Bevor ich Herrn Staatsminister Dr. Beckstein und im Anschluss Herrn Kollegen Dr. Hahnzog das Wort gebe, weise ich darauf hin, dass wir sehr bald zur Abstimmung kommen werden. Alle Kolleginnen und Kollegen sind darüber informiert, dass über eine Verfassungsänderung namentlich abzustimmen ist und für diese Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder des Landtags benötigt wird. Deswegen sollten sich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht im Plenarsaal sind, schleunigst auf den Weg machen. Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Präsident, Sie haben offensichtlich meinen Zwischenruf nicht verstanden, dass ich mindestens eine Stunde zu reden beabsichtige.
Ich möchte nur eine kurze Bemerkung zu der Beziehung zwischen dem Staat und den Kommunen sowie zur zentralsten Änderung, die wir in den letzten Jahrzehnten auf den Weg gebracht haben, nämlich der Einführung des Konnexitätsprinzips, machen. Ich verhehle nicht, dass es am Beginn des Denkprozesses sehr unterschiedliche Meinungen in der Staatsregierung zu diesem Thema gegeben hat. In der Zwischenzeit haben wir uns jedoch auf die Linie des Landtags begeben, die von allen Fraktionen mit geringen Änderungen und den kommunalen Spitzenverbänden bestätigt worden ist. Wir sind nicht das erste Land, das das Konnexitätsprinzip in der Verfassung verankert hat. Wir werden jedoch das Land sein, in dem das Konnexitätsprinzip am striktesten und umfangreichsten verankert wird.
Die Konnexität wird in Bayern nicht nur für den übertragenen Wirkungskreis, sondern auch für den eigenen Wirkungskreis gelten, wenn zusätzliche Anforderungen gestellt werden, nicht nur im Falle von Gesetzen und Rechtsverordnungen, sondern auch bei Richtlinien. Diese Regelung gewährleistet, dass derjenige, der anschafft, auch bezahlen muss.
Dadurch wird das Verhältnis zwischen Staat und Kommunen verändert. Die Staatsregierung wird es dadurch schwerer haben, Vorgaben zu machen, weil sie automatisch die auf der unteren Ebene anfallenden Kosten bedenken muss. Ich möchte ein kleines Beispiel nennen, das mir selbst große Sorgen bereitet: Bei der Einführung des Digitalfunks wäre es früher selbstverständlich gewesen, entsprechende Zuschussprogramme aufzulegen. Künftig müssen die zusätzlichen Kosten genau berechnet werden. Diese Kosten müssen dann zur Verfügung gestellt werden.
Der Landtag und insbesondere die Opposition werden die Änderungen ebenfalls zu spüren bekommen. Die Opposition wird nicht einfach, wie bisher, Anträge stellen können. Ich bin davon überzeugt, dass dies vernünftig ist. In einer Zeit, in der wir weniger Geld haben, müssen wir das Subsidiaritätsprinzip ernst nehmen. Das bedeutet, dass mehr Freiheit und Verantwortung vor Ort besteht und damit die Kontrollmöglichkeiten reduziert werden. Ich bin überzeugt, dass diese Verantwortung
wahrgenommen wird. Das ist die Voraussetzung für die Umsetzung der notwendigen Änderungen. Dies hat die Diskussion in den vergangenen Wochen ergeben.
Wir werden am 21. September auf der Grundlage einer breiten Mehrheit im Volk einen überzeugenden Vorschlag vorlegen. Bei der Wahl am 21. September wird es neben den vier Stimmzetteln für die Landtags– und Bezirkswahlen zwei Stimmzettel für die Volksentscheide geben. In einigen Gemeinden werden darüber hinaus Bürgermeisterwahlen und zusätzlich einige Bürgerentscheide stattfinden. Im Extremfall werden bis zu acht Abstimmungsverfahren zu organisieren sein. Dazu bedarf es einer guten Vorbereitung.
Der Denkprozess, der zur Einführung des Konnexitätsprinzips und somit zu einem guten Ergebnis geführt hat, ist zu begrüßen. Die Kommunalpolitiker, die Verbände und die Basis haben dazu Zustimmung signalisiert. Mit der Einführung dieses Prinzips hat Bayern in Deutschland eine führende Stellung übernommen. Künftig werden alle Länder am Konnexitätsprinzip gemessen werden. Das Konsultationsverfahren wird von uns auf den Weg gebracht. Für die Beamtinnen und Beamten sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedarf es dazu noch einer gewissen Einübung. Ich bin der Auffassung, dass diese Regelung vernünftig ist.
