Protokoll der Sitzung vom 09.10.2001

Geschichte und Kultur, ein Kernbestand gemeinsamer Grundüberzeugungen, sind wesentliches Bindemittel für den Zusammenhalt der Nation. Kulturelle und historische Identität gibt den Menschen Prägung, Unverwechselbarkeit und Halt. Nationale Identität macht den Menschen selbstbewusster, weniger anfällig für Ideologien und Ängste aller Art. Die Ausklammerung der Fragen, welche prägenden Traditionen eine Gesellschaft, eine Nation hat, macht diese Gesellschaft nicht eo ipso offener; eher gilt das Gegenteil. Kulturelle Verwurzelung und Weltoffenheit sind keine Gegensätze, sondern sie ergänzen sich.

Aus unserer Verfassung, wie auch aus unserem geistigen, kulturellen und historischen Erbe, aus unserer Leitkultur, sollten wir die Kraft ziehen, den Gefährdungen von Freiheit und Demokratie von innen und außen zu begegnen und als weltoffenes Land unseren Beitrag zum Frieden in der Welt zu leisten.

Ich verstehe die Besorgnisse in der Bevölkerung, und wir nehmen sie so ernst, wie wir dazu nur in der Lage sind. Aber ich möchte den Menschen zurufen: Angst ist der Verbündete des Terrors. Ich bin zuversichtlich, dass die Menschen in unserem Land mit Mut und Entschlossen

heit dieser großen Herausforderung begegnen. Die Bayerische Staatsregierung will dazu ihren Beitrag leisten.

(Lang anhaltender Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. Ich eröffne jetzt die Aussprache. Im Ältestenrat wurde eine Redezeit von 40 Minuten pro Fraktion vereinbart. Als erster Redner hat Kollege Maget das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die letzten zehn Jahre des 20. Jahrhunderts waren für unser Land glückliche Jahre. Wir erlebten die Einheit in Freiheit, wir waren und sind auf dem Weg in ein geeintes Europa in Frieden und Prosperität. Am 11. September 2001 wurden wir alle jäh aus den Träumen der Sorglosigkeit herausgerissen. Die Ereignisse am 11. September haben die Welt erschüttert und verändert. Die Bilder des Grauens, die sich in unser Gedächtnis eingegraben und die keinen von uns unberührt gelassen haben, zeigten, auf welch menschenverachtende Weise Terroristen dazu bereit sind, nicht nur auf die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern auch auf die Freiheit und die Werte einer offenen Gesellschaft insgesamt einen brutalen Angriff zu führen.

Dabei wurde auch Deutschland, ebenso wie viele andere Nationen dieser Welt, von den terroristischen Anschlägen und Attentaten betroffen. Unter anderem in Deutschland wurden diese Anschläge kühl berechnend von langer Hand vorbereitet, übrigens in vielen deutschen Bundesländern, auch in Bayern, und nicht nur in Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Deutsche saßen in den entführten Flugzeugen oder arbeiteten im World Trade Center. Eine zusätzliche Dramatik erhielten die Ereignisse durch die Eindringlichkeit der Fernsehbilder, die uns allen, teilweise live, den Terror in die Privatsphäre unserer Wohnzimmer lieferten. Wir erlebten, wie dieser Anschlag auf die Grundwerte unserer Kultur verübt wurde.

Ich glaube, wir alle brauchten eine Phase der Verarbeitung, der Trauer und der Bewertung für das, was am 11. September geschehen ist. Diese Ereignisse haben uns erschüttert, aber sie haben uns nicht in Schrecken und in Furcht verharren lassen. Jetzt ist die Phase der Aktion und der Reaktion gekommen. Die Menschen erwarten jetzt von der Politik dreierlei: Orientierung, Besonnenheit und Entschlossenheit.

Herr Ministerpräsident, Sie haben eben das Beispiel der Vereinigten Staaten angeführt und den dort herrschenden nationalen Zusammenhalt beschworen. Leider haben Sie zum Teil anders geredet.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben in vielen Passagen Ihrer Rede sehr viel Selbstgerechtigkeit an den Tag gelegt nach dem Motto: Ich habe es immer schon gewusst, besser und früher als alle anderen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Willi Müller (CSU): Sie müssen in einer anderen Veranstaltung gewesen sein!)

