Protokoll der Sitzung vom 10.10.2001

Im Gegenteil: Die Reihen der Unterstützer werden immer dichtet. Neben dem bayerischen Elternverband und den Lehrerverbänden sprechen sich auch der Bayerische Städte– und der Gemeindetag, der Schulleiter- sowie der Ganztagsschulverband und insbesondere die Wirtschaft eindeutig für ein bedarfsdeckendes Angebot an Ganztagsschulen aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, nachdem die Staatsregierung bereit ist, etliche Summen für den Ausbau der Betreuung einzusetzen, lassen Sie uns nun auch mit der Ganztagsschule beginnen, weil uns – und hier beziehe ich alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses ein – für die Zukunft unserer Kinder nichts zu teuer sein darf.

(Beifall bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Sackmann.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist schon vieles angesprochen worden. Aber erlauben Sie mir als Haushälter einmal einen Blick zurück auf das, was wir bisher schon geleistet haben, und darauf, was wir als neuen Kraftakt in Kloster Banz in der CSU-Fraktion für die Zukunft beschlossen haben und in den nächsten Wochen im Haushaltsausschuss intensiv diskutieren werden.

Es ist schon ein einmaliger Vorgang, dass wir in unserem Haushalt knapp 1 Milliarde DM, nämlich 925,5 Millionen DM, bereits für die Kinderbetreuung aufgewendet haben. Wir haben Kinderkrippen und die Tagespflege unterstützt. Wir haben das Netz für Kinder aufgebaut. Wir haben natürlich auch die Kindergärten, die Horte und verschiedene andere Bereiche wie die Mittagsbetreuung sowie die staatlichen Schulheime, die wir entsprechend aufgebaut haben, finanziell unterstützt.

Erlauben Sie mir, dabei auf einen ganz besonderen Punkt einzugehen. Es ist der Bereich der Nachmittagsbetreuung, den wir in das Jugendprogramm aufgenommen haben. Das ist auch eine Forderung des Bayerischen Jugendrings, der sich im Übrigen damit in wenigen Tagen noch einmal auseinandersetzen wird und der, wie die Herren Kollegen Knauer und Sibler in vielen

Gesprächen immer wieder erfahren haben, ganz deutlich den Hinweis gibt: Bitte keine Ganztagsschulen, sondern Einführung von Betreuungsmöglichkeiten! Er fordert, dem Ehrenamt gerade in der Jugendarbeit, nicht den Boden zu entziehen. Ich glaube, das sollte man beachten und entsprechend unterstützen.

Der Bayerische Jugendring verweist immer wieder darauf – das hat gerade gestern der Präsident mit unserem jugendpolitischen Sprecher Sibler dargestellt, auch Frau Staatsministerin hat darauf verwiesen –, dass wir diese einmalige Chance nicht vertun sollten, die Jugendeinrichtungen, Schülercafés und Jugendverbände mit einzubinden, damit das Ehrenamt in diesem Bereich gestärkt wird. Diese Gedanken sollten wir weiter unterstützen und ausbauen.

Insgesamt können wir uns bereits mit dem vergangenen Schuljahr sehen lassen. Da ist schon vieles passiert. In den Bereichen der Gymnasien und Realschulen waren fast ein Drittel aller Schüler nach dem Unterricht in einer Betreuung. Dadurch haben wir schon Großartiges geleistet.

Der neue Kraftakt umfasst 500 Millionen DM. Frau Kollegin Goertz von der SPD ist eben schon darauf eingegangen, wie es in anderen Ländern aussieht. Wir sollten uns immer wieder einmal über die Definition der einzelnen Betreuungsangebote unterhalten. Die fällt dann sehr schnell so aus, wie wir sie uns in Bayern vorstellen, wenn wir von Ganztagsschulen sprechen.

Es geht also, wie gesagt, um 500 Millionen DM. Das ist ein einmaliger Kraftakt. Das Entscheidende für mich ist dabei, dass hier etwas auf der Basis der Freiwilligkeit geschieht und eine Orientierung nach dem Bedarf stattfindet. Auch kann man die Ausgestaltung vor Ort mit den Eltern, Trägern und Schulen absprechen. Dadurch sind dezentrale Lösungen möglich, anders, als es die SPD vorgesehen hatte. Das ist entscheidend und wichtig und sollte immer wieder betont werden.

