Protokoll der Sitzung vom 02.02.2000

Zum integrationspolitischen Diskurs in Bayern gehört auch, dass die CSU endlich anerkennt, dass wir ein Einwanderungsland sind. Ihr ständiges Geschrei, der Zuzug müsse begrenzt werden, weil weiterer Zuzug die Bevölkerung überfordere – –

(Hofmann (CSU): Das sagt doch der Schily!)

Leider sagt das auch Schily, aber deswegen wird das nicht richtiger.

(Frau Kellner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was der Schily sagt, ist keine Bibel! – Zurufe von der CSU)

Sie sagen, ein weiterer Zuzug überfordere die Menschen. Ich sage: Das ist nichts anderes als Angst- und Panikmache.

(Hofmann (CSU): Das entbehrt jeglicher Grundlage!)

Herr Kollege Hofmann, schauen Sie in Ihrem Bericht nach: Seit 1996 gibt es einen kontinuierlichen Rückgang der nichtdeutschen Wohnbevölkerung. Das negieren Sie die ganze Zeit.

(Hofmann (CSU): Das ist doch in Ordnung!)

Einwanderung hat seit Bestehen der Bundesrepublik stattgefunden; auch das kann man in Ihrem Bericht nachlesen. 1955 wurden die ersten Arbeitnehmer aus Italien angeworben. Dann gab es Anwerbevereinbarungen mit Griechenland, Spanien, der Türkei, mit Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. All diese Vereinbarungen haben dazu geführt, dass Einwanderungen in dieses Land stattgefunden haben und stattfinden.

Nun wollte ich Kollegen Dr. Merkl ein bisschen loben.

(Heiterkeit – Maget (SPD): Aber nur ein bisschen!)

Kollege Merkl hat sich nämlich schon relativ früh – wenn ich mich recht erinnere, schon 1991 – in einem schriftlichen Beitrag ernsthaft die Frage gestellt: Deutschland, ein Einwanderungsland? Herr Kollege Dr. Merkl, ich habe das sogar mitgebracht. In der Einleitung schreiben Sie:

Deutschland war, bedingt durch die geographische Lage, mit Beginn der Neuzeit immer mit dem Problem von Flüchtlingen, Übersiedlern und ganz allgemein von Migranten konfrontiert. Das war zum Teil von Vorteil, weil bis in die jüngere Zeit das Wissen und das technische Know-how von Menschen verbreitet wurde, die dieses in der Fremde zur Verfügung gestellt haben.

Herr Kollege Dr. Merkl, der Denkansatz, dass Migrantinnen und Migranten nicht nur Träger von Defiziten sind – so diskutieren wir das heute –, sondern dass sie unserer Gesellschaft etwas zu geben haben, unsere Gesellschaft bereichern, ist zukunftsweisend.

(Abgeordneter Dr. Merkl meldet sich zu einer Zwi- schenfrage)

Herr Dr. Merkl, ich habe nur 15 Minuten Redezeit.

(Dr. Merkl (CSU): Dann mache ich das als Zwischenruf! Das war mit einem Fragezeichen versehen, und das...!)

Ich sage doch: Aus der Geschichte lernen heißt auch, dass man heute sehen kann, was diese Migrantinnen und Migranten der Gesellschaft zu geben haben, und sie nicht nur unter dem Aspekt von Defiziten diskutiert.

Im Bericht der Staatsregierung wird krampfhaft und, wie ich meine, wissenschaftlich, fachlich und politisch unse

riös versucht, das Gespenst von der Überfremdung an die Wand zu malen, und die Forderung nach einer Begrenzung des Zuzugs wird damit unterstrichen. Festmachen möchte ich dieses Argument mit den veröffentlichten Prognosezahlen. Nachdem Sie von der CSU den Leuten Angst machen wollen, errechnen Sie die Zahlen für das Jahr 2010 ohne Berücksichtigung der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Dabei kommt dann heraus, dass jetzt 1,1 Millionen Nichtdeutsche in Bayern leben, und im Jahr 2010 werden es nach Ihrem Bericht 1,3 Millionen sein.

