Protokoll der Sitzung vom 09.07.2003

Zweitens. Die Position der EU-Kommission, auch des Rates in den Vorverhandlungen in vielen Notizen, war, dass es bei der Wahrnehmung der Freizügigkeitsrechte – anders als bei der Süderweiterung – keine Karenz- und Übergangszeit gibt. Das heißt, eigentlich hätte es, wenn es bei dieser Ursprungsposition aller Gremien der EU geblieben wäre, gelautet: ab 01. 04. 2004 kommt sofort, absolut und ohne Abstrich die Arbeitsnehmerfreizügigkeit. Was wir heute erreicht haben, nämlich dass wir mindestens fünf Jahre – mit Revision sieben Jahre – diese

Freizügigkeit nicht haben, also auf gut deutsch, dass unser bayerischer Arbeitsmarkt bis zu sieben Jahre in dem heutigen Rechtszustand verbleibt, ist allein unser Verdienst.

(Widerspruch bei der CSU)

Ich weiß, dass es viele Wirtschaftsliberale und einige Grünliberale gibt, die das für einen marktfernen und kontraproduktiven Vorgang hält.

(Dr. Runge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist Scheinheiligkeit pur!)

Herr Kollege Dr. Runge, ich gehöre nicht dazu. Und weil ich weiß, dass es in dieser Frage eine gelb-grüne Koalition gibt, muss das erwähnt sein; von wegen, GA bei Rot-Grün.

Diese beiden Faktoren – Freizügigkeit einerseits und EU-Regionalförderung 2000 andererseits – sind auf unserem Mist gewachsen. Das sind nachhaltige Maßnahmen für Ostbayern. Da lassen wir uns von niemanden die Butter vom Brot nehmen. Sie fordere ich nochmals auf, das Ihrige zu tun. Das können Sie mit der Kohle tun, um die Sie jeder beneidet, der heute in Deutschland Verantwortung trägt, alle anderen 15 Bundesländer und der Bund sowieso. Dass Herr Eichel nach jedem Strohhalm greift, und sei es nur ein 10-MillionenStrohhalm, ist dem armen Mann nun wirklich nicht zu verdenken. Stellen Sie sich doch einmal die Zinsen vor, die Eichel allein für die Schulden zahlen muss, die in den Jahren 1982 bis 1998 unter Kohl und Waigel entstanden sind.

(Anhaltender Widerspruch bei der CSU)

Ich habe das hier schon zwei- bis dreimal vorgetragen, nicht weil es Ihnen gefällt, sondern weil es wichtig ist. Die Bundesregierung hatte 1982 beim Regierungswechsel Schmidt – Kohl eine Staatsverschuldung in Höhe von ungefähr 310/320 Milliarden. Nach dem Regierungswechsel 1982 betrug die Erblast 310 Milliarden DM. Ich sage nicht, was schuldhaft ist, sondern stelle nur die Fakten fest. Diese Schulden hatten sich in den Jahren von 1949 bis 1982, also von Adenauer bis Schmidt, angehäuft.

(Unruhe bei der CSU)

Dann kamen 16 Jahre Kohl/Waigel, und als dann 1998 Waigel ging war die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland von 310 auf 1500 Milliarden DM angewachsen. 1200 Milliarden DM Schulden in 16 Jahren!

(Gartzke (SPD): Auf das Fünffache! – Unruhe)

Das sind traurige Fakten. Der arme Mann Eichel zahlt allein für die Schulden dieser 16 Jahre mehr Zinsen, als der gesamte Haushalt des Freistaates Bayern beträgt. Was das heißt, muss man sich einmal überlegen.

(Beifall bei der SPD)

Eichel zahlt für die in den 16 Kohl-Jahren entstandenen Schulden am Tag mehr Zinsen, als in Deutschland die ganze GA ausmacht.

(Hofmann (CSU): Auf was hätten wir verzichten sollen? – Weitere Zurufe von der CSU)

Herr Kollege Sackmann, ich mache Ihnen ein Angebot. Dass Sie mir nicht zustimmen, wundert mich nicht weiter. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn wir getrennt abstimmen.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Wir haben eine Vereinbarung!)

Herr Kollege Hoderlein, ich bitte Sie, die Debatte zu beenden, weil Ihre Redezeit schon vor einer Minute abgelaufen und die gesamte Redezeit der SPD verbraucht ist.

