Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu nehmen, weil ich die 56. Vollsitzung des Bayerischen Landtags eröffnen möchte, die aus aktuellem Anlass außerplanmäßig stattfindet.
Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde, Ihre Zustimmung vorausgesetzt, erteilt. Hörfunk und Fernsehen des Bayerischen Rundfunks übertragen die Sitzung unmittelbar.
Am 27. Dezember verstarb Herr Erwin Ammann im Alter von 84 Jahren. Er gehörte dem Landtag von 1946 bis 1950 an und vertrat für die CSU den Stimmkreis Miltenberg. Als Würzburger Stadtrat und als Landrat des Landkreises Ochsenfurt brachte er seine Erfahrungen in die parlamentarische Arbeit ein und wirkte unter anderem in den Ausschüssen für Verfassungs- und Rechtsfragen sowie für Fragen des Beamtenrechts und der Besoldung. Sein ganzer Einsatz galt der politischen Entwicklung Bayerns und den Menschen in seiner unterfränkischen Heimatregion.
Der Bayerische Landtag wird dem Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Glück, Willi Müller, Loscher-Frühwald und anderer und Fraktion (CSU)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Dürr, Gote, Münzel und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
BSE-Krise – Chance für Landwirtschaft und Verbraucherinnen und Verbraucher – Aus Fehlern lernen – Verantwortung übernehmen – Bayern umstellen! (Drucksache 14/5464)
Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Dr. Dürr, Christine Stahl, Elisabeth Köhler und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Entlassung der Staatsministerin Barbara Stamm und des Staatsministers Josef Miller (Drucksache 14/5465)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine sehr verehrten Herren! Die Fälle von BSE auf Höfen in Bayern, in SchleswigHolstein und in Niedersachsen sind ein herber Schlag für Deutschland und für Bayern. Die aufgetretenen BSEFälle haben zu einer tiefen Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger geführt, die bisher auf die Sicherheit ihrer Nahrungsmittel vertraut hatten. Es geht hier nicht nur um eine Rinderkrankheit; es geht letztlich um die Gesundheit der Menschen, seit der Verdacht besteht, dass BSE die neue Variante der Creutzfeld-JakobKrankheit auslösen kann.
Besonders betroffen sind die Landwirte, auf deren Höfen BSE-Fälle aufgetreten sind und die das wie ein Blitz aus heiterem Himmel trifft. Sie müssen nicht nur existenzielle Einbußen hinnehmen, sondern werden auch durch die Tötung ihrer Tierbestände psychisch bis zum Äußersten belastet. Das habe ich bei meinen Besuchen in Sulzberg und in Stamsried erlebt. Mir ist das auch unter die Haut gegangen. Ich fühle mit den betroffenen Bauern, und ich weiß, was das für sie und ihre Familien bedeutet.
Deshalb habe ich auch Verständnis für ihre Proteste und Aktionen. Die Staatsregierung wird sie in dieser äußerst schwierigen Situation mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Betroffen sind mittelbar auch alle Rinderhalter, weil der Absatz von Rindfleisch drastisch zurückgeht. Wir haben eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, die ich noch näher darlegen werde.
Gefordert ist vor allem ein gemeinsames Handeln aller Verantwortlichen im Bund, in den Ländern und in der Europäischen Union. Die Europäische Union steht in besonderer Verantwortung, weil wir nun einmal keinen nationalen oder regionalen, sondern einen europäischen Agrarmarkt mit europäischen Zuständigkeiten haben.
Soweit es auf das Einvernehmen und auf die freiwilligen Möglichkeiten in Bayern ankommt, haben wir mit einem großen Runden Tisch gestern einen Anfang gemacht.
Die Dimension des BSE-Problems erschließt sich aus der Zahl festgestellter BSE-Infektionen in Europa. Nach der offiziellen Statistik des Internationalen Tierseuchenamtes vom 28. Dezember letzten Jahres sind bis zu diesem Stichtag in Großbritannien 180501, in Irland 487, in Portugal 475, in der Schweiz 364, in Frankreich 190, in Belgien 19, in den Niederlanden 6, in Liechtenstein und Spanien jeweils 2 Fälle und in Dänemark 1 originärer BSE-Fall registriert worden. In Deutschland wurden bis heute 9 Fälle von BSE und BSE-Verdacht festgestellt.
