Protokoll der Sitzung vom 09.10.2001

Wir müssen künftig schärfer und selbstbewusster fragen: Wie viel Unterschiedlichkeit verträgt ein Land, wie viel Gemeinsamkeit braucht ein Land, um seine innere Bindungskraft nicht zu verlieren?

(Beifall bei der CSU)

Wir müssen dazu in einen kritischen und klärenden Dialog mit jenen eintreten, die aus einer anderen Wertewelt zu uns kommen und hier leben.

Die überaus große Mehrzahl der Muslime, die in Deutschland leben, sind friedliche und rechtstreue Bürgerinnen und Bürger, die Gewalt und Terror verabscheuen. Pauschale Verurteilung des Islam oder gar seine Gleichsetzung mit Terrorismus darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben.

(Beifall bei der CSU)

Der Dialog ist deshalb ohne Vorurteile, aber entschlossen und aktiv zu führen.

Man sollte sich jedoch nichts vormachen. Dieser Dialog ist nicht leicht. Unterschiede sind daraufhin zu prüfen, ob sie mit unserer pluralen Werteordnung verträglich sind. Wir wollen zwar das friedliche Miteinander. Wir wollen aber keine Unverträglichkeiten, keine Risse und Brüche in unserer Gesellschaft. Ich wiederhole, was ich in diesem Hause oft genug gesagt habe: Wir wollen keine in diesem Sinne multikulturelle Gesellschaft. Selbst nach Aussagen des früheren Referenten für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt, des heutigen grünen Europaabgeordneten Cohn-Bendit, ist diese multikulturelle Gesellschaft hart, grausam und wenig solidarisch. Eine solche Gesellschaft habe die Tendenz, ihren Zusammenhalt und die Verbindlichkeit der Werte zu verlieren. Hier hat Cohn-Bendit Recht.

Wir wollen vielmehr unsere in über 1500 Jahren gewachsene christlich-abendländische Kultur bewahren.

(Beifall bei der CSU)

Wir lassen uns diese Leitkultur weder von ideologischen Gesellschaftsveränderern noch von Extremisten, aus welchem Lager auch immer, nehmen. Das ist unsere deutsche, europäische geprägte Leitkultur. Wir sind entschlossen, sie zu verteidigen, meine Damen, meine Herren.

(Beifall bei der CSU)

Freilich muss man zum Dialog nicht nur bereit, sondern auch fähig sein. Gerade die Globalisierung mit einem spürbaren Mehr an Begegnung zwischen den Völkern verlangt auch nach mehr Kenntnis über die Völker. Brü

cken kann man nicht auf Unwissen bauen. Dazu gehört schon Kenntnis; denn erst aus Kenntnis erwächst Verständnis. Da haben wir gerade gegenüber dem Islam sicherlich Nachholbedarf.

Die zentrale Voraussetzung für einen Dialog sind aber die gegenseitige Achtung, die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen, und die entschiedene Ablehnung all jener Kräfte, die auf Extremismus, religiösen Fanatismus und Gewalt setzen. Wer unsere demokratische Ordnung, wer unsere Werte von Freiheit, Recht und Menschenwürde ablehnt, wer totalitäre Lebens- und Herrschaftsansprüche erhebt, kann nicht Partner im Dialog sein. Der steht außerhalb dessen, was in unserer Gesellschaft tolerabel ist.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Ausführungen des Staatsschutzsenats des OLG Düsseldorf in dem Verfahren gegen den gerade von mir zitierten so genannten „Kalifen von Köln“. Ziel seiner Organisation – so das Gericht – sei es

nicht nur... den Islam hier in Deutschland zu verbreiten, sondern die ganze Welt müsse der Herrschaft des Islam und damit der Herrschaft der Kalifen... unterworfen werden. Die Mitglieder und Anhänger des Kaplan-Verbandes ließen erst gar keinen Zweifel aufkommen, dass ihnen unsere demokratische Gesellschaftsordnung, ja die Wertordnung des Grundgesetzes insgesamt völlig gleichgültig ist....

Trotzdem – meine Damen und Herren, ich habe versucht, Ihnen die Rechtslage darzustellen – können wir keine Ausweisung oder Abschiebung vornehmen. Da muss etwas geändert werden, weil etwas falsch ist.

