Protokoll der Sitzung vom 12.07.2000

Ich komme zurück zur Investitionsquote. Ich habe erwähnt, dass die Aussagen über die Kommunen so nicht stimmen. Ihr Bundesfinanzminister belastet die Kommunen erheblich mehr. Sie zitieren den Städtetag gerne, wenn es darum geht, den Freistaat Bayern vorzuführen. Jetzt gibt es einen Städtetag-Vorsitzenden, der die Bundesregierung vorführt. In der Tat entschuldet sich der Bund zu Lasten der Kommunen. Sie können das in dem Organ des Städtetags nachlesen.

(Zuruf von der SPD: Im „Bayernkurier“!)

Nein, nicht im „Bayernkurier“. Er schreibt genauso wahr und redlich, aber auf anderen Ebenen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb ist es für uns eine unverrückbare Forderung, dass wir an der Investitionsquote von 15% festhalten, damit wir in Zukunft Gestaltungsspielräume haben und den Wirtschaftsstandort Bayern an der Spitze halten können.

Ich glaube, dass wir im Einzelnen darüber diskutieren müssen, wie das Gesetz letztendlich aussehen wird. Eines ist sicher: Inhaltlich und im Vergleich zum Grundgesetz haben wir eine hervorragende Formulierung gefunden. Wir können mit diesem Inhalt zur Neuverschuldung sehr beruhigt in die Zukunft schauen. Wir werden uns mit der Gesetzesänderung selbst disziplinieren und selbst verpflichten. Es schadet Politikern nicht, sich Selbstdisziplin und Selbstverpflichtung aufzuerlegen, egal, wer an der Regierung ist. Wir werden uns bei den Beratungen noch sehr intensiv mit Ihnen auseinandersetzen, und wir werden auf alle Fälle eine gesetzliche Änderung vornehmen – zum Wohle des Freistaats Bayern und seiner zukünftigen Generationen.

(Beifall bei der CSU)

Das Wort hat Frau Kollegin Kellner.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Damit kein Spielraum für Interpretationen bleibt – der Finanzminister interpretiert gerne – stelle ich eingangs fest: Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN lehnt ein Leben auf Pump zu Lasten zukünftiger Generationen ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade deshalb, weil wir wollen, Herr Finanzminister, dass zukünftige Politikergenerationen gestalten können, sehen wir mit Unbehagen, dass seit der Regierungsübernahme durch Edmund Stoiber 8,3 Milliarden DM Staatsvermögen veräußert wurden

(Staatsminister Huber (Staatskanzlei): Und investiert wurde!)

und zusätzlich zu diesen Veräußerungen in die Nettoneuverschuldung gegangen wurde. Weil wir daran interessiert sind, dass zukünftige Generationen Gestaltungsmöglichkeiten haben sollen, unterstützen wir die Bundesregierung bei ihren Bemühungen, den Bundeshaushalt zu konsolidieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang ist die Vorlage Ihres Steuerreformmodells grob unverantwortlich, denn es geht weit über das hinaus, was sich Bund und Länder momentan leisten können. Sie wissen sehr genau, dass man nur das Geld ausgeben kann, das man in der Tasche hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN tritt für eine geordnete und solide Haushaltspolitik ein und für eine wirtschaftliche und sparsame Haushaltsführung, wie sie nach Artikel 7 der Bayerischen Haushaltsordnung zu erfolgen hat. Um dies umzusetzen, brauchen wir aber in der Tat keine Änderung der Bayerischen Haushaltsordnung. In der Bayerischen Verfassung und der Bayerischen Haushaltsordnung ist alles geregelt, was zu regeln ist. Ich muss mich sehr wundern, Herr Kollege Ach, dass die CSU-Fraktion, die sonst vor Lobgesang über die freiwillige Selbstverpflichtung nur so sprüht, zwar allem und jedem vertraut, aber sich selbst nicht, so dass sie einen Zusatz in die Bayerische Haushaltsordnung einfügen will.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht erinnern Sie sich noch, Kolleginnen und Kollegen, wie großspurig im Herbst 1998 – es ist eine „beträchtliche“ Zeit her – die Änderung der Bayerischen Verfassung angekündigt wurde.

Da war von einer haushaltspolitischen Zeitenwende die Rede; das waren Sie, Herr Faltlhauser. Dann hieß es: Stoiber will Sparmeister werden; Stoiber strebt Haushalt ohne Neuverschuldung ab 2009 an; Bayern prescht vor; schuldenfreier Etat als Verfassungsziel.

Die CSU-Fraktion selbst blieb skeptisch. Der eine oder andere hatte schon gewarnt, dass doch wieder ein Hintertürchen aufgemacht werden müsse. Die kommunalen Spitzenverbände befürchteten – nicht zu Unrecht, wie wir sehen – eine Entschuldungspolitik zulasten der Kommunen.

Nun, Kolleginnen und Kollegen, eineinhalb Jahre später, ist aus der Verfassungsänderung eine simple Änderung der Bayerischen Haushaltsordnung geworden. Unsere Behauptung, dass es Ihnen damals nur um einen Publicitygag ging, bewahrheitete sich.

Bei Ihrem ursprünglichen Ziel eines Haushalts ohne Neuverschuldung ab 2009 sind Sie mittlerweile von Bundesfinanzminister Eichel in den Schatten gestellt worden. Der will nämlich ab 2006 einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ach?

Frau Kollegin Kellner, sind denn alle anderen Bestrebungen in den Ländern und beim Bund auch Publicitygags, weil sie einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen wollen?