Ich wollte nur noch deutlich machen, warum Punkt 4 wichtig ist. Es geht um die Privatisierungserlöse. Wer für Ostbayern wirklich nachhaltig etwas tun will, muss bayerische Gelder in die Hand nehmen. Wir versuchen, die GA-Gelder zu halten – Sie versuchen, die bayerischen Gelder zu gewinnen.

(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CSU)

Jetzt hat Frau Kollegin Gote das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! So, wie Herr Sackmann gestern in seiner Pressemitteilung gebellt hat, müssen wir ihn schwer getroffen haben. Da haben wir einige wunde Punkte getroffen. Es scheint, Sie haben nicht richtig gelesen, was wir geschrieben haben, oder Sie haben es nicht verstanden. Ich erkläre Ihnen das gern nochmals bei einer Tasse Kaffee.

(Zuruf des Abgeordneten Sackmann (CSU))

Natürlich will jeder mehr Geld oder zumindest das Geld, was er hat und bekommt, behalten. Insofern scheint es ein ganz gesunder und zutiefst menschlicher Reflex der Kollegen der CSU und der SPD zu sein, erst einmal die rote Karte zu zeigen, anstatt nach vorne zu schauen und zu überlegen, wie es anders beurteilt werden und weitergehen kann. Nichts anderes tun wir: Wir richten unseren Blick nach vorne. Wir laufen nicht nach Berlin und sagen, gebt uns weniger Geld, sondern wir machen unsere Vorschläge mit einer guten Portion Realitätssinn, und mit diesem Realitätssinn wollen wir über diese Gemeinschaftsaufgabe debattieren. Man muss die Relationen sehen, über die wir hier streiten. Schauen Sie sich doch einmal die GA im Zusammenhang an. Schauen Sie an, welche Fördertatbestände wir sowohl in Bezug auf die Art als auch auf den Umfang der Förderung für die Grenzregionen insgesamt haben, und was Sie hier im Land von landespolitischer Seite her alles machen können. Dann sieht das Ganze schon anders aus. Es geht um 10 Millionen e. Ein Vielfaches davon bekommen wir an EU-Förderung.

(Zuruf des Abgeordneten Sackmann (CSU))

Wir können jeden Euro, auch die vielen Euros brauchen, die Sie in den Sand gesetzt haben. Sie haben in den letzten Jahren Hunderte Millionen Euro verschleudert, ich denke unter anderem an die Maxhütte in der Oberpfalz, aber auch an den LWS-Skandal. Da haben Sie annähernd 1 Milliarde e in den Sand gesetzt. Dieses Geld hätten wir gut brauchen können. Da müssen wir uns nicht um 10 Millionen e streiten. Das sind die Relationen in Ihrem Antrag. Das ist an Kleinkrämerei nicht mehr zu überbieten.

(Sackmann (CSU): Hoffentlich sehen Sie es ein!)

Wenn Sie das Ganze addieren, kommen Sie bei 2,2 Milliarden DM auf eine Milliarde e.

Sie haben eben den Abbau von Subventionen gefordert. Hier in Bayern lehnt man sich weit aus dem Fenster und sagt man, wir sanieren den Staatshaushalt ohne neue Schulden. Das Gleiche erwarten wir auf Bundesebene. Aber wer torpediert das? Sie mit Ihrer Forderung. Und wenn es mit dem Subventionsabbau ernst wird und wenn es nur um die Summe von 10 Millionen geht, ziehen Sie den Schwanz ein, dann darf das nicht passieren. Immer dann, wenn es ernst wird, machen Sie einen Rückzieher und blockieren Sie. Immer dann, wenn deutlich wird, dass Ihre Politik in unserem Land versagt, rufen Sie nach dem Bund.

Wenn Sie mit Ihrer eigenen Verantwortung nicht zurechtkommen, wenn Sie Ihre Hausaufgaben nicht machen, dann rufen Sie nach dem Bund, dann soll es der Bund richten, sei es die Gemeinschaftsaufgabe, seien es die Übergangsfristen. All das haben wir jetzt lange genug erlebt.