Ich freue mich, dass diese Verfassungsänderung heute mit großer Mehrheit, vielleicht sogar einstimmig, verabschiedet wird und dem Volk am 21. September zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Ich bitte namens der Staatsregierung um Zustimmung.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon dargestellt worden, wie bedeutsam die einzelnen Änderungen und die Fortentwicklung der Bayerischen Verfassung sind. Lassen Sie mich aufgrund der generellen Diskussion über Verfassung und Föderalismus noch einige Bemerkungen machen. In einem großen deutschen Magazin, „Der Spiegel“, gibt es eine mehrteilige Serie „Die verstaubte Verfassung“. In der Ausgabe dieser Woche lesen Sie als eine der Leitthesen: Die alte Denkrichtung der Verfassung, also des Grundgesetzes, von den Ländern zum Bund, also von unten nach oben, muss umgedreht werden. – Ich glaube, wir alle sind aufgerufen, diesem Prozess entgegenzuwirken. Es ist bedeutsam, dass die Länder in ihren Verfassungen erkennbar bleiben und dass sie entsprechende neue Entwicklungen darin aufnehmen. Das ist dafür ein guter Beitrag.
In diesem Pamphlet „Die verstaubte Verfassung“ heißt es weiter, dass die Grundrechte im Grunde nur ein unbedeutsames Anhängsel der Verfassung seien. Aus meiner Sicht hätte der Aufbau der Demokratie in der Bundesrepublik ohne dass die Grundrechte nicht nur formal an der Spitze des Grundgesetzes stehen, sondern Ver
bindlichkeit gegenüber allen Staatsgewalten haben, nie so stattgefunden, wie wir ihn heute haben. Deshalb müssen wir weiter darum kämpfen, dass es so bleibt.
Als ganz konkreter Punkt gehört heute das Volksbegehren gegen das Menschenklonen dazu. Das ist schon verschiedentlich erwähnt worden.. Dieses Volksbegehren ist nicht nur überflüssig, sondern es ist auch schädlich. Es ist schädlich, weil es andere gegen den Artikel 100 Menschenwürde verstoßende Prozeduren und Verhaltensweisen nicht erwähnt. Damit kann man leicht zu einem Gegenschluss kommen. Es steht nämlich nichts davon darin, dass die Folter gegen die Menschenwürde verstößt und es steht nichts darin, dass die aktive Sterbehilfe gegen die Menschenwürde verstößt.
Hier hat die ÖDP einfach zu kurz gegriffen, abgesehen davon, dass sie auch die Menschenwürde mit dem Tod enden lässt. Es ist nach meiner Ansicht notwendig, dieses Grundrecht auch über den Tod hinaus fortzuschreiben und Wirkung entfalten zu lassen.
Die Bayerische Verfassung ist Gott sei Dank nicht so leicht zu ändern wie das Grundgesetz, wenn auch bei der Änderung des Grundgesetzes immer auch die Staatsregierungen über den Bundesrat zu solchen Änderungen beigetragen haben. Wir brauchen die Entscheidungen des Volkes, und alle neuen bisherigen Verfassungsänderungen Bayerns sind unmittelbar durch Volksbegehren angestoßen worden. Bei der jetzigen zehnten und elften Verfassungsänderung wird das wieder der Fall sein. Ich werde ähnlich wie einige weitere Kollegen dem nächsten Landtag nicht mehr angehören.
Aber Herr Leeb, vielleicht bringen wir dann für weitere Verfassungsänderungen eigene Volksbegehren ein, da manchmal die Mehrheit dieses Hohen Hauses etwas immobil ist und wir die Mehrheit von zwei Dritteln für solche Änderungen brauchen. Ich prophezeie jedenfalls, dass sich auch der nächste Landtag mit Volksbegehren zu beschäftigen haben wird. Vielleicht ist der dann so weise, einen solchen Mehrheitsbeschluss zu fassen.
