Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Menschen mit Behinderungen dürfen nicht benachteiligt werden. Der Staat setzt sich für gleichwertige Lebensbedingungen von Menschen mit und ohne Behinderung ein.“ So heißt es in Artikel 118 a der Bayerischen Verfassung. Das heißt für uns als SPDFraktion: Dieser Artikel muss umgesetzt werden, dieser Artikel muss in die Gesetzgebung hinein und muss mit Leben erfüllt werden.
Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung hat bereits gehandelt und einen Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik vollzogen. Es gibt das Gesetz zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt vom Oktober vergangenen Jahres, es gibt das SGB IX, das am 1. Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist, und ein Gleichstellungsgesetz auf Bundesebene ist auf dem Weg und wird zum Januar nächsten Jahres in Kraft treten. Dazu brauchen wir auf bayerischer Ebene ein Gleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung.
Im Gegensatz zu Frau Sozialministerin Stewens, die noch abwarten möchte, bringen wir heute einen Gesetzentwurf ein. Für uns ist klar, dass wir auf bayerischer Ebene dringenden Handlungsbedarf haben und aufgrund der Gesetzgebungskompetenz auf Landesebene auch handeln müssen.
Kolleginnen und Kollegen, acht Prozent der bayerischen Bevölkerung sind schwerbehindert, das heißt, jeder und jede zwölfte in Bayern. Darum herum sind Lebenspartner, Eltern, Kinder, die Familie, Freunde, Menschen, die sie unterstützen, die mit ihnen leben und mit ihnen arbeiten. Ziel dieses Gesetzes ist es, dass Menschen mit Behinderung nicht von Fürsorge abhängig sind, sondern selbstbestimmt leben können. Das ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, und es ist eine Aufgabe, die wir auch in Bayern zu leisten haben, denn der Freistaat Bay
ern erfüllt seine Pflicht zur Beschäftigung von Schwerbehinderten bei weitem nicht. Er ist Schlusslicht aller alten Bundesländer und mittlerweile sogar von zwei neuen Bundesländern überholt worden.
Für Bayern ist das kein Ruhmesblatt. Die Integration von Kindern mit Behinderungen in Kindergärten und Regelschulen ist die Ausnahme und eben nicht die Regel. Die Barriere- und Kommunikationsfreiheit ist in weiten Bereichen des öffentlichen Lebens schlichtweg nicht gegeben. Es gibt eine verdeckte und eine offene Diskriminierung. Auch in den Köpfen gibt es Barrieren, die dringend abgebaut werden müssen.
Kolleginnen und Kollegen, ein Beispiel dafür gibt der Bericht der Staatsregierung zur Beschäftigung von Schwerbehinderten im öffentlichen Dienst, aus dem ich gerne zitieren möchte. Hier steht: Selbst unter eingeschränkter Beachtung des Leistungsprinzips ist hier eine Neueinstellung von schwerbehindertem Lehrpersonal in einem zur Erreichung der gesetzlichen Pflichtquote notwendigen Umfang nicht möglich. Im Ergebnis wird derzeit nahezu jeder schwerbehinderte Lehrerbewerber eingestellt. Weiter gehende Einschränkungen des Leistungsprinzips wären im Hinblick auf den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule nicht mehr hinnehmbar.
das können wir so nicht hinnehmen. Hier ist eine Barriere im Kopf; hier ist eine Barriere im Denken, die sagt: behindert ist gleich leistungsgemindert. Diese Barriere muss fallen. Dazu trägt dieser Gesetzentwurf bei.
Was wollen wir mit diesem Gleichstellungsgesetz? Wir wollen einen weiteren Schritt in die Richtung selbstbestimmtes Leben, weg von der Fürsorge, weg von der wohlfahrtsstaatlichen Hilfe, weg von der noch vorhandenen Ausgrenzung und hin zu einem selbstbestimmten Leben, zur selbstbestimmten Inanspruchnahme von Bürgerrechten. Wir wollen hin zur Teilhabe am gesamten gesellschaftlichen Leben.
