Protokoll der Sitzung vom 07.05.2003

Herr Zeller ist ein angesehener Förderer des Wintersports im Allgäu: absolut absurd wird es, wenn das Gesetz damit begründet wird, damit könnte man von Lawinen Verschüttete besser orten. Auch Herr Glück als Bergwachtvorsitzender wird nicht sagen, dass Gutachter der Bergwacht hinzugezogen werden sollen. Wenn die Polizei es nicht hinbekommt, nach einem Lawinenunglück einen Verschütteten ohne Änderung des PAG zu retten, dann macht sie sich der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Nichts Anderes kann man dazu sagen.

Bitte schön, nehmen wir dieses Gesetz ernst und versuchen wir alles, damit es nicht zu Stande kommt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Bevor ich die nächste Wortmeldung aufrufe, darf ich bekannt geben, dass sich Herr Staatsminister Dr. Beckstein entschuldigt hat, weil er an einem Treffen der Verkehrsminister der B-Länder in Berlin teilnimmt. Herr Staatssekretär Regensburger ist ebenfalls entschuldigt, weil er die

Staatssekretärsvorkonferenz zur Vorbereitung der Innenministerkonferenz in Weimar leiten muss.

(Dr. Hahnzog (SPD): Der schämt sich!)

Beide Herren sind entschuldigt.

(Dr. Hahnzog (SPD): Wo ist der Justizminister, der hat für den Rechtsstaat zu sorgen! Der ist auch nicht da!)

Ich rufe als nächste Rednerin Frau Tausendfreund auf.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Je tiefer ich in die Einzelheiten dieses Gesetzentwurfs der 22 CSUAbgeordneten eingestiegen bin, desto größer sind der Ärger und das Entsetzen in mir geworden. Was Sie mit unserem Rechtsstaat vorhaben, das führt zu einem Überwachungsstaat total, den Sie Bayern überstülpen wollen. Sie wollen die vorsorgliche Telefonüberwachung auf Verdacht in praktisch jeder denkbaren Situation, egal, ob es sich um Personen handelt, die für eine irgendwie geartete Gefahr verantwortlich sein könnten, oder ob es sich um Personen handelt, die vielleicht in Zukunft eine Straftat von erheblicher Bedeutung begehen könnten, oder ob es sich um Personen handelt, die mit den möglichen zukünftigen Straftätern vielleicht in Kontakt stehen könnten, oder ob es sich schlicht um unbeteiligte Dritte handelt, die bei der Gelegenheit einer Telefonüberwachung betroffen sind.

Alle diese Personen sollen munter überwacht werden können, und zwar mit allen Schikanen: das Abhören, Aufzeichnen, Speichern der Telefonate, ob Festnetz oder Mobilfunk, das ist das Abfangen von Telefax, von SMS, von E-Mails, auch des elektronischen Bankverkehrs. Die Dienstleister sollen verpflichtet werden, sämtliche Verbindungsdaten herauszugeben und den elektronischen Datenverkehr für die Polizei zu speichern, Verbindungen können unterbrochen und verhindert werden, Handystandorte können mit dem IMSI-Catcher geortet werden, das alles auf bloßen Verdacht oder weil Unbeteiligte aus technischen Gründen zufällig betroffen sind.

Mit diesem Vorhaben haben Sie einen Frontalangriff auf die Grundfesten unseres demokratischen Rechtsstaates gestartet; diesen Angriff müssen wir stoppen. Kolleginnen und Kollegen von der CSU – vielleicht sind es nur die 22, die würden hier nicht die Mehrheit finden –, ich fordere Sie auf, ziehen Sie diesen Gesetzentwurf unverzüglich wieder zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die Begründung für diesen Gesetzentwurf ist völlig unglaubwürdig. Für die Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität haben Sie ausreichende Instrumente, dafür haben Sie erst vor kurzem die nachrichtendienstlichen Mittel für den Verfassungsschutz genehmigt, dafür sind vor kurzem die nachrichtendienstlichen Mittel durch den Bund eingeführt worden. Wir brauchen keine zusätzliche Geheimpolizei in Bayern.

Die Begründung mit der Rettung von Verschütteten oder Verschollenen in den Bergen oder der Suche nach verlorenen Kindern zieht nicht. Das wird heute schon über den rechtfertigenden Notstand, § 34 des Strafgesetzbuches erledigt. Wenn Sie dafür eine gesetzliche Grundlage im PAG haben wollen: das wäre kein Problem, wenn Sie es wirklich darauf beschränken würden.