Wir haben in den Verhandlungen versucht, Punkte wie die Unabhängigkeit der Justiz oder des Datenschutzes einzubringen. Das fordern inzwischen alle Datenschutzbeauftragten, auch der bayerische, da die rasante technische Entwicklung den Schutz des Bürgers auf diesem Gebiet in besonderer Weise fordert.
Es ist mein Wunsch, meine Damen und Herren, dass Sie das nächste Mal früher aktiv werden und sich nicht erst von den Bürgerinnen und Bürgern auf den richtigen Weg bringen lassen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Verzeihen Sie mir, wenn ich hier jetzt doch noch einmal das eine oder andere zu den Kinderrechten sage. Ich finde, dass das sehr wichtig ist.
Seit 1994 – dies rufe ich kurz in Erinnerung – haben wir uns dafür eingesetzt, insbesondere der ehemalige Kollege und jetzige Landrat Irlinger. Leider ist es uns damals nicht gelungen, die Kinderrechte in der Bayerischen Verfassung zu verankern. Umso mehr freuen wir uns und ich möchte mich bei allen herzlich dafür bedanken, dass es uns jetzt gelungen ist, das Kind als Person, auch was den Schutz des Kindes vor jeglicher Gewalt angeht, besonders in der Bayerischen Verfassung zu verankern. Wir verbinden damit die Überlegung, dass dieses Kind innerhalb unserer Gesellschaft auch das Gewicht bei allen Maßnahmen erhält, das ihm gebührt.
Deshalb geht unser Appell an Sie, das mit einer ZweiDrittel-Mehrheit auf den Weg zu bringen und mit allen Maßnahmen zu unterstützen, die dafür notwendig sind. Für die Gespräche, die im Vorlauf auf diese Gesetzesinitiative stattgefunden haben, möchte ich mich bei allen, auch bei den Kollegen von der CSU, herzlich bedanken, wie auch dafür, dass es diesmal gelungen ist, unserer Forderung und somit den berechtigten Belangen unserer Kinder entgegenzukommen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Abstimmung liegen der Gesetzentwurf auf Drucksache 14/12011 und die Beschlussempfehlung mit Bericht des federführenden Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen auf Drucksache14/12460 zugrunde. Ich weise darauf hin, dass zur Annahme eines Gesetzentwurfs, mit dem die Verfassung geändert werden soll, nach Artikel 75 Absatz 2 unserer Verfassung in Verbindung mit § 60 Satz 4 der Geschäftsordnung bei der Schlussabstimmung eine Zweidrittelmehrheit des Hohen Hauses erforderlich ist. Der federführenden Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen empfiehlt die unveränderte Annahme. Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen bitte ich anzuzeigen. – Das ist nicht der Fall. Stimmenthaltungen? – Auch keine. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen.
Da ein Antrag auf Dritte Lesung nicht gestellt wurde, treten wir gem. § 60 der Geschäftsordnung unmittelbar in die Schlussabstimmung ein. Die Schlussabstimmung ist gem. § 135 Absätze 1 und 2 der Geschäftsordnung in namentlicher Form durchzuführen. Für die Stimmabgabe sind die entsprechend gekennzeichneten Urnen bereitgestellt. Die Ja-Urnen befinden sich auf beiden Seiten des Plenarsaales im Bereich der Eingangstüren. Für die Nein-Stimmen und Enthaltungen sind die Urnen auf dem Stenografentisch aufgestellt.
Ich mache nochmals darauf aufmerksam, dass zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bayerischen Landtags bei der Zustimmung erforderlich sind.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Stimmabgabe ist abgeschlossen. Die Sitzung wird zur Ermittlung des Abstimmungsergebnisses kurz unterbrochen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung wird wieder aufgenommen. Ich darf Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen. Ich darf bekannt geben, dass sich an der Abstimmung 184 Abgeordnete beteiligt haben. Alle 184 Abgeordneten haben mit „Ja“ gestimmt. Es gab keine Nein-Stimmen und keine Stimmenthaltungen.
Ich stelle fest, dass die nach der Verfassung notwendige Stimmenzahl vorliegt. Damit ist das Gesetz durch den Bayerischen Landtag angenommen. Das Gesetz hat den Titel: „Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaats Bayern“. Im Herbst dieses Jahres werden die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zusammen mit der Landtagswahl hierüber endgültig entscheiden. Damit ist Tagesordnungspunkt 2 abgeschlossen.