Protokoll der Sitzung vom 17.10.2000

(Zuruf des Abgeordneten Loscher-Frühwald (CSU))

Da kann ich Ihnen nur sagen: Sprechen Sie mit den Oberösterreichern, mit Initiativen. Dann werden Sie erfahren, dass Herr Umweltminister Trittin sehr wohl mit großem Einsatz tätig war.

(Hofmann (CSU): Schaumschlägerei! – Weitere Zurufe von der CSU – Gegenrufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der CSU, Sie wissen ganz genau, dass uns nicht immer griffige Instrumente zur Verfügung stehen. Das ist so. Das wissen Sie; das weiß ich. So haben wir gerade zur Inbetriebnahme des Kraftwerks in Temelin im Umweltausschuss einen gemeinsamen Antrag verfasst, der auf eine Formulierung von Herrn Kollegen Hofmann zurückgeht. Nehmen Sie sich das einmal zu Herzen.

(Zurufe von der CSU)

Fragen Sie doch einmal die tschechischen Initiativen. Gehen Sie einmal nach Oberösterreich oder sprechen Sie mit den Menschen dort. Dann werden Sie erkennen, wie sehr der Einsatz von Herrn Trittin dort geschätzt wird. – Lassen Sie mich aber jetzt zu e.on zurückkommen.

(Freiherr von Rotenhan (CSU): Ich denke, Sie boykotieren die!)

Hier in Bayern sollen Stromerzeugungskapazitäten in der Größenordnung stillgelegt werden, die dem Stromimport aus Tschechien entsprechen. Das muss man einmal sehen. Was wir derzeit von dort importieren, ist Strom aus maroden Kohlekraftwerken. Das Importvolumen wird möglicherweise massiv wachsen, sobald das Kraftwerk in Temelin am Netz ist. Das müssen wir so sehen. Um so wichtiger ist es, dass wir jetzt gemeinsam versuchen, in dem liberalisierten Energiemarkt wirkliche Umweltkriterien zu etablieren. Wir werden die Umweltverträglichkeit als ein solches Kriterium einführen müssen. Wir können nicht Wettbewerbsgesichtspunkte wie eine Monstranz vor uns her tragen. Vielmehr brauchen wir das Kriterium der Umweltverträglichkeit. Wir haben ja eine Zunahme der Stromimporte aus Tschechien zu verzeichnen. 1998 lag deren Volumen bei 3000, 1999 bei 6000 Gigawatt. Und jetzt haben wir den letztgenannten Wert bereits im ersten Halbjahr 2000 erreicht. So werden es in diesem Jahr mehr als 10000 Gigawatt sein, den Strom aus Temelin noch nicht berücksichtigt.

Angesichts dessen, dass uns dort Dumpingpreise geboten werden, dass die Bevölkerung das Doppelte zahlt und dass auch in Tschechien ein Arbeitsplatzabbau einsetzen wird, sobald das Werk Temelin am Netz ist, muss man feststellen: e.on und die übrigen importierenden Energiekonzerne handeln hier verantwortungslos. Sie müssen sich fragen, ob sie bei einem derartigen Geschäftsgebaren mitmachen wollen. Natürlich reicht es nicht aus, von diesem Pult aus an die Selbstverantwortung, an die moralische Verantwortung der Konzerne zu appellieren. Vielmehr muss hier mit vereinten Kräften eine Regelung auf europäischer Ebene gefunden werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insgesamt kann ich feststellen, dass es heute hier zum Offenbarungseid gekommen ist. Die Staatsregierung und die CSU-Fraktion haben dargelegt, dass sie in der Energiepolitik das Heft aus der Hand gegeben haben. Es ist ihnen auch nicht geglückt, andere Schuldige zu finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat jetzt Frau Staatssekretärin Stewens. Bitte schön, gnädige Frau.

Frau Kollegin Paulig, für mich ist es immer interessant zu beobachten, wie Sie in der Energiepolitik Ihre bundespolitische Verantwortung der letzten zwei Jahre völlig ausblenden und so tun, als sei überhaupt nichts passiert. Dies betrifft sowohl das Erneuerbare-Energien-Gesetz als auch die KWK-Förderung. Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass man dadurch neue Rahmenbedingungen geschaffen und dafür gesorgt hat, dass auch in Zukunft ganz andere Mengen an Strom als bisher auf den Markt gedrückt werden. Für mich ist interessant, dass Sie das, was Dr. Otto Wiesheu heute eindrucksvoll ausgeführt hat, schlicht und einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Es ist schon interessant, wie man in dem Zusammenhang ausblenden kann.

Nun zu meinen Anmerkungen. Frau Paulig, Sie haben ganz nett gesagt, der bayerische Umweltminister und ich, wir würden immer zu Einweihungen von Windkrafträdern, Biomasseanlagen und Ähnlichem laufen. In der Tat, das tun wir. Denn wir bekennen uns in Bayern zu einem ausgewogenem Energiemix. Das ist bayerische Politik. Dazu gehören regenerative Energieträger. Dazu gehört auch die Kernkraft. Das ist gar keine Frage.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und der Atommüll?)

