Protokoll der Sitzung vom 10.10.2001

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hoderlein (SPD): Sehr gut!)

Ums Wort hat Herr Dr. Runge gebeten. Bitte, Herr Kollege Dr. Runge.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln hier gemeinsam zwei Dringlichkeitsanträge, die im Einzelnen erst einmal sehr unterschiedliche Forderungen enthalten und als Klammer nur die Bahnpolitik, den Bahnverkehr haben.

Aber es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit von Netz und Betrieb sowie der Forderung, dass der Bund im Fernverkehr seiner Gemeinwohlverpflichtung nachkommt und selbstverständlich auch die Schieneninfrastruktur hinreichend sichert. Deswegen halten wir eine gemeinsame Behandlung für sinnvoll und begrüßen sie.

Einige Worte zum Dringlichkeitsantrag der CSU-Fraktion, welchem wir selbstverständlich zustimmen. Wir begrüßen, dass die CSU jetzt ihr Herz für die Bahn, für den Schienenverkehr entdeckt hat, nachdem sie jahrelang – Herr Schläger hat es schon richtig gesagt – unter der alten Bundesregierung die Bahn vernachlässigt hat.

(Freiherr von Rotenhan (CSU): Wer hat denn die ICE-Trasse abgelehnt?)

Sie können gerne fragen.

(Freiherr von Rotenhan (CSU): Wer hat denn die ICE-Trasse über Erfurt abgelehnt? – Gegenruf des Abgeordneten Gartzke (SPD): Die Strecke ist unsinnig, das wissen Sie genau!)

Die Fragestunde hat aber schon stattgefunden.

Statt der gemeinhin anerkannt notwendigen zehn Milliarden DM, werter Kollege, an Investitionsmitteln sind zuletzt unter der Regierung Kohl, wie wir gehört haben, gerade mal sechs Milliarden DM geflossen. Diese sind aber nicht ins Bestandnetz gegangen, nicht in die Bahn in der Fläche,

(Gartze (SPD): Null!)

sondern die sind hauptsächlich in sündteure, milliardenteure Prestigeprojekte geflossen, die unter Ihrer Regierung auch noch schöngerechnet worden sind.

Die neue Bundesregierung hat jetzt die Weichen umgestellt, hat wieder knapp zehn Milliarden DM pro Jahr an Investitionsmitteln zur Verfügung gestellt. Zusätzlich die UMTS-Mittel, wie wir gehört haben. Endlich sind die Etats für den Straßenbau und die Bahn angeglichen worden. Mit der Maut und mit der Ökosteuer wird an der Wettbewerbsgleichheit für die Schiene gearbeitet.

Aber ohne Zweifel ist das, was hier geschieht, nicht genug. Der CSU-Antrag enthält drei Einzelforderungen. Bei der ersten geht es um die Regionalisierungsmittel, die Bestellgelder, bei der zweiten um die Gewährleistung von Fernverkehr durch den Bund und bei der dritten um die Sicherung der Schieneninfrastruktur.

Im Kontext mit der ersten und dritten Forderung steht die jüngst in den Zeitungen geführte Diskussion über Kürzungspläne, über Streckenstilllegungen in Bayern. Damals ging es darum: Was sagt das SMA-Gutachten, welches von den Bundesländern als Reaktion auf das Basisangebot der DB AG bestellt worden war? Mittlerweile hat eine Pressemitteilung von Herrn Wellner dafür gesorgt, dass die Diskussion ein klein wenig weniger aufgeregt ist, aber das hätte in unseren Augen schon viel früher passieren müssen und passieren können. Denn es gibt zum einen zusätzliche Investitionsmittel und die Bestellgelder sind kontinuierlich gestiegen, für Bayern seit 1998 um 227 Millionen DM. Diese Steigerungen passen ganz einfach nicht zusammen mit Kürzungen im Angebot.

Was die Regionalisierungsmittel betrifft, findet derzeit eine aufgeregte Diskussion statt, da wird in unseren Augen auch ein Popanz aufgebaut. Heute und morgen sind Verhandlungen über die anstehende Revision.

Seit kurzem geistern Kürzungsbegehrlichkeiten seitens des Bundesfinanzministeriums durch die Mediendiskussion. Hierzu ist zu sagen: Erst einmal geht ohne die Zustimmung der Länder überhaupt nichts. Angesagt ist eine Neubestimmung der Verteilung zwischen den Ländern – das wissen wir alle – und eine Neubestimmung der Basis der Steigerungsraten. Ich zitiere eine Drucksache der Bundesregierung aus diesem Jahr:

Gemäß § 5 Absatz 2 des Regionalisierungsgesetzes ist 2001 mit Wirkung ab 2002 auf Vorschlag des Bundes durch Gesetz die Höhe der Steigerungsrate der Regionalisierungsmittel neu festzusetzen und

neu zu bestimmen, aus welchen Steuereinnahmen des Bundes die Mittel den Ländern zufließen.