(Beifall bei der CSU)

Herr Kollege Ach, ich habe hier nicht dagegengesprochen, einen schuldenfreien Haushalt vorzulegen, sondern habe mich gegen die Überbürokratisierung ausgesprochen, mit der Sie hier Schlagworte in den Raum werfen, geradeso als ob die Verfassung und die Haushaltsordnung den Freistaat zwingen würden, in die Verschuldung zu gehen. Das ist nämlich genau nicht der Fall.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Tatsache ist: Der Bundesfinanzminister will tatsächlich zu einem Bundeshaushalt ohne Neuverschuldung kommen. Das bereitet ungeheure Mühen angesichts der Schuldenlast, die ihm von seinen Vorgängern, der CDU/ CSU/FDP-Regierung vererbt wurde.

(Widerspruch bei der CSU)

Ja, es ist so! Er möchte ab 2006 einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen. Das hat Sie natürlich nicht rasten und ruhen lassen. Sie haben gesagt: Gut, was der kann, müssen auch wir können. Auch Sie haben sich dann für 2006 etwas vorgenommen.

(Zuruf des Abgeordneten Grabner (CSU))

Nein, Kollege Grabner. Ich habe die ersten Pressemeldungen des Herrn Faltlhauser und des Ministerpräsidenten gestern noch einmal durchgelesen. Darin stand die Jahreszahl 2009.

(Grabner (CSU): In der Regierungserklärung!)

Ja, in der Regierungserklärung. Ist die bei Ihnen nichts wert? Ist die für Sie Makulatur? Das wäre ganz neu. Wenn Sie die Regierungserklärung Ihres Ministerpräsidenten als nicht aussagekräftig betrachten, dann ist das Ihre Sache. Ich dachte, dass der Ministerpräsident bei Ihnen das Sagen hat. Aber möglicherweise ändert sich das.

Kolleginnen und Kollegen, ich habe Ihnen gesagt: Bayern ist qua Verfassung keineswegs zum Schuldenmachen verpflichtet. Ganz im Gegenteil, in der Bayerischen Verfassung steht eindeutig – ich zitiere Artikel 82 Satz 1 –: „Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf beschafft werden.“

Jetzt frage ich Sie – Herr Huber, Sie waren hier auch einmal Finanzminister – –

(Huber (CSU): Ich war es gern!)

Ja, Sie waren sehr gern Finanzminister. Aber dann mussten Sie halt Ihren Stuhl räumen. Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefallen hat. Aber das ist wiederum Ihr Problem.

Weil gerade die Erfolge des Herrn Staatsministers Huber angesprochen wurden, frage ich Sie, Herr Huber: Was waren denn die außerordentlichen Bedarfe der Vergangenheit? Warum sind Sie denn bei in der Regel zunehmenden Steuereinnahmen in die Neuverschuldung gegangen? Warum haben Sie es trotz milliardenschwerer Einnahmen aus so genannten Privatisierungserlösen nicht geschafft, einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen?

Jetzt schauen wir uns einmal Ihre Innovation an. Herr Faltlhauser, Sie haben heute gesagt, was Sie uns da vorgelegt haben, sei eine finanzpolitische Innovation. Schauen wir uns einmal Ihr Schuldenabbaukonzept an. Es beginnt mit einer wirklich saftigen Erhöhung der Neuverschuldung im nächsten und im übernächsten Jahr. Im Jahr 2001 werden es 1,1 Milliarden DM sein. Falls Ihre Steuerreformvorschläge durchgehen würden, wovor uns ein gütiges Schicksal bewahren möge,

(Beifall der Abgeordneten Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

würden es sogar über 2,5 Milliarden DM sein.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Wilhelm (CSU))

Herr Dr. Wilhelm, man muss Zahlen nüchtern sehen. Sie beginnen Ihren „Abbau der Neuverschuldung“ mit einer Erhöhung der Neuverschuldung um 2,5 Milliarden DM im nächsten Jahr, falls Ihr Steuerreformmodell durchgehen würde. Im Jahr 2002 wären es immer noch 1,7 Milliarden DM, vorausgesetzt, Ihr Steuerreformmodell geht durch.

Fakt ist, Herr Dr. Wilhelm: Sie schaffen es trotz Verkaufs beträchtlichen Staatsvermögens – ich habe es angesprochen: 8,3 Milliarden DM – nicht, einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorzulegen. Wenn Sie alles verkauft haben, muten Sie einer kommenden Regierung und einem kommenden Parlament ab 2006 einen Haushalt ohne Neuverschuldung zu, obwohl die Politikergeneration dann nicht mehr die Möglichkeit hat, auf Staatsvermögen zuzugreifen, um die eine oder andere notwendige Investition zu tätigen. Das ist Politik nach dem Motto: Nach mir die Sintflut. Sie predigen Wasser, trinken aber selber Wein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das heißt noch nicht zwingend, dass diejenigen, die heute für dieses Gesetz stimmen, im Jahr 2006 hier noch sitzen werden, Herr Vorsitzender.

Die heute eingebrachte Änderung soll zum 1. Januar 2006 in Kraft treten. In dem Text heißt es, der Haushaltsplan solle regelmäßig ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichen werden. Das steht auch schon in der Verfassung. Aber dann folgt natürlich gleich auch die Ein

schränkung auf dem Fuß – lassen Sie sich auch das auf der Zunge zergehen –: soweit eine Kreditaufnahme notwendig ist, um den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen; oder – das ist das Entscheidende – aus einem anderen vergleichbar schwerwiegenden Grund dürfen Kredite eingestellt werden.

Kolleginnen und Kollegen, das ist kein Hintertürchen mehr, sondern ein Scheunentor, das sperrangelweit aufgeht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)