Protokoll der Sitzung vom 18.05.2000

Es ist eine bayerische Spezialität, die Altfallregelung so restriktiv wie in diesem Fall auszulegen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wie wurde das dann in Szene gesetzt? Man muss sich vorstellen: Eine Mutter wird von einem Polizeibus zur Wohnung gefahren, sitzt im Polizeibus, die beiden Kinder sollen dann einsteigen. Der Sohn steigt ein, die zehnjährige Tochter steigt nicht ein. Wir haben einen Videofilm, den sich jeder, der will, anschauen kann, aus dem klar ersichtlich wird, dass die Tochter keineswegs zurückgehalten oder von den Nachbarn daran gehindert worden ist, zur Mutter einzusteigen, sondern dass das Mädchen nicht wollte und mit dieser Situation überfordert war.

Es war, meine ich, ein grober Fehler, die Abschiebung von Mutter und Sohn durchzuführen, obwohl die Tochter, wie jedermann wusste, nicht mit zum Flughafen gekommen ist und nicht in das Flugzeug mit eingestiegen ist. Die Folge davon war, dass das Innenministerium in einer unnachahmlich zynischen Weise geschrieben hat, die

nun anstehende Familienzusammenführung könne und dürfe nur in Armenien stattfinden, alles andere sei rechtswidrig. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist an Zynismus nicht mehr zu überbieten,

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

insbesondere dann, wenn man weiß, dass über die Frage, ob diese Familie in den Genuss der Altfallregelung kommt, noch nicht rechtskräftig entschieden ist; wenn man weiß, dass es in dieser Frage erst Entscheidungen im Eilverfahren gibt und noch keineswegs geklärt ist, ob die Gerichte die in Bayern vorgenommene Auslegung der Altfallregelung tatsächlich akzeptieren oder ob sie sie als rechtswidrig betrachten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, weil das so ist, ist es keineswegs rechtswidrig, an unserem Petitum festzuhalten, der Mutter und dem Sohn die Wiedereinreise in die Bundesrepublik und mittlerweile natürlich auch der Tochter zu gestatten, die am 6. Mai quasi freiwillig außer Landes transportiert worden ist. Deswegen bleiben wir bei diesem Votum und bitten Sie ganz herzlich, sich die Sache noch einmal zu überlegen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man sich den Fall betrachtet, stellt sich die Frage: Warum muss es dazu kommen? Wieso kann sich dieser Freistaat Bayern in einer Frage, in einer Situation, in der es wirklich um menschliche Härten geht, nicht generös verhalten?

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wieso muss er das Gesetz, dessen Inhalt ich nicht bestreite, nicht bloß hundertprozentig, sondern hundertfünfzigprozentig erfüllen? Wieso ist man nicht in der Lage, den menschlichen Aspekten in der Tat Vorrang vor den anderen Aspekten einzuräumen? Dies wäre rechtlich zulässig, und keiner kann mir sagen, die Gesetze hätten uns daran gehindert, die Familie im Lande zu lassen. Das ist nicht wahr. Es waren die CSU und der Innenminister, die offensichtlich ein Exempel statuieren wollten. Dies tut insbesondere deshalb weh, weil es gerade die CSU und ihr Innenminister sind, die ansonsten nicht müde werden, immer wieder darauf hinzuweisen, welchen hohen Stellenwert die Familie und die Kinder in unserer Gesellschaft haben.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber immer dann, wenn es bei Ausländern darauf ankommt, vergessen Sie Ihre schönen Sonntagsreden und gebärden sich in einem Maße, das einem Rechtsstaat nicht angemessen ist. In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem Antrag, der Familie die Wiedereinreise zu gestatten.

Nächste Wortmeldung, Frau Kollegin Scharfenberg.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! „In Familien suchen und erfahren Menschen Liebe, Geborgenheit, Lebenssinn, gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Ehe und Familie stehen im Mittelpunkt unserer Politik.“ – Soweit aus dem Grundsatzprogramm der Christlich Sozialen Union aus dem Jahre 1993. Nichts als schöne Worte, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Angesichts des Umgangs der Staatsregierung und der CSU mit der armenischen Familien A. sind diese Aussagen an Zynismus nicht zu überbieten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Christliche Wertvorstellungen tragen Sie wie eine Monstranz vor sich her; wenn es aber an die praktische Politik geht, dann sind sie sehr schnell vergessen. Herr Minister Beckstein kennt hier keine Gnade.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Innenministerkonferenz hat im November 1999 Gott sei Dank endlich eine Altfallregelung beschlossen. Damit sollte ein Bleiberecht für Härtefälle, für Menschen, die sich seit langem bei uns befinden, die sich integriert haben, erwirkt werden können. Wir haben das als Bündnisgrüne natürlich sehr begrüßt.

Die bayerischen Ausführungsbestimmungen führen jetzt allerdings dazu, dass fast ausschließlich allein stehende bzw. kinderlose Paare die Altfallregelung in Anspruch nehmen können. Familien mit Kindern sind nicht nur das größte Armutsrisiko in Bayern; Kinder sind für Asylsuchende das größte Abschieberisiko.

(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Familie während der Abschiebung auch noch zu trennen, die allein erziehende Mutter samt Sohn abzuschieben, die neunjährige Tochter am Straßenrand völlig allein stehen zu lassen, eröffnet allerdings eine neue Dimension in der bayerischen Abschiebepraxis, meine Damen und Herren.

(Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

All das ist zurzeit im Raum S 514 anhand eines Videofilms nachzuvollziehen. Wir zeigen diesen Film. Schauen Sie sich diesen entlarvenden Film an, meine Damen und Herren. Das ist es, was ich meine: Abschiebung unter allen Umständen durchführen, koste es, was es wolle. Das ist das Ziel von Herrn Beckstein. Da gilt das anfangs zitierte Grundsatzprogramm der CSU nicht mehr. Das gilt nur für andere. Wie sagte doch Herr Beckstein von der CSU letztens? – Wir brauchen mehr Ausländer, die uns nützen, als die, die uns ausnützen. Die Tatsache, dass das Fernsehen den ganzen Ablauf der Abschiebung dokumentiert hat,

(Willi Müller (CSU): Ist das falsch?)

hat vielleicht Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, nicht die Augen geöffnet, der Bevölkerung von

Regensburg und Umgebung aber sehr wohl. Diese Abschiebung war weder mit der Menschenwürde vereinbar, noch weniger war ein Mindestmaß an Anstand zu erkennen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sogar der von der Polizei vor Ort angerufene Landrat, Herr Rupert Schmid, gab die Weisung: Die Familie wird nicht auseinander gerissen. Nur das Innenministerium verfügte: Abschiebevorgang wird nicht unterbrochen. Deshalb habe ich am 16. Februar 2000 eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt, weil ich der Ansicht bin, dass das Ausländergesetz bei Abschiebungen verfassungskonform auszulegen ist mit dem Recht auf Ehe und Familie. Leider erhielt ich bis heute keine Antwort. Wir meinen, dass man anständig anders mit Mitmenschen umgeht. Wir anerkennen schließlich Ihr eigenes CSU-Grundsatzprogramm im Gegensatz zu Ihnen und setzen es als Partei und als Menschen selbstverständlich um.

Eigentlich brauchen wir kein Grundsatzprogramm und keine Leitbildfigur zum Thema Familie. So etwas ist eine Selbstverständlichkeit für uns. Mit unseren ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern gehen wir anständig um. Wir würden keine Familie bei der Abschiebung auseinander reißen.

(Zurufe – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Nach dem Wortlaut des Beschlusses der Innenministerkonferenz und den Erlassen anderer Bundesländer wäre Frau A. und ihren Kindern eine Aufenthaltsbefugnis erteilt worden. Der aktuelle Bezug zur ergänzenden Sozialhilfe war nur deshalb erfolgt, weil Frau A. als Asylbewerberin keinen Anspruch auf Kindergeld hatte und weil sie nur in Teilzeit arbeiten durfte, obwohl sie gerne Vollzeit gearbeitet hätte. Die Arbeitgeberin hätte Frau A. gern mit einer höheren Wochenstundenzahl beschäftigt. Auch heute würde sie sie erklärtermaßen noch einstellen. Frau A. durfte aber nicht Vollzeit arbeiten.

Wenn das Arbeitsamt Frau A. anstatt nur 25 Stunden pro Woche eine Vollzeitstelle bewilligt hätte, so wie ihr Arbeitgeber es beantragt hatte, wäre sie nicht mit sozialhilfeabhängig gewesen. Das ist der Knackpunkt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Und das macht man ihr jetzt zum Vorwurf. Wenn Frau A. Kindergeld bekommen hätte, hätte sie keine ergänzende Sozialhilfe benötigt. Aber auf Kindergeld hatte sie wegen der Duldung keinen Anspruch. In Bayern werden solche Härten des Bezugs der Sozialhilfe nicht vermieden. Sie werden vielmehr geschaffen, meine ich,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

damit man die Frauen, die sich redlich und mit allen Mitteln bemühen, von der Sozialhilfe wegzukommen, immer noch als Sozialhilfeempfängerinnen abstempeln kann. Denn dann wird es mit der Ausweisung leichter.

Frau Kollegin, würden Sie bitte zum Ende kommen.

Welche tollen Chancen hätte ein Single, der arbeiten gehen könnte und nicht auf die Sozialhilfe angewiesen wäre, wie Frau A. mit ihren zwei Kindern. Es wäre der klassische Altfall gewesen. Ich fordere für das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Petition zu entsprechen und die abgeschobene Frau A. mit ihren zwei Kindern aus Armenien wieder einreisen zu lassen. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit besonders für uns als Christen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Jetzt hat Herr Kollege Fischer das Wort.

Herr Kollege Fischer, die Uhr müsste zurückgestellt werden; sie funktioniert aber nicht. Ich gebe Ihnen ein Zeichen.

Einen Moment noch, Herr Kollege Fischer. Ich habe vor lauter Uhr vergessen, etwas bekannt zu machen. Die SPD-Fraktion hat eine Namentliche Abstimmung zu dieser Petition beantragt. Ich sage das jetzt, damit wir dann entsprechend abstimmen können. Wir müssen nämlich die Viertelstunde abwarten. Deshalb wollte ich das jetzt noch schnell bekannt geben. – Bitte sehr, Herr Abgeordneter Fischer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Scharfenberg, der Sachverhalt ist von Ihnen nicht richtig wiedergegeben worden. Zur Abschiebung kam es nur deshalb, weil man sich nicht freiwillig zur Ausreise bereit erklärt hatte.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU)

Deshalb kam es zur Abschiebehaft und zur Abschiebung.

(Zurufe und Lachen bei der SPD und beim BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben das ausführlich im Ausschuss diskutiert.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, immer wenn es für die Opposition opportun ist, wenn sich Unterstützerkreise für eine ausländische Familie einsetzen, wird die Petition im Plenum hochgezogen.

(Dr. Hahnzog (SPD): Immer? – Anhaltende Zurufe von der SPD)