Protokoll der Sitzung vom 09.10.2001

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die 72. Vollsitzung des Bayerischen Landtags. Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt. Hörfunk und Fernsehen des Bayerischen Rundfunks übertragen die Regierungserklärung unmittelbar. Der Parlaments- und Ereigniskanal Phoenix sendet aus der Regierungserklärung und der Debatte Ausschnitte.

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, einer ehemaligen Kollegin und zweier ehemaliger Kollegen zu gedenken.

(Die Anwesenden erheben sich)

Am 24. August verstarb Frau Dr. Luise Haselmayr im 80. Lebensjahr. Sie gehörte dem Bayerischen Landtag von 1962 bis 1970 an und vertrat für die SPD den Wahlkreis Oberbayern. Als engagierte Journalistin leistete sie einen maßgeblichen Beitrag zum Aufbau eines freien Presse- und Rundfunkwesens in den Nachkriegsjahren. Während ihrer Zugehörigkeit zum Parlament war sie Mitglied im Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft. Sie hat sich um die Menschen in ihrer oberbayerischen Heimat verdient gemacht.

Am 9. September verstarb Herr Erwin Essl im Alter von 91 Jahren. Er gehörte dem Bayerischen Landtag von 1954 bis 1974 an und vertrat für die SPD zunächst den Wahlkreis Schwaben und dann den Stimmkreis München-Stadt. Als herausragende Persönlichkeit der Arbeitnehmerbewegung setzte er sich für Verbesserungen in der Arbeitswelt und für den sozialen Fortschritt ein. Mit besonderem Engagement widmete er sich seinen Aufgaben als Mitglied des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr. Sein langjähriges Wirken für das öffentliche Wohl war vorbildlich.

Am 23. September verstarb Herr Alfons Gaßner im Alter von 77 Jahren. Er war Mitglied des Bayerischen Landtags vom 1950 bis 1966 und von 1969 bis 1974 und vertrat für die CSU den Wahlkreis Niederbayern. Alfons Gaßner war unter anderem Mitglied der Ausschüsse für Eingaben und Beschwerden, für Verfassungs- und Rechtsfragen sowie für Geschäftsordnung und Wahlprüfung. Als seinerzeit jüngster Abgeordneter des Landtags setzte er sich nach dem Krieg für den politischen Wiederaufbau Bayerns ein. Sein Engagement für die Menschen in seiner niederbayerischen Heimat prägte sein parlamentarisches Wirken.

Der Bayerische Landtag wird den Verstorbenen ein ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren der Toten von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Meine Damen und Herren, ich möchte nun noch einige Glückwünsche aussprechen. Am 28. September feierte Herr Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber seinen 60. Geburtstag. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich gratuliere ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, sehr herzlich und wünsche Ihnen gute Gesundheit sowie viel

Freude und Erfolg bei der Bewältigung Ihrer Aufgaben für unser Land.

(Beifall bei der CSU)

In Ihrem Amt haben Sie entscheidende Wegmarken für die politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Freistaates gesetzt. Darüber hinaus haben Sie durch Ihr persönliches Auftreten und Ihre Standfestigkeit die Bedeutung und das Ansehen Bayerns im Bund und in Europa gefördert. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich danke ich Ihnen für die herausragenden Leistungen, die ich bei anderer Gelegenheit noch ausführlicher würdigen werde.

Ferner feierten während der sitzungsfreien Zeit folgende Kolleginnen und Kollegen runde oder halbrunde Geburtstage: Herr Walter Nadler, Herr Herbert Ettengruber, Herr Staatsminister Erwin Huber, Herr Dr. Klaus Hahnzog, Frau Christine Goertz, Herr Dr. Thomas Zimmermann, Herr Robert Kiesel, Herr Joachim Herrmann, Herr Manfred Hölzl, Herr Dr. Heinz Kaiser sowie Herr Dr. Otmar Bernhard. Heute feiert Herr Kollege Friedrich Loscher-Frühwald einen runden Geburtstag.

Allen Genannten gratuliere ich im Namen des Hohen Hauses und persönlich sehr herzlich und wünsche ihnen alles Gute, vor allem Gesundheit und viel Erfolg bei der Erfüllung ihrer Aufgaben im Parlament.

(Allgemeiner Beifall)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Heute vor vier Wochen wurden wir zu Zeugen eines Terrors in Amerika, der im wahrsten Sinne des Wortes menschenverachtend war. Am 27. September wurde das Kantonsparlament von Zug in der Schweiz Ziel eines sinnlosen Anschlags. Beide Attacken stehen in keinem inneren Zusammenhang und sind nicht vergleichbar; aber beide Verbrechen zeigen, zu welcher Kraft das Böse immer wieder fähig ist. Gerade die Bilder der Ereignisse vom 11. September in New York und Washington wirken in uns allen immer noch nach. Unter den über 6000 Opfern sind Frauen, Männer und Kinder aus vielen Nationen, darunter auch Menschen aus Bayern. Diese Verbrechen haben nicht allein den USA gegolten; sie trafen und betreffen alle, die in Freiheit leben, ihr Land demokratisch gestalten und die Würde des Menschen als oberstes Prinzip achten wollen.