Angesichts dieser Zahlen müssen wir feststellen: BSE ist ein europaweites, wenn nicht sogar weltweites Problem,
und BSE ist nicht eine nur kurzfristige Krise. Mit BSE werden wir auch in den nächsten Jahren und wohl auch Jahrzehnten zu tun haben. Trotz jahrelanger Forschung, zum Beispiel in Großbritannien und in der Schweiz, wissen wir noch viel zu wenig. Bayern wird zur BSE-Forschung verstärkt seinen Beitrag leisten. Aber alleine wird Bayern die Lösung der offenen Fragen nicht schaffen können. Deshalb: Alle Verantwortlichen in den Ländern, im Bund und in Europa stehen in der Pflicht, die BSEForschung weiter voranzutreiben.
Meine Damen, meine Herren, die Bayerische Staatsregierung hat nach Bekanntwerden des ersten BSE-Falles in Deutschland sofort gehandelt: Sie hat bereits im Vorfeld auf Initiative von Staatsminister Miller mit Kabinettsbeschluss vom 21. November ein bundesweites generelles Verfütterungsverbot für Tiermehl gefordert. Die Bundesregierung hat das Verbot am 2. Dezember erlassen.
Bereits am 5. Dezember wurde das Gesundheitsministerium mit der landesweiten Einführung von BSE-Schnelltests beauftragt.
Bis zum 4. Januar hatte Bayern bereits 17291 BSESchnelltestes und damit weit mehr als alle anderen Bundesländer durchgeführt. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg waren es 13452, in Niedersachsen 9262 und in Nordrhein-Westfalen 5426.
Im Rahmen des BSE-Sofortprogramms vom 19. Dezember hat die Staatsregierung die Entfernung von Risikomaterial bei Rindern aller Altersklassen beschlossen, die Futtermittelkontrollen weiter verstärkt, erneut gefordert, die Verfütterung und Verwertung von Tiermehl EU-weit unbefristet zu verbieten, ihre Forderung nach einem konsequenten Verbot von Milchaustauschern mit tierischen Fetten in der Kälberhaltung bekräftigt, zusätzlich 12 Millionen DM für ein landeseigenes BSE-Soforthilfeprogramm bereitgestellt und betroffenen landwirtschaftlichen Betrieben im Rahmen der Notstandsbeihilfe weitere Unterstützung gewährt sowie zusätzliche 10 Millionen DM für die Forschung zur Verfügung gestellt.
Sofort nach Feststellung des ersten BSE-Falls in Schleswig-Holstein haben wir Telefon-Hotlines beim Gesundheitsministerium und beim Landwirtschaftsministerium geschaltet und im Internet weitere Informationen zu BSE zur Verfügung gestellt.
An dieser Stelle möchte ich mich im Namen der Staatsregierung bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich bedanken, die in den Ämtern, in den Landratsämtern, in den Regierungen, in den Ministerien und an der Telefon-Hotline oft bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit hervorragende Arbeit geleistet haben und dies auch weiter tun. Dieser Dank gilt vor allem auch den Landräten, die hier besonders gefordert sind.
Meine sehr verehrte Damen, meine Herren, weiter gehende Maßnahmen zur Eindämmung des BSE-Risikos haben der Kabinettsausschuss am 29. Dezember und die Staatsregierung heute beschlossen. Damit wer
den die Kontrollen in der Futtermittelherstellung, in der Lebensmittelproduktion und in den Läden noch einmal verstärkt. Der Verbraucherschutz wird ausgebaut, die Forschung zu BSE in Bayern forciert und der massiv betroffenen Landwirtschaft Hilfe geleistet.
Bei der Kontrolle von Futtermitteln für Rinder werden wir künftig circa 5000 Proben pro Jahr durchführen. Damit werden die Untersuchungskapazitäten im Vergleich zu 1999 verzehnfacht. Das für diese Verstärkung der Futtermittelkontrollen notwendige Personal wird bereitgestellt. Die Bayerische Staatsregierung wird beim Bund auf die offene Deklaration auf der Verpackung der Futtermittel, also auf die detaillierte Angabe aller Inhaltsstoffe und ihrer Herkunft, drängen.
Wir wollen zurück zu dem Zustand, der bis 1988 galt. Damals wurde diese Deklaration gegen den Widerstand Bayerns bundesweit aufgehoben. Wir werden auf der Einführung einer so genannten Positivliste von Futtermitteln bestehen, mit der abschließend festgelegt wird, was verfüttert werden darf. Auch eine Verschärfung des Bußgeldrahmens im Futtermittelrecht durch den Bund ist unumgänglich. Bundeslandwirtschaftsminister Funke hat ebenfalls entsprechende Forderungen erhoben. Wir sind daher zuversichtlich, dass hier der Bund rasch handeln wird.
