Protokoll der Sitzung vom 18.10.2000

(Widerspruch von Abgeordneten der SPD)

Natürlich, ich habe doch die Verhandlungen geführt. Ich kann nur nicht alles sagen, was damals verhandelt wurde. Damals hätte man das Werk B in Selb von Anfang an stillgelegt, und Arbeitskräfte wären aller Voraussicht nach nicht weniger als jetzt im Rahmen der Sanierung durch den Konkursverwalter abgebaut worden. Wäre der Betrieb nach der Sanierung ordentlich geführt worden, hätte man eine andere Entwicklung haben können. Leider hat man das von der Politik her nicht in der Hand. Ich hatte es auch nicht in der Hand, dass die Schneider-Rundfunkwerke, als sie auf eine neue Basis gestellt worden sind, schon im nächsten Jahr erfolgreich arbeiten würden. Ich kann die Geschäftsführung weder bestimmen noch steuern. Sanierungen erlauben nur, Unternehmen auf eine neue Basis zu stellen. Dann kann man nur hoffen, dass der Geschäftsführung der Neuanfang gelingt. Ein mittelfristiger Erfolg lässt sich damit nicht garantieren. Eine Sanierung ist keine Erfolgsgarantie.

Die Behauptung, das wirtschaftliche Gefälle sei nirgends größer als in Bayern, trifft nicht zu. Die Zahlen sprechen dagegen. Ironisch könnte ich sagen: Bei 10% Arbeitslosenquote wie in anderen Ländern braucht es kein großes wirtschaftliches Gefälle mehr. Lieber niedrige Arbeitslosigkeit landesweit als überall gleich 9% wie in Schleswig-Holstein.

Das ist eine etwas seltsame Argumentation.

(Dr. Bernhard (CSU): Das ist typisch Sozialismus!)

Herr Kollege Dr. Kaiser, ich rate Ihnen, das Argument, die wirtschaftliche Blüte in München sei auf den dortigen Oberbürgermeister zurückzuführen, nicht weiter zu verwenden. In diesem Fall müsste ich Sie nämlich fragen, ob die Schwierigkeiten vor einigen Jahren auch auf den Oberbürgermeister zurückzuführen sind. Ich müsste Sie fragen, ob die Schwierigkeiten in Nürnberg in den Jahren

1993 bis 1998 auch auf den damaligen Oberbürgermeister zurückzuführen sind. Sind die Probleme in der Stadt und im Landkreis Hof und in Wunsiedel dem dortigen roten Oberbürgermeister und den zwei roten Landräten zu verdanken? Ich habe noch nie einen derartigen Unsinn gehört.

(Beifall bei der CSU)

In Nordbayern argumentieren Sie, die Staatsregierung würde viel zu viel in München und Oberbayern investieren. Auch in Schwaben wird so argumentiert.

(Herbert Müller (SPD): Das stimmt auch!)

Alles, was in München gut läuft, sei der rot-grünen Koalition zu verdanken. Trotzdem investiere die Staatsregierung viel zu viel in München und Oberbayern.

(Dr. Bernhard (CSU): Worüber sich der Oberbürgermeister schon beschwert hat!)

Dennoch wird praktisch behauptet, unsere Investitionen hätten überhaupt keine Auswirkungen, weil alles dem OB zu verdanken sei. Das ist ein geistiger Salto mortale, soweit Sie dazu in der Lage sind.

(Beifall bei der CSU)

Tatsache ist, in die Münchner Hochschulen ist keine einzige Mark der Stadt geflossen. Dies gilt auch für den Aufbau des Bio– und Genzentrums in Martinsried, für den Ausbau der Technischen Universität in Garching, für die Forschungsverbünde, für die Venture-Capital-Szenerie und für die weichen Standortfaktoren wie zum Beispiel die Oper bzw. die staatlichen Museen. In diese Projekte ist keine einzige Mark der Stadt geflossen. Wenn Sie diese Punkte herausrechnen, werden Sie sehen, dass nicht mehr viel an städtischen Aktivitäten übrig bleibt. Deshalb rate ich von dieser Argumentation ab.

Eine letzte Anmerkung: Herr Kollege Dr. Kaiser, Sie haben gesagt, wir sollten das Vertrauen in den Euro fördern. Vertrauen entsteht nicht, indem man von Vertrauen redet. Vertrauen entsteht, indem man eine Politik des Vertrauens betreibt.

(Beifall bei der CSU)

Diese Politik fehlt. Eine Politik des Vertrauens in den Euro darf nicht mit der Aussage des Bundeskanzlers beginnen, dass ihm ein schwacher Euro im Hinblick auf den Export sehr recht sei. Das ist ein falsches Signal für die Finanzmärkte. Wenn der Bundeskanzler Derartiges propagiert, nimmt er es drei Tage später wieder zurück. Das glaubt ihm dann allerdings kein Mensch mehr. Wer einen starken Euro will, muss auch die nötigen Reformen durchführen. Lesen Sie bitte, was die Bundesbank und internationale Organisationen wie die OECD dazu sagen. Für die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts ist das, was bei der Teilzeit beabsichtigt ist, nicht der richtige Weg.