Damit können kommunale Horte, Krippen, Tagesangebote, aber auch Initiativen von Eltern eingebunden werden. Ich bin dem Kollegen Schneider sehr dankbar, dass er das schon erwähnt hat. Entscheidend dabei ist, dass der ländliche Raum eine Berücksichtigung findet. Es darf kein Ungleichgewicht zwischen Stadt und Land entstehen. Bayern ist in Richtung auf den ländlichen Raum strukturiert. Daraus ergeben sich hier besondere Notwendigkeiten.

Mit den Mitteln von fast 1 Milliarde DM und den zusätzlichen 500 Millionen DM können wir uns vor Ort sehr wohl sehen lassen. Die Bürgerinnen und Bürger akzeptieren und begrüßen unsere Initiative. Damit gehen wir an die neuen Herausforderungen heran. Ich bitte Sie, uns dabei zu unterstützen, statt alles immer nur schlecht zu reden. Wir müssen die Chancen sehen, die damit für die Familien im Freistaat Bayern geschaffen werden.

(Beifall bei der CSU)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat jetzt Herr Schultz.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Hohlmeier und Herr Sackmann, Sie haben uns heute eigentlich hinreichend dargetan, was es heißt, wenn man die Wirklichkeit nicht richtig sieht und sich offensichtlich in einem bildungspolitischen Autismus befindet. Wenn dieser zu dem familienpolitischen Fundamentalismus hinzukommt, dann treffen sich zwei Eigenschaften, die für das Land Bayern fatal werden.

Warum autistisch, Frau Hohlmeier? Sie haben von einer Phantomdebatte gesprochen und uns erzählt, wie gut die Betreuungs- und Schulsituation in Bayern offenbar sei. Dabei haben Sie vergessen, dass gerade in den allerjüngsten Tagen zwei – sicherlich nicht unbedingt der SPD nahestehende – Organisationen deutlich Kritik an dem geübt haben, was hier gelaufen ist. Ich denke an Herrn Rodenstock, der im September als Kritik an Ihre Adresse mitgeteilt hat – wörtlich –:

Beim Angebot an Kinderkrippen und Ganztagsschulen besteht in Bayern im Vergleich zu den anderen Bundesländern ein ganz erheblicher Nachholbedarf.

Vermutlich haben Sie das nicht gelesen oder wollen das einfach nicht lesen.

Auch Herr Deimer, der nun wirklich die Interessen der Kommunen und der Menschen, die dort wohnen, vertritt, hat es im Oktober sehr deutlich wie folgt formuliert:

Der Staat kommt seinen schulpolitischen Verantwortungen nicht nach. Er gibt sich mit einer Schmalspurlösung zufrieden, die sich überwiegend auf Halbtagsschule mit Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung beschränkt.

Nun sagen Sie mir bitte einmal, wer hier von einer Phantomdebatte sprechen kann.

Und es gibt weitere Kritiker. Ich nenne vor allem das Bundesverfassungsgericht, das vor zwei Jahren eindeutig darauf hingewiesen hat, dass Familienpolitik und Bildungspolitik zusammengehören. Es hat dargestellt, welche Versäumnisse gerade auf diesem Gebiet durch Sie und Ihren damaligen Minister Waigel als Parteivorsitzenden jahrzehntelang entstanden sind.

Ich frage Sie nach dem, wofür Sie hier in Bayern zuständig gewesen sind. Was ist getan worden? Sie haben einen fundamentalistischen Eiertanz in den Betreuungsund Bildungseinrichtungen gemacht. Das geht offensichtlich weiter. Wir sehen doch, was im Bereich von Krippen und Horten passiert ist und jetzt offensichtlich bei den Ganztagsschulen passieren soll, wenn Sie sich so herausreden, wie Sie es im Augenblick tun. Sie tun das mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten, ohne zu sehen, was tatsächlich in den anderen Bundesländern passiert.

Herr Sackmann, Sie sagten, Sie sind Haushälter. Sie müssen über den Haushaltsplan hinausschauen und etwas gegen die negative Entwicklung tun. Was ist denn mit der verlässlichen Mittagsbetreuung passiert? Was wäre denn gewesen, wenn die Kommunen und die Eltern nicht eingesprungen wären? Auch die privat geführten Mütter- und Familienzentren müssen dort tätig werden, wo um Bildung und um Integration kleinerer Kinder und von Jugendlichen aber auch von Familien geht. Leute im Ehrenamt werden mit 5 DM pro Stunde abgespeist. Darüber hinaus haben sie einen bürokratischen Aufwand zu erledigen, der ihnen jede längere Planung erschwert oder unmöglich macht.