Das ist auch der Grund dafür, dass wir in Bayern, verglichen mit den anderen Bundesländern, am stärksten auf regenerative Energieträger zurückgreifen.

(Beifall bei Abgeordneten der CSU – Lebhafte Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Frau Paulig, darüber brauchen wir gar nicht zu sprechen:

(Fortgesetzte Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Natürlich nutzen wir in Bayern die Wasserkraft. Doch fördern wir auch den Einsatz anderer Energieträger. Allein über die „Offensive Zukunft Bayern I“ und die „Offensive Zukunft Bayern II“ haben wir 75 bzw. 50 Millionen DM zur Förderung der Nutzung von Biomasse ausgegeben, und das zusätzlich zu den hohen Ansätzen, die der Haushalt hierfür vorsieht. Frau Paulig, Sie wissen das ganz genau.

So weit meine Anmerkungen zu Ihrer Rede, Frau Paulig. Lassen Sie mich nun zu dem kommen, weswegen ich mich eigentlich gemeldet hatte. Ich möchte etwas zum CO2-Ausstoß sagen. In Bayern liegt der CO2-Ausstoß, berechnet pro Kopf der Bevölkerung, um 30% unter dem Bundesdurchschnitt.

(Zuruf der Frau Abgeordneten Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der CO2-Ausstoß hierzulande soll weiter sinken.

(Frau Paulig (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber im Moment steigen die CO2-Emissionen in Bayern nur, und zwar bezogen auf die absolute Menge der CO2-Emissionen!)

So haben wir heute im Ministerrat ein bayerisches Klimaschutzprogramm beschlossen. Dieses sieht eine Minderung des CO2-Ausstosses um 12% bis zum Jahr 2010 vor. Derzeit liegt er bei 7,2 Tonnen pro Jahr; bis zum Jahr 2010 soll ein Wert von 6,4 Tonnen erreicht werden. Dann werden wir weit unter dem liegen, was der Bund plant. Denn bei einer Senkung des CO2-Ausstosses um 25% bis zum Jahr 2010 wären es bundesweit immer noch 9,2 Tonnen CO2 jährlich pro Kopf der Bevölkerung. Frau Paulig, diese Zahlen sollten Sie sich vergegenwärtigen, bevor Sie die von der Bundesregierung vorgelegten Zahlen und deren Klimaschutzkonzept, das wohl erst morgen präsentiert werden wird, derart loben, wie Sie es getan haben. Der Bund wird auch in zehn Jahren nicht das erreichen, was hier in Bayern jetzt schon Realität ist – ganz zu schweigen von den Zielen die wir in zehn Jahren erreicht haben werden.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich trägt unsere Versorgung mit Kernenergie dazu bei. Das ist keine Frage.

(Frau Gote (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wohin tun wir den Müll?)

Wir bekennen uns sowohl zum Einsatz regenerativer Energieträger als auch zur Nutzung der Kernenergie. Allein das Zurückgreifen auf Kernenergie erspart uns bundesweit 160 Millionen Tonnen CO2 im Jahr, bayernweit 45 Millionen Tonnen. Wir haben bis heute von der Bundesregierung keine Antwort auf unsere Frage erhalten, wie sie angesichts des von ihr geplanten Ausstiegs aus der Nutzung von Kernenergie die Zusagen auch nur annäherungsweise einhalten will, die sie im Zusammenhang mit dem Kyoto-Protokoll gegeben hat. Hier fehlt ein schlüssiges Konzept.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun möchte ich noch zum Kraftwerk in Temelin eine kurze Anmerkung machen. Nur eines dazu, Frau Kollegin Paulig, liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN: Die westlichen Sicherheitsanforderungen sind laut GRS – das ist die Gesellschaft für Reaktorsicherheit des Bundes – bei den untersuchten Fragestellungen weitgehend eingehalten worden. Es gibt jetzt noch einen offenen Punkt, der sicherheitstechnische

Bedeutung hat. Hier geht es um Vorsorgemaßnahmen zum Schutz der Dampf- und Speisewasserleitungen. Wie dieser gewährleistet werden soll, ist nicht ausreichend geklärt. Das haben wir immer wieder kritisiert. Dr. Werner Schnappauf hat dies kritisiert. Auch der Bayerische Ministerpräsident hat dies kritisiert, und zwar in einem Brief an den tschechischen Ministerpräsidenten. Er hat ausdrücklich darum gebeten, diesen letzten Sicherheitsanforderungen Rechnung zu tragen – im Interesse der Sicherheit der Bürger, im Sinne der berechtigten Sorgen und Nöte der Bürger im Grenzraum zu Bayern wie in dem zu Österreich.

Jetzt ist wirklich der Bundesumweltminister gefordert, erneut bei der tschechischen Seite vorstellig zu werden. Ich halte das für sehr wichtig, um eine Abklärung herbeizuführen. Dieses Anliegen hat Werner Schnappauf nochmals in seinem Brief vom 10.10.2000 an Herrn Trittin vorgetragen. Ich möchte sagen, das muss wirklich erfüllt werden. Hier werfen wir dem Bundesumweltminister Untätigkeit – ob bewusste oder unbewusste Untätigkeit, das lasse ich offen – vor.

