Protokoll der Sitzung vom 07.05.2003

Dementsprechend werden wir das dem Gesetz zugrundeliegende Förderprogramm aktualisieren und eine Aufnahme in die bayerische Begabtenförderung auch noch nach Studienbeginn vorsehen. Bisher wird das alles zwischen Abitur und Studienbeginn abgewickelt; dann ist das erledigt. Das Aufnahmeverfahren wollen wir verfeinern, das Förderprogramm entsprechend den Erfahrungen anderer Förderwerke differenzieren und überörtliche Betreuung, unter anderem durch Einbeziehung des Elitenetzwerks Bayern intensivieren. Darüber hinaus sollen Alternativen zur zielgruppenspezifischen Verwaltung des Förderprogramms untersucht werden. Das bedeutet enge Kooperation mit der Kollegin Hohlmeier und dem Schulministerium, und das bedeutet auch, dass wir die in den letzten Jahren im Schulbereich ergriffenen Maßnahmen zur Hochbegabtenförderung einbeziehen. Insbesondere interessiert uns die Schnittstelle zwischen Gymnasium und Hochschule, wo zum Beispiel mit „Plusangeboten“ der Hochschulen an K-13-Schüler oder mit deren Einbeziehung in Betreuungs- und Service-Angebote des Elitenetzwerks Bayern ein passgenauer Anschluss herbeigeführt werden soll.

Meine Damen und Herren, mit diesem anspruchsvollen und in Deutschland bisher einmaligen Programm wollen wir in seiner ersten Ausbaustufe jährlich etwa 2000 besonders leistungsfähige und leistungswillige Studentinnen und Studenten und circa 120 herausragende Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler erreichen. Dafür werden wir im Nachtragshaushalt 2004 zusätzliche Stellen und Mittel in nicht unerheblichem Umfang bereitstellen. Durch den Wegfall der AZV-Tage wurde im Beamtenbereich ein Kapazitätsgewinn erzielt, den die Bayerische Staatsregierung zu einem ganz erheblichen Anteil, nämlich mit 315 Stellen, dem Elitenetzwerk zugute kommen lassen wird.

(Beifall bei der CSU)

Ich danke für den Beifall, weil er erwarten lässt, dass dies die Mehrheitsfraktion mit ihrem Haushaltsrecht mittragen wird. Das ist mir sehr, sehr wichtig.

(Beifall bei der CSU)

Sie werden aber verstehen, dass ich das Hohe Haus insgesamt einbeziehe und appelliere, dieser Notwendigkeit Rechnung zu tragen, dass ich aber auch allen Kolleginnen und Kollegen ein Wort des Dankes dafür sage, dass sie ihren Beitrag geleistet haben, indem sie zugestimmt haben, dass Mittel, in ihren Ressorts weggenommen und für diese attraktive Hochschulausbildung, für unser Gemeinwesen schlechthin zur Verfügung gestellt werden. Ich meine, dass wir damit in unsere Hochschul- und Wissenschaftslandschaft besondere Profile einbringen können.

Neben den Stellen werden im Verlauf der nächsten fünf Jahre Sachmittel in Höhe von circa 14 Millionen e bereitgestellt. Wir sind dabei, die Wirtschaft dafür zu gewinnen, einen mindestens 50-prozentigen Anteil zur Verfügung zu stellen, das heißt, um eine Beteiligung in Höhe von 7 Millionen e zu bitten. Diesbezügliche Gespräche habe ich bereits eingeleitet. Es steht auch im Manuskript, dass ich mit einer wirtschaftsnahen Stiftung ein sehr konkretes Gespräch geführt habe. In den nächsten Wochen werde ich mit herausragenden Wirtschaftsvertretern sprechen.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann wird es schon stimmen, wenn es im Manuskript steht!)

Ich habe nur mitgeteilt, was Sachstand ist. Mein Respekt vor dem Hohen Haus wird auch dadurch deutlich, dass ich das, was gestern noch hinzugekommen ist, mündlich ergänzend vortrage.

(Beifall bei der CSU – Ach (CSU): Das versteht der Dürr nicht!)