Bei der Flexibilisierung der betrieblichen Abläufe ist das, was Sie beim Betriebsverfassungsgesetz vorhaben,

nicht die richtige Lösung. Beim Thema „Sozialstaat“ doktern Sie seit zwei Jahren bei der Kranken– und der Rentenversicherung herum. Sie haben die früheren Reformen revidiert und anschließend keine neuen Reformen zustande gebracht. Die Politik des Vertrauens fehlt. Deshalb ist allein das Gerede vom Vertrauen zu wenig.

Herr Kollege Dr. Runge, Sie fordern, das Netz müsse raus aus der DB. Der Bund ist doch der Eigner. Der Vertreter des Bundes ist die rot-grüne Koalition. Wenn die rot-grüne Koalition will, was Sie gesagt haben, soll sie es umsetzen. Wir sind nicht die Eigner. Ich freue mich über die Empfehlung, die Sie mir gegeben haben. Ich kann diese Empfehlung aber leider nicht umsetzen.

(Dr. Runge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatsminister Dr. Wiesheu, darf ich Ihnen die zirka 4000 Anträge zu Bundesratsinitiativen während Ihrer Bundesregierung nennen?)

Ich werde nicht auf alle Details eingehen. Ich sage: Sie haben die Verantwortung für dieses Thema. Sie tragen auch für den Fernverkehr Verantwortung. Ich muss Sie vielleicht noch aufklären: Im Grundgesetz ist seinerzeit vereinbart worden, dass die Bestellung des Nahverkehrs Aufgabe der Länder ist. Der Fernverkehr ist Aufgabe der Bahn und des Bundes. In beiden Bereichen kann es defizitäre Linien geben. Deshalb haben die Länder eine Gemeinwohlverpflichtung, sprich Defizitausgleichsverpflichtung beim Nahverkehr, und der Bund eine Verpflichtung beim Fernverkehr. Das bedeutet die Gemeinwohlverpflichtung. Dieser Verpflichtung kommt der Bund nicht nach, weil er dafür keine Mark ausgeben will. Wenn Sie der Auffassung sind, dies müsse korrigiert werden, dann wenden Sie sich an Ihre Parteifreunde in Berlin.

(Beifall bei der CSU)

Sie behaupten, hier werde Geld ausgegeben für Projekte, die unnötig seien. Reden Sie doch mit Herrn Mehdorn und mit Herrn Klimmt. Beide sind der Auffassung, dass die ICE-Projekte notwendig sind. Das Problem besteht darin, dass die Finanzausstattung im Bundeshaushalt von 1998 mit über 9 Milliarden DM auf jetzt 6,4 Milliarden heruntergefahren wurde und demnächst auf 4,4 Milliarden DM sinken wird. Das hat eine rot-grüne Bundesregierung getan, obwohl die SPD und die GRÜNEN 15 Jahre lang immer die Schiene propagiert haben. Das kann es doch nicht sein. Da brauchen Sie auch nicht mit Ihrer Argumentation aufwarten.

Der Freistaat bestellt den Nahverkehr, darunter auch den S-Bahnverkehr. Bei der Investition in München zahlt der Freistaat von den genannten 520 Millionen DM genau 400 Millionen DM. Wir sind aber nicht der Bauherr. Der Bauherr ist die Bahn. Die Bahn kann jederzeit das Geld abrufen. Die Bahn muss die Sache jedoch vorantreiben. Sie tut es leider nicht. Der Bund als Eigentümer treibt sie auch nicht voran. Für die eingetretenen Verzögerungen sind wir nicht verantwortlich. Die Bereitstellung der Mittel ist erfolgt. Ich appelliere an Sie, die Sie die Bundesregierung tragen, den Bund an seine Verantwortung als Eigentümer zu erinnern.

(Dr. Kaiser (SPD) meldet sich zu einer Zwischenbemerkung)

Ich erwarte, dass die vertraglichen Vereinbarungen umgesetzt werden.

(Beifall bei der CSU – Dr. Kaiser (SPD): Ich möchte nach § 116 Absatz 4 eine Zwischenbemerkung machen!)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Wenn die Aussprache geschlossen ist, sind keine Zwischenfragen und Zwischenbemerkungen mehr gestattet, weil sonst die Aussprache verlängert würde.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Abstimmung liegen der Entwurf des Haushaltsplans 2001/2002, Einzelplan 07, sowie die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Staatshaushalt und Finanzfragen auf der Drucksache 14/4392 zugrunde. Der Einzelplan 07 wird vom Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen mit den in der Beschlussempfehlung auf Drucksache 14/4392 genannten Änderungen zur Annahme empfohlen. Wer dem Einzelplan 07 entsprechend der Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Staatshaushalt und Finanzfragen seine Zustimmung geben will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. – Das ist die Fraktion der CSU. Die Gegenstimmen bitte ich, auf die gleiche Weise anzuzeigen. – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Gibt es Stimmenthaltungen? – Ich sehe keine. Herr Kollege Hartenstein ist nicht anwesend.