Wenn Sie, Herr Unterländer, vom Elternwillen sprechen, dann sage ich Ihnen: Hier geht es nicht um den Elternwillen, den Sie im Augenblick ansprechen, sondern es geht darum, dass Sie einfach unfähig sind, sich dieser Situation zu stellen. Das konnte eigentlich nicht besser dargestellt werden, als es Ihr eigener Fraktionsvorsitzender in der Presse getan hat. Seine Antwort auf die Frage, wie es mit dem Votum zur Kinderbetreuung sei, wurde in den „Nürnberger Nachrichten“ vom 19. September wie folgt beschrieben:

Zu Recht weiß Alois Glück überhaupt nicht, wie er den so genannten Fortschritt seiner Partei verkaufen soll. Er weiß im Grunde gar nichts mehr. Die Verwirrung ist groß auf allen Seiten.

Das ist der Fall. Es geht eben nicht um den Elternwillen. Sie haben kein Konzept und wissen auch gar nicht, wie Sie darankommen können, weil Sie – ich wiederhole mich – im Grunde bildungspolitisch autistisch und familienpolitisch fundamentalistisch sind. Aus dieser Beschränkung kommen Sie nicht heraus.

Da erzählen Sie, liebe Frau Hohlmeier, uns etwas von Finanzen. Es mag ja gut sein, dass wir als Opposition da eher bei der Hand sind. Aber ich erinnere an die Aussagen Ihres eigenen Ministerpräsidenten. Er hat am 7. Juli in der „Welt“ ausgeführt:

Wir haben in Bayern 3 Milliarden DM mehr an Geld übrig als die anderen Länder. Deswegen können wir uns auch mehr leisten.

So sagte er es. Da frage ich Sie: Warum wird dann hier nichts getan? Denken Sie an diesen großen 600-Millionen-DM-Jongleur Dr. Edmund Stoiber, der das Geld für den Verbraucherschutz ausgeben wollte. Dann hat er ein bisschen bei den Dosen verbraten. Danach ist er zur inneren Sicherheit übergegangen. Da frage ich Sie: Was bleibt für die Bildungseinrichtungen letztlich übrig?

Meine sehr verehrten Damen und Herren und liebe Frau Hohlmeier, wenn jetzt auch noch in den schon bestehenden Einrichtungen – ich denke gerade an Kindergärten und Horte – ein Modellprojekt gemacht werden soll, bei dem es Ihnen tatsächlich nicht darum geht, Qualität zu verbessern, sondern, die Kosten zu deckeln, dann geht das auf Kosten der Kinder und der Familien.

Deswegen kann ich nur mit dem schließen, was vor wenigen Tagen, nämlich am 8. Oktober – gesagt worden

ist – ich zitiere –: Kinder lassen sich nicht mit Sprüchen abspeisen. Ich glaube, das sollte für die gesamte Bildungs- und Familienpolitik gelten. Aber hier liegt Bayern im Argen.

(Beifall bei der SPD)

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Dodell.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Radermacher, Sie haben ganz zu Anfang von den ideologischen Scheuklappen gesprochen. Ich denke, dass Sie die ideologischen Scheuklappen selbst auf den Augen haben, denn nach dem typischen Merkmal Ihrer Politik, wollen Sie mit der generellen Einführung der Ganztagsschule wieder einmal alles über einen Kamm scheren. Das machen wir nicht mit.

(Frau Radermacher (SPD): Wo und wann habe ich gesagt, „generelle Einführung“? – Sie lügen! – Das ist eindeutig so! Sie lügen! – Das habe ich nie gesagt!)

Bildung, Erziehung und Betreuung unterliegen der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung. Diese Verantwortung haben die Eltern; diese Verantwortung muss der Staat mit übernehmen, und diese Verantwortung haben Wirtschaft und Gewerkschaften. Darauf komme ich noch.

Wir haben unser Programm und unsere Vorschläge zur Kinderbetreuung und zur Förderung von Kindern ganz bewusst mit dem Titel „Die Familie stärken und nicht ersetzen“ überschrieben, weil wir meinen, dass die Familie Vorrang hat. Wo die Erziehung in den Familien geschehen kann und will, soll das vorrangig möglich sein. Deswegen wollen wir mit dem Programm vor allen Dingen Selbsthilfeeinrichtungen und Eigeninitiativen, die Eltern und Gruppen von Eltern auf den Weg bringen, ganz stark unterstützen; denn wir meinen: Die vorrangige Verantwortung der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder muss zum Tragen kommen, und deswegen müssen sie sich frei entscheiden können, in welchen Einrichtungen ihre Kinder betreut werden.

