Protokoll der Sitzung vom 09.11.2000

Frau Kollegin Kellner, die Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen war nur auf Zeit. Jedermann wusste das. Ich wiederhole: Jedermann wusste das. Jeder Betrieb wusste das. Es gibt die Möglichkeit, im Rahmen der EU im gesamten Bereich der Europäischen Union Arbeitskräfte anzuwerben. Das ist eine auf Dauer vorgesehene Möglichkeit. Es war für jedermann klar, dass es keine Zuwanderungsmöglichkeit für Arbeitskräfte aus Drittländern, aus dem Kosovo oder aus Bosnien gibt. Das gibt es auch nicht in Nordrhein-Westfalen. Wer etwas anderes behauptet, der stellt die nordrhein-westfälischen Regelungen bewusst falsch dar. Das Gleiche gilt für BadenWürttemberg. Dort wird geprüft, ob der Aufenthalt um wenige Monate verlängert werden kann. Es stellt sich die Frage, ob man dies im Einzelfall oder übergreifend regelt. Es geht auch um die Frage, wie man Abschiebungen im Winter vornimmt. Aber auch für Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen gilt, dass daraus kein Daueraufenthalt aus Drittstaatländern werden kann.

Letzte Zusatzfrage: Herr Kollege Dr. Runge.

Herr Staatsminister Beckstein, Sie haben gerade das Beispiel Baden-Württemberg angesprochen. Ist Ihnen bekannt, dass die Praxis, die man in Nordrhein-Westfalen künftig anwenden will, in Baden-Württemberg seit vielen Monaten und in zahlreichen Kommunen gängige Praxis ist? Wissen Sie, dass diese Praxis spätestens seit diesem Februar in zahlreichen Schreiben auch die Zustimmung des baden-württembergischen Innenministers Schäuble gefunden hat, und dass es sich dabei nicht nur um einige Monate, sondern teilweise um eineinhalb Jahre handelt? Würden Sie es nicht als sinnvolle Investition für das Land Bosnien und für den Kosovo erachten, wenn zumindest die Auszubildenden ihre Ausbildung im Freistaat abschließen könnten?

Herr Staatsminister, bitte.

Staatsminister Dr. Beckstein (Innenministerium) : Diese Regelungen sind im Prinzip einer bayerischen Erfindung nachgebildet. Es war eine bayerische Erfindung, denn wir haben gesagt: Wenn die Familie zurückgeht, kann eine Person hier bleiben. Das heißt, dass wir die Regelung, auf die Sie sich hier beziehen, vor den anderen angewandt haben.

(Dr. Runge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber nicht nur für ein halbes Jahr, Herr Staatsminister!)

Wir haben das auf ein halbes Jahr beschränkt, das ist richtig. In ganz wenigen Ausnahmefällen haben wir auch die Halbjahresfrist überschritten. Weil wir aber mit dieser Regelung eher begonnen haben, kommen die anderen Bundesländer erst jetzt dazu, sie anzuwenden. Deshalb hinken sie zeitlich vielleicht etwas hinter uns her. Im Prinzip bieten die anderen Bundesländer aber keine anderen Möglichkeiten als die, die auch wir angeboten haben.

Die nächste Frage stellt Herr Kollege Schindler.

Herr Staatsminister, ist die Staatsregierung über die Pläne der Versicherungskammer Bayern, mehrere Schaden-Außenstellen bzw. Schaden-Direktionen zu schließen, informiert und falls ja, was unternimmt die Staatsregierung hiergegen und wie vertragen sich diese Pläne mit den bei der Privatisierung der Versicherungskammer abgegebenen Zusagen zum Erhalt der Arbeitsplätze und Standorte?

Herr Staatsminister.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Staatsregierung hat von den Überlegungen der Versicherungskammer Bayern, möglicherweise Schadenaußenstellen zu schließen, aus der Presse und durch Eingaben von Arbeitnehmern erfahren. Für die Versicherungsunter

nehmen der Versicherungskammer Bayern besteht – wie für jedes andere Wirtschaftsunternehmen auch – keine Veranlassung, ihre unternehmerischen Maßnahmen der Staatsregierung zur Information oder gar zur Genehmigung vorzulegen.