(Lebhafter Beifall bei der CSU)

Hier wird auf den Punkt gebracht, was ich meine. Wem unsere Werteordnung, wem unser demokratisches Gemeinwesen gleichgültig ist, der muss sich fragen lassen, was er hier in Deutschland sucht. Wir fragen: Will einer, der auf Dauer zu uns kommt, neben uns oder mit uns leben? Deswegen sage ich: Wir sind offen für den Dialog. Aber: Wir verlangen von jedem, der in Deutschland lebt oder leben will, Respekt für und Toleranz gegenüber anderen. Wir verlangen die Achtung unserer Werteordnung. Wir verlangen eine deutliche Distanzierung vom Extremismus, vom blinden Fanatismus und von Gewalt – nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten.

(Beifall bei der CSU)

Wir sehen hier auch eine besondere Verantwortung der Muslime in Deutschland. Es kann und muss gefordert werden, dass sie sich deutlich von extremistischen Bestrebungen und Gruppen distanzieren und zur Werteordnung des Landes, in dem sie leben, dessen Staatsbürger sie sind, bekennen. Bloße Lippenbekenntnisse schaden allen Muslimen in Deutschland. Ich möchte auf mehrere Dialoge hinwirken – einen Dialog mit den Muslimen in Deutschland, einen Dialog der Kulturen und einen Dialog der Muslime untereinander. Ich will dazu

ermuntern und bitte die entsprechenden Institutionen wie Kirchen, Akademien, aber auch die Politik, diese kritisch-klärenden Dialoge zu führen. Mit meinem Besuch in der Moschee in Nürnberg wollte ich einen Beitrag dazu leisten.

Meine Damen, meine Herren, Integration ist das Gebot der Stunde. Wenn wir das Verhältnis zwischen Deutschen und Ausländern auf eine zukunftssichere Basis stellen wollen, dann muss Integration nicht nur angeboten, sondern auch angestrebt werden. Wer nach Deutschland kommt, um hier zu leben, hat Anspruch darauf, nicht diskriminiert zu werden wegen seiner Hautfarbe, Rasse oder Religion. Er muss seinen Platz in unserer Gesellschaft finden können. Aber: Er muss sich auch darauf einstellen, dass er in Deutschland in einen Lebensraum mit westlicher Prägung und christlichabendländischer Kultur eintritt. Integration ist keine Einbahnstraße, die alleine Einheimische verpflichten würde. Wer dauerhaft bei uns lebt, der muss Integration auch wollen; er muss sich an unsere Lebensverhältnisse anpassen und unsere Wertordnung akzeptieren wollen. Er muss sich einbringen wollen.

Wer zum Beispiel als Einwanderer in die Vereinigten Staaten von Amerika kommt, der will dort als Amerikaner leben; gleich welcher Nationalität er sein mag. Er ist an erster Stelle Bürger der USA; damit identifiziert er sich. Und das ist es, was wir von den Menschen, die dauerhaft bei uns leben wollen, verlangen können und verlangen müssen. Deshalb ist es auch legitim, von den in Deutschland lebenden Ausländern – auch den Muslimen – eine offene Diskussion über ihr Selbstverständnis zu fordern und ein Bekenntnis dazu, dass sie mit und in diesem Land leben wollen. Deshalb reicht es eben nicht, wenn ein Vertreter des Zentralrats der Muslime feststellt, die Angehörigen des Islam in Deutschland seien „Partner dieser Gesellschaft“. Es geht nicht um Partnerschaft. Es geht darum, ob auch die Muslime in Deutschland Teil unseres Staates, unseres Kulturkreises sein wollen.

(Beifall bei der CSU)

Integration ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Der Staat kann nur Rahmenbedingungen schaffen. Die Staatsregierung hat sich bereits mit ihrem Bericht „Ausländerintegration in Bayern“ mit der Situation der Ausländer in Bayern befasst und ein Integrationskonzept erarbeitet. Nächstes Jahr werden wir dazu einen Zwischenbericht vorlegen. Gerade deshalb, weil wir Integration wollen, wollen wir das Nachzugsalter für ausländische Jugendliche herabsetzen. Integration wird auf Dauer nur gelingen, wenn die jungen Leute bei uns in Deutschland mit unserer Sprache und unserer Kultur aufwachsen.