Das Signal, das von diesem Bericht an die Stimmtische ausgehen soll, ist klar: Es kommen immer mehr Ausländer zu uns. Wissenschaftlich wird dies dann belegt durch die schlauen Rechenkünste der Bayerischen Staatsregierung. Dabei kann sich jeder ausrechnen, dass die Zahl der Nichtdeutschen nicht zunehmen, sondern eindeutig abnehmen wird, da von den 1,1 Millionen in Bayern lebenden Nichtdeutschen 642000 – diese Zahl entnehme ich einer Pressemitteilung des Herrn Beckstein – einen Anspruch auf Einbürgerung haben und 90% der Ausländerkinder in Bayern geboren werden. Die Zahl wird sich also wahrscheinlich halbieren.

Diese Zahlenspielereien machen aber deutlich, worum es Ihnen geht. Sie wollen auf dem Rücken der Migrantinnen und Migranten Ihr politisches Süppchen kochen. Das ist keine gute Voraussetzung für eine gelungene Integrationsdebatte. Angst und Panikmache vergiften das gesellschaftliche Klima und verhindern die Integration.

Nun zu Ihrem Begriff der Leitkultur. Bisher haben Sie immer davon gesprochen, dass wir eine Leitkultur hätten, der sich alle anderen unterordnen müssen. Leider gibt es ganz wenige Definitionen für eine solche ominöse Leitkultur. Mir fällt dazu nur ein Beispiel aus der letzten Legislaturperiode ein. Damals musste die Bayerische Bauordnung geändert werden, damit das Minarett in Bobingen nicht so hoch wird wie der katholische Kirchturm.

(Freiherr von Rotenhan (CSU): Wir sind doch nicht in Mekka!)

Dies dürfte wohl nicht der Sinn einer Leitkultur sein. Ich frage mich schon, was denn in Bayern die Leitkultur sein soll. Herr Kollege Glück, wir sprechen nicht alle Oberbayerisch, sondern wir sprechen auch Schwäbisch, Fränkisch und Niederbayerisch. Wir laufen nicht alle in Tracht, sondern wir tragen auch amerikanische Jeans und italienische Mode.

(Glück (CSU): Das ist aber eine ziemlich oberflächliche Betrachtung!)

Wir gehen zum Inder, zum Chinesen und zum Italiener zum Essen, und der Bayerische Rundfunk sendet zu 90% englischsprachige Unterhaltungsmusik. Was ist also in Bayern unter einer Leitkultur zu verstehen?

(Dr. Merkl (CSU): Das steht in unserem Dringlichkeitsantrag! Sie müssen es nur nachlesen!)

Für uns wird jedenfalls klar, dass die hier lebenden Migrantinnen und Migranten die deutsche Sprache erlernen und beherrschen sollen. Hierin treffen wir uns mit Ihnen. Deshalb muss die schulische und außerschulische Sprachförderung intensiviert werden.

Des Weiteren bringen wir mit unserem Antrag zum Ausdruck, dass die hier lebenden Migrantinnen und Migranten auch die Grundlagen unserer Verfassungs- und Rechtsordnung akzeptieren müssen. Die Klammer, die eine Gesellschaft zusammen hält, bilden in meinen Augen nicht irgendwelche Werte, Lebensformen oder Religionen, sondern die Verfassungs- und Rechtsordnung und die gegenseitige Toleranz.