Seit Umwandlung der ehemaligen Versicherungsanstalten der Bayerischen Versicherungskammer in Aktiengesellschaften, unterliegen diese Unternehmen nicht mehr der Rechtsaufsicht des Staatsministeriums des Innern. Der Freistaat Bayern ist seit der Veräußerung der Aktiengesellschaften an den Sparkassen- und Giroverband – zu 99% – und an die Bayerische Landesbank – zu 1% – auch nicht mehr Eigentümer der Unternehmen.

Im Rahmen der Privatisierung der Versicherungskammer wurden keine Zusagen hinsichtlich des Erhalts einzelner Standorte von Schadenaußenstellen gegeben.

Für die Bayerische Staatsregierung besteht somit keine Möglichkeit, auf die unternehmerischen Entscheidungen der Versicherungskammer Bayern Einfluss zu nehmen. Gleichwohl hat uns die Versicherungskammer auf unsere Anfrage mitgeteilt, dass sie derzeit im Rahmen eines Projekts „Schadenmanagement“ prüft, ob die wirtschaftlichen und organisatorischen Überlegungen, die zur Ansiedlung von Schadenabteilungen in der Region – Schadenaußenstellen – geführt haben, angesichts veränderter technischer Möglichkeiten und Umfeldbedingungen noch richtig sind.

Im Rahmen dieses Projekts wird neben einer Reihe anderer Maßnahmen die Zusammenfassung der Schadenregulierung in größeren betriebswirtschaftlichen Einheiten angedacht, ohne dass die Präsenz der Versicherungskammer an einzelnen Standorten grundsätzlich in Frage gestellt würde. Aufgabe dieses Projektes ist es, angesichts des wachsenden Kosten- und Wettbewerbsdrucks die Unternehmen der Versicherungskammer wettbewerbsfähig zu erhalten und damit generell die Arbeitsplätze zu sichern. Bislang haben die Vorstände der Versicherungskammer Bayern keine Beschlüsse zur Realisierung in der einen oder anderen Form gefasst, so dass sich auch die Frage der Information nach außen nicht stellte.

Nach Auskunft der Versicherungskammer geht diese davon aus, dass für den Fall der Realisierung des Projekts allen Mitarbeitern, die zur Ortsveränderung bereit sind, ein adäquater Arbeitsplatz angeboten werden kann. Für diejenigen, die sich nicht verändern wollen oder können, würde untersucht werden, eine alternative Arbeit vor Ort anzubieten oder – sofern dies nicht möglich sein sollte – in jedem Fall eine sozialverträgliche Lösung über einen Sozialplan zu finden.

Zusatzfrage: Frau Kollegin WernerMuggendorfer.

Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden: Es gab keine Zusage, was die Standorte anbelangt, aber es gab eine Zusage im Hinblick auf den Erhalt der Arbeitsplätze?

Die Versicherungskammer hatte – das muss ich aus dem Gedächtnis sagen, ich bitte deshalb um Nachsicht – damals zugesagt, dass sie die Zahl der Arbeitsplätze insgesamt soweit möglich erhalten wird. Diese Zusage hat sie auch eingehalten. Nach meiner Erinnerung – ich betone aber, dass ich dies ohne sorgfältige Erhebung vortrage –, hat die Versicherungskammer Bayern derzeit eine deutlich höhere Beschäftigungszahl als zum Zeitpunkt der Veräußerung an den Sparkassen- und Giroverband.

Weitere Zusatzfrage: Frau Kollegin Werner-Muggendorfer.

Sie haben davon gesprochen, dass es adäquate Arbeitsplätze sein sollen. Wie muss man sich das vorstellen, was verstehen Sie unter adäquat? Ist eine Fahrstrecke von 100 Kilometern zum Arbeitsplatz adäquat? Liegt ein adäquater Arbeitsplatz am gleichen Ort?

Frau Kollegin, es geht zunächst darum, dass die Schadensbearbeitung anders organisiert wird. Ich verstehe die Mitteilung der Versicherungskammer, die Herr des Verfahrens ist, so – ich kann mich nur auf deren Mitteilung beziehen –, dass die Mitarbeiter aus den Schadensaußenstellen, die zur Ortsveränderung bereit sind, in anderen Schadensaußenstellen tätig sind. Es verbleiben ja einige wenige Schadensaußenstellen, in denen weiter Schäden reguliert werden können.