Ähnlich wie bei der Förderung der Exzellenzforschung durch die DFG sollen auch die Hochschulen, die einen Elitestudiengang oder ein Internationales Doktorandenkolleg einrichten, eine gewisse Grundausstattung beisteuern. Gedacht ist an knapp 30000 e pro Jahr für den Elitestudiengang und circa 20000 e für ein Internationales Doktorandenkolleg.

Herr Präsident, Hohes Haus! Sicherlich ist es erstrebenswert, für die über 200000 Studentinnen und Studenten in Bayern mittelfristig eine noch höhere Förderquote zu erreichen. Darüber gilt es in einigen Jahren aufgrund einer Evaluation des Programms zu entscheiden, wenn, so hoffe ich, die Erfahrungen vorliegen und dann auch die Haushaltslage neue Entscheidungsspielräume eröffnen kann. Im Augenblick wären die meisten Länder in Deutschland froh, wenn sie wie Bayern schon für ein Prozent ihrer Studentinnen und Studenten ein Elitenetzwerk errichten könnten.

(Beifall bei der CSU)

Mit einer Vielzahl hervorragender Universitäten, außeruniversitärer Forschungseinrichtungen und -verbünde und mit einzelnen Fachhochschulen steht Bayern – das hat die Kommission der hochrangigen Wissenschaftler erneut bestätigt – an vorderster Front der internationalen Konkurrenz. Ich sage das auch deshalb immer wieder, weil manchmal Larmoyanz Trumpf ist. Wir bauen auf einer sehr guten Basis auf. Unser Land wird aber auf Dauer nur bestehen können, wenn wir unsere Entwicklungspotenziale konsequent ausschöpfen. Deshalb müssen wir besonders Leistungsstarke ausbilden und weiter qualifizieren, für die überfachliche und überörtliche Vernetzung der vorhandenen exzellenten Lehr- und Forschungskapazitäten sorgen und die Infrastruktur für die Elitebildung verbessern. Dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Das gilt für die Verantwortlichen in der Wissenschaft, für die Meinungsführer in der Gesellschaft und in den Medien, für die Wirtschaftslenker und vor allem für uns im Bayerischen Landtag als den letztlich für die Politik Zuständigen.

Die Bayerische Staatsregierung wird noch in diesem Sommersemester den Startschuss für das Elitenetzwerk Bayern geben. Nach der Offensive Zukunft Bayern und nach der Hightech-Offensive treten wir nun mit dem Elitenetzwerk zur Qualifizierungsoffensive Bayern an. Ich danke Ihnen.

(Lang anhaltender Beifall bei der CSU)

Ich eröffne die Aussprache. Im Ältestenrat ist eine Redezeit von 25 Minuten pro Fraktion vereinbart worden. Als erster Redner hat Herr Kollege Vogel das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatsminister, in dem arabischen Sprichwort, das Sie Ihrer Regierungserklärung vorangestellt haben, war von Unbeweglichkeit, Beweglichkeit und dem Sich-Bewegen die Rede. Sie haben als Adressaten Ihrer Politik die Menschen genannt, die sich und generell etwas bewegen. Damit suggerieren Sie sprachlich geschickt, dass auch Ihre Politik und Ihr Handeln der von Ihnen positiv bewerteten Handlungskategorie des SichBewegens zugeordnet werden müssen. Wenn wir uns aber damit nicht zufrieden geben wollen, dass Bewegung an sich schon etwas Positives sei, dürfen wir uns der Frage nach dem Ziel des Bewegens nicht verschließen. Herr Staatsminister Zehetmair, ich habe Ihre Politik niemals als hochschulpolitische Spielart der Bewegungstherapie verstanden. Und hier sind Sie, Herr Staatsminister, in Ihren Ausführungen heute enttäuschend vage und unverbindlich geblieben.

Sie haben das Problem des „brain drain“ angesprochen, also des Abwanderns hochqualifizierter Wissenschaftler, und setzen diesem Problem Ihre Politik des „brain gain“ entgegen. Daraus haben Sie dann die politische Notwendigkeit abgeleitet, eine neue Führungs- und Verantwortungselite auf Leistungsbasis zu fördern, gerade vor dem Hintergrund aktueller ökonomischer und sozialer Strukturprobleme. Da Sie dazu inhaltlich nicht sehr viel mehr ausgeführt haben, frage ich mich, ob Ihr Elite- und Leistungsbegriff lediglich an den aktuellen sozioökonomischen Notwendigkeiten orientiert ist. Sind bei Ihnen Elite und Leistung zu hochschulpolitischen Termini degradiert worden, die allein im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Verwertbarkeit stehen?