Der 11. September hat Entsetzen und Erschütterung ausgelöst, aber keineswegs Handlungsunfähigkeit. Die USA selbst leben das eindrucksvoll vor. Die Werte und Ideale, die in der Pionierzeit die Vereinigten Staaten von Amerika stark gemacht haben, bewähren sich in der Krise: Freiheit und Willensstärke, Solidarität und Hilfsbereitschaft, Zuversicht und Gottvertrauen sind ungebrochen. Diese Unbeugsamkeit strahlt in die ganze Welt aus, auch zu uns nach Europa. Mit Recht hieß es in einem Kommentar: „Man muss im Bösen immer das Gute fördern und im Schrecklichen auch die Hoffnung suchen.“

In den vergangenen Tagen und Wochen wurden in Bayern zahlreiche Signale des „Guten“ und der „Hoffnung“

gesetzt. Gedenkminuten, Gebete, Gottesdienste, Solidaritätskundgebungen und andere Formen des Mitgefühls und der Anteilnahme haben eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht, dass wir Deutsche an der Seite unserer amerikanischen Freunde in Bayern und an der Seite des amerikanischen Volkes stehen, dem wir nach dem Zweiten Weltkrieg so viel zu verdanken hatten.

Blinder Hass und hemmungsloser Terror dürfen niemals und nirgendwo akzeptiert werden. Die nunmehr begonnenen militärischen Aktionen der USA haben zum Ziel, das Netzwerk des Terrorismus zu zerstören. Es ist ein legitimer Kampf gegen ein menschenverachtendes Regime und gegen skrupellose Mörder.

Der Bayerische Landtag verurteilt wie die gesamte zivilisierte Welt die barbarischen Akte der Terroristen auf das Schärfste.

Auch das ist eine Botschaft des 11. September: Die Staatengemeinschaft ist zusammengerückt und entschlossen, dem internationalen Terrorismus mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Dieser Wille, für den Erhalt der Freiheit einzutreten, gehört zum inneren Wesen unserer wehrhaften Demokratie.

„Gegenüber den Feinden der offenen Gesellschaft“ – so sagte der Philosoph Sir Karl Popper – „gelten die Regeln der offenen Gesellschaft nicht.“ Das bedeutet: Radikaler Intoleranz kann nicht mit grenzenloser Toleranz begegnet werden. Eine offene, demokratische Gesellschaft muss zur Härte fähig sein, wenn die freiheitliche Lebensphilosophie bedroht ist. Dabei darf es freilich nicht zu pauschaler Verdammung oder blinder Vergeltung kommen.

Der Amokschütze in der Schweiz hat ebenso wie die Schänder der KZ-Gedenkstätte Dachau vor einiger Zeit in erschreckender Weise deutlich gemacht, wie unvermutet rasch und bedrohlich sich Abgründe von Fanatismus auftun können. Diese Taten sind Alarmsignale. Sie schärfen das Bewusstsein dafür, dass die Demokratie kein ungefährdetes, selbstverständliches Gut ist, sondern jederzeit verwundbar und verletzlich. Die Freiheit und die demokratische Ordnung brauchen aktive Verteidiger. Das Faustrecht darf kein Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen werden. Hier gilt es, bereits den Anfängen zu wehren. Diese Botschaft nehmen wir als Parlament mit in unsere Beratungen.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nun, sich zum Gedenken der Opfer der Terroranschläge in den USA von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

Ich danke Ihnen.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich rufe nun auf:

Tagesordnungspunkt 1

Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zur Inneren Sicherheit

In die Beratung beziehe ich ein den zum Plenum eingereichten

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Elisabeth Köhler und anderer und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sicherheit gewährleisten – Bürgerrechte sichern! (Drs. 14/7492)

Das Wort hat nun der Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ziemlich genau vor einem Monat haben die feigen Terroranschläge in den USA über 5000 Menschen vieler Nationalitäten, darunter auch Deutschen, das Leben gekostet und die Welt in lähmendes Entsetzen und in Schock versetzt. Wir trauern um die Toten, und unser Mitgefühl gilt ihren Angehörigen, ihren Müttern, ihren Vätern, den Ehefrauen, den Ehemännern und vor allen Dingen den Kindern. Besonders trauern wir auch um die deutschen Opfer und fühlen mit den Angehörigen.