Falls Ortsveränderungen nicht möglich sind – das wird schlichtweg vom Einzelnen zu entscheiden sein; denn es kann niemand zur Ortsveränderung gezwungen werden; es kann ja nicht wie bei den Beamten die Versetzung schlichtweg angeordnet werden –, sucht die Versicherungskammer nach anderen alternativen Arbeiten vor Ort, insbesondere im Zusammenwirken mit den Sparkassen oder im Zusammenwirken mit der Kommune, und sofern das alles nicht möglich ist – ist die Frage nach einem Sozialplan zu beantworten.

Ich hebe hervor, dass Einflussmöglichkeiten des Innenministerium als Rechtsaufsichtsbehörde hier nicht bestehen. Die Versicherungskammer ist insoweit keine Behörde des Freistaats Bayern mehr, wie es früher der Fall gewesen ist.

Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Dr. Kronawitter.

Herr Staatsminister, nachdem Mitglieder der Staatsregierung die „Green Card“ als „Flop des Jahres“ bezeichnet haben, obwohl fast ein Drittel – Stand Ende Oktober: 745 – nach Bayern gingen, frage ich die Staatsregierung, wie viele Arbeitserlaubnisse im IT-Bereich bisher auf der Basis der „Blue Card“ ausgegeben wurden, ob diese Zahl den hohen Erwartungen, die sie mit ihrem medienwirksamen Alleingang

geweckt hat, gerecht wird und ob noch an eine Ausweitung der „Blue Card“ auf andere Bereiche gedacht ist?

Herr Minister.

Herr Präsident! Frau Kollegin Dr. Kronawitter! Die Staatsregierung hat die „Green Card“ als Initiative der Bundesregierung abgelehnt, weil es sich um eine Insellösung handelt, die vom Fehlen eines Gesamtkonzepts für die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung ablenkt. Mit der „Blauen Karte“ wurde der Nachweis erbracht, dass es keiner Verordnung bedurft hätte, sondern die Sonderregelung für IT-Fachkräfte auch durch einfache Verwaltungsanordnung möglich war. In der Praxis wird – darauf weise ich hin – weder eine „Green Card“ noch eine „Blue Card“ erteilt. Es gibt also auch keine einzige „Green Card“, die als solche erteilt würde, sondern es ist eine Frage des Verwaltungshandelns. Vielmehr erteilt das Arbeitsamt die Arbeitsgenehmigung und die Ausländerbehörde die Aufenthaltsgenehmigung in einem vereinfachten Verfahren.

Nach Auskunft des Landesarbeitsamtes Bayern – ich betone: Landesarbeitsamt Bayern – wurden in der Zeit vom 01.08.2000 bis zum 27.10.2000 bundesweit 2842, in Bayern 799 Arbeitserlaubnisse erteilt, davon 661 für Neueinreisen.

Die Blaue Karte bietet den Ausländerbehörden eine unbürokratische Verfahrensregelung mit kurzen Bearbeitungszeiten und verringertem Prüfungsumfang.

Der überproportionale Anteil Bayerns an den erteilten Arbeitserlaubnissen beweist, dass die Umsetzung der Sonderregelung für IT-Kräfte auch aufgrund der Vorgaben der Bayerischen Staatsregierung geglückt ist.

Eine rasche Übertragung der „Blue-Card-Verwaltungsanweisung“ auf andere Bereiche wäre grundsätzlich möglich. Eine weitere Öffnung des Arbeitsmarktes muss im Rahmen eines Gesamtkonzeptes für die Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung, das derzeit von der Staatsregierung erarbeitet wird, geprüft werden.

Eine Zusatzfrage: Frau Kollegin.

Ich habe deshalb von der Arbeiterlaubnis gesprochen, weil die „Green Card“ nur eine Formel für die erleichterte Arbeitserlaubnis geworden ist. Ich darf in diesem Zusammenhang ein Zitat der Bundesanstalt für Arbeit bringen. Der Pressesprecher der Bundesanstalt sagte folgendes:

Das Bundesministerium für Arbeit hat die „Blue Card“ nicht anerkannt. Daher hat sie keine rechtliche Grundlage.