Wir wollen – und das gilt auch für die Bundestagsfraktion – ein weiteres kontinuierliches Wachstum bei den Regionalisierungsmitteln und stimmen dem CSU-Antrag in diesem Punkt deswegen auch zu.

Wir schließen uns auch nicht der Kritik der Staatssekretärin Mertens aus dem Bundesverkehrsministerium an, die behauptet, die Regionalisierungsmittel würden zweckentfremdet, würden missbraucht zum Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen nach dem Personenbeförderungsgesetz. Es ist allerdings kein Geheimnis, Herr Rotter, dass wir gerne mehr von den bayerischen Regionalisierungsmitteln in der Bestellung von Zugkilometern sähen. Den ÖPNV auf der Straße, der zurzeit ja noch mit 400 oder 500 Millionen DM aus den Regionalisierungsmitteln gespeist wird, würden wir dann gerne durch einen größeren Anteil der Mittel aus dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz finanzieren. Wir stellen diesen Antrag immer wieder, sagen aber auch ganz klar: Dies ginge dann zulasten des Straßenbaus. Diese Forderung ändert allerdings nichts an unserer Unterstützung der Forderung der CSU-Fraktion im Dringlichkeitsantrag.

Punkt zwei ist die Gewährleistung eines ausreichenden Fernverkehrs durch den Bund. Es ist ein weiterer schwerer Fehler der Bahnreform, dass es kein ausfüllendes Gesetz zu Artikel 87e Absatz 4 des Grundgesetzes gegeben hat. Wir kennen den Gesetzentwurf von Bayern und von Baden-Württemberg. Wir wissen um das Rechtsgutachten von Professor Arnold aus Regensburg. Wie die CSU sehen wir hier dringenden Handlungsbedarf. Ich darf wieder ein Zitat der Bundesregierung bringen, ebenfalls aus diesem Jahr:

Nach Artikel 87 e Absatz 4 des Grundgesetzes gewährleistet der Bund, dass dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, bei Ausbau und Erhalt des Schienennetzes bei Eisenbahnen des Bundes sowie deren Verkehrsangeboten auf diesem Schienennetz, soweit diese nicht den SPNV betreffen, Rechnung getragen wird.

Der Bund nimmt grundsätzlich seine Verantwortung für beide Bereiche wahr, indem er Investitionen in die Schienenwege finanziert, weil damit auch das Verkehrsangebot verbessert werden kann.So geht es eben nicht. Das erleben wir im Grunde wöchentlich, das erleben wir andauernd. Auf die Diskussion über den Interregio ist verwiesen worden. Das funktioniert selbstverständlich so nicht. Auch der Betrieb ist wichtig. Der Bund kann es sich nicht so leicht machen und sagen: Indem wir die Schieneninfrastruktur finanzieren, werden wir dem Auftrag nach Artikel 87 e Absatz 4 gerecht.

Meine Damen und Herren, eine konkretere Fassung der Verpflichtung des Bundes zur Sicherstellung des Fernverkehrs macht aber wenig Sinn ohne die konsequente Trennung, ohne die konsequente Unabhängigkeit von Netz und Betrieb.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Damit sind wir beim dritten Spiegelstrich des CSU-Antrages angelangt, der Schieneninfrastruktur. Auch hier unsere Unterstützung, obwohl der Antrag an dieser Stelle sehr vage formuliert ist. Ich erinnere mich an den Begriff „unvermeidliche Stilllegungen“. Wir erleben ja häufig, dass kalte Stilllegungen erfolgen oder von der Bahn zumindest geplant sind. Ein Beispiel, auch heute schon gehört, ist die Strecke Bayreuth – Warmensteinach. In unseren Augen kann es einfach nicht sein, dass die DB Netz jeden kullernden Kieselstein zum Anlass nimmt, um damit die Stilllegung einer Strecke begründen zu können. Wir haben ja daraufhin das Eisenbahnbundesamt eingeschaltet, und zwar mit für uns großem und sehr schnellem Erfolg. Ich darf die „Nürnberger Zeitung“ vom 6. Juli dieses Jahres zitieren. Darin heißt es im ersten Absatz: Das Machtwort des Eisenbahnbundesamtes zur erneuten Inbetriebnahme der Strecke Bayreuth – Weidenberg geht auf einen Hinweis der Landtagsfraktion DIE GRÜNEN zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Netz AG der Bahn hat tatsächlich etwas gemacht, was nicht Rechtens war. Sie musste durch das Eisenbahnbundesamt gestoppt werden. Das hindert die Netz AG aber nicht daran, jetzt dagegen vor Gericht zu ziehen.