Wurden wir nicht gestern im Rahmen der Gedenkfeier des Parlament daran erinnert, dass gerade die Eliten – auch die ökonomischen und wissenschaftlichen Eliten – versagt haben, als es 1933 darum ging, Menschenrechte und Demokratie zu verteidigen?

(Beifall bei der SPD)

Nach 1933 wurde übrigens der Elitebegriff kräftig missbraucht. Das ist auch eine der Ursachen, warum es in Deutschland bis heute so schwierig ist, über Eliten und Eliteförderung zu sprechen.

Sie definieren aber auch den Leistungsbegriff nicht genauer. Ihr kurzer Rückgriff auf Marcuse und 1968 übersieht, dass meist nicht Leistung als solche in Frage

gestellt wurde. Die Kritik bezog und bezieht sich weitgehend auf ein Verständnis, wonach nur die Leistung zählt, die über den Markt den entsprechenden monetären Gegenwert erlöst.

Können wir somit eine Leistungsdiskussion führen, ohne auch eine Wertediskussion zu führen?

Um welche Eliten geht es uns? Welche Leistungen sollen an den Hochschulen speziell gefördert werden, wenn sich wirklich etwas bewegen soll? Herr Staatsminister, mir fehlt bei Ihren Ausführungen der politische Überbau, der das Ziel Ihrer Bewegung und Ihrer Maßnahmen vorgibt. Dieses Ziel interessegeleitet zu definieren und sich nicht in weitgehend nebulösen Hinweisen auf sozioökonomische Strukturprobleme zu verlieren, das ist die eigentliche Aufgabe der Politik.

(Beifall bei der SPD)

Meine Kolleginnen und Kollegen, jede Gesellschaft besitzt ihre Eliten. Wir müssen also nicht fragen, ob wir, sondern welche Eliten wir benötigen. Ich darf an dieser Stelle zitieren:

Jede Gesellschaft braucht Menschen, die Alternativen zum Bestehenden denken und leben können... Wer einer solchen Elite angehören will, muss sich nicht nur durch herausragende fachliche, wissenschaftliche, praktische und schöpferische Fähigkeiten auszeichnen, sondern auch in hohem Maße Verantwortungsgefühl, Einsatzbereitschaft und ethisches Bewusstsein besitzen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Staatsminister Zehetmair, das kommt Ihnen vielleicht bekannt vor. Dieses Zitat aus dem Jahre 1998 stammt von Ihnen und hat heute meiner Ansicht nach gefehlt. Leistungs- und Eliteförderung dürfen nicht allein mit aktuellen arbeitsmarktpolitischen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten begründet werden.

Wenn ich für meine Fraktion von Elite und Eliteförderung spreche, dann gehe ich von folgenden drei Punkten aus:

Erstens. Eliten definieren sich in erster Linie als Werteund Verantwortungseliten, deren Leistung vor allem darin besteht, für fachliche und gesellschaftliche Problemlösungen entsprechend qualifiziert zu sein und die dabei eine hohe Sensibilität für soziale Realitäten entwickeln. Daraus legitimiert sich unter Umständen auch ihre herausragende Funktion und Position.

Zweitens. Chancengleichheit ist elementare Voraussetzung für Eliteförderung.

(Beifall bei der SPD)

Unter Chancengleichheit verstehe ich den Anspruch aller auf gleiche Bildungschancen, nicht den Anspruch auf das gleiche Bildungsergebnis. Nur unter dieser Voraussetzung kann jeder Mensch, unabhängig von seiner ethnischen, kulturellen, sozialen oder ökonomischen

Herkunft und unabhängig von jeglicher personeller Beeinträchtigung oder Behinderung die von ihm angestrebten und von ihm realisierbaren Bildungsziele erreichen.

Drittens. Elite und Demokratie dürfen nicht im Gegensatz zueinander stehen. Eliteförderung muss an demokratischen Prinzipien orientiert sein. Das beinhaltet neben dem chancengleichen Zugang die Transparenz, die Durchlässigkeit und die plurale Struktur der Eliteförderung. Gerade weil sich zwischen Wissenschaft und Werteorientierung einerseits und dem Markt andererseits konfliktäre Zielbeziehungen ergeben können, darf Eliteförderung nicht vorrangig an vorherrschenden Marktbedürfnissen orientiert sein.

Herr Staatsminister Zehetmair, vermutlich sind wir bei der abstrakten Formulierung des Verständnisses von Eliten gar nicht so weit voneinander entfernt. Die Kontroverse setzt wahrscheinlich dort an, wo wir mit dieser Messlatte die vorgestellten Maßnahmen beurteilen. Das wird vor allem dort deutlich, wo Sie manches oder vieles nicht gesagt haben.

Wer in diesem Hause mag die Sinnhaftigkeit von Elitestudiengängen in Zweifel ziehen, wenn grundsätzlich alle Studierenden an bayerischen Hochschulen in den normal qualifizierenden Studiengängen zufriedenstellende Voraussetzungen für ihren Studiengang vorfinden und wenn ihnen bei entsprechenden Qualifikationen, unabhängig von ihrer Herkunft, Lage etc. der Zugang hierzu ermöglicht ist?

(Beifall bei der SPD)

Wer in diesem Hause wollte grundsätzlich an der Sinnhaftigkeit von Internationalen Doktorandenkollegs zweifeln, wenn für den gesamten Hochschulbereich die Internationalität gegeben ist und wenn auch alle anderen Promovierenden und Studierenden adäquate Arbeitsbedingungen vorfinden?

Wer mag die Sinnhaftigkeit von Elitenetzwerken bezweifeln, wenn die Kooperation zwischen den Hochschulen generell so gut klappt, dass Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ohne große Schwierigkeiten auf vernetzte Strukturen im Studium und bei der Forschung zurückgreifen können?

Wer mag sich gegen einen Ausbau der Hochbegabtenförderung aussprechen, wenn es gelingt, grundsätzlich eine Ausbildungsförderung zu etablieren, die den jungen Menschen unabhängig vom Einkommen der Eltern und vom eigenen Zuverdienst ein Studium ermöglicht?

Das beginnt mit dem elternunabhängigen Bafög und endet bei ausreichenden Plätzen in bezahlbaren Studentenwohnheimen.

(Beifall bei der SPD)

Allein, liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses „Wenn“ hat es in sich. Dazu habe ich außer einigen beschönigenden und beruhigenden Formulierungen wenig gehört. Ihre Maßnahmen sind richtig, ja überfällig, und

dennoch – befürchte ich – kaum realisierbar, weil wichtige Hausaufgaben nicht gemacht wurden. Ich darf an einigen Punkten verdeutlichen, was ich meine:

Die Relation Studierende/Lehrende an den bayerischen Hochschulen liegt im Allgemeinen bei 1 : über 100. Auf der CSU-Homepage, Herr Dr. Wilhelm, sind eine Reihe von Massenfächern aufgelistet, in denen die Relation Studierende/Professoren zwischen 1 : 100 und knapp 1 : 300 schwankt. In den USA, die nicht voll vergleichbar sind, liegt das Verhältnis weit, weit darunter.

Was bedeutet es für die normal Studierenden unter diesen Voraussetzungen, wenn Eliteförderung betrieben wird? – In einem Artikel der „Neuen Zürcher Zeitung“ vom Oktober 2002 hat Prof. Dr. Weder, der Rektor der Universität Zürich, das hochschulpolitische Credo für jegliche Eliteförderung formuliert: Eliteförderung kann nicht geschehen, wenn nicht eine sehr gute Grundlagenbildung vermittelt wird. Daran mangelt es zum Teil an bayerischen Universitäten.

Die meisten der bayerischen Hochschullehrer und Hochschullehrerinnen geben sich wie viele Studierende alle erdenkliche Mühe, dies zu gewährleisten. Ihnen ist Dank, Respekt und Anerkennung zu zollen für das relativ hohe Niveau der Hochschulbildung, weil sie vieles leisten, obwohl die Staatsregierung sie manchmal alleine lässt.