Zum Schluss möchte ich daher dem Bild Ihrer Leitkultur ein anderes Bild entgegensetzen, dass Dr. Mayonga, ein Manager von BMW, bei unserer Fraktionsklausur gebrauchte. Er sagte: Wo zwei Kulturen zusammentreffen, entsteht eine neue Kultur. Um die Gestaltung dieser neuen Kultur geht es bei der Integration.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Nun hat Frau Staatsministerin Stamm das Wort zur Abgabe ihres Berichts zum Thema „Situation der Ausländer in Bayern“. Bitte, Frau Ministerin.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Von einer gelungenen Integration wird es abhängen, ob wir in Zukunft eine befriedete Gesellschaft haben, ob sich eine Reihe von Parallelgesellschaften entwickelt oder ob sich gar eine Konflikt belastete Gesellschaft bildet. Die Integration der rechtmäßig auf Dauer hier lebenden ausländischen Familien ist ein wichtiges Ziel der Bayerischen Staatsregierung. Wer glaubt, Ausländerintegration sei nur ein untergeordnetes Thema, irrt. Genauso irren all die, die meinen, mit der automatischen Zuerkennung der deutschen Staatsangehörigkeit würden Integrationsanstrengungen überflüssig. Ein Pass ersetzt nicht die Integration.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Erst recht irren alle diejenigen, die glauben, die Probleme verflüchtigten sich wieder im Laufe der Zeit durch Rückwanderungen. Wichtig ist es, uns dessen bewusst zu sein, dass fast jeder zehnte Bewohner Bayerns aus einer fremden Kultur stammt und dass es unsere gemeinsame Aufgabe sein muss, Konflikte zu verhindern, die durch das Zusammentreffen verschiedener Kulturkreise entstehen können.

Andererseits sollten wir auch das Positive erkennen. Durch die Begegnung verschiedener Kulturen kann eine Gesellschaft, aber auch jeder Einzelne gewinnen. Wichtig ist es, dass wir die Politik so gestalten, dass der langfristige Integrationsprozess vorankommt und dass Deutsche wie auch Ausländer diese Politik mittragen. Die Maßnahmen müssen bei Kindern und Jugendlichen ansetzen. Deshalb gilt es, vor allem in den Bereichen Sprache und Bildung Schwerpunkte zu setzen.

Die Staatsregierung steht zu Ihrem Ja zur Integration, und der nun vorliegende Bericht über die Ausländerintegration in Bayern zeigt, dass unser Bekenntnis keine Leerformel ist. Herr Kollege Hahnzog, ich bin Ihnen schon dankbar, dass Sie diesen Bericht wenigstens als Material zur Kenntnis nehmen, denn ursprünglich wollte die Opposition diesen Bericht von der Staatsregierung gar nicht. Sie haben ihn sogar abgelehnt.

(Dr. Hahnzog (SPD): Darin steht auch nichts Neues!)

Der Bericht geht auf einen Antrag der Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion zurück. Zu Beginn Ihrer Rede haben Sie aus der Sicht des Landtags zu Recht Kritik an der Vorstellung des Berichtes ausgeübt. Daher möchte ich Ihnen zu Beginn eines Jahres gerne Besserung im Umgang miteinander versprechen. Das Versprechen, mich zu bessern, würde mir aber leichter fallen, wenn wir gleichzeitig die Chance hätten, dass wir uns auch in der Sache über das, was von der Staatsregierung vorgelegt wird, auseinander setzen. Vielleicht aber wird der Bericht für Sie etwas mehr als nur Material, wenn Sie sich im Laufe der Zeit mit ihm anfreunden.

(Dr. Hahnzog (SPD): Ich habe ihn sehr genau gelesen!)

Ob Sie ihn so genau gelesen haben, weiß ich nicht. Dann nämlich hätten Sie nicht kritisieren können, dass wir das nicht berücksichtigt haben, was das Landeskomitee der Katholiken festgestellt hat. Das stimmt einfach nicht.

Sie brauchen das nur – ich glaube auf Seite 66 – nachzulesen.