Der bayerische Landwirtschaftsminister hat am 23. Dezember 2000 die noch lagernden Futtermittelpartien gesperrt, bis sie schadlos entsorgt werden können. Dabei hat er durchaus die Gefahr möglicher Entschädigungsforderungen von Seiten der Futtermittelhersteller und der Landwarenhändler gesehen. Diese haben sich inzwischen auch an den Landwirtschaftsminister gewandt. Die Sicherheit für Verbraucher und Landwirte war und ist für die Staatsregierung natürlich vorrangig. Der Landwirtschaftsminister wird jetzt zur Entschädigungsfrage Verhandlungen mit dem Bund aufnehmen.
Die Staatsregierung bietet den Landwirten zudem eine freiwillige und kostenlose Untersuchungsmöglichkeit bei ausgewählten Futtermittellabors an. Bayern übernimmt die Kosten der Untersuchungen. Die Rechnungen werden direkt dem Landwirtschaftsministerium gestellt.
Um die Verfütterung von Fischmehl an Fische in bayerischen Teichanlagen auszuschließen, strebt die Staatsregierung auch eine entsprechende freiwillige Vereinbarung mit der bayerischen Fischwirtschaft an. Zur Ursachenforschung werden wir die Wege der Futtermittel und die Spuren der heute in Verdacht stehenden Inhaltsstoffe von den Futtertrögen bis zur Produktion zurückverfolgen.
Um weiteres Risiko für die Verbraucher zu vermeiden, wird sich die Staatsregierung beim Bund für eine Verschärfung der bestehenden Aussonderungspflicht von Risikomaterialien einsetzen. Als so genannte Risikomaterialien gelten derzeit insbesondere Schädel, Mandeln,
Rückenmark und der Darm von Rindern über zwölf Monate sowie die Milz von Schafen und Ziegen. Seit dem 1. Oktober 2000 müssen diese Risikomaterialien nach der Schlachtung ausgesondert und vernichtet werden.
Die Entfernung von Risikomaterial soll nach unserer Auffassung künftig auf alle Altersklassen bei Rindern, auf die gesamte Wirbelsäule und die Milz sowie auf Schafe und Ziegen ausgedehnt werden. Die Staatsregierung hat in der Vergangenheit gemeinsam mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium eine gesonderte Beseitigung von Risikomaterial nur dort für geboten gehalten, wo BSEFälle aufgetreten sind. Weil wir gemeinsam Deutschland für BSE-frei gehalten haben, haben wir hier eine Entfernung des Risikomaterials nicht für erforderlich erachtet. Hier waren wir nicht klüger als der Bund und die anderen Länder. Bundeskanzler Schröder hat festgestellt, dass wir alle, ob als Politiker oder als Verbraucher, vielleicht zu gutgläubig waren. Auch die SPD mit ihrem Generalsekretär hat am Sonntag Fehler der Bundesregierung eingeräumt.
Tier- und Fischmehl darf nach Auffassung der Staatsregierung EU-weit zeitlich unbefristet nicht mehr verfüttert, verwertet und exportiert werden. Bayern wird dazu erneut eine Bundesratsentschließung einbringen. Wir wollen „Graue Märkte“ verhindern und sicherstellen, dass Tier- und Fischmehl nicht mehr in die Futtermittelkette und letztlich nicht mehr in die Nahrungskette gelangt.
Für eine solche Maßnahme brauchen wir die Zustimmung der anderen EU-Mitgliedstaaten. Trotz aller beteuerten Entschlossenheit hat der Bundeskanzler auf der Konferenz von Nizza leider keinen entsprechenden Beschluss der Staats- und Regierungschefs erreichen können. Deshalb besteht die Staatsregierung darauf, dass der Bund ein Importverbot für Tiermehl und tiermehlhaltiges Futtermittel erlassen muss, wenn diese Forderung in der EU nicht durchgesetzt werden kann.
Die Europäische Union hat nachweislich ab 1988 versagt und einen schweren Fehler gemacht, als die Verfütterung von Tiermehl in Großbritannien zwar verboten, aber der Export des gleichen britischen Tiermehls gestattet wurde. Was für britische Rinder gefährlich war, war für kontinentale Rinder offenkundig gut genug. Nach dem ersten Auftreten von BSE mussten elf Jahre ins Land gehen, ehe die Europäische Union den Export von britischem Tiermehl endlich verboten hat. Leider hat die Europäische Union immer noch nicht dazugelernt, wie die Befristung des Tiermehlverfütterungsverbots auf sechs Monate zeigt.
Die Staatsregierung hat am 27. Dezember ein Tiermehlverfütterungsverbot für die Wildfütterung erlassen. Wir sehen auch Handlungsbedarf für den Bund, das Tiermehlverfütterungsverbot auf Heimtiernahrung auszudehnen.