Gerade weil wir Integration wollen, bieten wir schon seit längerem in Bayern die „islamische religiöse Unterweisung für Kinder türkischer Herkunft“ an. Wir wollen dieses Angebot zu einer islamischen religiösen Unterweisung in deutscher Sprache ausbauen. Dazu haben wir in Augsburg, Erlangen, Fürth, München und Nürnberg Pilotprojekte mit Islamunterricht in deutscher Sprache gestartet, der für alle muslimischen Schüler offen ist. Dazu haben maßgebliche islamische Verbände auf Ini

tiative des Bayerischen Landtags und der Staatsregierung einen „Runden Tisch“ eingerichtet, mit dem die Grundlagen für den allgemeinen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache an den öffentlichen Schulen erarbeitet werden sollen. Hier ist Bayern führend in Deutschland.

Meine Damen, meine Herren, gerade weil Integration von so zentraler Bedeutung für ein zukunftsfähiges Zusammenleben von Deutschen und Ausländern ist, stellen wir die Frage: Wie viele Zuwanderer können integriert werden? Weil wir die Probleme und Grenzen von Integration kennen, verlangen wir eine Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung. Das ist nicht Ausländerfeindlichkeit, wie es so gerne unterstellt wird. Das ist vielmehr eine verantwortliche und ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir in Deutschland eine Gesellschaft gestalten, in der Menschen verschiedenster Herkunft nicht nebeneinander, sondern miteinander auf der Basis gemeinsamer Werte leben wollen und können.

Ein Mehr an Zuwanderung übersteigt unsere Integrationsfähigkeit und wird fatale Folgen für den inneren Frieden und die innere Sicherheit in Deutschland haben. Gerade aus diesem Motiv heraus lehnen wir den Entwurf des Bundesinnenministers zur Zuwanderung ab.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen, meine Herren, seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gehörte zu unserer Staatsräson die Einbindung in die westliche Wertewelt und in das westliche Verteidigungsbündnis. Die Vorteile dieser festen Verankerung im freiheitlichen Westen unter dem Schutzschirm der USA brauche ich hier nicht darzulegen. Wir waren in den vergangenen 50 Jahren die Nehmenden in Sachen Solidarität. Erstmals in der nun fünfzigjährigen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wird ernsthaft unsere Solidarität mit den USA gefordert. Die Nato hat den Bündnisfall erklärt. Dies ist ein historischer Wendepunkt.

Dabei geht es nicht nur um einen militärischen Einsatz. Vielmehr ist ein breites Spektrum sicherheitspolitischer Anstrengungen gegen den globalen Terrorismus nötig. Dies umfasst diplomatische Aktivitäten ebenso wie die Kontrolle von Finanzströmen und Aktionen der Sicherheitsdienste. Dabei haben die diplomatischen Aktivitäten einen eigenständigen Stellenwert. Sie sind viel mehr als nur die außenpolitische Absicherung der militärischen Maßnahmen. Der internationale Konsens zur Abwehr des Terrors bleibt Grundlage für den Erfolg aller Bemühungen gegen den religiösen Extremismus. Das ist ein entscheidendes präventives Signal gegenüber allen Sympathisanten des Terrors. Erstmals können wir den USA und unseren Bündnispartnern Solidarität zurückgeben. Versagt Deutschland in den kommenden, durchaus schweren Monaten seinen Beitrag, wird es wankelmütig, dann führt dies zu einem irreparablen Riss durch die atlantische Gemeinschaft. Das Ansehen und die Glaubwürdigkeit Deutschlands stehen auf dem Spiel.

Abseits stehen, wegschauen, das kann es für uns Deutsche heute und in Zukunft nicht geben. Wir haben unse

ren Anteil für die Sicherung der Freiheit, für den Fortbestand der atlantischen Allianz im 21. Jahrhundert zu schultern. „Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit“. Die Richtigkeit dieses Nato-Grundsatzes ist uns wieder schlagartig bewusst geworden.

Wann, wenn nicht jetzt, sollte entschieden gegen den globalen Terrorismus vorgegangen werden? Unser Land ist elementar gefordert. Wir müssen deutlich machen, dass wir unsere deutschen Staatsbürger vor Terrorangriffen schützen müssen und auf Terroranschläge antworten können. Dazu sind wir auch auf die Hilfe und die Solidarität unserer Verbündeten angewiesen. Jetzt wird die sicherheitspolitische Weltarchitektur neu geschrieben. Jetzt entscheidet sich, welchen Platz unser Land künftig im westlichen Bündnis einnehmen wird. Für die Zukunft des vereinten Deutschlands sind die kommenden Monate von existenzieller Bedeutung. Dessen müssen wir uns bei all unseren Maßnahmen bewusst sein. Die Zeiten der Scheckbuchdiplomatie sind endgültig vorbei. Wer meint, sich heute mit Geld freikaufen zu können, der würde nur Häme und Verachtung bei den Verbündeten ernten. Wir müssen aktiv Solidarität zeigen.