Kolleginnen und Kollegen, was sind die Schwerpunkte unseres Gesetzentwurfs? Ich möchte das lediglich stichpunktartig anreißen; die ausführliche Diskussion findet dann im Herbst in den einschlägigen Fachausschüssen statt. Wir wollen eine Beweislastumkehr, sodass künftig die Gegenseite beweisen muss, dass keine Diskriminierung und Benachteiligung vorliegt, wenn Fakten glaubhaft gemacht werden, dass eine Diskriminierung wegen der Behinderung zu vermuten ist. Wir wollen das Verbandsklagerecht. Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, mit dem Verbandsklagerecht tun Sie sich schwer, aber damit wird eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen, gegen Verstöße gegen verankerte Vorschriften vorzugehen. Wir wollen eine Stärkung der
Selbsthilfe. Sie ist dringend notwendig, weil wir auf die hohe Fachkompetenz der Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen und deren Interessenvertretungen nicht verzichten können. In der Loge sitzt Herr Kirchner von der LAGH, die Eckpunkte zum Gleichstellungsgesetz entwickelt hat. Diese Fachkompetenz haben wir angenommen. Diese Fachkompetenz sollte das gesamte Hohe Haus annehmen.
Kolleginnen und Kollegen, wir wollen die Barriere- und Kommunikationsfreiheit, weil damit Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen ermöglicht werden kann, am gesamten gesellschaftlichen Leben teilzunehmen; denn es gibt nicht nur Barrieren für Mobilitätseingeschränkte, sondern auch Barrieren bei der Kommunikation für Gehörlose, für Sehbehinderte. Auch die unterschiedlichen Barrieren bei der Kommunikation müssen fallen.
Wir brauchen eine Stärkung der einschlägigen Interessenvertretungen. Wir brauchen eine Stärkung auch der Stellen der Behindertenbeauftragten. Frau Stein leistet eine hervorragende Arbeit, aber wir wollen, dass künftig die Behindertenbeauftragte oder der Behindertenbeauftragte wie der Datenschutzbeauftragte am Landtag angesiedelt ist und damit die Unabhängigkeit von der Staatsregierung dargestellt wird.
Dazu bedarf es auch Änderungen in den einzelnen Gesetzen, die wir auf Länderebene haben. Wir brauchen eine Änderung in der Gemeinde-, Landkreis- und Bezirksordnung, damit im kommunalen Bereich, dort, wo die häufigsten Fälle auftreten, bei Planungen und Vorhaben die Interessen von Menschen mit Behinderungen stärker berücksichtigt werden und damit sie von Anfang an beteiligt werden; denn wenn man die Betroffenen von Anfang an einbezieht und es gleich richtig macht, erspart man sich am Ende eine ganze Menge an Kosten, und es ermöglicht den Betroffenen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Wir brauchen eine Änderung im Kindergartengesetz, damit Kinder mit und ohne Behinderung mit einem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz gemeinsam erzogen und gefördert werden. Wir brauchen eine Änderung im Erziehungs- und Unterrichtsgesetz, damit Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam erzogen und unterrichtet werden. Wir wollen aber eine Wahlmöglichkeit – das ist ein wichtiger Punkt –: Die Eltern sollen wählen können. Das ist bis jetzt nicht gegeben.
Es ist diskriminierend und unwürdig, wenn Eltern jahrelang um die Integration ihrer Kinder kämpfen müssen und dafür sehr viel Energie aufbringen müssen.
Es ist wichtig und notwendig, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen und auch gemeinsam voneinander lernen. Von Anfang an muss in die Köpfe hinein, dass Kinder ohne Behinderung von Kindern mit Behinderung eine Menge lernen können – umgekehrt natürlich auch.
Wir brauchen auch eine Änderung im Hochschulgesetz; denn zu einem selbstbestimmten Leben gehört auch der Zugang zu Ausbildung und Studium, zu Forschung und Lehre. Wir brauchen einen barrierefreien Zugang zu den Studienangeboten und zu den Lehrprogrammen der Hochschulen.