Damit ist der Einzelplan 07 mit den vom Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen vorgeschlagenen Änderungen angenommen. Gemäß § 132 Absatz 5 Geschäftsordnung haben zugleich die vom Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen zur Ablehnung vorgeschlagenen Änderungsanträge ihre Erledigung gefunden. Eine Liste der Änderungsanträge liegt Ihnen vor.

(siehe Anlage 1)

Außerdem schlägt der Ausschuss für Staatshaushalt und Finanzfragen noch folgende Beschlussfassung vor:

Das Staatsministerium der Finanzen wird ermächtigt, die aufgrund der beschlossenen Änderungen erforderlichen Berichtigungen, insbesondere in den Erläuterungen der Übersicht über die Verpflichtungsermächtigungen, und den sonstigen Anlagen beim endgültigen Ausdruck des Einzelplans vorzunehmen.

Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Abgeordneter Hartenstein ist nicht anwesend. Somit hat das gesamte Hohe Haus zugestimmt. So beschlossen.

Unter Bezugnahme auf die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses für Staatshaushalt und Finanzfragen, Drucksache 14/4392, weise ich darauf hin, dass die Änderungsanträge auf den Drucksachen 14/4310, 14/4349, 14/4350 und 14/4351 ihre Erledigung

gefunden haben. – Das Hohe Haus nimmt hiervon zustimmend Kenntnis.

Die Beratung des Einzelplans 07 ist damit abgeschlossen.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 6 Mündliche Anfragen

Hierfür stehen 90 Minuten zur Verfügung. Die Beratung dieses Tagesordnungspunktes wird also bis 14.40 Uhr dauern. – Ich bitte Herrn Staatssekretär für Arbeit und Sozialordnung, Familien, Frauen und Gesundheit um die Beantwortung der ersten Fragen. Herr Kollege Boutter, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär, betreffend das Sozialgericht in Würzburg frage ich die Staatsregierung: Wie viele offene Fälle sind zur Zeit am Sozialgericht in Würzburg anhängig, wie hoch ist die durchschnittliche Verfahrensdauer im Vergleich zu anderen Sozialgerichten in Bayern, und unter welchen Bedingungen werden die von Fachleuten und Sozialverbänden schon lange angeregten zusätzlichen Kammern in Würzburg eingerichtet?

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Herr Staatssekretär, bitte.

Werte Frau Präsidentin, werter Kollege Boutter! Am 31.12. des vergangenen Jahres waren am Sozialgericht Würzburg genau 6216 Verfahren unerledigt. Am 30. Juni dieses Jahres waren noch 6045 Verfahren offen. Das ist ein Rückgang von 2,8%.

Die Verfahrensdauer am Sozialgericht Würzburg bewegt sich seit 1995 zwischen 18,4 und 22,4 Monaten. Im Jahr 1999 betrug sie durchschnittlich 19,8 Monate. Der Schnitt in Bayern betrug damals 16,5 Monate. Damit belegte das Sozialgericht Würzburg den sechsten Rang unter sieben Sozialgerichten in Bayern. Im ersten Halbjahr 2000 betrug die Verfahrensdauer am Sozialgericht Würzburg 18,5 Monate; der Schnitt in Bayern waren 16,5 Monate. Dies bedeutete den fünften Rang.

Das Sozialgericht Würzburg liegt mit 300 Eingängen je Richterstelle unter dem bayerischen Durchschnitt. Bei 331 Eingängen pro Richter in Bayern kann das Sozialgericht Würzburg nicht mit der Zuweisung weiterer Richterstellen rechnen.

Herr Kollege Boutter, im Übrigen halte ich eine Automatik, die heißt steigende Klageeingänge bei den Gerichten ist gleich Ausweitung der Richterplanstellen, für den falschen Weg. Wir kommen nicht darum herum, uns auch darüber Gedanken zu machen, wie die Richter durch Änderung von Verfahrensvorschriften weiter entlastet werden können. Wir kommen auch nicht an der Frage vorbei, ob die allgemeine Kostenfreiheit für Verfahren vor den Sozialgerichten noch in die heutige Zeit passt.

Der Bundesrat hat bereits 1993, also schon vor sieben Jahren, die Bundesregierung gebeten, die Kostenfreiheit des sozialgerichtlichen Verfahrens dort zu beseitigen, wo sie nicht mehr gerechtfertigt ist. Diesen Gedanken müssen wir weiterführen, selbstverständlich unter Berücksichtigung entsprechender Schutzmechanismen für Menschen, die sich eine Klage aus wirtschaftlichen Gründen nicht leisten können.

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Gibt es Zusatzfragen? – Herr Kollege Boutter, bitte.

Herr Staatssekretär, die Feststellung, dass permanent im Schnitt über 6000 Fälle anhängig sind, veranlasst mich dazu, nachzufragen, ob Sie die lange Verfahrensdauer, insbesondere für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, die zeitweise ohne Einkünfte dastehen, für zumutbar halten. Wenn Sie gestatten, füge ich eine weitere Frage an: Aus welchen Gründen werden Stellen und Funktionen, die durch Ruhestand frei geworden sind, nicht schnell und zeitnah besetzt?