Das Interessante an Ihrem Gesetzentwurf ist aber, der passt überhaupt nicht auf diesen Fall. Genau dieser Fall, dass eine Person, ohne dass sie selbst für eine Gefahr für ein Rechtsgut verantwortlich ist oder dass sie selbst ein potenzieller Straftäter oder eine potenzielle Straftäterin ist, wird von dieser Möglichkeit, dass das Handy geortet werden kann, überhaupt nicht erfasst.

Da enthält dieses Gesetz einen groben handwerklichen Fehler.

Vergleichen Sie den bayerischen Straftatenkatalog mit § 100 a der Strafprozessordnung zur Telefonüberwachung im repressiven Bereich – Herr Kreuzer hat gestern als Begründung angeführt, dass es so etwas sowieso schon gebe und das Sie die Telefonüberwachung bloß von dem repressiven auf den präventiven Bereich ausweiteten usw. – und schauen Sie sich den Katalog einmal an: Er ist in Bezug auf die Straftaten viel weiter gefasst und offen gestaltet durch die Formulierung „insbesondere“ zu Straftaten nach diesen und jenen Vorschriften. Ich habe gestern das schöne Beispiel gebracht mit der Möglichkeit, hier jemanden zu überwachen, der möglicherweise mit jemanden in Kontakt steht, der möglicherweise eine zukünftige Straftat künftig nicht anzuzeigen gedenkt. Das kann es nicht sein.

Der Gesetzentwurf ist so weit gefasst und erreicht praktisch alle Personengruppen, die in einem irgendwie gearteten Verdacht geraten, irgendetwas zu tun oder zu unterlassen. Es reicht also schon aus, dass potentielle Straftäter Ihre Telefonnummer notiert oder Ihnen schon einmal ein E-Mail geschickt haben, damit Sie als so genannte Kontaktperson gelten und überwacht werden können und über Monate hinweg Ihre komplette Telekommunikation überwacht, aufgezeichnet und gespeichert wird. Wir haben es hier mit einer völlig neuen Qualität der Überwachung auf Verdacht zu tun, bei der nicht einmal eine bestimmte Personengruppe geschützt ist, die Berufsgeheimnisträger ist oder ein Zeugnisverweigerungsrecht hat. Ein Zeugnisverweigerungsrecht würde bei solchen Ermittlungsmethoden ins Leere laufen.

Wir haben es mit einem massiven Angriff auf die Pressefreiheit zu tun. Was ist die Pressefreiheit noch wert, wenn Journalisten den Informantenschutz nicht mehr gewährleisten können? Sie fahren einen Angriff auf das Berufsgeheimnis von Rechtsanwälten, Ärzten, Richtern, Steuerberatern, Sozialarbeitern, Drogenberatern, Psychotherapeuten, etc. Auch Abgeordnete können in Zukunft abgehört werden, denn es steht nicht im Gesetzentwurf, dass sie ausgeschlossen sind; es fällt auch nicht unter die Immunität. Wie sollen Sie also denjenigen, die sich vertrauensvoll an Sie wenden, künftig zusichern können, dass alles vertraulich behandelt wird?

Die Berufsverbände, und Kirchen stehen bereits mit Protesten auf der Matte. Ich habe bereits ein Paket an Stellungnahmen von verschiedenen Organisationen erhalten, die gegen dieses Gesetzesvorhaben massiv angehen. Unbeteiligte Dritte können indirekt betoffen werden. Sie werden ebenso wie die Personengruppen behandelt, die Sie direkt abhören wollen. Die gewonnenen personenbezogenen Daten von Unbeteiligten dürfen komplett ausgewertet und müssen erst gelöscht werden, wenn die Abhörmaßnahmen tatsächlich abgeschlossen sind und wenn die Daten von der Polizei nicht mehr benötigt werden. Alle diese Formulierungen sind sehr dehnbar, sodass nicht mehr sichergestellt ist, dass bestimmte Aufbewahrungs- und Löschungsgebote eingehalten werden.