Aber Solidarität muss man auch ausüben können. Dafür muss die Bundeswehr entsprechend ge- und ausgerüstet sein. Wir wissen, dass wir in diesem Punkt nicht genügend gerüstet sind. Es ist hinreichend bekannt, dass die Bundeswehr eindeutig unterfinanziert ist. Wir wenden gegenwärtig nur 1,5% des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auf, Frankreich dagegen 2,7%, Großbritannien 2,4% und die Vereinigten Staaten gar 3,0% ihres jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Wir liegen mit Kanada, Spanien und Belgien am Ende der NatoStaaten. Deswegen brauchen wir auch hier veränderte Grundlagen. Das wird auch unsere Politik hier in diesem Hause beeinflussen. Wenn für die innere und äußere Sicherheit mehr Mittel bereit gestellt werden müssen, dann hat das Konsequenzen für andere Bereiche.

Meine Damen, meine Herren, die Aussage – Sie kennen sie noch –, Deutschland sei nur von Freunden umgeben, trägt in einer globalen Welt nicht. In der einen Welt ist praktisch jeder Nachbar, aber nicht jeder ist friedlich. Religiös oder ethnisch motivierte Terrorgruppen kennen keine Grenzen. Ihnen steht nahezu das gesamte Hightech-Arsenal an Waffen zur Verfügung. Das ist die bittere Realität. In der einen Welt, im „globalvillage“, verwischen sich die klaren Fronten zwischen äußerer und innerer Sicherheit. Sicherheit ist nicht teilbar.

Terror, weltweiter Terror, gedeiht besonders im Umfeld historischer und ethnischer Konflikte, im Umfeld von religiösem Extremismus. Der Terror aus dem Islam speist sich natürlich auch aus dem Nahost-Konflikt. Das müssen beide Seiten erkennen, und sie müssen entsprechend handeln. Seine Lösung ist ein zentraler Schlüssel für das friedliche Zusammenleben nicht nur im Nahen Osten, sondern für die westliche Welt und den islamischen Raum insgesamt.

Der Europäischen Union kommt hier neben den USA zunehmend Bedeutung zu. Das haben mir bei meinem Besuch im Frühjahr sowohl der ägyptische Präsident Mubarak als auch der jordanische König Abdallah mit

aller Nachdrücklichkeit erläutert und mit auf den Weg gegeben. Die Europäische Union muss ihre wachsende außenpolitische Kompetenz und wirtschaftliche Kraft mehr als bisher einsetzen. Mubarak hat erst kürzlich die Europäer wiederum dazu ermuntert, eine aktivere Rolle im Nahost-Friedensprozess zu spielen, wenngleich wir Deutsche besondere Rücksichten zu nehmen haben.

Wir müssen künftig in Deutschland den Ernstfall mehr als bisher denken. Das ist zweifelsohne ein Einschnitt für diese Generation in Deutschland. Es ist ein Paradigmenwechsel. Wir alle spüren, dass die Gesellschaft seit dem 11. September zwar nicht gedrückt, aber nachdenklicher ist. Ob Sie mit Menschen in Veranstaltungen reden oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, Sie werden es spüren und wissen es selber. Wir müssen uns dessen bewusster werden, wie verletzlich unsere hoch entwickelte Gesellschaft eigentlich ist. Wir müssen uns ebenso bewusst machen, dass unser Land auch nach dem Ende des Kalten Krieges von außen her gefährdet sein kann; denn Krisen und Konflikte lassen sich in der einen Welt nur schwer regional begrenzen, so viel wir auch für unser Land und für Bayern tun mögen. Innere und äußere Sicherheit sind heute untrennbar miteinander verbunden.

Die neue Vielzahl denkbarer Konflikte, Krisen, Kriege, Terroranschläge fordert die freie Welt eminent heraus. Sie muss für unterschiedliche Konfliktebenen und Eventualitäten gerüstet sein. Zu den neuen Realitäten des 21. Jahrhunderts gehört – das sagen viele Forscher und Militärstrategen – die Vervielfältigung der Konfliktszenarien, zum Beispiel Kampf um Wasser, Migrationsströme und vieles andere. Die Sicherheitslage wird also eher unberechenbarer.