Das heißt also, dass bisher von der Bundesanstalt für Arbeit die „Green Card“ als Basis genommen wurde, weil die andere Regelung, von der Sie gesprochen haben, rechtlich nicht trägt.

Herr Minister.

Nein, das ist so nicht richtig. Wir haben beispielsweise so etwas wie die „Blue Card“-Regelung als Grundlage der Aufenthalterlaubnis im Hochschulbereich, wo es keiner Arbeitserlaubnis bedarf. Im Prinzip könnte das auch außerhalb der IT-Bereiche, sofern eine Arbeitserlaubnis erteilt wird, der Fall sein. Das ist immer vorrangig gewesen und ich habe schon von Anfang an hervorgehoben, dass insoweit die Frage der Arbeitserlaubnis immer Vorrang hat.

Wenn eine Arbeitserlaubnis zum Beispiel im Bereich der Biochemie erteilt wird, dann wäre die „Blue Card“-Regelung eine Vereinfachung für die Ausländerbehörde. Im Einreiseverfahren müsste die Arbeitserlaubnis der Ausländerbehörde nicht vorgelegt werden. Sie wissen, dass wir bei den Hochschulen, wo es keiner Arbeitserlaubnis bedarf, eine Verschweigensfrist von ein bis zwei Wochen eingeführt haben. Das bedeutet, wenn die Hochschule die Aufenthaltserlaubnis beantragen will, hat die Ausländerbehörde lediglich eine Verschweigensfrist von ein bis zwei Wochen, und wenn das nicht wahrgenommen wird, gilt die Aufenthaltserlaubnis unwiderruflich als zugesichert.

Es ist also nicht richtig zu sagen, die „Blue Card“-Regelung sei völlig gegenstandslos geworden.

In einem – das will ich allerdings ganz deutlich sagen – ist die „Green Card“-Regelung natürlich die weitergehende Regelung, nämlich in der Frage, dass eine ITKraft sagen kann, man wolle nach Deutschland und dann gilt automatisch eine fünfjährige Aufenthaltszeit, unabhängig vom Arbeitgeber. Das halte ich nach wie vor für falsch. Mir ist persönlich – nicht im dienstlichen Bereich, sondern persönlich – eine Person aus dem „Green Card“-Bereich bekannt, die von ihrer Firma entlassen worden ist, weil sie im Rahmen der Probezeit nicht für tauglich angesehen wurde. Unabhängig davon hat die betreffende Person eine fünfjährige Aufenthaltserlaubnis in Form der „Green Card“-Regelung bekommen. Fünf Jahre, obwohl sie bereits in den ersten vier Wochen aus der Firma ausgestellt worden ist. Das wäre mit unserer „Blue Card“-Regelung nicht passiert.

Eine weitere Zusatzfrage: Frau Kollegin Dr. Kronawitter.

Herr Minister, nachdem Ihr Kollege, Herr Staatsminister Huber, aus Indien zurückgekehrt war und verkündet hat, man werde dort der Medienagentur Bayern eine Stelle einrichten, deute ich das so, dass diese Stelle vor allem dazu gedacht ist, Inder für den IT-Bereich anzuwerben. Stimmt diese Deutung?

Herr Minister.

Frau Kollegin Kronawitter, ich fühle mich etwas überfordert,

die Erlebnisse des Kollegen Huber in Indien hier erläutern zu sollen. Aus meinen Worten spricht im Übrigen der Neid, dass ich nicht nach Indien fahren durfte. Ich hoffe, dass ich Sie richtig verstehe, dass Sie mich auffordern, auch nach Indien zu reisen, um Ihnen dann eine ordentliche Antwort geben zu können.

(Heiterkeit – Beifall bei der CSU – Zuruf von der SPD: Von mir aus können Sie gehen!)

Danke. Herr Schindler, Zusatzfrage? – Die letzte Zusatzfrage stellt Herr Kollege Schindler.

Herr Staatsminister, da Sie ausgeführt haben, dass die Übertragung des Inhalts dieser sogenannten „Blue Card“-Regelung auf andere Bereiche eigentlich leicht möglich wäre, wenn man es nur wollte, frage ich, ob zu erwarten ist, dass demnächst aufgrund des Engagements des Kollegen Traublinger die „Blue Card“-Regelung auch auf die Handwerksberufe ausgeweitet wird?