Ich meine, für Besserwisserei ist in einer solchen Diskussion kein Platz.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für uns alle, das sollten wir zugeben, hat sich die Welt am 11. September verändert.

(Dr. Bernhard (CSU): Für manche mehr als für andere!)

Die Nation USA steht geschlossen. Dort versucht niemand, parteipolitisch zu spalten. Das ist offensichtlich eine Eigenheit, die manchen Menschen in diesem Hause ganz besonders zu Eigen ist.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viele in unserem Land fragen sich nach den möglichen Auswirkungen der terroristischen Verbrechen. Viele haben Angst vor weiterem Terror und einer Ausweitung des Krieges. Diese Ängste und diese Sorgen der Bevölkerung müssen wir ernst nehmen. Nach derzeitiger Einschätzung der Sicherheitsexperten gibt es zur Zeit zwar keinen Anlass zur Furcht, zur Hysterie oder gar zur Panik. Dies hat, Gott sei Dank, auch ein friedlich verlaufenes Oktoberfest in München belegt. Es gibt aber Anlass zu erhöhter Wachsamkeit auf vielen Gebieten. Wir müssen alles unternehmen, um Gefahren für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger abzuwenden und mit Entschlossenheit, Klarheit und Festigkeit den Kampf gegen den Terrorismus zu gewinnen.

Die Bundesregierung hat in großer Übereinstimmung und in Zusammenarbeit mit den Ländern in Fragen der inneren Sicherheit entschlossen reagiert. Die SPD ist in diesen Wochen erkennbar die Partei der inneren Sicherheit in Deutschland geworden.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CSU)

Deutschland liegt bei Bundeskanzler Gerhard Schröder und bei Innenminister Otto Schily in ruhigen, guten und sicheren Händen. Nach den Ergebnissen von Meinungsumfragen sieht das auch die große Mehrheit der Bevölkerung so.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abgeordneten Hof- mann (CSU))

Die Union, Sie, Herr Ministerpräsident, und Sie von der CSU, sind eingeladen und aufgefordert, sich an die Seite der Bundesregierung zu stellen und mit uns gemeinsam den Terror zu bekämpfen.

(Zuruf des Abgeordneten Hofmann (CSU))

Dies ist wesentlich wichtiger als ewige Besserwisserei.

Niemand durfte annehmen, dass die terroristischen Anschläge vom 11. September hingenommen werden, ohne dass eine direkte Antwort erfolgen würde, ohne dass die Täter und alle, die sich das ausgedacht haben, aufgespürt und zur Rechenschaft gezogen werden. Dies bedeutete – das war uns allen klar – auch den Einsatz von militärischen Mitteln. Dazu hat sich die Völkergemeinschaft in einer UNO-Resolution ausdrücklich bekannt. Dabei geht es jedoch nicht um einen Krieg gegen das afghanische Volk, sondern um einen Krieg gegen Terroristen, die sich unter dem Schutz des unterdrückerischen Taliban-Regimes in ihrem Land eingenistet haben.

Wir haben die Aufgabe, eine langfristige politische Strategie der Terrorbekämpfung zu entwickeln und terroristischem Handeln den Nährboden zu entziehen. Dafür werden wir einen sehr langen Atem brauchen. Wer schnelle Lösungen verspricht oder gar mit Aktionismus zu Werke geht, wird sein Ziel nicht erreichen. In unser Blickfeld rücken dabei Länder dieser Welt, die wir bislang wenig kannten und wenig beachtet haben und die ökonomisch nur am Randgeschehen des Weltmarktes beteiligt sind. Fehlende Demokratie, mangelnde Bildung, Armut, Ungerechtigkeit, Unzufriedenheit und Perspektivlosigkeit – diese Begriffe beschreiben dort die Lebenssituation eines Großteils der Bevölkerung. Wir müssen uns damit auseinander setzen, dass es in Ländern wie Afghanistan bereits Kinder sind, die sich in Camps zu Selbstmordattentätern ausbilden lassen, als ihren Berufswunsch angeben, Selbstmordattentäter zu werden, und die damit bereits als Kinder zu den Ernährern ihrer Familien werden. Wir müssen in Rechnung stellen, dass sich in Pakistan oder im Iran aktuell 4 Millionen Flüchtlinge aufhalten, deren Zustrom dort nicht mehr zu bewältigen ist und die kaum zu ernähren sind, während wir uns schon mit weniger als zehntausend Bürgerkriegsflüchtlingen im Land sichtbar schwer tun.