An diesem Punkt kann ich wunderbar zu unserem Antrag überleiten, der Unabhängigkeit von Netz und Betrieb. Wir halten die fehlende Trennung, die fehlende Unabhängigkeit zwischen Netz und Betrieb für den Kardinalfehler der Bahnreform. Intransparenz, Ineffizienzen, Diskriminierung, vor allem aber auch Mängel beim Streckenunterhalt und beim Streckenausbau sind im Wesentlichen auf die fehlende Unabhängigkeit zurückzuführen. Werter Herr Schläger, so leid es mir tut, wir halten nicht alles, was im Bund läuft, für richtig, selbst wenn es eine rot-grüne Bundesregierung gibt. Dem Bund ist der Vorwurf zu machen, dass Denken und Handeln allein der DB AG überlassen worden sind und, wie der Bundesrechnungshof richtig schreibt, strategische Überlegungen zu dem Thema Netz und Betrieb allein die DB AG machen durfte.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Kaiser (SPD))

Was war denn bisher, Herr Kollege Kaiser? Außerdem wurde ja Zustimmung zu unserem Antrag signalisiert. Bisher gab es die geschäftsführende Holding, es gab Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträge, es gab die Personalunion, das heißt, die Vorstandsmitglieder der DB AG waren gleichzeitig die Vorsitzenden der Führungsgesellschaften. Es gab die Quersubventionierung im Netz, und es gab die Quersubventionierung zu Lasten des Netzes. Es gab keine Bilanzen der einzelnen Gesellschaften; nicht einmal die einzelnen Aufsichtsratsmitglieder kannten die Zahlen. Obwohl es von den Parteien der Regierungskoalition – da meine ich auch die SPD – eigentlich ein ganz klares Votum gibt, die Holding-Struktur aufzulösen, weil man sagt, dass diese keinen Sinn macht, gibt es jetzt Signale, den Empfehlungen der Task Force nachzukommen.

Ich habe noch ein schönes Zitat für Sie, Herr Schläger:

Es bestehen jedoch Zweifel, ob ein fairer Wettbewerb auf einem Netz, das im ausschließlichen Eigentum des größten Anbieters von Schienenverkehrsleistungen auf diesem Netz steht, überhaupt gewährleistet ist. Eine Wettbewerbsaufsicht bzw. eine Regulierungsstelle ist dazu bei der Vielzahl denkbarer Diskriminierungsmöglichkeiten nur unvollkommen in der Lage.

Das war ein Antrag der Abgeordneten Karin RehbockZureich bis Dr. Peter Struck, Fraktion der SPD, 27. März dieses Jahres.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Also die ganz klare Aussage: Die Holding-Struktur ist es nicht.

Nun zwei, drei Sätze zu den Vorschlägen der Task Force. Mit der Realisierung der Empfehlungen dieser Arbeitsgruppe, das heißt zum ersten die Bilanzpflicht für die Führungsgesellschaften, zum zweiten eine Teilentherrschung – ganz kann man den Beherrschungsvertrag nicht auflösen, sonst hätte das wiederum steuerliche Auswirkungen – und zum dritten mit der Trassenagentur lässt sich das Problem der Diskriminierung vielleicht noch einigermaßen in den Griff bekommen. Es gab ja auch schon vorher, veranlasst durch die Kartellbehörden eine Neugestaltung der Entgelte. Die Quersubventionierungen sind damit aber nicht zu verhindern. Auch wenn wir beispielsweise eine Bilanz der Netz AG haben, wissen wir überhaupt nicht, was zum Beispiel mit den Netzentgelten geschieht, die konkret auf der Strecke Bayreuth – Warmensteinach eingefahren werden. Was überhaupt nicht angegangen wird, ist das Problem des Hinund Herschiebens von Verantwortung und von Schuld, das unerträgliche Schwarze-Peter-Spiel, das wir zur Zeit beim Bahnverkehr erleben.

