, Schutzräume schaffen – auch für Männer –; wir müssen den Rechtsstaat erklären und transparent machen. Denn durch vermehrte Migration entste hen, so die Studie, neue Normenkonflikte. Die Botschaft muss lauten: Empathie ja, Klarheit ebenso; hier gilt unsere Werte ordnung und keine andere.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen – Vereinzelt Beifall bei der FDP/DVP)

Paralleljustiz gibt es ansatzweise auch bei uns in Baden-Würt temberg – allerdings nicht in einem beunruhigenden Maß; das möchte ich ganz ausdrücklich feststellen. Ich selbst bin über zeugt, dass nicht nur die gute wirtschaftliche Situation dafür verantwortlich ist, dass hier eine Paralleljustiz nicht in dem Maß gedeihen kann wie möglicherweise anderswo, sondern

dass auch das konsequente Eintreten der CDU in Fragen der Sicherheitsstruktur in den letzten Jahrzehnten hierfür mitver antwortlich ist.

(Beifall bei der CDU)

Für Alarmismus besteht kein Anlass, für Wegschauen jedoch ebenfalls nicht. Deshalb an dieser Stelle ein Dank an alle, die sich hier in besonderem Maß engagieren. Wir wollen eine of fene und liberale Gesellschaft. Schon deshalb müssen wir je ne, die damit nichts anfangen können, unmissverständlich da rauf hinweisen: Mit uns geht das nicht!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Grünen)

Für die Fraktion GRÜNE er teile ich Herrn Abg. Filius das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit einigen Tagen liegt uns die Studie zu Paralleljustiz in Baden-Württemberg vor. Das Thema ist glücklicherweise bisher nur in Einzelfällen – dar auf wies auch Herr Kollege von Eyb bereits hin – in BadenWürttemberg aufgetaucht. Trotzdem oder gerade deshalb ist es mehr als sinnvoll, sich dieses Themas näher anzunehmen.

Zunächst einmal ist es wichtig, den Begriff „Paralleljustiz“ zu definieren. Sie liegt immer dann vor, wenn Organisationen oder Gruppen das Gewaltmonopol des Staates und die Rechts ordnung nicht anerkennen und gleichzeitig eigene Strukturen schaffen.

Der wichtigste Befund der Studie ist: Es gibt keine gefestig ten Strukturen einer Paralleljustiz in Baden-Württemberg. Al lerdings gibt es auch hier Einzelfälle, die ein nennenswertes Dunkelfeld nahelegen. Insgesamt ist die Lage aber günstiger als in anderen Bundesländern.

Daneben gibt es noch eine zweite ganz entscheidende Er kenntnis in dieser Studie – man sollte eigentlich überhaupt nicht glauben, dass dies extra betont werden muss –: Parallel justiz ist milieuspezifisch und nicht an Ethnien oder Religio nen gebunden. Es gibt unterschiedliche äußere Umstände, die das Entstehen von Paralleljustiz begünstigen. Wir müssen passgenau Ursachen bestimmen und jeweils individuell Ge genmechanismen finden.

Stellt also das Phänomen Paralleljustiz eine Herausforderung an den Rechtsstaat dar? Ja. Der Rechtsstaat ist fortwährend gefordert. Man verhütet das Entstehen von Paralleljustiz mit einem funktionierenden Rechtsstaat, mit Vertrauen in den Staat, mit gesellschaftlichem Zusammenhalt, mit Prävention, Unterstützung und Stärkung der Selbstbestimmung.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Wenn man über Paralleljustiz spricht, dann geht es um Men schen oder Strukturen, die das staatliche Gewaltmonopol in frage stellen. Wer das tut, stellt sich auch gegen die freiheit lich-demokratische Grundordnung und die darin verankerten und geschützten Individualrechte.

Für die Erhaltung des staatlichen Gewaltmonopols braucht es vor allem Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Staates. Das Ergebnis der Studie zeigt: Dieses Vertrauen besteht, denn ei ne breit strukturierte Parallelgesellschaft besteht, wie schon mehrfach berichtet, in Baden-Württemberg nicht. Das ist gut so, denn unser Rechtssystem funktioniert. An diesem Vertrau en müssen wir immer weiterarbeiten. Wer Teil der Gesell schaft ist und auf den Schutz der Gesellschaft vertrauen kann, wendet sich im Normalfall auch nicht von ihr ab.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang eines betonen: Vertrauen in den Rechtsstaat zu gewinnen heißt nicht, fort während nach Strafschärfungen zu rufen; denn den Stand der Zivilisation einer Gesellschaft erkennt man daran, wie sie mit ihren Straftäterinnen und Straftätern umgeht. Das werden wir Grünen auch mit aller Kraft verteidigen.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Rechtsstaat bedeutet, dass sich der Staat Recht und Gesetz un terwirft und sich auch selbst daran hält. Der Rechtsstaat ist ei ne zentrale Errungenschaft für eine humane, freiheitliche und menschenrechtsorientierte Gesellschaft. Ihn zu verteidigen und hochzuhalten ist unsere immer bestehende Aufgabe.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der CDU)

Zum Vertrauen in das Gewaltmonopol gehört aber auch, dass der Staat dieses wahrnimmt und für den Schutz seiner Bevöl kerung sorgt. Ein gutes Beispiel dafür ist einer der größten Bereiche der Paralleljustiz in Baden-Württemberg: die Ro cker- und rockerähnliche Kriminalität. Hier kommt es in ei nigen Fällen zu Selbstjustiz und vor allem auch zu erheblicher Einschüchterung von Zeugen, Polizeikräften und teilweise auch Justizangehörigen.

Es ist gut, dass die Sicherheitsbehörden hier Stärke zeigen. Das LKA Baden-Württemberg hat hier eine Vorreiterrolle ein genommen und eine Vielzahl von Straftaten ermittelt. Die Jus tizbehörden haben ebenfalls rasch gehandelt.

Das gilt insbesondere für den Osmanen Germania Boxclub. Wir waren bundesweit die Ersten, die gegen die wohl als lan ger Arm Erdogans fungierende Gruppe Ermittlungserfolge er zielen konnten.