Meine Damen und Herren! Der 11. September ist in zweifacher Weise eine Zäsur: eine Zäsur, was das Ausmaß von religiösem Fanatismus und Terror gegen unschuldige Menschen betrifft, und eine Zäsur für Demokratie und Freiheit weltweit. Freiheitliche Demokratien müssen jetzt beweisen, dass sie diesem globalen fanatischen Terrorismus Einhalt gebieten. Präsident Bush sieht in dieser Auseinandersetzung zu Recht einen Kampf, wie ihn die freiheitlichen Demokratien mit den totalitären Systemen des 20. Jahrhunderts geführt haben.

Wo es Terror gibt, gibt es keinen Frieden. Wer Frieden will, muss den Terror bekämpfen. Dieser Kampf gegen den Terror wird seit zwei Tagen auch mit militärischen Mitteln geführt. Das ist ein notwendiger und richtiger Gegenschlag der USA und Großbritanniens, den ich, den die Staatsregierung politisch voll unterstützt. Es wird eine lange und eine harte Auseinandersetzung werden, und wir sollten uns hier in Deutschland nichts vormachen: Auch wir sind davon betroffen.

Die Terroranschläge trafen die USA – sie galten aber der freiheitlichen Demokratie und der freien Wirtschaft insgesamt, wie sie von den USA, von Europa und weiten Teilen der Welt verkörpert werden. Die Angriffe galten fundamentalen Normen des Zusammenlebens: Achtung der Würde des Menschen, Freiheit des Einzelnen, Herrschaft des Rechts über Anarchie und Gewalt.

Dieser Angriff auf Demokratie, Freiheit und Recht wird sein politisches Ziel verfehlen. Die Weltgemeinschaft steht solidarisch an der Seite Amerikas gegen Terror und die Regime, die sie schützen und stützen. Weil wir wissen, dass religiöse Extremisten von ihren Angriffen auf unsere Wertordnung nicht ablassen werden, dürfen wir in unserer Entschlossenheit nicht nachlassen, diese Wertordnung zu verteidigen. Daher unterstützt die Staatsregierung uneingeschränkt die Maßnahmen der

USA, der NATO, der Europäischen Union und der Bundesregierung, mit denen der Terror bekämpft werden soll. Ich erkenne ausdrücklich auch die persönliche und vertrauliche Information an, die mir als Vorsitzendem der CSU der Bundeskanzler übermittelt.

Deutschland ist in dieser Situation in besonderem Maße zur Solidarität mit den Völkern, die sich jetzt wehren, allen voran mit den USA, verpflichtet. Wer glaubt, man könnte sich jetzt abseits stellen, wer meint, verbale Solidaritätsbekundungen würden reichen, der erliegt einem fatalen Irrtum. Unser Verhalten in Deutschland prägt heute die Zusammenarbeit zwischen Deutschland, den USA und den Verbündeten für morgen und für übermorgen. Deshalb unterstützt Bayern hier die Bundesregierung.

Andererseits muss ich feststellen: Jede Relativierung der Solidarität, wie sie bei den GRÜNEN diskutiert wird, isoliert Deutschland.

(Beifall bei der CSU)

Jede Freude über den Anschlag kann nur mit Abscheu betrachtet werden.

(Unruhe beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer wie die Rechtsradikalen und Rechtsextremisten in Deutschland in Jubel über die Terrorakte ausbricht, wer äußert – ich zitiere:

die Völkermordzentrale Pentagon sei schwer getroffen und das World Trade Center als Symbol der weltweiten Ausbeutung und Globalisierung sei gefallen,

der stellt sich außerhalb der zivilisierten Gesellschaft.

(Beifall bei der CSU)

Jede Unterstellung, die Vereinigten Staaten hätten Mitschuld an den Anschlägen, ist unglaublich und unverantwortlich. Hier berühren sich Links- wie Rechtsextremisten. Das sage ich an die Adresse der PDS, die zum Beispiel in Hamburg unter der Überschrift „So was kommt von so was“ und einer Aufzählung von angeblichen Ursachen, durch welche die USA die Anschläge provoziert hätten, genau das tut. Ausgerechnet die politischen Erben der SED, der das Leben der Opfer an der Mauer nichts galt, plakatieren jetzt mit Bildern von den Ruinen des World Trade Centers den Satz: „Das Recht auf Leben muss unantastbar sein.“ Ich sage Ihnen, meine Damen, meine Herren: Das ist ungeheuerlich!

(Beifall bei der CSU)

Wer mit dieser Partei des Antiamerikanismus in einem Bundesland koaliert, wer gerade in Berlin, dem Symbol des Kampfes für Freiheit, mit ihr zusammenarbeitet, der schadet Deutschland!