Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich möchte mit einem Zitat beginnen, und zwar mit einem Zitat des früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors. Er sagte:
Ich frage mich nach wie vor, warum Europa sich mit Stränden und Badegewässern befassen will. Und dies geschieht im Namen des Europas der Bürger. Ich halte an dem Subsidiaritätsprinzip fest, das über das Problem der Kompetenzverteilung hinausgeht. Es ist nicht ein einfaches Prinzip der administrativen Technik oder Politik, es ist der Ausdruck einer bestimmten Vorstellung vom Menschen, seiner Freiheit, der Verantwortung der Basisgruppen. Die Gesellschaft würde besser funktionieren, wenn die Bürger das Gefühl hätten, die Angelegenheiten vor Ort, die Angelegenheiten, die ihnen nahe stehen, besser im Griff zu haben, konkrete Freiheiten zu haben.
Das, meine Damen und Herren, ist genau auch unsere Vorstellung von Europa. Wir meinen, dass auch für die europäische Politik wieder mehr Bürgernähe hergestellt werden muss, und das bedeutet, Aufgaben nicht von unten nach oben zu verlagern, sondern es muss ganz genau umgekehrt laufen. Raumordnung zum Beispiel, der Regionalverkehr, Bildung, Schulen, Kindergärten, das sind alles keine Bereiche, in denen die EU Kompetenzen hätte. Diese aber möchte sie sich aneignen, unter anderem unter dem Stichwort Daseinsvorsorge.
Wir wollen mehr Bürgernähe, wir wollen der – ich sage es in Anführungszeichen – „Politikverdrossenheit“ entgegenwirken. Die Bürger sind heute besser informiert. Sie wollen mitreden, sie wollen mitentscheiden und sie wol
len auch jemanden haben, den sie verantwortlich machen können, wenn es Fehlentwicklungen gibt. Das können sie aber nicht gegenüber einem EU-Kommissar oder gegenüber einer Direktion. Sie wollen ihren direkten Ansprechpartner haben.
Deswegen muss sich auch die EU auf die Aufgaben konzentrieren, für die wir ja einmal diese EU gegründet haben, nämlich die Aufgaben, die länderübergreifend, regionenübergreifend sind, aber nicht auf die kleinen Dinge, auf Schutzwesten vor Ort und was weiß ich alles.
Meine Damen und Herren, wir stehen vor der Osterweiterung. Was müssen denn die Beitrittskandidaten aus den mittel- und osteuropäischen Ländern denken, die gerade ihre straffen Zentralgewalten abgelegt haben, wenn jetzt die EU herkommt und überall mitsprechen will, Kontrolle verlangt. Sie beansprucht das Recht, Qualität und Wettbewerbsfähigkeit überprüfen zu können, und sie will dort natürlich auch Vorgaben machen. Wir setzen Gemeinwohl vor Wettbewerbsfähigkeit, muss ich Ihnen sagen; denn wir sind Abgeordnete dieses Landes, von unseren Bürgern gewählt, und wir müssen dafür sorgen, dass Politik so gemacht wird, dass die Bürger sie verstehen und damit umgehen können.
Ich meine, meine Damen und Herren, wir müssen endlich, wie es auch Baden-Württemberg will, dafür sorgen, dass es Möglichkeiten gibt, bei Subsidiaritätsverletzungen die Subsidiarität einklagen zu können, sodass möglicherweise etwas rückgängig gemacht wird, nicht nur verbal, sondern mit einem Klagerecht. Ob das nun durch Stärkung der AdR passiert oder ob andere Einrichtungen dafür geschaffen werden, das ist nicht primär. Aber es muss die Möglichkeit geben, solche Subsidiaritätsverletzungen ahnden zu können. Ich bin ganz sicher, dass wir in ganz Europa in den Regionen dafür Mitstreiter finden können.
Ich meine, Herr Dr. Köhler, Sie haben ein Trauma. Sie haben es immer noch nicht überwunden, dass Sie nicht nur in der EU, sondern auch im Europäischen Parlament keine Rolle mehr spielen.
Sie vertreten hier in Bayern immer wieder die Interessen der Europäischen Union, das heißt die Interessen der Verwaltung.
Ich betone noch einmal: Wir sagen Ja zur Europäischen Union, wenn sie die Aufgaben wahrnimmt, die sie wirk
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es vergeht kaum ein Tag, an dem seitens der CSU – ich sehe Herrn Glück an – nicht die große Wertedebatte geführt wird. Was haben wir heute? Wir diskutieren über Werte in einer ganz konkreten Form, wie sie einer Verfassung mit Grundrechtecharakter zu eigen ist. Was hören wir dazu von der CSU? Da kommen die Kleingeister und die Kleinkrämerin, um nur mies zu machen.
Dabei hätten Sie jetzt Gelegenheit zu beweisen, wie ernst es Ihnen mit der Toleranz ist, mit den Rechten des Einzelnen und der Familie. In dem Entwurf sind Formulierungen enthalten, die nicht neu erfunden wurden. Ein bisschen bayerischen Stolz sollte auch die CSU haben. Gerade bei den sozialen Grundrechten war die Bayerische Verfassung mit prägend, eine Wurzel für das, was im Entwurf enthalten ist.
Frau Schweder, Sie kennen wahrscheinlich nicht den Artikel 166 Absatz 2 der Bayerischen Verfassung, in dem es heißt: „Jedermann hat das Recht, sich durch Arbeit eine auskömmliche Existenz zu schaffen.“ Das war mit die Grundlage für die entsprechenden Formulierungen in der europäischen Grundrechte-Charta. Darauf sollten wir stolz sein und das nicht klein reden.
Das erscheint mir ganz wichtig, gerade wenn man in der bayerischen Bevölkerung den Gedanken Europas verankern will. Dann ist der Bogen gespannt, und das kann nur positive Ergebnisse haben.
Frau Schweder, Sie haben das Hohelied gesungen, wie die CSU die Bürgerinnen und Bürger beteiligen will. Ich erinnere mich an diverse Diskussionen darüber im Landtag. Wie ist es denn um eine Verbesserung der Möglichkeiten bestellt, in Umweltfragen notfalls von Engagierten auch vor Gericht zu gehen? Das haben Sie immerzu abgelehnt. Wie ist es mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden? Sie haben das eingeschränkt. Das ist Ihre tatsächliche Haltung.
Was ich neben den sozialen Grundrechten als Schritt in eine neue Dimension von Verfassung ansehe, das sind die so genannten modernen Grundrechte. Man sollte
sich genau ansehen, was in diesen Verfassungsvorschlägen für die europäische Ebene etwa über die Achtung der Privatheit geschrieben ist, über Medizin und Biotechnik sowie deren Gefahren, die es auch mit Hilfe von Grundrechten des Einzelnen abzuwehren gilt. So heißt es zum Beispiel in Artikel 22: „Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen“. Außerdem werden die Rechte der Kinder in dieser Grundrechte-Charta verankert, worüber wir hier auch schon gesprochen haben, auch sind- wenn ich mich hier umschaue und auch mich selber betrachte – die Rechte der Senioren dort angesprochen.
Gell, Herr Glück, darüber müssen wir einmal reden. Das sind Entwicklungen, die danach rufen, dass man, nachdem sich die Charta viele Beispiele an der Bayerischen Verfassung genommen hat, diesen Diskussionsstand der EU-Charta wiederum auf eine Fortentwicklung der Bayerischen Verfassung überträgt. Alles, was ich genannt habe, haben Kollege Dr. Weiß und ich schon einmal angedacht im Rahmen der Fortentwicklung der Verfassung 1998. Hier ist viel Stoff drin, und die SPD wird anregen, dass wir uns demnächst einmal überlegen, wo wir aus diesem zum Teil neuen Grundrechtsverständnis Ergebnisse für Bayern herleiten können.
Es wäre eine gute Sache, diese EU-Grundrechte-Charta mit den nächsten Europawahlen einem Referendum zu unterziehen. Für Bayern wäre es gut, eine Fortentwicklung der Bayerischen Verfassung bei den nächsten Landtagswahlen einem Referendum zu unterziehen. Das täte den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande sehr gut.
Herr Präsident, meine Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ein Thema ansprechen, das die Menschen bei der Osterweiterung unmittelbar verspüren werden, nämlich die Verkehrsentwicklung zwischen West- und Osteuropa.
Zunächst zwei Thesen. Erstens: Die Industrie- und Handelsbetriebe suchen sich immer den günstigsten Produktionsstandort. Viele Unternehmen verringern ihre Fertigungstiefe, spezialisieren sich und kaufen Produktteile wie Dienstleistungen zunehmend im Ausland ein. Dabei spielen selbst die Grenzen von Kontinenten keine Rolle. Da spielen Transportweiten keine Rolle, schon gar nicht von West- nach Osteuropa. Man kann das jederzeit sehen bei einem Blick auf das Label von Kleidungsstücken und Schuhen. Da sind wir schon daran gewöhnt, Ländernamen wie China oder Südkorea zu lesen.
Zweitens: Die Verkehrswege sind die Blutadern der Wirtschaft. Nur wenn sie pulsieren, ist wirtschaftliche Prosperität gesichert. Eine arbeitsteilige Wirtschaft ist auf funktionierende Transportwege angewiesen.
Aus meiner Sicht sind diese beiden Thesen unverrückbar miteinander verbunden. Das heißt, im Zuge der Osterweiterung werden sich wirtschaftliche Produktionsschwerpunkte von West nach Ost verlagern, und der Verkehr von West nach Ost sowie umgekehrt von Ost nach West wird deutliche Steigerungsraten erfahren.
Zentrales Anliegen der bayerischen Verkehrspolitik muss es deshalb sein, alle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dieses Mehr an Verkehr bewältigt werden kann. Auch hier lohnt der Blick über die Grenzen. Es geht nicht nur um die Wege in den ostbayerischen Raum – dieser ist freilich am stärksten betroffen –, sondern auch um die Verkehrswege in ganz Bayern, deutschlandweit und in Europa. Für das Verkehrsinfrastrukturnetz ist es also unverzichtbar, schon heute festzulegen, mit welchem Verkehrsträger wie viel Transportleistungen abgewickelt werden können und sollen.
Erstens gilt das für den Straßenverkehr, Beispiele: A 6 oder A 92 und A 94. Wenn sie Teil der transeuropäischen Netze sein sollen, ist ihr regionaler Ausbau heute noch wichtiger als je zuvor. Daran muss mit Hochdruck gearbeitet werden.
Zweitens gilt das für den Eisenbahngüterverkehr, Beispiele: die Eisenbahnstrecken von Paris über Nürnberg nach Prag oder von Rostock über Prag nach Ungarn oder von London über München nach Wien und weiter nach Südosteuropa. Auch hier ist der Ausbau nicht so weit, dass die kommenden Transportzuwächse bewältigt werden könnten. Vor allem gilt dies für den kombinierten Verkehr mit Wechselcontainern, um auf den langen Strecken die Verlagerungseffekte zugunsten der Schiene nutzen zu können.
Dritter Bereich ist die Binnenschifffahrt. Besonders auf den langen Strecken und bei Massengütern aus Südosteuropa – ich denke an Rumänien, Bulgarien und bei einer hoffentlich weiterhin positiven Entwicklung auch an Jugoslawien – wird die Wasserstraße Donau wieder eine wichtige Transportfunktion übernehmen können und müssen. Alle Planungen für einen Donauausbau auf bayerischer Seite sind daher mit Hochdruck fortzuführen, und deren schnelle Umsetzung ist anzustreben. Denn nur wenn die Binnenschifffahrt an allen Tagen des Jahres in der Lage ist, just in time zu transportieren, kann sie neben Massenfracht auch hochwertige Güter, wie Maschinen und Autos übernehmen und damit für die dringenden Entlastungseffekte für Straße und Schiene sorgen.
Meine Damen und Herren, es geht aber nicht allein um die verkehrstechnischen Veränderungen. Zur Vermeidung einer weiteren Überlastung der Infrastruktur und auch unter Umweltgesichtspunkten darf sich der wachsende Verkehrsmarkt nach und von Osteuropa nicht zu Lasten der deutschen, vor allem der bayerischen Verkehrsunternehmen entwickeln. Deshalb muss auch der rechtliche Rahmen für grenzüberschreitende Transporte dringend durch Neuregelungen, durch Schutzregelungen und durch eine schrittweise Angleichung der Wettbewerbsbedingungen einer schrittweisen Marktöffnung angepasst werden.
Die Forderungen lauten daher: Der Ausbau der grenznahen Verkehrsinfrastruktur für Straße, Schiene und Wasserstraßen sowie deren Hauptzu- und -ablaufstrecken innerhalb Deutschlands und Bayerns muss vorangetrieben werden. Die Verkehrsrechte der Beitrittsländer sind mit den Verkehrsrechten der EU-Länder zu koppeln, das heißt, dass die Kontingente der Marktlage entsprechen müssen, um eine Überlastung der Märkte zu vermeiden.
Die stufenweise Anpassung vor allem der LKW aus den osteuropäischen Staaten an die Technik und die Umweltnormen der EU sind jeweils zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorzunehmen. Zusätzliche Genehmigungen für LKW dürfen nur erteilt werden, wenn diese den geltenden Normen entsprechen. Notwendig ist eine Vereinheitlichung der Rechtsetzung beim Einsatz ausländischen Fahrpersonals, der Festlegung von sozialen und fiskalischen Standards, um das heutige wettbewerbsverzerrende Sozialdumping auszuschließen.
Auf dem Verhandlungswege müssen diskriminierungsfreie Übergänge gesucht werden, und zwar wegen der heute völlig ungelösten Problematik der Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit und der unzureichenden Transitregelung für den Durchgangsverkehr vor allem in Österreich und Bayern. Denn diese beiden Länder werden durch ihre zentrale Lage durch den wachsenden Verkehr zwischen West- und Osteuropa in besonderer Weise betroffen sein, ohne bei Produktion oder beim Kunden eine entsprechende Wertschöpfung miterwirtschaften zu können. Europäische Infrastrukturpolitik ist damit auch bayerische Wirtschafts- und Regionalpolitik.