Um die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in diesen Staaten zu verbessern, müssen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit neue Maßnahmen ergriffen werden. Dies gilt insbesondere auch für die Krisenregion im Nahen Osten, einer offenen Wunde, aus der immer wiederkehrender Hass und Demütigung auf arabischer Seite entspringen, aber auch Bedrohung und Unsicherheit auf israelischer. Solche tief greifenden Konflikte der Welt müssen endlich im Rahmen einer internationalen Sicherheitszusammenarbeit gelöst werden. Es ist unverzichtbar, über die Ursachen von Gewaltbereitschaft und Terrorismus zu sprechen, wenn man das Übel an der Wurzel bekämpfen will. Dies bedeutet aber nicht, den Terror begründen oder gar entschuldigen zu wollen. Übrigens rechtfertigt auch keine Religion der Erde Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verstöße gegen das Menschenrecht.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist im Islam nicht anders als in allen anderen großen Religionen. Aus diesem Grund treten wir jeder kulturellen und religiösen Pauschalverurteilung entschieden entgegen. Wir werden dafür sorgen, dass unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger gegen Anfein

dungen und Übergriffe geschützt werden. Die große Weltreligion des Islam darf nicht generell zum Sündenbock erklärt werden.

(Beifall bei der SPD)

Vielmehr müssen wir aufeinander zugehen und den Dialog fördern. Religiöse Toleranz ist zwar in großem Maße vorhanden; der Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften findet aber praktisch nicht statt. Es ist ja gerade der Mangel an religiöser Toleranz, aus dem Fanatismus entspringt.

Deshalb bin ich bereits drei Tage nach den Ereignissen des 11. September mit Vertretern der islamischen Gemeinde in Bayern zusammengetroffen. Auch der Bayerische Ministerpräsident hat eine Woche später eine Moschee besucht, was ein gutes und fälliges Zeichen war. Übrigens haben wir ein ganzes Bündel von Anträgen vorgelegt, das maßgeblich vom Vorsitzenden des Verfassungsausschusses, Herrn Kollegen Dr. Hahnzog, erarbeitet wurde. Unsere Vorschläge für eine bessere Integration aller hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer einschließlich der muslimischen Mitbürger wurden von der CSU leider samt und sonders abgelehnt. Die Notwendigkeit einer besseren Integration zu beschwören, aber konkrete Maßnahmen stets abzulehnen – das geht nicht.

(Beifall bei der SPD)

So gar nicht in die Zeit passen Äußerungen, wie sie zum Beispiel vom italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi zu hören waren, der von einer Überlegenheit der westlichen Zivilisation gegenüber dem Islam sprach. Solche – sagen wir es einmal zurückhaltend – überflüssigen Bemerkungen können auf gefährliche Weise Folgen haben und – wie der amtierende EU-Ratspräsident Verhofstadt sagte – auch Gefühle weiterer Demütigung erzeugen.

(Beifall bei der SPD)

Ich zitiere Berlusconi deshalb, weil er am kommenden Wochenende Gast beim CSU-Parteitag in Nürnberg sein wird. Man darf erwarten, dass der Bayerische Ministerpräsident als Gastgeber derartigen Unfug deutlich zurückweist.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen erkennen, dass in den letzten Jahren ein globalisiertes Netzwerk fundamentalistischer islamischer Vereine entstanden ist. Einige von ihnen sehen leider schon in jeder Form von Demokratie einen bekämpfenswerten Feind. Damit rücken sie von der überwältigenden Mehrheit ihrer Mitgläubigen ab, die nichts anderem als dem friedfertigen muslimischen Glauben verbunden sind. Deshalb ist es so notwendig, zu differenzieren und überlegt vorzugehen. Ohne in Hektik zu verfallen, muss vernünftig und klar gehandelt werden.