Mobilität ist das A und O der Integration. Das ÖPNV-Gesetz, in dem ja schon Ansätze vorhanden sind, muss weiter verbessert werden; denn die Schaffung von geeigneten Verkehrsbedingungen ist eine Grundvoraussetzung für Integration und selbstbestimmtes Leben. Hier liegt noch vieles im Argen. Letztendlich nutzt das allen, nicht nur mobilitätseingeschränkten Menschen, sondern auch Eltern mit einem Kinderwagen und älteren Menschen. Wir sind eine Gesellschaft, die immer älter werden und auch in ihrer gewohnten Lebensumgebung bleiben möchte.
Ein weiterer Punkt ist die Bauordnung. Das ist ein leidiges Thema. Es nützt uns nichts, dass wir zwar sehr viele DIN-Vorschriften haben, die einschlägigen DIN-Vorschriften aber nur eine Empfehlung sind und keine Verbindlichkeit haben. Wir wollen, dass die DIN-Vorschriften eine verbindliche Mindestvoraussetzung darstellen und dass auch in der Architektenausbildung entsprechend gewirkt wird.
Ein Gleichstellungsgesetz würde die Welt verändern, sagt Frau Stein. Das ist richtig. Ein Gleichstellungsgesetz kann nicht alles lösen, aber vieles verändern. Wir sollten uns ernsthaft damit auseinander setzen.
Eine letzte Anmerkung, nachdem jetzt ganz kurzfristig zwei Dringlichkeitsanträge zu unserem Gesetzentwurf eingebracht worden sind: Ich bin sehr froh darüber, dass auch die GRÜNEN aktiv geworden sind und nach einem Gleichstellungsgesetz rufen. Ich wundere mich über den Dringlichkeitsantrag der CSU zu einer Entschließung zur Weiterentwicklung der Behindertenpolitik; denn einerseits beschwert sich der Herr Fraktionsvorsitzende Glück, dass der Landtag immer weiter an Bedeutung abnimmt, während Sie jetzt andererseits mit einem Entschließungsantrag kommen und plötzlich die Dringlichkeit feststellen.
Sie bringen einen Entschließungsantrag zu unserem Gesetzentwurf ein und konterkarieren damit die vordringlichste Aufgabe eines Parlaments, nämlich die der Gesetzgebung.
Dadurch könnte der Eindruck entstehen, dass Sie die Anliegen von Menschen mit Behinderung nicht ernst genug nehmen. Außerdem ist dieser Dringlichkeitsantrag zu ungenau, zu unverbindlich und unkonkret formuliert. Darüber werden wir bei der Beratung in den Ausschüssen noch ausführlich diskutieren.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Aus der gesellschaftlichen Realität und der Lebenswirklichkeit heraus wurde sowohl in die Bayerische Verfassung als auch in das Grundgesetz ein Diskriminierungsverbot für Menschen mit Behinderung aufgenommen. Diese positive gesetzliche Regelung muss jedoch auch in der alltäglichen Politik mit Leben erfüllt werden. Ziele müssen dabei insbesondere eine tatsächliche Integration von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft, die Beseitigung der Barrieren im Alltagsleben, die Weiterentwicklung des Ansatzes von einer gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hin zur Autonomie und vor allen Dingen eine Stärkung der Mobilität sein.
Aus meiner Sicht ist es eine logische Konsequenz, dass Behindertenverbände, Interessenorganisationen und die Politik auf eine konkrete Umsetzung dieses Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgebotes drängen. Frau Kollegin Steiger, Sie haben bereits gesagt, dass die Landesarbeitsgemeinschaft „Hilfe für Behinderte in Bayern“ hierzu bemerkenswerte Eckpunkte vorgelegt hat. Auch die Gleichstellungsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Frau Ina Stein, hat bereits Schwerpunkte formuliert. Ich möchte ihr an dieser Stelle für ihr großes Engagement danken.