Für die Telefonüberwachung fehlt jegliche Hürde. Man hätte zumindest in den Gesetzentwurf aufnehmen können, dass die Telefonüberwachung das letzte Mittel ist, wenn andere Ermittlungsmethoden nicht mehr greifen. Beim IMSI-Catcher und bei der Unterbrechung und Verhinderung von Gesprächen ist lediglich ein Zusatz aufgenommen worden. Bei der Telefonüberwachung von potentiellen Straftätern ist künftig nicht einmal ein bestimmter Verdachtsgrad erforderlich, sondern der geringste Verdacht reicht bereits aus, dass künftig diese Person eventuell eine Straftat begehen könnte. Es gibt zwar den Richtervorbehalt. Er kann jedoch für jeweils drei Tage komplett umgangen werden. Die Telefonüberwachung kann sogar mündlich vom Dienststellenleiter angeordnet und muss erst anschließend schriftlich bestätigt werden. Wenn der Richter nach den geforderten drei Tagen die Anordnung nicht bestätigt, können die Überwachungsergebnisse trotzdem – auch wenn diese Anordnung rechtswidrig war – verwendet werden. Übrigens entfällt die Anordnung nicht einfach, wenn die Voraussetzungen für die Telefonüberwachung entfallen sind, sondern es kann – auch ohne die Voraussetzungen – weiterhin abgehört werden; da kommt es nur auf die Anordnung selbst an.

Es gibt keine Kontrolle der Maßnahmen, dazu ist im Gesetzentwurf nichts vorgesehen. Ebenso wenig ist sie in anderen Gesetzen erfasst. Es fehlen Berichtspflichten und eine Effizienzkontrolle, wie sie zum Beispiel bei der Wohnraumüberwachung vorgesehen sind. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, welche Folterwerkzeuge sich die CSU ausgedacht hat, um den Rechtsstaat zu knebeln.

Wir werden Sie daran hindern und alles dafür tun, dass Sie dieses Vorhaben nicht im Schweinsgalopp noch vor dieser Sommerpause in dieser Legislaturperiode durchpeitschen können. Auch wenn Sie jetzt einer Anhörung zustimmen, ist ein ganz anderer, nämlich verantwortungsbewusster Umgang mit dem Gesetzentwurf erforderlich.

Wir wollen mit unserer geforderten Anhörung erreichen, dass die Kritiker und Experten zu Wort kommen und dass die Kritikpunkte auf den Tisch gelegt werden. Es gibt auch Randbereiche wie die Frage der Gesetzgebungskompetenz, ob der Bayerische Landtag ein solches Gesetz überhaupt erlassen darf. Herr Kollege Dr. Hahnzog hat es gerade angesprochen. Bei der Anhö

rung in Thüringen war dies ein wesentliches Thema. Die bei der Anhörung in Thüringen anwesenden Vertreter aus Bayern äußerten sich übrigens gegenüber dem Thüringer Gesetzesvorhaben äußerst skeptisch.

Der Gesetzentwurf enthält ferner die Geschichte mit dem automatisierten Kennzeichen-Scanning. Dazu möchte ich ein paar Worte ausführen; denn auch hier gilt es, Kritik anzumelden. Der Gesetzentwurf klingt zunächst harmlos. Aber wenn Sie ihn genau anschauen, versteckt sich darin einiges. Sie wollen das Kennzeichen-Scanning grundsätzlich verdeckt durchführen. In der Regel wird die offene Datenerhebung praktiziert, auch nach dem PAG. Selbst die Videoüberwachung, so haben Sie es festgeschrieben, hat offen zu erfolgen. Des Weiteren ist im Gesetzentwurf nicht festgelegt, dass Sie sich auf Autokennzeichen beschränken, sondern es ist immer nur von Kennzeichen die Rede. Ich befürchte, dass Sie auch biometrische Kennzeichen, die Gesichtsfelderkennung etc. einbeziehen wollen. In der Begründung ist zwar nur von Autokennzeichen die Rede, aber es wird nicht klar abgegrenzt.

Sie haben keine Beschränkung des Abgleichs der Daten mit den Fahndungsdaten aus der INPOL-Datei vorgesehen, sondern die personenbezogenen Halterdaten, die Sie über die Autokennzeichen bekommen, können mit jedweder Polizeidatei abgeglichen werden. Bei der KANDatei haben wir wenigstens noch Speicherfristen. Aber Sie könnten die Daten theoretisch auch mit den Verfahrensakten, die inzwischen auch EDV-mäßig erfasst sind, also mit der Vorgangsdatei abgleichen. Diese müssen nämlich nicht gelöscht werden.