Tatsache ist aber: Die CSU hat den Strukturwandel in der Grenzregion und insbesondere in Oberfranken, wo ein Strukturwandel in einer Größenordnung stattfindet, wie ihn das Ruhrgebiet durchleben musste, verschlafen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben die Privatisierungserlöse – das waren Milliarden Euro – nicht sinnvoll eingesetzt. Sie haben eine Gießkannen-Förderung gemacht, um allen Beliebigkeiten und allen Forderungen gerecht zu werden. Damit haben Sie gar nichts erreicht. Sie fördern heute noch falsch. Sie setzen die falschen Schwerpunkte. Genau dies wollen wir mit unserem Antrag deutlich machen. Sie haben mir eben vorgeworfen, der Antrag wäre nebulös. Das ist der einzig konkrete Antrag; denn dort werden konkrete Projekte genannt. Es wird konkret genannt, wo auch das Geld herkommen kann.

Die bayerische Förderpolitik ist ein einziges Chaos. Sie haben die Möglichkeiten der GA nicht ausgeschöpft. Sie haben über Jahre, auch in Jahren, in denen es mehr Geld gab, die Fördersätze, die für das Grenzland möglich gewesen wären, nicht ausgeschöpft. Wenn es wahr wäre, dass Ihnen die Grenzregionen so am Herzen liegen, dann hätten Sie schon vor Jahren, vor Jahrzehnten

anfangen können, dort mit Hilfe der GA mit den höchsten Fördersätzen, die möglich gewesen wären, zu fördern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sack- mann (CSU): Schauen Sie sich doch den Landkreis Cham an!)

Das tun Sie nicht. Sie haben die Fördersätze erst vor knapp zwei Jahren um zwei Punkte erhöht. Dies ist blamabel. Sich hier herzustellen und zu sagen, es wäre anders, ist einfach gelogen.

(Sackmann (CSU): Sie haben keine Ahnung von der Region! Das ist meine Heimat!)

Dann widerlegen Sie das.

Ein Hauptproblem der bayerischen Struktur- und Wirtschaftsförderungspolitik ist ihre Unübersichtlichkeit. Da wird Broschüre um Broschüre publiziert, da machen Sie Riesen-Internetauftritte. Dies kann man alles lesen, aber schlauer ist man anschließend nicht, weil es sich um Verschleierung handelt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viele, viele schöne Worte, aber wenn Sie in die Region hinausgehen und fragen: Wissen Sie, wo Sie Förderung erhalten, dann weiß dies kein Mensch genau, weil Sie zig Töpfe haben und die Mittel immer wieder vom einen in den anderen Topf umverteilen. Keiner weiß ganz genau, wie viel da ist und woher das Geld eigentlich kommt. Das haben wir oft genug erlebt.

(Dr. Bernhard (CSU): Sie wissen es nicht, aber die anderen schon!)

Gehen Sie einmal hinaus und fragen Sie. Immer wieder verkaufen Sie uns alte Hüte für neue. Jetzt ziehen Sie seit eineinhalb Jahren mit dem Ertüchtigungsprogramm über Land, finanziert aus Privatisierungserlösen. Herr Sackmann, wenn Sie sich so sicher sind, dass ganz konkret geholfen wird, dann frage ich Sie heute und bitte Sie heute um Erklärung: Wo ist Geld abgerufen worden? In welche Projekte ist es geflossen? Wie viele Arbeitsplätze haben Sie damit konkret geschaffen? Wie viele Lehrstellen wurden geschaffen? Ich frage Sie: Warum geht es den Grenzregionen immer schlechter?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sack- mann (CSU): Haben Sie nicht zugehört?)

Wenn Sie angeblich ein Vielfaches dessen, was die GA ausmacht, in die Region hineinpumpen, frage ich Sie: Wieso geht es dann der Region immer schlechter? Erklären Sie mir das. Wieso geht die Schere immer weiter auf?

Besonders ärgert mich, dass Sie sich dieses Ertüchtigungsprogramm ans Revers heften

(Sackmann (CSU): Weil wir immer noch auf den Bund warten!)

und auch noch mit EU-Förderung verwurschteln. Beispielsweise wird der Zinsbonus aus EU-Mitteln finanziert. Das sind keine bayerischen Mittel.

Auch der Flughafen Hof ist enthalten. Allein für den Ausbau des Flughafens Hof/Plauen haben Sie Förderzusagen in Höhe von 31,8 Millionen e gemacht. Ein Teil davon, nämlich 10 Millionen e, kommen aus dem Ertüchtigungsprogramm. Allein damit könnten Sie die GA schon drei Jahre finanzieren.