Wir sind dankbar für die entschlossene Haltung von Gerhard Schröder und Otto Schily, die mit Augenmaß und

Umsicht die Verantwortung für Deutschland übernehmen. An diesem Wochenende hat mich Otto Schily über das Bündel der Maßnahmen des zweiten Anti-Terror-Pakets informiert, das er am Montag nächster Woche vorlegen wird. Wir ergreifen diese Maßnahmen als offene Gesellschaft, als freies, demokratisches und rechtsstaatliches Land. Diese Maßstäbe werden auch in Zukunft gelten. Bundestagspräsident Thierse hat Recht, wenn er fordert – ich zitiere –: „Wir dürfen die Freiheit nicht so verteidigen, dass sie auf der Strecke bleibt.“ Darauf werden wir achten. Das versprechen wir den Bürgerinnen und Bürgern im Land. Unser Kampf gegen den Terrorismus ist eine Verteidigung der offenen Gesellschaft. Die Terroristen werden es nicht schaffen, dass wir die Werte, die wir gegen den Terror verteidigen, selbst in Frage stellen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen und schon ergriffen haben, werden die Freiheitsrechte des Einzelnen nicht einschränken, aber die Sicherheit des Einzelnen deutlich erhöhen. Für die Stärkung der Sicherheit in unserem Land werden zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt. Die Bundesregierung hat allein für ihr erstes Anti-Terror-Paket einen Betrag von 3 Milliarden DM vorgesehen. Vereinzelt hört man Kritik an der Erhöhung bestimmter Verbrauchsteuern zur Finanzierung dieser Maßnahmen. Ich halte diese Kritik für nachvollziehbar, vor allem dann, wenn man Tabakkonsument ist, aber für unseriös, wenn sie von der politisch anderen Seite kommt. Ich möchte daran erinnern, dass die frühere Bundesregierung zur Finanzierung des Golfkrieges ebenfalls die Steuern massiv erhöht hat. Damals wurde der Solidaritätszuschlag eingeführt, die Mineralölsteuer auf einen Schlag um 25 Pfennig pro Liter erhöht, die Tabaksteuer erhöht und die Versicherungsteuer um drei Prozent angehoben. All dies bedeutete 1991 eine Steuererhöhung von insgesamt 27 Milliarden DM, wovon aber tatsächlich nur 17 Milliarden DM an die USA für die Finanzierung des Golfkrieges überwiesen wurden. Nebenbei bemerkt – das gerät oft in Vergessenheit –, wir waren schon vor zehn Jahren dabei, wenn auch nur als Financiers; aber besser oder schlechter ist es dadurch nicht.

Den Rest des Geldes hat 1991 der damalige Bundesfinanzminister eingestrichen. Ich halte deshalb die gegenwärtig vorgesehene Finanzierung des Antiterrorpaketes für richtig. Ich begrüße, dass auch der Freistaat Bayern jetzt zusätzlich Mittel zur Stärkung der inneren Sicherheit bereitstellen will, auch wenn sich hier in großem Umfang Mittel wiederfinden, die schon für ein vollmundig angekündigtes BSE-Programm vorgesehen waren, dafür aber nicht verwendet wurden und jetzt umgeleitet werden sollen.

(Glück (CSU): Das ist doch falsch!)

Man kann sich für das gleiche Geld nicht gleich mehrfach loben lassen.

(Beifall bei der SPD)

Die vorgeschlagenen Maßnahmen werden dadurch zwar nicht schlechter, aber wir sollten bei der Bewertung der Finanzierungsquellen etwas ehrlicher sein. Insbesondere begrüßen wir, dass bei der Polizei personell aufgestockt werden soll. Damit werden endlich unsere Forderungen nach einer Stärkung der bayerischen Polizei aufgegriffen.