Sie haben in den Gesetzentwurf keine örtlichen Beschränkungen aufgenommen. Sie schreiben in der Begründung so nett, dass treffe auch auf Gebäudepassagen zu. In Gebäudepassagen stehen bekanntlich sehr viele Autos herum. Das sind normalerweise reine Fußgängerbereiche. Warum nennen Sie solche Bereiche, wo Kennzeichen-Scanning notwendig sein soll, aber keine Autos vorhanden sind? Sie wollen die Maßnahme überall dort einführen, wo eine Identitätsfeststellung auch durch einen Polizisten möglich ist, und dass ist praktisch überall.

Sie haben, wenn auch versteckt, zu lange Speichermöglichkeiten aufgenommen. Es steht zwar im Gesetzentwurf, dass die abgeglichenen Daten, die nicht zu einem Ergebnis geführt hätten, sofort wieder gelöscht würden. Aber sobald die Daten weiterhin zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten gebraucht werden, können Sie langfristig gespeichert werden. Bei einer Kombination des Kennzeichen-Scannings mit der Verkehrsüberwachung im Hinblick auf Geschwindigkeitsüberschreitungen haben Sie sofort ein geöffnetes Tor zur Speicherung der Daten in großem Stil. Auch hier ist Kritik anzumelden. Dies ist auch ein Argument dafür, dass wir die Anhörung unbedingt brauchen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Danke schön, Frau Kollegin. – Ich gebe bekannt, dass die SPD-Frak

tion namentliche Abstimmung über ihren Antrag beantragt hat. Wir werden nicht vor 13.35 Uhr abstimmen können.

Das Wort hat nun Herr Dr. Kempfler.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich darf vorweg bekannt geben, dass die CSU-Fraktion dem Dringlichkeitsantrag der GRÜNEN entsprechen und den Antrag der SPD ablehnen wird. Auch wir wollen eine Anhörung.

(Frau Radermacher (SPD): Warum haben Sie sie dann nicht gleich vorgesehen?)

Wir haben ohnehin vorgehabt, eine so genannte kleine Anhörung durch Beiziehung von Sachverständigen im Verlauf der Aussschussberatungen vorzunehmen. Bisher ist kein Antrag auf eine große Anhörung gestellt worden. Wir haben in der Vergangenheit immer, wenn diese Wünsche von der Opposition vorgetragen worden sind, dem Rechnung getragen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Hahnzog (SPD))

Wir haben verschiedene Anhörungen durchgeführt. Das ist immer in großem Einvernehmen mit allen Fraktionen geschehen und es hat kein Anlass bestanden, einen Dringlichkeitsantrag mit diesem Ziel einzureichen.

Meine Damen und Herren, allein die Überschrift über dem Dringlichkeitsantrag der SPD ist schon empörend und die Ausführungen und die Angriffe, die heute erfolgt sind, spotten jeder Beschreibung. Herr Kollege Hahnzog, Sie haben ausgeführt, dass jeder jederzeit abgehört werden könne, wenn dieses Gesetz in Kraft tritt.

(Dr. Hahnzog (SPD): Er muss es befürchten!)

Sie haben gesagt, jeder kann zu jeder Zeit abgehört werden. Außerdem ist hier geäußert worden, eine freie, offene Gesellschaft werde kaputt gemacht,

(Dr. Hahnzog (SPD): Jawohl!)

es werde ein Überwachungsstaat geschaffen.

(Frau Radermacher (SPD): Natürlich! Was denn sonst?)

Das sind unerhörte Beleidigungen, die Sie hier ausgesprochen haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CSU – Unruhe bei der SPD)

Das ist nicht nur eine Diffamierung unserer Fraktion, sondern auch der Polizei. Polizeipraktiker nicht nur in Bayern, sondern auch in anderen Bundesländern haben gefordert, dass Präventivmaßnahmen in die Polizeiaufgabengesetze und insbesondere auch in unser Polizeiaufgabengesetz aufgenommen werden sollen.

Sie operieren hier mit den gleichen Parolen wie früher, als es um die Einführung der verdachts- und ereignisun

abhängigen Kontrolle gegangen ist. Seinerzeit hat es geheißen, ganz Bayern werde zu einem Fahndungsraum, jedes alte Mütterchen werde in Zukunft auf die Polizeiwache geschleppt und Ähnliches. Mit den gleichen Argumenten haben Sie gegen die Videoüberwachung polemisiert. Ich muss sagen, diese Parole verliert allmählich an Originalität.

Mit Ihrem hemmungslosen Angriff wollen Sie wahrscheinlich vom desolaten Zustand Ihrer Partei und der Koalition ablenken. Es ist immerhin Bundestagspräsident Thierse gewesen, der gesagt hat, die SPD befinde sich in einem Überlebenskampf.