Einige dieser Überlegungen finden sich auch im Gesetzentwurf der SPD-Landtagsfraktion wieder. Allerdings haben sowohl die Bayerische Staatsregierung als auch die Bundesregierung Aktivitäten unternommen, die ich in diesem Zusammenhang ansprechen möchte. Die Bayerische Staatsregierung hat in einer interministeriellen Arbeitsgruppe konkrete Punkte für die Gleichstellung in den Bereichen „Wohnen“, „Arbeiten“ und „Schule“ entwickelt. Auf Bundesebene wird gegenwärtig an einem Bundesgleichstellungsgesetz gearbeitet. Ich halte es für notwendig, alle diese Aktivitäten zu bündeln, um all das, was in die Länderzuständigkeit fällt, im Rahmen einer bayerischen Initiative zu lösen. Was helfen uns Schnellschüsse, wenn wir nicht wissen, was auf Bundesebene geregelt wird?
(Frau Steiger (SPD): Wie lange denn noch? – Dr. Hahnzog (SPD): Die CSU wartet auf den Bund! – Weitere Zurufe von der SPD)
Ich möchte Ihnen als Beispiel das Verbandsklagerecht nennen. Die CSU-Landtagsfraktion hat vor wenigen Wochen einen Dialogprozess zum Thema „Leben mit Behinderung in Bayern“ gestartet, der auf einer Entschließung, die vom Fraktionsvorstand einstimmig beschlossen wurde, basiert.
Frau Kollegin Steiger, dieser Antrag wurde nicht nachgeschoben. Wir haben ihn bereits vor mehreren Monaten beschlossen. Er wird jetzt den Verbänden zur Anhörung vorgelegt. In diesem Antrag sind wichtige Themen, zum Beispiel Fragen der Beschäftigungsmöglichkeiten, die Förderung eines behindertengerechten Lebensumfeldes, die stärkere Beschäftigung von Behinderten im öffentlichen Dienst und eine Umsetzung der Ansatzpunkte des SGB IX angesprochen. Die GRÜNEN haben in ihrem Dringlichkeitsantrag – was ich sehr gut finde – die Besetzung der Ethik-Kommission mit behinderten Menschen gefordert. Diese Forderung sollten wir weiter verfolgen. Wir haben diese Grundlagen im Rahmen des Dialogprozesses mit den Betroffenen, mit den Behindertenverbänden, den Gleichstellungsbeauftragten sowie den Organisationen und Initiativen besprochen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser ergebnisoffene Prozess, die Dringlichkeitsanträge, die Initiativen der interministeriellen Arbeitsgruppe, die Aktivitäten des Bundes, konkrete Vorschläge der Behindertenverbände sowie der diesen Beratungen zugrundeliegende Gesetzentwurf, über dessen Einzelheiten wir uns unterhalten werden, werden zu einer guten Lösung führen, die den Belangen der Behinderten entspricht. Vor einer endgültigen Entscheidung sollten wir gemeinsam und sachlich beraten. Dieser Prozess bietet die Chance eines Zuwachses an Zuständigkeiten für das Parlament. Wir sollten diese Chance nutzen, um für die Menschen mit Behinderung eine vernünftige Lösung herbeizuführen.
Herr Kollege Unterländer, das waren auf die Sekunde genau fünf Minuten. Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schopper.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Seit 1994 steht das Benachteiligungsverbot im Grundgesetz. Im Jahre 1998 wurde es in die Bayerische Verfassung aufgenommen. Diesen schönen Worten müssen nun Taten folgen. Ich kann die diesbezüglichen Bedenken des Herrn Kollegen Unterländer nicht verstehen. Angesichts dieser Zeitspanne kann nun wirklich nicht von einem Schnellschuss gesprochen werden. Ich würde die CSU in diesem Zusammenhang eher als Spätzünder bezeichnen.