Die Ausländerintegration ist keine Leerformel. Allerdings bewerten wir die Thematik differenziert. Deutschland ist kein Einwanderungsland. Angesichts einer frühestens für das Jahr 2010 prognostizierten nachhaltigen Entlastung auf dem Arbeitsmarkt, besteht hierfür auch keinerlei Bedarf. Natürlich sind uns die langfristigen Vorausschätzungen für die Entwicklung des ErwerbspersonenPotenzials in Deutschland bekannt. Wer aber aufgrund dieser Projektionen heute die Schleusen öffnen will und ausländische Beitragszahler gerne zu Rettern unseres Sozialsystems machen will, muss erst sagen, wo im nennenswerten Umfang die versicherungspflichtigen Arbeitsplätze für den großen Kreis der Ausländer sind, die wenig qualifiziert sind und auch nur schlecht Deutsch sprechen.

Nein, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben die nächsten Jahre keinen Bedarf an zuwandernden Arbeitskräften, die ihre Karriere bestenfalls als Hilfsarbeiter beginnen könnten. Deshalb müssen wir alle Möglichkeiten der Zuzugsbegrenzung ausschöpfen, um auf der anderen Seite die Integration der rechtmäßig und dauerhaft hier lebenden Ausländer voranbringen zu können. Dies kommt im Bericht klar zum Ausdruck, der eine umfassende und differenzierte Ausarbeitung über den Integrationsstand in Bayern darstellt. Ich kann nicht erkennen, dass ein anderes Land in Deutschland einen solchen Bericht mittlerweile überhaupt erarbeitet hat.

(Beifall bei der CSU)

In der Zusammenschau ist es bei objektiver Betrachtung beeindruckend, was bereits heute an Integrationsanstrengungen in Bayern erbracht wird. Hier, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wirken viele Kräfte zusammen: der Staat, die Kommunen, die Träger der Sozialversicherungen, die Kirchen und Wohlfahrtsverbände, Arbeitgeber und Gewerkschaften, die Bildungsträger und – nicht zu vergessen – viele ehrenamtlich Engagierte. Integration ist die Aufgabe aller gesellschaftlichen Kräfte.

(Dr. Hahnzog (SPD): Auch der CSU!)

Der Bericht zeigt trotz vorhandener Problemlagen, dass sich die Integrationspolitik in Bayern bewährt hat und sie deshalb keines grundlegenden Richtungswechsels bedarf. Ich möchte nur zwei Beispiele herausgreifen. Integration muss frühzeitig beginnen. Zweifellos wirkt sich deshalb der Kindergartenbesuch positiv auf die gesellschaftliche Eingliederung aus. Die Zahl der ausländischen Kinder in bayerischen Kindergärten hat sich innerhalb von zehn Jahren verdoppelt. 1989 zählten wir noch 16700 ausländische Kinder in Kindertagesstätten. Heute sind es 34200. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, das ist eine beachtliche Entwicklung und Ausdruck von mehr Integration.

Ein weiterer wichtiger Integrationsindikator ist der Arbeitsmarkt. Auch wenn die Ausländerarbeitslosigkeit immer noch inakzeptabel hoch ist, so lag deren Arbeitslosenquote 1999 im Jahresdurchschnitt in Bayern mit 13% im Vergleich zum Bundesdurchschnitt mit 19,2% dennoch weitaus günstiger: Nordrhein-Westfalen, meine sehr verehrten Damen und Herren, 21,8%, Niedersachsen 26,4%. Ich erinnere noch einmal: Bayern 13%.

Ein ermutigendes Zeichen für die erfolgreiche Integration ist, dass die Selbstständigenquote der Ausländer gestiegen ist, nämlich von 1990 bis 1998 um 40%. Damit hängt auch die relativ sehr niedrige Sozialhilfedichte in Bayern zusammen. Während 1998 bundesweit 91 Ausländerinnen und Ausländer je tausend Einwohner auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen waren, bezifferte sich dieser Personenkreis in Bayern auf etwas mehr als die Hälfte, nämlich 48 – in Nordrhein-Westfalen auf 97 und, verehrte Kolleginnen und Kollegen, in Niedersachsen sogar auf 160.