So vielfältig sich heute die Lebenswirklichkeit der Familien darstellt – von der alleinerziehenden Mutter, die auf Sozialhilfe angewiesen ist, bis hin zur Großfamilie, wo vielleicht Opa und Oma noch mithelfen können –, so vielfältig müssen auch die Angebote sein. Ein Teil Ihrer Politiker hat das wohl auch schon verinnerlicht. Die SPDKreistagsfraktion in meinem Bereich war dieser Tage beim Arbeitsamt. Sie hat sich dort informiert und für die Ganztagsschule stark gemacht. Zum Schluss aber – ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung – Bad Tölz“ von gestern –:

waren sich die SPD-Kreisräte mit dem Leiter des Arbeitsamtes einig, dass eine Ganztagsschule nur als Angebot und nicht über die Köpfe der Eltern hinweg konzipiert werden sollte.

(Frau Radermacher (SPD): Natürlich als Angebot, als was denn sonst! – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Sie sollten zuhören!)

Sie waren nicht dabei. Ich würde mir wünschen, dass Sie sich das zu Eigen machen.

(Frau Radermacher (SPD): Sie lügt wissentlich!)

Frau Radermacher, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass die Wirtschaft Druck auf die Politik mache. Die Wirtschaft ist sich aufgrund der demographischen Entwicklung sehr wohl bewusst, dass sie in Zukunft die Frauen noch mehr für den Arbeitsprozess brauchen wird. Wir wissen, dass heute schon über 60% der Mütter mit schulpflichtigen Kindern und ungefähr 30% der Mütter mit Kindern unter drei Jahren berufstätig sind. Das ist heute die Lebenswirklichkeit.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Hat das die CSU auch schon erkannt?)

Für diese Frauen und Familien müssen wir, so unterschiedlich ihr Berufsleben ist, unterschiedliche Angebote machen. Ich denke, dass sich die Wirtschaft mittlerweile sehr wohl bewusst ist, dass sie auch im Sinne einer familienfreundlichen Arbeitswelt nicht nur nach dem Staat rufen darf, sondern selbst Angebote unterbreiten muss.

Wir hatten dazu eine Anhörung, und wir haben in der vergangenen Woche dazu Anträge vorgestellt. Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, die die Wirtschaft beitragen kann – von flexiblen Arbeitszeitmodellen bis hin zu eigenen Kinderbetreuungseinrichtungen und Telearbeitsplätzen. Nur eines muss auch klar sein, verehrte Kolleginnen und Kollegen: Wenn wir die Wirtschaft auffordern, ihren Beitrag zu leisten, müssen wir für entsprechende Rahmenbedingungen sorgen. Es darf nicht passieren, dass durch zu strenge gesetzliche Regelungen das konterkariert wird, was die Wirtschaft eigentlich will; als Beispiel nenne ich das Gesetz über die Teilzeitarbeitsplätze. Wir haben auf Bundesebene – ich bitte das zu übermitteln – Handlungsbedarf, um der Wirtschaft die Rahmenbedingungen zu erleichtern.

Ich will zum Schluss aus einer Umfrage von 1996 berichten, die in den USA gestartet wurde und anlässlich derer Kinder über ihre Anforderungen an ihre berufstätigen Eltern befragt wurden. Gleichzeitig wurden die Eltern befragt, was sie sich von den Antworten ihrer Kinder erwarten. Die meisten Eltern haben erwartet, dass sich die Kinder mehr Zeit von ihnen wünschen. Diese Eltern waren ganz überrascht, dass sich ihre Kinder „weniger gestresste, sondern zufriedene und aufgeschlossen von der Arbeit heimkommende Eltern“ wünschen. Ich glaube, das ist ein wesentlicher Beitrag, den wir zu leisten haben und den eine familienfreundliche Arbeitswelt zu leisten hat.

Ich betone nochmals: Die Verantwortung, dass unsere Kinder zu eigenverantwortlichen selbstständigen jungen Leuten heranwachsen können, liegt zuallererst bei der Familie, dann beim Staat, mit ergänzenden nach dem Bedarf ausgerichtete Einrichtungen aber auch bei der Wirtschaft, die sich in diesen Prozess einbringen muss.