Deswegen meinen wir: Die Unabhängigkeit – wir übernehmen auch gerne den Begriff „die Trennung“ – ist dringend angesagt, bevor weitere Tatsachen geschaffen werden, die dann eine Unabhängigkeit erschweren. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung und freue mich auch über das zustimmende Signal, das wir hier schon erfahren durften.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um das Wort hat noch Herr Kollege Dinglreiter gebeten.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nur ein paar Anmerkungen zu den Aussagen von Herrn Kollegen Schläger. Herr Kollege Schläger, Sie brachten ein gutes Beispiel mit den Selbstverständlichkeiten, die dazu führen, dass es einmal wieder Tag wird. Ich habe aber den Eindruck, dass Sie bei einigen Punkten versucht haben, einen Vorhang herunterzulassen, damit manches auch über den Tag hinweg dunkel bleibt. Ich will darlegen, worum es uns insbesondere geht. Die Geschäftsgrundlage in Bezug auf die Regionalisierung, die Bund und Länder vereinbart haben, soll jetzt ganz erheblich verändert werden. Das können wir so nicht hinnehmen. Mit den Regio

nalisierungsmitteln haben wir 17 Millionen Bahnkilometer mehr bestellt. Damit liegen wir einsam an der Spitze. Vergleichen Sie dazu die Zahlen, die der Bund selbst herausgibt: Baden-Württemberg 10 Millionen Bahnkilometer mehr, Niedersachsen 2 Millionen Bahnkilometer mehr, Nordrhein-Westfalen 10 Millionen Bahnkilometer mehr.

(Dr. Kaiser (SPD): Die Ausgangsbasis!)

Ich könnte auch die Ausgangsbasis von 1973 nehmen: Nordrhein-Westfalen von 74 Millionen Kilometern 10 Millionen Kilometer mehr, wir von 80 Millionen Kilometern 17 Millionen Kilometer mehr. Das ist ohne Weiteres gut, darüber brauchen wir nicht zu reden. Ich will das gar nicht werten. Mir geht es nur darum, dass man jetzt will, dass wir von diesen 97 Millionen Kilometern auf 89 bis 91 oder knapp 92 Millionen Kilometer zurückfahren. Das ist die Vorlage. Alle Varianten, die der Bund vorlegt, laufen darauf hinaus. Dies macht uns nachdenklich. Deswegen sagen wir: Man muss rechtzeitig etwas unternehmen, damit wir nicht in dieser Weise zurückfahren müssen.

Jetzt sagen Sie, Herr Schläger: Eigentlich haben wir mehr Geld; wir könnten das jetzige Angebot immer noch bestellen. Wovon sollen wir dann die Infrastrukturkosten zahlen, beispielsweise für die Schnittstellenprogramme, die wir leisten und die ungeheuer wichtig sind, damit der Bahnverkehr und der Wechsel von der Straße auf die Schiene leichter möglich ist? Wovon sollen wir die Zuschüsse für die Anschaffung neuer Fahrzeuge bezahlen? Die erhält sogar die Deutsche Bahn AG, was für mich ohnehin ein Unding ist. Wovon sollen wir das dann bezahlen, wenn wir die gesamten Gelder, die wir für die Regionalisierung erhalten, ausschließlich für den Fahrweg einsetzen? Deswegen sagen wir: Jetzt muss Lärm gemacht werden, damit diese Kürzung nicht erfolgt; denn sie ist auch nicht vereinbar mit dem, was ursprünglich abgesprochen worden ist.

Lassen Sie mich noch ein Letztes sagen. Wir erkennen durchaus an, dass die Bahn in Bezug auf die Infrastrukturmittel gut bedient wird. Ich sage auch: Die Bahn würde sehr viel schneller bauen können, wenn sie mehr private Ingenieurbüros beauftragen würde, die im Tiefbau ohnehin nicht ausgelastet sind, um die Projekte vorzubereiten. Man muss nicht alles selbst pinseln. Die Bahn als privates Unternehmen hätte durchaus die Möglichkeit, etwas schneller zu sein.

Uns bewegt auch, dass der Nahverkehr im Hinblick auf die Infrastrukturmittel sträflich behandelt wird.

Mich würde interessieren, wie viel von den 1,4 Milliarden DM, die wir an die Bahn für den Betrieb und den Fahrweg zahlen, tatsächlich für den Fahrweg verwendet wird. Mich würde interessieren, was davon in Bayern investiert wird. Wir brauchen mehr Transparenz bezüglich der Investitionen der Bahn. Nur dann können wir für die Zukunft einen fairen Vertrag gestalten.

(Beifall bei der CSU)