(Beifall bei der CSU)

Die Redezeit der Fraktionen verlängert sich um weitere sieben Minuten. Das Wort hat nun Herr Kollege Müller.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als oberfränkischer Abgeordneter möchte ich ein Wort zu Frau Kollegin Biedefeld und Herrn Kollegen Schläger sagen. Frau Kollegin Biedefeld, es hat mich erstaunt, mit welcher Unverfrorenheit Sie hier Unwahrheiten in den Raum stellen.

(Frau Biedefeld (SPD): Welche Unwahrheiten?)

Ich werde es Ihnen gleich sagen. Sie haben behauptet, die Staatsregierung hätte die Entscheidung von e.on abgesegnet. Genau das ist falsch.

(Frau Biedefeld (SPD): Das ist nicht falsch!)

Die Staatsregierung und heute Erwin Huber haben deutlich gemacht, dass sie mit der Entscheidung von e.on nicht einverstanden sind.

(Frau Biedefeld (SPD): Sie haben Ihre Möglichkeiten bei der Vertragsvereinbarung nicht wahrgenommen!)

Frau Kollegin, ich habe das Gefühl, seit Sie Generalsekretärin der SPD sind, haben Sie vielleicht nicht mehr die notwendige Zeit, die oberfränkischen Zeitungen zu lesen, sonst hätten Sie das nicht gesagt. Ich will Ihnen noch eines sagen: Gehen Sie einmal nach Arzberg zu den Betriebsräten und lassen Sie sich erzählen, was dort los ist. Der Betriebsratsvorsitzende hat uns erklärt, er bemüht sich seit vier Wochen um einen Termin im Bundesumweltministerium und um einen Termin im Bundeswirtschaftsministerium. Er bekommt keinen.

(Schläger (SPD): Das stimmt nicht; nur im Umweltministerium, nicht im Wirtschaftsministerium!)

Er hat auch im Wirtschaftsministerium noch keinen Termin. Frau Kollegin, ich fordere Sie auf: Sorgen Sie dafür, dass der Betriebsratsvorsitzende von Arzberg dort einen Termin bekommt. Das wäre besser, als falsche Behauptungen aufzustellen.

(Frau Biedefeld (SPD): Sie haben falsche Versprechungen abgegeben und den Menschen Hoffnungen gemacht!)

Ich will eine zweite Bemerkung zum Kollegen Schläger machen. Er hat gesagt, mit Besitz könnten wir mehr gestalten. Ich halte das für eine falsche These. Erwin Huber hat das deutlich gemacht. Hätte die Fusion, die wohl von allen mitgetragen worden ist, nicht stattgefunden, wäre möglicherweise das Bayernwerk ein Übernahmekandidat geworden und wir hätten manche Dinge wie zum Beispiel die Netzgesellschaft in Bayreuth nicht durchsetzen können.

Ich habe das Gefühl, die Energiepolitik des Bundes wird letzten Endes dazu führen, dass Bayern mittel- und langfristig ein Land ohne eigene Energieerzeugung wird. Die Situation zeigt sich schon jetzt: Kohlekraftwerke werden abgebaut, die Kernkraftwerke wollen Sie abbauen, neue Kohlekraftwerke werden nur an der Küste gebaut. Dann gibt es außer der regenerativen Energie keine Energieerzeugung in Bayern mehr.

Frau Kollegin Paulig – schade, dass sie nicht hier ist –, ich halte viel von regenerativer Energie, aber wenn wir sie für 99 Pfennig, 17 Pfennig, 12 Pfennig oder 9 Pfennig anbieten müssen, dann möchte ich wissen, wie unsere Wirtschaft konkurrenzfähig sein soll.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage auch Folgendes: Ich halte das Verhalten von e.on für nicht korrekt. Die Schließungen haben insbesondere Bayern intensiv betroffen. Das ist hier gesagt worden. Wir werden in Bayern über 700 Arbeitsplätze verlieren. In Niedersachsen fallen 500 Arbeitsplätze weg, in NordrheinWestfalen 200 und in Hessen 100. Wir sind also überproportional betroffen, und zwar an Standorten, die strukturelle Probleme haben. Ich brauche nur an Pleinting zu denken, ich brauche nur an Schwandorf zu denken, ich brauche nur an den Nürnberger Raum zu denken, aber vor allen Dingen denke ich an Arzberg. Dazu möchte ich als zuständiger Abgeordneter noch ein paar Bemerkungen machen.

Um die strukturelle Problematik dieser Region darzustellen, will ich zwei Zahlen nennen: Noch vor 20 Jahren gab es in Arzberg 2800 Arbeitsplätze in der keramischen Industrie. Heute sind es 270. Die Entwicklung in Arzberg ist eine Entwicklung, die in der ganzen Region stattfindet. Wir stehen in einem strukturellen Umbruch, und deshalb ist es unverantwortlich, ausgerechnet dort, wo die strukturelle Not am größten ist, die Stilllegung vorzunehmen.