Neue Bedrohungen werfen neue Fragen auf. Es ist an der Zeit, über die deutsche Sicherheitspolitik im 21. Jahrhundert eine breite Diskussion zu führen. Wer davor die Augen verschließt, der handelt fahrlässig gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern. Welche Armee brauchen wir für die neuen Bedrohungsszenarien? Wie wahrscheinlich sind Kriege, in denen Feldzüge noch in vielfacher Divisionsstärke geführt werden? Welche Struktur, welche Fertigkeiten und welche Größe muss unsere Armee haben? Sie muss sicherlich hoch flexibel sein, modern ausgerüstet, in kleinen Einheiten effizient operieren können. Das kostet auch Geld. Sicherheit ist nicht zum Nulltarif zu haben.

Meine Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Staatsregierung hat sich seit jeher zur wehrhaften Demokratie bekannt, und zwar nicht nur mit Worten. Sie stellt den Verteidigern unserer Rechtsordnung die notwendigen Mittel zur Verfügung. Ich fordere die Bundesregierung ebenso wie die anderen Länder auf, dem Beispiel Bayerns zu folgen. Falsch verstandene Toleranz muss ein Ende haben.

(Beifall bei der CSU)

In Krise und Entscheidung bewährt sich die Nation, zeigen sich Zusammenhalt und Solidarität ihrer Bürger. In den Tagen und Wochen nach dem 11. September haben wir in den USA gesehen, wie eine Nation zusammen

steht. Die Trauerfeier im Yankee-Stadion hat insbesondere auf die jungen Leute einen ungeheuren Eindruck gemacht. Das war die Botschaft, die von den Menschen dort selbst ausging. Das waren großartige Zeugnisse der inneren Stärke der USA. Unter dem Eindruck dieser bewegenden Bilder habe ich mich oft gefragt: Woher kommt diese emotionale Bindung der Amerikaner an ihr Land? Dieses Land tut doch eigentlich weniger als unser Land, was die soziale Fürsorge anbelangt. Wie würden wir Deutsche, die im Gegensatz zu den Amerikanern in einem hervorragend ausgestalteten Sozialstaat leben, in einer solchen Situation reagieren? Gäbe es eine ähnliche Solidarität wie in den USA, oder würde ein derartiger Anschlag „uns Deutsche, so wie wir heute sind, ohne Zweifel in die Knie zwingen“, wie der Historiker Arnulf Baring meinte?

Der 11. September wirft daher auch die Frage nach unserer inneren Kraft und dem inneren Zusammenhalt auf. Eine wehrhafte Demokratie zeigt sich nicht allein darin, die notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr in die Wege zu leiten, sondern auch in der Selbstgewissheit und im Selbstbewusstsein, in dem eine Nation ruht. Es ist bekannt, dass wir uns damit schwer tun. Es ist uns trotz des Glückes der deutschen Einheit bisher noch nicht gelungen, einen selbstbewussten aufgeklärten Patriotismus in Deutschland zu entwickeln. Der Verfassungspatriotismus ist zwar wichtig, aber letztlich eine Hilfskonstruktion. Mit Paragraphen kann man keine Emotionen entwickeln. Ihm fehlt jene emotionale Verbundenheit, jenes historisch kulturelle Grundgefüge, das eine Nation ausmacht.

Der 11. September 2001 gibt auch Anlass, über unser nationales Selbstverständnis und über unser inneres Zusammengehörigkeitsgefühl nachzudenken. Die Gefährdungen für unseren Staat und für unser Volk sind auch im 21. Jahrhundert nicht vorüber. Wir müssen dagegen gewappnet sein.

Geschichte und Kultur, ein Kernbestand gemeinsamer Grundüberzeugungen, sind wesentliches Bindemittel für den Zusammenhalt der Nation. Kulturelle und historische Identität gibt den Menschen Prägung, Unverwechselbarkeit und Halt. Nationale Identität macht den Menschen selbstbewusster, weniger anfällig für Ideologien und Ängste aller Art. Die Ausklammerung der Fragen, welche prägenden Traditionen eine Gesellschaft, eine Nation hat, macht diese Gesellschaft nicht eo ipso offener; eher gilt das Gegenteil. Kulturelle Verwurzelung und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich.