Christine Goertz

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Herr Staatssekretär, nachdem aufgrund der vom Staatsministerium für Unterricht und Kultus erlassenen Vorschriften für Schulleiterinnen und Schulleiter von Grund- und Hauptschulen, in deren Schulen im Schuljahr 2003/2004 die Schülerzahl unter die Messzahl von 180 fällt und die Zahl der Klassen von acht auf sieben zurückgeht, vier Anrechnungsstunden für Schulleitungsaufgaben trotz gleichen Umfangs an Aufgaben wegfallen und die Arbeitszeit der Verwaltungsangestellten von 1/3 auf 1/4 einer vollen Stelle verringert wird, frage ich die Staatsregierung, ob die Absicht besteht, dem betroffenen Personenkreis für die Erfüllung seiner bei minimal geringerer Schülerzahl praktisch gleich gebliebenen pädagogischen und verwaltungsmäßigen Führungsaufgaben die notwendigen Entlastungen und Hilfen zukommen zu lassen und wie die Maßnahmen aussehen werden, um diese erheblichen Verschlechterungen auszugleichen bzw. aufzuheben.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle fest: Der Mehrheit des Hauses fehlt der Mut und der Wille zur schulischen Integration förderbedürftiger Kinder.
Die Mehrheit des Hauses missachtet die Rechte der Eltern dieser Kinder – und das im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung!
Das ist ein Trauerspiel, Kolleginnen und Kollegen. Die Rede von Frau Hohlmeier hat dies ganz genau bewiesen.
Dem Parlament liegen heute zwei Gesetzentwürfe zur Änderung des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes sowie zum Schulfinanzierungsgesetz vor, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Um es präzise auf den Punkt zu bringen: Auf dem Gesetzentwurf der Staatsregierung steht Integration drauf; im Gesetzentwurf der SPD ist Integration drin.
Mit diesem Vergleich, Kolleginnen und Kollegen, will ich verdeutlichen: Der Entwurf der Staatsregierung betreibt Begriffskosmetik. Er täuscht echte schulische Integration vor, da für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf keine angemessenen Rahmenbedingungen für einen gemeinsamen lernzieldifferenten Unterricht an allgemeinen Schulen festgeschrieben wur
den – im Gegenteil: Kooperation siegt über Integration. Die Abschaffung der Lernzielgleichheit entpuppt sich als absolute Luft- und Propagandanummer.
Neue interpretierbare und diskriminierende Kriterien entscheiden jetzt über den Zugang zur allgemeinen Schule.
Kolleginnen und Kollegen, warum kam es überhaupt zu einer Änderung des Bayerischen Schulgesetzes? – Ausschlaggebend war, dass die SPD-Fraktion bereits im Januar 2002 eine Novellierung des Gesetzes eingereicht hatte. Die Staatsregierung geriet unter Zugzwang und legte schließlich im April des letzten Jahres einen übereilt zusammengeflickten, pädagogisch unausgegorenen Gesetzentwurf vor. Die inhaltliche Schieflage wurde allerdings noch übertroffen von einem total verwirrten Verfahren. Ein derart unprofessionelles, chaotisches Hin und Her von Präsentation und Rückzug habe ich in diesem Hause noch nie erlebt. So etwas habe ich wirklich noch nie erlebt. In diesem Procedere spiegeln sich Unsicherheit, Unzufriedenheit und vor allem Zweifel an der eigenen Konzeption wider.
Wegen seiner Einmaligkeit rufe ich dieses haarsträubende Verfahren hier in Erinnerung. Schon bei der Veröffentlichung des Entwurfs der Staatsregierung hagelte es nicht nur seitens der Opposition massive Kritik, sondern es entstand eine gewaltige Welle des Protestes, die in der Anhörung vom Juli 2002 ihren Höhepunkt fand. Umso erstaunter bin ich übrigens über Aussagen des Kultusministeriums, dass der Staatsentwurf auf allgemeine Zustimmung stoße. Was sagen Sie dazu? – Was halten Sie davon, Kolleginnen und Kollegen?
Als kurz nach der Anhörung einzelne Bereiche der Integration und der Förderschulen aus dem Gesetzentwurf zurückgezogen wurden, keimte bei vielen Betroffenen etwas Hoffnung auf. Umso herber war dann die Enttäuschung, als sich herausstellte, dass fundierte und konstruktive Vorschläge von Eltern, Verbänden, Institutionen und sogar von der Behindertenbeauftragten der Staatsregierung lediglich zu marginalen kosmetischen Verbesserungen geführt haben. Am Ende stimmte die Mehrheit im Verfassungs- und Rechtsausschuss für den Staatsentwurf, obwohl Kostenschätzungen für die Kommunen bezüglich sonderpädagogischer Förderung an allgemeinen Schulen fehlten und dieser Entwurf außerdem den Ansprüchen des Konnexitätsprinzips nicht genügte.
Auf massive Intervention der kommunalen Spitzenverbände wurde die im letzten Dezember angesetzte Zweite Lesung der Gesetzentwürfe schlagartig von der Tagesordnung genommen. Das neue Jahr begann mit gerüchtebrodelnder Ungewissheit. Mündliche Anfragen unsererseits brachten wenig Erhellendes – im Gegenteil: Der Gipfel dabei war, dass unterschiedliche Fragen von uns mit exakt gleichem Wortlaut beantwortet wurden. Als dann überraschend zum 13. Februar dieses Jahres die Zweite Lesung erneut auf der Tagesordnung erschien, half nur noch ein Dringlichkeitsantrag zur Ausschusssitzung am 6. Februar, um endlich Antworten auf unsere Fragen zu erhalten.
Aufschlussreich war zum Beispiel folgende Aussage, Kolleginnen und Kollegen – hören Sie jetzt bitte genau zu –: Für Schüler mit Förderbedarf im Bereich „Geistige Entwicklung“ wird auch nach der geplanten Gesetzesänderung regelmäßig nur die Förderschule in Betracht kommen. Kolleginnen und Kollegen, beides – der Ablauf der Ausschusssitzung am 6. Februar und der kurz danach vorgelegte, ebenfalls auf den 6. Februar datierte Änderungsantrag der CSU, auf den ich noch eingehen werde – lösten derartige Verärgerungen aus, dass die Zweite Lesung abermals abgesetzt wurde. Das war schließlich die dritte Vertagung!
Kolleginnen und Kollegen, diesen jämmerlichen Zirkus hätte sich die Staatsregierung ersparen können, wenn unser pädagogisch hochwertiger und bundesweit modernster Gesetzentwurf nicht abgelehnt worden wäre.
Bayern hat damit die Chance verpasst, vom letzten Platz in der Integrationsbewegung an deren Spitze aufzusteigen.
In der bereits erwähnten Anhörung wurde unserem Entwurf von allen Fachleuten höchste Qualität bescheinigt. Wir haben als oberstes Ziel die Lernzielgleichheit wirklich abgeschafft. Die SPD hat damit den Weg dazu frei gemacht, einen gemeinsamen Unterricht für alle förderbedürftigen Kinder mit anderen Schülerinnen und Schülern an allgemeinen Schulen zu ermöglichen. Das ist nun einmal so, Frau Hohlmeier, und Sie können nicht behaupten, dass dies nicht der Fall sei. Ich habe Ihnen deutlich gesagt: Bei Ihnen steht lediglich Integration drauf, ist aber Integration nicht drin.
Umsetzen wollen wir unsere Forderung durch die Einrichtung von Integrationsklassen mit festgelegten Rahmenbedingungen – das ist wichtig –, zum Beispiel durch Absenken der Klassenfrequenz, Zwei-Pädagogen-System, differenzierter Unterricht ohne finanzielle Vorbehalte, Kolleginnen und Kollegen. Vorgesehen ist von uns außerdem ein umfassendes Elternwahlrecht in Bezug auf den Lernort eines förderbedürftigen Kindes. Mithilfe einer Kind-Umfeld-Analyse soll der individuelle Förderbedarf ermittelt werden. Wir sehen in der Einrichtung von Förderausschüssen die Möglichkeit für Eltern, ihre Auffassung zum Förderbedarf sowie zum Förderort gleichberechtigt einzubringen.
Der Gesetzentwurf der SPD schafft mit diesem Konzept grundlegende Voraussetzungen dafür, Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine eigenständige Lebensgestaltung zu ermöglichen. Zu Ihrer Behauptung, in unserem Gesetzentwurf würde irgendetwas stehen, dass Förderschulen abgeschafft werden sollen, muss ich sagen: Das ist wirklich Lug und Trug. Das ist in keiner Weise Realität!
Im Gegensatz dazu steht der Gesetzentwurf der Staatsregierung. Er gibt vor, dass sich alle Schulanfänger, auch jene mit sonderpädagogischem Förderbedarf, an der Grundschule anmelden sollen. Die Schule überprüft, ob das Kind aufgenommen werden kann. „Die Aufnahme eines Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf“ – ich zitiere Herrn Stoiber anlässlich der Eröffnungsgala zum „Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung“ im letzten November –, „in eine Klasse der allgemeinen Schule muss pädagogisch und sozial verantwortbar sein“. Wann ist das der Fall? – Sicherlich nur, wenn die Rahmenbedingungen für eine schulische Integration vorhanden sind, und dafür ist der Freistaat verantwortlich! Dieser aber lässt die Schulen bei Integrationsmaßnahmen elementar im Stich, Kolleginnen und Kollegen.
Stellen Sie sich bitte einmal eine Grundschulklasse mit 29 Schülern vor, darunter auch einige schwierige Schüler und zusätzlich drei Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, und das auf 50 qm. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da kommt Integrationsfreude auf. Mit dem Entwurf der Staatsregierung werden ganz andere Ziele verfolgt, zum Beispiel Kooperationsmaßnahmen – ich betone „Kooperationsmaßnahmen“ – zwischen Förderschulen und allgemeinen Schulen zu erleichtern. Nach diesem Entwurf soll der Besuch einer allgemeinen Schule darauf beschränkt werden, ob Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Klassengemeinschaft einbezogen werden können und sie zumindest in gewissem Umfang Lernerfolge erzielen. Schon an diesen Vorgaben ist mehr als deutlich zu erkennen: der Gesetzentwurf erhält den Status quo aufrecht. Er ist ein Schlag ins Gesicht aller Eltern mit Integrationswunsch und verspielt auf Jahre hinaus die Chancen; für alle förderbedürftigen Kinder Normalität zu schaffen.
Ein absoluter Hohn ist die Tatsache, dass die Kultusministerin im „Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung“ Bayerns Schulen dazu aufruft, ein Zeichen für ein Miteinander für Menschen mit und ohne Behinderung zu setzen.
Sie selbst ist jedoch nicht im Mindesten dazu bereit, die gesetzlichen Grundlagen für dieses Miteinander an den Schulen zu schaffen. Frau Staatsministerin, Appelle und hehre Worte sind zwar öffentlichkeitswirksam, vertuschen aber, dass der Kultusministerin der explizite Wille fehlt, sich mit klaren Aussagen zur schulischen Integration zu bekennen.
Frau Staatsministerin Hohlmeier und liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, ich möchte Ihnen deshalb Ihre eigene Kampagne, mit der Sie „Weniger Barrieren im Leben und in den Köpfen“ gefordert haben, zur Verinnerlichung empfehlen. Falls Sie es noch nicht wissen sollten: Die „Na-und“-Aktion macht sich für Integration und nicht für Ausgrenzung stark. Während sich Bayern noch mit der Integration quält, gibt es in Hamburg Grundschul
klassen, die bereits erste Schritte in eine inklusive Richtung gehen. Dort wird nicht mehr zwischen dem „einen“ oder dem „anderen“ Kind unterschieden, vielmehr ist dort Heterogenität Normalität. Ohne Zweifel wären Sie gut beraten, dies zur Kenntnis zu nehmen.
Beim Integrationsbegriff ist speziell in Bayern eine Inflationierung festzustellen. Nahezu alle Maßnahmen, Konzepte und Formen der Kooperation werden als integrativ hingestellt und erheben damit automatisch einen Anspruch auf hohe Qualität. Dazu zählt auch die Meldung der zehntausend so genannten integrativ beschulten Kinder an allgemeinen Schulen. Der Schein trügt; denn in Wahrheit werden diese Kinder nach dem normalen Lehrplan der jeweiligen Schule unterrichtet.
Wir sollten auch nicht vergessen, dass das Prinzip der Kooperation nach der schlichten Gleichung „Je fitter, desto integrierbarer, je schwächer desto weniger integrierbar“ verfährt. Diese Aspekte werden deutlich, wenn wir die einzelnen Neuerungen analysieren, die im Gesetzentwurf der Staatsregierung stehen. In der Geschichte der bayerischen Bildungspolitik dürfte es wohl einmalig sein, dass eine konzeptionelle Änderung in unserem Schulsystem unter der Maßgabe „im Rahmen der verfügbaren Stellen und Mittel“ erfolgen soll. Ich verweise dazu auf Artikel 19.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen Sie sich einmal vor, was geschehen wäre, wenn genau mit dieser Einschränkung die Einführung der R 6 vorgenommen worden wäre. Hier wird geklotzt! Kosten spielen überhaupt keine Rolle. Dafür drückt sich der Freistaat auf anderen Feldern. Ich nenne zum Beispiel die kommunalen Schulen. Der Staat zahlt seit Jahren Zuschüsse für Lehrpersonalkosten, die den tatsächlichen Aufwand in keiner Weise abdecken. Der nun gefasste Beschluss, den Zuschuss von derzeit 60 auf lediglich 61% anzuheben, ist nicht nur lächerlich, sondern absolut peinlich.
Wir fordern den Freistaat auf, endlich die Personalkosten zu 100% zu erstatten. Dies ist zwingend erforderlich.
Weitere Beispiele sind die Schülerbeförderung, die Computerausstattung und die Systembetreuung sowie die Mittags– und die Nachmittagsbetreuung. Der Staat drückt sich. Nehmen wir die Schulsozialarbeit: Hier drückt sich der Freistaat vor seinem Erziehungs– und Bildungsauftrag und damit vor der personellen und finanziellen Verantwortung. Jahrelanges Nichtstun hat ein Defizit an sozialpädagogischer Arbeit an den Schulen zur Folge gehabt. Das sollen nun die Kommunen richten. Das Kultusministerium ist in dieser Frage total abgetaucht. Die Richtlinien werden vom Sozialministerium vorgegeben.
Zurück zum Gesetzentwurf der Staatsregierung. Dort stehen die sonderpädagogischen Hilfen und Dienste wie bisher unter einem finanziellen Vorbehalt. Gleichzeitig ist aber beabsichtigt, gerade die sonderpädagogische Förderung als präventive Maßnahme sowie als Grundlage für die Kooperation an allgemeinen Schulen weiter aus
zubauen. Beides ist Fiktion, wenn die Kostenfrage die Hauptrolle spielt.
Passend hierzu möchte ich den Artikel 21 aufgreifen. Dieser beschäftigt sich ausschließlich mit den mobilen sonderpädagogischen Diensten. Diese werden von der Staatsregierung als zentrale Säule der Kooperation angesehen. Ihnen war es trotz rückläufiger Schülerzahlen nicht möglich, in den letzten zehn Jahren einen Anstieg der Förderschüler um 50% zu verhindern. Um diese Tendenz umzukehren, müssen nach unserer Auffassung folgende wichtige Voraussetzungen geschaffen werden:
Erstens. Das Missverhältnis zwischen der Anzahl von Sonderschullehrern an Förderschulen und der an allgemeinen Schulen muss beseitigt werden. Im Schuljahr 2000/2001 unterrichteten beispielsweise über 7200 Lehrkräfte an Förderschulen, während sich knapp 300 Sonderschullehrer im mobilen Dienst an allgemeinen Schulen befanden.
Zweitens. Um pädagogisch wirksame Erfolge zu erzielen, fordern wir eine konsequente Installation sonderpädagogischer Kompetenz an allgemeinen Schulen. Nicht zu akzeptieren ist deshalb die unveränderte Begrenzung des Förderaufwands in Artikel 21 Absatz 3 im Gesetzentwurf der Staatsregierung. Durch diese Einschränkung bleiben einem förderbedürftigen Kind an einer allgemeinen Schule weiterhin lediglich 0,8 Förderstunden pro Woche. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich frage Sie, ob das Ihre Vorstellung von individueller Förderung ist.
Klar ist, dass Sie mit dieser Politik eine schulische Integration weitgehend verhindern. In Artikel 30 des EUG wird die Zusammenarbeit von Schulen, vor allem von Förderschulen und allgemeinen Schulen, geregelt. Die SPD hat in ihrem Gesetzentwurf diese Form der Kooperation dahin gehend festgeschrieben, dass als Ziel ein gemeinsamer lernzieldifferenter Unterricht verwirklicht wird.
Beim Thema „Zusammenarbeit von Schulen“ gab es erhebliche Probleme bei betroffenen Eltern. Sie hatten beklagt, im bestehenden Schulgesetz keinerlei rechtliche Handhabe für die Einrichtung von Außenklassen oder Kooperationsklassen zu besitzen. Mit dem Gesetzentwurf der Staatsregierung wird für sie ein Angebot geschaffen, dessen Verwirklichung kaum möglich ist. Sollte es eventuell doch verwirklicht werden, kann es nicht im Mindesten überzeugen. In Kooperationsklassen wird nämlich nach dem Lehrplan der allgemeinen Schule unterrichtet. Außerdem kann aufgrund der fehlenden Rahmenbedingungen gemeinsames Lernen nicht funktionieren. Darüber hinaus werden die Außenklassen für die wenigsten Kinder wohnortnah eingerichtet, wodurch wiederum Transportkosten verursacht werden. Schließlich werden die minimalen Zugeständnisse für Außen– und Kooperationsklassen weiterhin unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen.
Leider wird Bayern noch einen weiten Weg zurücklegen müssen, um das zu erreichen, was in ganz Europa längst Standard ist: ein Elternwahlrecht zwischen wohnortnaher integrativer Förderung in der allgemeinen Schule und der in der Förderschule.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Horrorkatalog der Staatsregierung, dem Artikel 41. Nicht ohne guten Grund erntete gerade dieser Artikel bei der Anhörung massive Kritik, weil er eindeutig belegt, dass die Abschaffung der Lernzielgleichheit rein formal und damit eine einzige Farce ist. Die SPD lehnt den gesamten Artikel kategorisch ab. Wir sind überzeugt, dass die darin neu formulierten Hürden, Regelungen und Maßnahmen eine humane, pädagogisch verantwortungsvolle schulische Integration nicht zulassen. Begriffe wie „aktive Teilnahme am Unterricht“ und „gemeinschaftsfähig“ sind reine Auslesekriterien und werden für viele Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf den Zugang zur allgemeinen Schule absolut verhindern.
Gestatten Sie mir, dass ich an dieser Stelle einige Sätze aus der Stellungnahme der Vertreterin der Landesarbeitsgemeinschaft „Gemeinsam leben – gemeinsam lernen“ zitiere.
Sie ist Mutter eines autistischen Kindes und führte bei der Anhörung am 04 Juli des letzten Jahres Folgendes aus:
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich fragen: Ist es nicht ein Armutszeugnis, über ein Kind zu sagen, dass es nicht in die Gesellschaft passt? Können sie sich vorstellen, welche Demütigung es für eine Familie ist, wenn ihr gesagt wird: Dein Kind ist nicht gemeinschaftsfähig? Nein, meine Damen und Herren, keines unserer Kinder ist nicht gemeinschaftsfähig.
Ich meine vielmehr, eine Schule ist nicht gemeinschaftsfähig, solange sie nicht in der Lage ist, alle Kinder zu integrieren. Denn wir, die Familien, sind die Keimzellen dieser Gesellschaft. Wir beweisen Tag für Tag, dass unsere behinderten Kinder mit ihren Geschwistern gemeinsam leben und lernen können. Und deswegen erwarten wir auch von der Schule, dass sie Rahmenbedingungen schafft, die jedem unserer Kinder eine Förderung ermöglicht, ohne sie auszusondern.
Spätestens seit der Pisa-Studie wissen wir, dass es keine pädagogischen Gründe gibt, irgendein Kind vom gemeinsamen Unterricht auszuschließen. Es ist eine Schande für die Staatsregierung, das Recht auf Einrichtung von Integrationsklassen zu verwehren, Kolleginnen und Kollegen.
Während die SPD in ihrem Gesetzentwurf Elternrechte durch gleichberechtigte Teilnahme an Fachgremien stärkt, treibt die CSU mit den Eltern förderbedürftiger
Kinder ein heuchlerisches Spiel. Kaum zu glauben, aber wahr: Noch im November des letzten Jahres hatte die CSU im Gesetzentwurf der Staatsregierung den Artikel 41 dahin gehend geändert, dass Erziehungsberechtigte das Recht haben, sich am Begutachtungsverfahren zu beteiligen. Durch den Änderungsantrag der CSU vom 06. 02. 2003 wird den Eltern dieses Recht auf Beteiligung in rigoroser Weise wieder abgesprochen, denn jetzt heißt es: „Erziehungsberechtigte sind rechtzeitig zu informieren und im Rahmen des Begutachtungsverfahrens anzuhören“. Das ist nicht nur eine gravierende Änderung, sondern eine massive Verschlechterung. Das ist brutale Täuschung. Jeder weiß, dass Information und Anhörung zu den Mindeststandards gehören, die in keiner Weise neu sind.
Dieser Roll-back ist eine Ungeheuerlichkeit sondergleichen und belegt gleichzeitig das Doppelspiel der CSU: In der Öffentlichkeit verkauft sie, Ziel des Gesetzentwurfes sei es, die Mitwirkungsrechte der Eltern zu verbessern. In Sonntagsreden haben Mitspracherecht und Mitentscheidung der Eltern an den Schulen einen hohen Stellenwert. Herr Freller beteuert, den Eltern sollten mehr Entscheidungskompetenzen übertragen werden. Frau Hohlmeier fordert Kinder, Eltern und Lehrer auf, die Schulen zu reformieren. Aber wie, Kolleginnen und Kollegen, wie soll das geschehen, wenn ihnen die dafür notwendigen Rechte verweigert werden?
Die CSU hat keinerlei Interesse an Elternrechten. Sie setzt sich eiskalt darüber hinweg, Elternrechte zu beachten, die in Artikel 6 des Grundgesetzes und in Artikel 126 der Bayerischen Verfassung
ja der Bayerischen Verfassung, mein lieber Herr von Rotenhan da oben –, festgeschrieben sind. Was bleibt, sind Phrasen, nichts als hohle Phrasen.
Artikel 41 gibt außerdem Anlass, das zu tun, was Herr Stoiber einer Mutter mit ihrem mehrfach schwer behinderten Kind geraten hatte, „Bayern doch zu verlassen“. Auf der Eröffnungsgala sang Herr Stoiber hingegen das Hohe Lied der bayerischen Behindertenpolitik. Ich zitiere:
Ihm sei gesagt worden, dass in Bayern immer noch etwas bewegt werden konnte, wo in anderen Ländern nichts mehr ging.
Die Mutter hat mit ihrem Kind Bayern inzwischen verlassen. In Österreich wurde ihre Tochter anstandslos und sogar ohne Gutachten in eine Grundschule aufgenommen. Dort wird sie jetzt gemeinsam mit den anderen Kindern unterrichtet.
Kolleginnen und Kollegen, der gesamte Gesetzentwurf führt Auslese und Trennung von Kindern und Jugendli
chen mit sonderpädagogischem Förderbedarf konsequent fort und verkennt dabei die pädagogischen Möglichkeiten für einen gemeinsamen Unterricht aller Kinder.
Apropos Kinder: Im Kindergartenbereich wird die integrative Erziehung künftig ihren festen Platz erhalten. Dies ist dem „Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder von null bis sechs Jahren“ zu entnehmen. Uneingeschränkte Teilhabe, gemeinsame Bildung, Erziehung und Betreuung sowie eine auf ihre individuellen Bedürfnisse abgestellte spezifische Förderung und Unterstützung sollen fortan allen Kindern mit Behinderung zukommen.
Auch für die Erwachsenen greifen zahlreiche Instrumentarien aufgrund des Gleichstellungsgesetzes des Bundes, welches durch eine Landesgesetzgebung auf Druck der SPD ergänzt wird, um eine echte und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Würde ich die bayerische Situation mit einem Haus vergleichen, so existierten Keller und Dach. Dazwischen aber leider nur Luft!
Ob Sie, Kolleginnen und Kollegen – –
Ich frage Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wenn Sie so lachen: Würden Sie in einem derartigen Haus leben wollen? – Beurteilen Sie das bitte selbst.
Gemeinsamer Unterricht aller Kinder ist ein gemeinsames Markenzeichen der PisaGewinner-Länder. Hier ist eindeutig belegt, dass integrativer oder lernzieldifferenter Unterricht, der auf die Vielfalt in der Gemeinsamkeit eingeht, sowohl lernstarke als auch förderbedürftige Schülerinnen und Schüler zu Spitzenleistungen führt.
Zu einer Schule, in der Lernen Freude macht, zählt in Deutschland die „Bielefelder Laborschule“, die mit einem Anteil förderbedürftiger Schüler in Höhe von 3,5% an der Gesamtschülerzahl phänomenale Schulergebnisse erzielt hat. Ich möchte deshalb folgende Worte des Gründers der „Bielefelder Laborschule“, Hartmut von Hentig zitieren:
Solange Ihr nicht wahrnehmt, was das Schulsystem euren Kindern antut, mit der ständigen Benotung, mit der Fiktion einer homogenen Klasse, mit der Dreigliedrigkeit und der Behauptung, diese werde der Verschiedenheit der Kinder gerecht, solange ihr das nicht wahrnehmt, ist die Krise noch nicht weit genug fortgeschritten.
Es ist nicht zu überhören, Kolleginnen und Kollegen: Erwachsene mit Behinderung fordern mit aller Kraft: Schluss mit Fürsorge, Mitleid und Bevormundung. Unsere Aufgabe in diesem Hause ist es, von dem defizitorientierten Denken endlich wegzukommen. Menschen mit Behinderungen erwarten Veränderungen, wenn sie zu uns sagen: Wir werden behindert. Ein komplettes Umdenken kann aber nur funktionieren, wenn bereits in
frühen Jahren nicht Ausgrenzung, sondern Gemeinsamkeit praktiziert wird.
Der Gesetzentwurf der Staatsregierung wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Er ist weder zukunftsorientiert noch schafft er Normalität für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, lehnt die SPD diesen Gesetzentwurf der Staatsregierung ab.
Desgleichen lehnen wir den Änderungsantrag der CSU vom 06. 02. 2003 ab. Dem Dringlichkeitsantrag der CSU vom 12. 02. 2003 sowie dem Änderungsantrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN zum Gesetzentwurf der Staatsregierung stimmen wir zu. Außerdem beantragen wir namentliche Abstimmung zu unserem Gesetzentwurf.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das nach wie vor überraschende Vorgehen der Staatsregierung, einen Gesetzentwurf zur Änderung des bayerischen EUG und des bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes in zwei unabhängige Teile aufzusplitten, sorgte sogar noch bei der Anhörung zu den beiden Gesetzentwürfen von Staatsregierung und SPDFraktion, in der vergangenen Woche für ausreichend Verwirrung – Verwirrung vor allem deshalb, weil die Artikel, die jetzt als Gesetzentwurf der CSU vorliegen, in der Vorlage des Entwurfs der Staatsregierung bei der Anhörung bereits fehlten. Vergeblich haben also die eingeladenen Verbandsvertreter nach den entsprechenden Passagen gesucht und mussten sich erneut mit einer Überraschung abfinden.
Die erste Überraschung – daran möchte ich kurz erinnern – war die extrem kurze Frist gewesen,
die es den Fachverbänden kaum ermöglichte, fundierte Stellungnahmen zu dem Gesetzentwurf abzugeben. Abgesehen davon, dass der Entwurf der Staatsregierung an sich auf vielseitige Ablehnung stieß, wurde gerade dieses Vorgehen von allen Beteiligten als absolut unzumutbar kritisiert.
Um auf den Gesetzentwurf der CSU-Fraktion zu sprechen zu kommen, war der ganze eilige Aufwand eigentlich die Sache nicht wert, denn im Grunde genommen wurde wenig Bahnbrechendes beschlossen, im Gegenteil: Es kristallisierte sich die grundsätzliche Missachtung gegenüber notwendigen Partnern heraus, die für konstruktive Mitarbeit und Neuerungen unerlässlich sind. Ich nenne hierfür stellvertretend drei Bereiche: das Schulforum, die Verlagerung der Zuständigkeit für den Bereich der Förderschulen und die volljährigen Schüler.
Ich beginne mit dem Schulforum: Die im Vorblatt des Gesetzentwurfs gewählte Formulierung: „Das Schulforum soll mehr Entscheidungskompetenzen erhalten“ ließ den Leser noch hoffen. Bei genauerer Betrachtung hingegen sind diese Erwartungen sehr schnell im Winde verflogen. Denn gerade die für die Schülerinnen und Schüler entscheidenden Kompetenzen, beispielsweise „Neuerungen innerhalb der Lehrpläne mitzugestalten“, werden lediglich mit einer äußerst vagen Kann-Formulierung umgesetzt. Der konkrete Änderungsvorschlag der SPD, diese Formulierung bindender zu fassen, wurde von Ihnen, Kolleginnen und Kollegen der CSU – wie nicht anders erwartet – abgelehnt. Dass die CSU inzwischen die Entwicklung eines eigenen Schulprofils propagiert, das habe ich bereits bei der Ersten Lesung positiv vermerkt.
Weiter gehende Vorschläge aus dem Änderungsantrag des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, die von uns inhaltlich mitgetragen werden und die eine wirklich umfassende Stärkung des Schulforums zum Ziel haben, wurden ebenfalls in Bausch und Bogen abgelehnt. Dies zeigt deutlich, dass in der Kultusbürokratie von Partizipation zwar geredet, aber noch viel zu wenig danach gehandelt wird. Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich frage Sie: Was ist eigentlich mit Ihrem Motto „Zeit für Taten“? Wo bleiben denn die Taten?
Außerdem ist es nach unserer Auffassung völlig unverständlich, warum bislang kein Schulforum in der Grundschule eingerichtet wurde.
Es dürfte doch unstrittig sein, dass die Einbindung und die Mitsprache von Kindern in angemessener Form maßgeblich dazu beitragen, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und damit ihre Persönlichkeitsentwicklung positiv zu beeinflussen und zu fördern. Für eine derartige Entwicklung unserer Kinder scheinen Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, nach wie vor nicht zu interessieren. Von unserer Seite werden deshalb für diesen Bereich weitere Aktivitäten angeboten.
Das im Kultusministerium kaum vorhandene Gespür für Subsidiarität lässt sich an dem nächsten von mir genannten Beispiel, der Verlagerung der Zuständigkeit für Förderschulen vom Schulamt auf die Regierungsebene, recht deutlich aufzeigen. Auch hier wird weg von den Betroffenen weiter zentralisiert, anstatt bewusst die organisatorische Nähe aufrechtzuerhalten. Es ist schon eigenartig, dass der Anspruch auf Subsidiarität dem Bund gegenüber immer zu gelten hat, während er im eigenen Land nur geringe Bedeutung zu haben scheint. Diese Verlagerung wird von Fachleuten vehement kritisiert und ist auch wenig sachgerecht. Zusammenfassend wäre dazu zu sagen: Sie ist schlichtweg unnötig.
Umso verwunderlicher ist es, festzustellen, dass wir heute eine Gesetzesänderung beraten, die zum Beispiel in Schwaben seit einiger Zeit bereits vollzogen ist.
Ich führe einen dritten Aspekt an, bei dem es sich in meinen Augen um einen Schnellschuss handelt und der den Umgang mit jungen Menschen deutlich macht. Angesichts der schrecklichen Ereignisse von Erfurt hält man die unzureichende Informationspflicht den Eltern volljähriger Schülerinnen und Schüler gegenüber für das schulorganisatorische Grundübel, als hätte eine frühzeitige Information der Eltern in diesem Falle irgendetwas bewirkt? Selbst wenn man auf diese Prämisse eingehen wollte, bleibt doch fraglich, ob aufgrund dieses ohnehin unvergleichlichen Einzelfalls, dem eine Kette von Niederlagen zugrunde liegt, alle volljährigen Schülerinnen und Schüler in Unmündigkeit zurückversetzt werden sollen. Machen wir uns doch bitte nichts vor: Es ist nicht geklärt, ob in einer vergleichbaren Situation die Eltern auch bei Kenntnis der schulischen Situation einen ausreichenden Einfluss auf den jungen Mann hätten ausüben können, um eine solche Gewalttat zu verhindern. Gewalt – um den Erziehungswissenschaftler Peter Struck zu zitieren – lässt sich nur durch Erziehung verhindern, nicht durch äußere Maßnahmen. Daher halte ich die Neuerung einfach für zu kurz gedacht.
Unabhängig davon werden damit die Persönlichkeit und die Eigenverantwortlichkeit des volljährigen Schülers oder der volljährigen Schülerin nicht in ausreichendem Maße ernst genommen, wovor ich grundsätzlich warnen möchte. Erfolgreichere Bilanzen erreiche ich nicht mit einer Rückübertragung der Verantwortung auf die Eltern, sondern allein durch die Übertragung der Verantwortung auf die jeweils Betroffenen. Dass die geänderte Ferienregelung zumindest bei den Schülerinnen und Schülern auf einhellige Freude trifft, ist bei der derzeitigen Gestaltung der bayerischen Schulen eigentlich kein Wunder. Vor kurzem erst hat ein Münchner Abiturient, offensichtlich humanistisch gebildet, in seiner Abiturrede die neun Jahre an einem bayerischen Gymnasium mit den neun Kreisen der Hölle in Dantes „Göttlicher Komödie“ verglichen. Daraus schließe ich: Von einer Schule als Lebensraum sind wir in Bayern wahrhaft noch meilenweit entfernt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wenn wir nicht jetzt ein grundsätzliches Umdenken in Richtung Eigenverantwortung der Schulen leisten, werden wir kaum eine Schule für das 21. Jahrhundert entwickeln können. Aufgrund der soeben aufgezählten Ungereimtheiten und Zögerlichkeiten im Gesetzentwurf der CSU werden wir uns insgesamt der Stimme enthalten.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an meine Kollegin Schieder anknüpfen. Wir werden im Augenblick zu Zeugen einer Krankheit, die es außerhalb Deutschlands überhaupt nicht gibt. Ich spreche hier von der Pisa-Hysterie, die gegenwärtig jeden und jede zu befallen scheint, der mit dem Thema Bildung konfrontiert wird.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch.
Ich begrüße es sehr, dass die Bildung zum Thema der Debatte geworden ist. Was mich aber stört, ist das voreilige Bilanzieren und Fazit-Ziehen, ehe die nun vorliegenden Ergebnisse umfassend analysiert werden konnten. Kollege Schneider ist ein Phänomen, wenn er heute Nacht die 250 Seiten durchgearbeitet hat. Aus diesem Grund können wir uns ausschließlich mit einigen jetzt zutage getretenen Erkenntnissen befassen. Bayerns Schülerinnen und Schüler und deren Lehrerinnen und Lehrer haben es geschafft, deutschlandweit eine Spitzenposition einzunehmen. Dazu meinen herzlichen Glückwunsch!
Diese erfreuliche Nachricht darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das bayerische Schulsystem noch unzureichende Ergebnisse liefert. Auch das bayerische Schulsystem verschärft bestehende soziale Ungleichheiten unter den Schülern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Jugendlicher aus der gehobenen Bildungsschicht die Hochschulreife erreicht, ist unabhängig von seinen geistigen Fähigkeiten sechsmal so hoch wie bei seinem Freund aus der Arbeiterschaft. Hier schafft das bayerische Schulsystem keinerlei Abhilfe.
Beinahe hätte ich nun Marx zitiert mit seiner Erkenntnis von der Privilegierung der Privilegierten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, ich zitiere lieber aus der Bibel, die Ihnen geläufiger sein dürfte: „Wer hat, dem wird gegeben.“ Das ist die Maxime der bayerischen Bildungspolitik und für die SPD genau der Knackpunkt.
Ich wiederhole es, weil es stimmt. Sie können so viel reden, wie Sie wollen, Sie können mich nicht vom Gegenteil überzeugen.
Hier müssen wir ansetzen, wenn das Schlagwort von der Bildungsgerechtigkeit ernst genommen werden soll.
Wir müssen die Herausforderung annehmen, jedes einzelne Kind und jeden Jugendlichen individuell zu fördern, um so für alle die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen, dass erstens jeder die in ihm steckenden Fähigkeiten auch vervollkommnen kann und dass zweitens Klagen über Studenten- und Fachkräftemangel gegenstandslos werden; denn auch hier gibt es besonders in Bayern Defizite, die nur von außerhalb zu decken sind.
Ich komme zu einem weiteren Punkt, der eng mit dem vorherigen zusammenhängt. Es ist kein Zeichen von Stärke, durch scharfe Auslese bereits in der Grundschule möglichst wenige Jugendliche zu höheren Abschlüssen zu führen. Hinzu kommt eine hohe Zahl von jungen Menschen ohne Schulabschluss und damit auch weitgehend ohne Perspektive. Diese frühzeitige Selektion der Kinder führt in jedem Fall nicht zu der von Frau Schavan immer wieder hervorgehobenen „Lust am Lernen“, sondern treibt sie den Kindern eher aus.
Auch hierzulande gibt es bei allen Erfolgen, die wir anerkennen müssen, eine Kultur des Aussiebens und des
Abschiebens – siehe zum Beispiel die erhöhten Schülerzahlen an den Förderschulen. Wir aber brauchen eine Kultur des Förderns und des Helfens, um es besser machen zu können.
Die Einführung zum Beispiel von Tests, die allein der Kontrolle der Selektion dienen, hilft wenig, wenn nicht mit geeigneten Maßnahmen darauf reagiert wird. Tests allein helfen gerade den Risikogruppen wenig, weil diese nicht die Möglichkeit haben, in Lernstudios speziell auf Tests vorbereitet zu werden.
Angebracht wäre im Gegenteil eine Weiterentwicklung des Schulsystems, der sich alle am Bildungswesen Beteiligten zu widmen haben. Dazu müssen wir die einzelnen Schulen endlich in die Freiheit entlassen und ihnen mehr Befugnisse und Kompetenzen geben, damit sie ihre Schülerinnen und Schüler nach den jeweiligen Bedürfnissen fördern können. In diesem Zusammenhang kann es gerade, was die breitere Bildungsbeteiligung angeht, der richtige Weg sein, Ganztagsschulen anzubieten. Herr Glück ist jetzt leider nicht mehr da, aber ich glaube – –
Wo ist er denn?
Ich sehe Sie jetzt, Herr Glück, ich glaube, Sie haben das Problem,
dass Sie mit Gesamtschule und Ganztagsschule nicht recht klarkommen.
Herr Glück, Sie wissen, dass die Ganztagsschule von einer breiten Mehrheit, von den Eltern bis hin zur Wirtschaft unterstützt wird.
Sie haben die Umfragen auch gelesen. – Es gab eine eindeutige Umfrage von Emnid: Über 80% der Eltern in Bayern wünschen sich eine Ganztagsschule.
Diese Schule kann gerade aufgrund des erweiterten Zeitbudgets sowohl Schwächere als auch Stärkere unterstützen. Sie betonen, dass in den Ganztagsschulen nur schwächere Schüler unterstützt werden können. Das stimmt auf keinen Fall. Es ist möglich, sowohl Schwächere als auch Stärkere zu unterstützen. Es ist das Privileg einer Ganztagsschule, individuelle Förderung zu leisten.
Der in dieser Studie zum Ausdruck gekommene Erfolg sollte uns dazu anspornen, noch besser zu werden, und zwar nach dem Motto: Das Beste für unsere Schülerinnen und Schüler. Es hilft wenig, sich aufs hohe Ross zu setzen. Es hilft wenig, plötzlich Volksschullehrern leere Versprechungen zu machen, wenn man weiß, dass es noch sehr viel zu tun gibt. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam beschreiten, damit Bayern auch international an die Spitze kommt.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Münzel.
Herr Staatssekretär, da nach Zustimmung aller Bundesländer, die vier Milliarden e vom Bund für 10000 Ganztagsschulen als Hilfsangebot anzunehmen, Bayern dahin gehend dementierte, dass das Geld zwar angenommen werde, aber ohne Vorgabe für dessen Verwendung, frage ich die Staatsregierung, für welche konkreten Pläne die zur Verfügung stehenden Bundesmittel eingesetzt werden und wie viele Ganztagsschulen und welche Schularten in die Planung einbezogen sind, die auf den vom Bund vorgegebenen Zeitrahmen eingehen sollte.
Sie haben gesagt, Sie würden das Geld nehmen, aber die Erfüllung jeglicher Auflagen des Bundes verweigern. Das bedeutet, dass Sie konkrete Pläne haben müssen, wie Sie das Geld einsetzen wol
len, das Ihnen zur Verfügung steht. Diesbezüglich haben Sie mir noch keine Antwort gegeben.
Sie haben in einem langen Bericht definiert, was der Unterschied zwischen Ganztagsschule und Ganztagsbetreuung ist. Ich habe aber immer noch keine Antwort darauf bekommen, wie viele Ganztagsschulen geplant werden sollen.
Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Dass heute ein Gesetzentwurf der CSU-Fraktion zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen und des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes vorliegt, bedarf einer Erklärung. Es dürfte bekannt sein, dass die Erste Lesung des Gesetzentwurfes der SPD zum Bayerischen EUG und zum Bayerischen Schulfinanzierungsgesetz am 21. Februar und die des Änderungsentwurfes der Staatsregierung zu den gleichen Gesetzen am 18. April dieses Jahres stattgefunden haben. Trotz sofortiger vollmundiger Ankündigungen in der Presse, „Mehr behinderte Kinder an allgemeine Schulen“, und kühner Erklärungen der Kultusministerin, „die Fördermöglichkeiten für behinderte Kinder würden vielfältiger und noch flexibler auf den Einzelfall zugeschnitten“, lief eine Welle des Protestes durch den Freistaat.
Nach massivem Druck von Opposition, kommunalen Spitzenverbänden und zahlreichen Fachverbänden, hier nenne ich explizit die Lebenshilfe, Landesverband Bayern –; auf diesen massiven Druck hin – möglicherweise war die Ursache auch noch etwas anderes –, hat die Staatsregierung den Hauptteil – besser wäre gewesen, den ganzen Entwurf – ihres umstrittenen Gesetzentwurfes zurückgenommen. Und zwar den Teil, der die Integration von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in allgemeine Schulen und die Förderschulen betrifft. Durch diesen Rückzug wird die Behandlung des Gesetzentwurfs der Staatsregierung auf den Herbst verschoben. Das heißt, dass der viel kritisierte Gesetzentwurf zum nächsten Schuljahr nicht in Kraft tritt. Das ist auch gut so.
Denn der Gesetzentwurf geht zwar in die richtige Richtung, ist aber nach Meinung der SPD ein Blendwerk par excellence. Dafür beschert uns jetzt die CSU-Fraktion einen eigenen Gesetzentwurf, in den sie einige Punkte aus dem Entwurf der Staatsregierung übernommen hat,
die zum kommenden Schuljahr greifen sollen. Vorgesehen sind die Einführung neuer Ferien und die Verlagerung von Aufgaben der Schulaufsicht über die Förderschulen auf die Regierungen. Das passt gut in das CSUKonzept. Wir halten es allerdings für schwierig, anhand einer Einzelmaßnahme so weitgreifende Entscheidungen zu treffen. Für uns ist es wichtig, mit mehr Verlagerung der Verantwortung nach unten und einem hohen Maß an selbst verantworteter Gestaltungsfreiheit der Einzelschule die Qualität schulischer Arbeit kontinuierlich zu verbessern.
Wir halten es in diesem Zusammenhang deshalb für angebracht, eine grundlegende Debatte über Veränderungen der Schulstruktur zu führen. Richtig ist es, die Entscheidungskompetenzen der Schulforen zu stärken. Es reicht aber bei weitem nicht aus, mit Kann-Bestimmungen Kosmetik zu betreiben. Im Gegenteil: Unverzichtbar ist es für Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte, gesetzliche Mindeststandards für Entscheidungs- und Partizipationsrechte im Rahmen der Mitwirkung festzulegen. Dazu werden wir einen entsprechenden Antrag einreichen.
Besonders zu begrüßen ist es dagegen, dass MittlereReife-Klassen für private Volksschulen, welche die Jahrgangsstufen 7 bis 9 führen, gesetzlich festgeschrieben werden. Damit wurde ein Anliegen des Montessori-Landesverbandes, das wir übrigens vehement unterstützt haben, erfüllt. Übernommen wurde der Ministerratsbeschluss, den Schulen eine Informationspflicht gegenüber Eltern volljähriger Schüler zu gewähren. Die Änderungen des Schulfinanzierungsgesetzes sind lediglich redaktioneller Natur.
Ich möchte abschließend noch auf etwas hinweisen, das mit dem Verschieben des Gesetzentwurfs der Staatsregierung und dem grundsätzlichen Vorgehen des Kultusministeriums zusammenhängt. Ein Schreiben des Kultusministeriums vom 8. April 2002 zur Klassenbildung, Gruppenbildung und Personaleinsatz an Förderschulen für das Schuljahr 2002/2003 an die Regierungen verweist auf Folgendes: Das Bayerische EUG und das Bayerische Schulfinanzierungsgesetz sollen zum 1. August 2002 geändert werden. Die nachfolgenden Bestimmungen stehen daher grundsätzlich unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Änderung. Nun stellt sich die Frage, ob den Richtlinien des Schreibens die vorgesehenen Gesetzesänderungen bereits zugrunde liegen. Sollte dies der Fall sein, Kolleginnen und Kollegen, so hätten die Förderschulen ihre Planung für ein ganzes Schuljahr auf einer nicht bestehenden Rechtsgrundlage aufgebaut. Wenn dies zutreffen würde, wäre es den Schulen gegenüber eine unverantwortliche Zumutung. Das Kultusministerium müsste sein Schreiben umgehend zurücknehmen und die Regierungen damit beauftragen, die Schulen von der Sachlage zu verständigen. Dieses Gebot der Fairness sind wir den Schulen und insbesondere den Schülerinnen und Schülern schuldig.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir legen heute einen Gesetzentwurf vor, der das im Grundgesetz verankerte Benachteiligungsverbot auch im Bayerischen Schulrecht umsetzt und damit eine Schule schafft, in der alle Kinder ein Recht auf vollständige Teilhabe an unserer Gesellschaft erhalten.
Mit der Novellierung des Bayerischen Schulfinanzierungsgesetzes und insbesondere des Bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes wollen wir erreichen, dass alle Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam und lernzieldifferent mit anderen Schülerinnen und Schülern wohnortnah an allgemeinen Schulen erzogen und unterrichtet werden.
Der Gesetzentwurf ist nicht nur wegen der rechtlichen Problematik überfällig, sondern er reagiert auch insbesondere auf die aktuellen Entwicklungen in der pädagogischen Wissenschaft. Wir haben daher ein hochaktuelles Konzept zugrunde gelegt, das die Ansprüche eines modernen, integrativen und zukunftsfähigen Schulsystems erfüllt.
In Bayern dagegen werden derzeit Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die nicht nach dem Rahmenplan der jeweiligen Schulform unter
richtet werden können, vom Besuch der allgemeinen Schulen ausgeschlossen. Mit dieser Praxis verstößt das Bayerische EUG gegen das Benachteiligungsverbot, das sowohl im Grundgesetz – ich hatte es gerade erwähnt – als auch in der Bayerischen Verfassung festgeschrieben ist. Außerdem verstößt es in seiner jetzigen Fassung gegen das elterliche Erziehungsrecht sowie aufgrund der Ungleichbehandlung der Schülerinnen und Schüler nach Art ihres sonderpädagogischen Förderbedarfs auch gegen das Willkürverbot.
Mittlerweile, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat sich eine Situation entwickelt, in der immer mehr Eltern von Kindern mit Behinderung ihr Kind in integrativen Kindergartengruppen aufwachsen lassen. Um diesen Weg fortzusetzen, besteht der Wunsch, anschließend weiterhin mit Freundinnen und Freunden zusammen in dieselbe Schule zu gehen. Hier spielen sich zum Teil dramatische Szenen ab, da die Eltern vom „good will“ der Schulbehörde, der Schulleitung und der Lehrkräfte abhängen. Aufgrund dieser oft willkürlichen Entscheidungen – Integrationsbemühungen finden zurzeit in einer gesetzlichen Grauzone statt – ist es dringend geboten, dass die Voraussetzungen für eine gemeinsame Erziehung und Unterrichtung im Bayerischen EUG Eingang finden.
Bayern ist nach wie vor Schlusslicht in der Integrationsentwicklung unter den alten Bundesländern, weil alle 10361 Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die von der Staatsregierung als integrativ beschulte Schüler an allgemeinen Schulen bezeichnet werden, allesamt lernzielgleich unterrichtet werden. Das Kennzeichen echter Integration, Kolleginnen und Kollegen, ist eben gerade die Lernzieldifferenz.
Zudem haben wir in unserem Gesetzentwurf als wesentliche Neuerungen neben dem Kernstück der Integrationsklassen eine umfassende Kind-Umfeld-Analyse und die Einrichtung von Förderausschüssen unter Beteiligung der Eltern aufgenommen. Zusätzlich wurde der Begriffswirrwarr im Förderschulwesen überarbeitet.
Kolleginnen und Kollegen, die Novellierung trägt dem Paradigmenwechsel in der pädagogischen Wissenschaft Rechnung, der den gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung für wünschenswert für alle Kinder erachtet. Diese Erkenntnis findet bereits im Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 06. Mai 1994 ihren Niederschlag, in dem es heißt, dass die Bildung junger Menschen mit Behinderung verstärkt als gemeinsame Aufgabe für grundsätzlich alle Schulen anzustreben sei.
Integration ist mittlerweile mit der Sicht eines ganzheitlichen Menschenbildes zu einer ungewöhnlich treibenden Kraft für neues pädagogisches Sehen und Handeln geworden.
Kolleginnen und Kollegen, dieser Wandel hat Fundamentales im Blick. So wurde von der Defizitorientierung Abschied genommen, und wurden stattdessen die Fähigkeiten, also das Können des Kindes, in den Mittelpunkt gerückt. Bislang war es in unserem Schulwesen
Tradition, auf Defizite der Schülerinnen und Schüler zu achten, deren Fehler zu zählen, vorrangig das zu beachten, was sie nicht können, anstatt Kinder zu stärken und bereits vorhandenen Kompetenzen festzustellen.
Integrative Pädagogik dagegen nutzt die Fähigkeiten aller Kinder, und integrativer Unterricht ist deshalb auf Gemeinsamkeit und Verschiedenheit gleichzeitig angelegt. Diese Akzeptanz der Verschiedenheit ist die entscheidende Veränderung im Vergleich zum herkömmlichen Unterricht. Im integrativen Unterricht besteht nicht mehr der Anspruch, dass alle Kinder zur selben Zeit mit denselben Methoden dasselbe lernen und in regelmäßigen Abständen nach denselben Kriterien bewertet werden. Vielmehr stehen die Unterschiede ihrer kulturellen Herkunft, ihrer Sprachfähigkeit, ihrer besonderen Interessen und Vorlieben und ihrer Lern- und Verhaltensschwierigkeiten im Mittelpunkt und werden nun als Ausgangssituation eines Entwicklungsprozesses respektiert. Das hat Gültigkeit für alle Kinder. Nachzuvollziehen ist deshalb, dass für uns das wichtigste Anliegen in dem vorliegenden Gesetzentwurf war, das Diktat der Lernzielgleichheit abzuschaffen. Damit wird ein Grundstein in Bayern gelegt, Schule zu einer Einrichtung für alle Schülerinnen und Schüler werden zu lassen.
Kolleginnen und Kollegen, eine optimale Förderung von 25 oder 30 Kindern kann eine Lehrkraft allein nicht leisten und die Fiktion, alle Kinder seien gleich, führt dazu, dass bereits im ersten und zweiten Schuljahr pro Klasse zumindest ein oder zwei Kinder zu „lernbehinderten“ erklärt werden. Aus diesem Grund braucht es in jedem Fall eine Veränderung der Rahmenbedingungen, wie sie in anerkannten Integrationsklassen mit gesenkten Frequenzen, begrenzter Zahl von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und zusätzlichem pädagogischem Fachpersonal zu finden sind.
Ich möchte noch auf einen weiteren Punkt hinweisen, der gesellschaftspolitisch von besonderer Bedeutung ist: Heterogenität als Grunderfahrung. Durch den alltäglichen Umgang mit Kindern, die einer besonderen Förderung bedürfen, lernen Kinder ohne Förderbedarf, Schwächen als etwas Alltägliches und Normales kennen und zu akzeptieren. Damit einher geht die Erfüllung des Bildungs- und Erziehungsauftrags in Artikel 1 des Bayerischen EUG. Als erstrebenswerte Ziele werden hier die Achtung vor der Würde des Menschen, Verantwortungsgefühl, Hilfsbereitschaft und Erziehung im Geiste der Demokratie genannt.
Kolleginnen und Kollegen, nicht zuletzt die Pisa-Studie hat wieder einmal deutlich gemacht, dass die deutschen Schulsysteme in Bezug auf die individuelle Förderung sowohl lernschwacher als auch begabter Schülerinnen und Schüler nicht leistungsfähig genug sind. Charakteristerischerweise schneiden gerade die skandinavischen Länder, die über eine langjährige Tradition eines integrierenden Schulsystems bis zur achten und neunten Klasse verfügen, hier weit besser ab als zum Beispiel Deutschland aufgrund seines separierenden Schulsystems. Finnland zum Beispiel hat bereits vor circa 20 Jahren alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderung in die allgemeinen Schulen einbezogen, und trotzdem waren die Ergebnisse deutlich besser als hierzulande. Schon
vor Jahren fragten dänische Lehrkräfte ihre deutschen Kollegen, wie es denn möglich sei, dass die Kinder in Deutschland bereits nach vier Jahren aussortiert werden. „Was seid ihr denn für eine Gesellschaft?“
Das Ergebnis haben wir nun brutal serviert bekommen. Wir selektieren nicht nur nach Leistung, sondern auch nach sozialen Schichten. Für schwedische Politiker, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CSU, ob konservativ oder sozialdemokratisch, besteht Konsens in der zentralen Frage: Wie gelingt in gemeinsamen Schulen die größtmögliche Individualisierung? Vielleicht liegt in diesem Konsens das Erfolgsgeheimnis.
Kolleginnen und Kollegen passend an dieser Stelle einige Worte zu unseren Vorstellungen einer langfristigen Finanzierung gemeinsamen Unterrichts. Wir berufen uns auf nationale wie internationale Studien, nach denen bei Betrachtung der Gesamtkosten, wie Beförderungs-, Gebäude- und Betriebskosten sowie der Kosten für Lehrmittel, also nicht nur der Kosten für Lehrkräfte, die integrative Beschulung auf keinen Fall teurer kommt. Kurzfristig betrachtet werden für eine Übergangsphase für zusätzliche Planstellen und Sachausstattung Kosten entstehen. Diesen Mehrausgaben stehen aber auch Einsparungen bei den Transportkosten und beim Schulaufwand der Förderschulen gegenüber. Eine Fülle von wissenschaftlichen Untersuchungen liegen vor, die die Vorzüge einer gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von Kindern mit und ohne Behinderung nachweisen. Umso bedeutender ist der Appell von Prof. Dr. Hans Wocken aus Hamburg, der uns alle in die Pflicht nimmt. Integration ist kein Gnadenakt, der großzügig gewährt oder rechtens verweigert werden könnte. Integration ist eine humane und demokratische Verpflichtung, die uns alle angeht.
Kolleginnen und Kollegen der CSU, Sie sind etwas dürftig hier vertreten.
Ich spreche jetzt gerade Sie von der CSU an, weil das für Sie wichtig ist.
Beruhigen Sie sich etwas.
Geben Sie den Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf für die Zukunft die Sicherheit, dass auch ihr Kind einen Platz in der Mitte unserer Gesellschaft findet. Machen wir gemeinsam den Weg für ein modernes und zukunftsfähiges bayerischen Schulgesetz frei.
Herr Staatssekretär, nachdem die derzeitige Situation von Sonderschullehrerinnen und -lehrern, die ein Seminar leiten und damit ein wichtiges Funktionsamt für die Ausbildung junger Sonderschullehrer ausüben, äußerst unbefriedigend ist und unterschiedliche Wartezeiten, die von 2,5 bis zu 7 Jahren variieren, ungerechte Beförderungen nach sich ziehen, frage ich die Staatsregierung, nach welchen Modalitäten derzeit für den Bereich der Förderschulen die Beförderung in das Amt des Seminarrektors (A 14 + AZ) erfolgt, welche Möglichkeiten es gibt, die Wartezeiten zu verkürzen und welche Überlegungen für den Förderschulbereich – analog den Gegebenheiten im Bereich der Grund- und Hauptschulen – angestellt werden, um ein Beförderungsamt A 15 für Seminarrektoren an Förderschulen einzurichten.
Ich habe von den unterschiedlich langen Wartezeiten gesprochen. Was kann von Ihrer Seite aus unternommen werden, um das zu ändern? Es ist für einige Lehrer eine ungerechte Behandlung, wenn sie bis zu sieben Jahre warten müssen, während andere Kollegen wesentlich eher befördert werden.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bayern erhält noch in diesem Jahr laut Ministerpräsident ein Agrargütesiegel, und der Freistaat soll so zum Feinkostladen Europas werden. Daheim jedoch, denkt man an Ganztagsschulen, droht Bayern zum Ramschladen für Bildung zu werden, in dem nur noch Billigangebote zur Auswahl stehen.
Nicht nur das, liebe Kolleginnen und Kollegen. Die angekündigte lächerliche Anzahl von 30 Ganztagsschulen bis 2006 garantiert den bayerischen Schulen im bundesweiten Vergleich außerdem einen absolut sicheren Platz am unteren Ende der Skala.
Fatal und gleichzeitig aufschlussreich ist, dass die 30 geplanten Ganztagsschulen ununterbrochen im Zusammenhang mit den 600 Millionen DM für Betreuung genannt werden. Was steckt denn dahinter? – Nicht Schule, sondern schlicht und einfach eine simple Betreuungslösung für den Nachmittag, die überwiegend von Kommunen und Eltern zu bezahlen ist.
Noch fataler ist aber, dass sich die Schulministerin, anstatt Gelder für Schulen zu erstreiten, anstatt das miese Angebot von Ganztagsschulen zu verbessern, um eine notwendige, qualitativ hochwertige Bildung und Ausbildung unserer jungen Menschen zu sichern,
schlapp mit Betreuungslösungen abspeisen lässt, und außerdem ist sie noch nicht einmal da. Ich finde es schon erstaunlich, dass die Ministerin, die für Schule zuständig ist, noch nicht einmal auf ihrem Platz ist, wenn über Schule gesprochen wird.
Also: In Bayern wird es immer besser!
Wahrscheinlich, und ihre Kinder sind gut versorgt, leider Gottes besser als die Kinder manch anderer Eltern in Bayern.
Was das soll? – Das sind doch Tatsachen.
Das ist überhaupt kein Schmarrn. Ich denke, dass eine Ministerin, die für Schule zuständig ist, auch hier sein soll, wenn man darüber spricht.
Lassen wir diese Sache jetzt beiseite. Bei den Ganztagsschulen wird es nämlich interessant.
Herr Dr. Stockinger, Sie haben Recht, dass es so nicht geht, dass die Ministerin nicht da ist. Ich stimme Ihnen völlig zu.
Es wird noch interessanter, weil wir bezüglich der Ganztagsschulen unverhofft Unterstützung erhalten. Von wem erhalten wir Unterstützung?
Hören Sie jetzt zu oder nicht? – Ich werde fortfahren.
Es ist wunderbar, dass Herr Freller jetzt eingetroffen ist. Grüß Gott, Herr Freller, ich darf Sie recht herzlich im Hause begrüßen.
Hochinteressant ist es, dass wir beim Thema Ganztagsschulen von den CSU-Frauen Unterstützung bekommen. Sie sind der Meinung, dass ein Unterricht am Nachmittag nicht als Tabu bezeichnet werden darf. Unsere Kollegin Männle hat sogar die Befürchtung, dass das Angebot, das Frau Hohlmeier propagiert, zur reinen
Aufbewahrung verkommen könnte, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das ist geschrieben worden; jedenfalls habe ich es so in der Presse gelesen.
Der Gipfel aber ist, dass diese Ministerin auch noch durch die Lande zieht und – so war es ebenfalls zu lesen – Ganztagsschulen schlechtredet und wo es nur geht Seitenhiebe auf Ganztagsschulen verteilt. Damit, meine ich, werden Bekenntnisse, Bildung und Ausbildung hätten höchste Priorität, völlig zur Farce.
Kolleginnen und Kollegen, unser Antragspaket zur Ganztagsschule „Trendwende in der Bildungspolitik – Ganztagsschulen einführen“ wurde von Seiten der CSU pauschal abgelehnt. Wir haben diese Anträge gestellt, weil wir in Ganztagsschulen die Möglichkeit sehen, unserem Ziel der Chancengerechtigkeit schneller und besser näher zu kommen. Wir wollen für jedes Kind, für jeden Jugendlichen, ob lernschwach oder lernstark, die jeweils bestmögliche Förderung im Schulsystem und durch das Schulsystem. Wir sind der Meinung, dass sich Schule heute den Herausforderungen der modernen Welt, bedingt durch den tiefgreifenden gesellschaftlichen und den rasanten ökonomischen Wandel, stellen muss; dass ich Schule neu definieren muss, um den Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler gerecht zu werden, um dem Wunsch der Eltern nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser nachzukommen und um einen wirksamen Beitrag zu leisten, die Wettbewerbschancen für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu erhöhen.
Wir sind der Meinung, Ganztagsschulen gehen auf diese neuen Konstellationen ein und stellen mit ihrem erweiterten Zeitbudget und Bildungsauftrag eine zukunftsfähige Lösung dar. Eindeutig geht aus unseren Anträgen hervor, dass wir Bayern nicht à la R 6 mit Ganztagsschulen überziehen wollen, sondern eine schrittweise bedarfsdeckende Einrichtung von staatlichen Ganztagsschulen für alle Schularten fordern.
Wir sind davon überzeugt, dass Ganztagsschulen, ob in gebundener oder in offener Form, mit ihrem pädagogischen Konzept sowohl sich verändernde Unterrichtsprinzipien als auch neue erzieherische Aufgaben besser umsetzen können.
Ganztagsschulen dienen außerdem dazu, ausländischen Kindern und Jugendlichen mehr Zeit für die Vermittlung der deutschen Sprache zu ermöglichen und damit ihre Integration in die Gesellschaft zu fördern. Gerade gestern wurde von der CSU ständig betont, dass Kinder, welche die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen, gefördert werden sollen. Was aber machen Sie mit unserem Antrag? – Sie lehnen ihn ab. Es ist schon erstaunlich, wie hier verfahren wird.
Innerhalb des pädagogischen Konzeptes für Ganztagsschulen sollte für die außerunterrichtlichen Angebote mit unterschiedlichen Partnern vor Ort operiert und ein länderübergreifendes Koordinationsgremium installiert werden. Mit dieser Einstellung wäre Bayern zumindest in diesem Fall wirklich Spitze. Selbstverständlich muss auch die Lehreraus- und -fortbildung den erweiterten Ansprüchen der Ganztagsschule Rechnung tragen.
Kolleginnen und Kollegen der CSU, die Ablehnung all unserer Anträge offenbart Ihren Rückzug aus der bildungspolitischen Verantwortung. Es zeigt sich, dass Bayern weit ab von einer modernen Schulwelt liegt. Beispielhaft dafür ist der in Bayern ausgetragene und in ganz Deutschland einmalige Streit Ganztagsschule kontra Betreuungslösung. Während andere Bundesländer für die Ganztagsschule werben und deren Einrichtung offensiv angehen, lässt es Bayern zu einer überaus peinlichen Auseinandersetzung um die Finanzen kommen. Dieser Disput veranlasste sogar den Vorsitzenden des Bundesverbandes der Ganztagsschulen, sich einzumischen und die Debatte vehement zu kritisieren. Er machte darauf aufmerksam, dass beim Streit Ganztagsschule in gebundener Form – also verpflichtend – kontra Betreuungslösung die Ganztagsschule in offener Form völlig außen vor gelassen wird. Die offene Ganztagsschule ist sowohl inhaltlich als auch personell gleich konzipiert wie die gebundene Form. Der Unterschied ist rein organisatorischer Art, indem der Pflichtunterricht ausschließlich am Vormittag stattfindet und die außerunterrichtlichen pädagogischen Angebote am Nachmittag freiwillig besucht werden können. Es ist eine pädagogische Katastrophe, die offene Ganztagsschule mit einer Betreuungslösung am Nachmittag gleichzusetzen. Mit dieser bewussten Vermengung seitens der Ministerin wird vertuscht, dass damit die Finanzierung in die Zuständigkeit der Kommunen und Eltern abgeschoben wird. Dabei macht das Kultusministerium im Lehrer-Info Nr. 6 vom November 2001 selbst darauf aufmerksam: „Ganztagsschulen sind präventive bildungspolitische Maßnahmen und fallen somit in den Aufgabenbereich des Staates.“
Kolleginnen und Kollegen, in diesem Zusammenhang wäre redlicher, klipp und klar zu bekennen, dass weder der bildungspolitische Wille zur Einrichtung von Ganztagsschulen noch die Bereitschaft zu deren Finanzierung vorhanden sind, als den Lehrerinnen und Lehrern, den Eltern, den Schülerinnen und Schülern die Betreuungslösung als Großtat zu verkaufen.
Ob es sich Bayern in Zukunft leisten kann, einen Gegentrend zu den übrigen Bundesländern zu entwickeln, der sich darin manifestiert, Starrheit und Stagnation als Qualität zu verkaufen, sich über eigene Schulergebnisse wie eine Abiturientenquote von 20,4% – damit liegt Bayern bundesweit am Ende – und eine Schulabbrecherquote von 12,5% – damit ist Bayern bundesweit Spitze – einfach hinwegzusetzen oder sich damit abzufinden, dass 10% der Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss die Schule verlassen – bei Berufsschulen sind es sogar 18% –, wird sich zeigen. Der Schock der Pisa-Studie kommt zur rechten Zeit, auch für Bayern. Alle Länder mit
Spitzenleistungen verfügen über das Angebot von Ganztagsschulen und lassen die Kinder mindestens bis zur 9. Klasse gemeinsam die Schule besuchen. Andere Länder fördern die Kinder, wir lesen aus. An Bayerns Schulen herrscht nicht Teamgeist, sondern Konkurrenzkampf und Auslesedruck.
Dies gilt es zu überdenken und endlich zu der Überzeugung zu kommen, dass Ganztagsschulen weder Teufelszeug der SPD noch der Untergang der Familien sind, sondern im Gegenteil: Ganztagsschulen sind familienfreundlich sowie eine bildungs-, gesellschafts- und arbeitsmarktpolitische Notwendigkeit.
Ich schließe mit einem Zitat des Bundesvorsitzenden des Ganztagsschulverbandes, der in Bezug auf unsere bayerische Debatte abschließend bemerkte:
Der Streit um die Zahl und Finanzierbarkeit der Ganztagsschulen sollte der jungen Generation wegen wieder auf die Kinder- und Jugendinteressen zurückgeführt werden. Aus Sicht der Erfahrenen im Ganztagsschulsektor ist zu vermerken, dass ideologische wie finanzstrategische Auseinandersetzungen jegliche Schulentwicklung behindern. Nicht weil die Dinge schwierig sind, wagen wir sie nicht, sondern weil wir sie nicht wagen, sind sie schwierig.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der CSU, ich fordere Sie in diesem Sinne auf: Lassen Sie nicht den Kleingeist walten, sondern bekennen Sie sich zu der bestmöglichen Schulgestaltung für unsere Kinder und Jugendlichen!
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt wieder auf die Tatsachen zurückkommen. Bayern sieht sich in verschiedenen Politikfeldern auf Spitzenplätzen im nationalen und internationalen Vergleich.
Beim Thema „Ganztagsschule“ nimmt Bayern jedoch den Spitzenplatz in der Rangliste der Verweigerer und der Verlierer bezüglich dieser Schulform ein, die übrigens in den meisten anderen Bundesländern bereits Alltag ist. Daran ändern auch die Ausführungen der Kultusministerin nichts. Die anderen Länder sind uns meilenweit voraus. Nordrhein-Westfalen hat über 600 Ganztagsschulen. Das bedeutet, jede zehnte Schule ist dort eine Ganztagsschule. Brandenburg hat 90, Baden-Württemberg 243 und Niedersachsen 130 Ganztagsschulen. In den nächsten Jahren werden in Niedersachsen 140 weitere Ganztagsschulen folgen. In Rheinland-Pfalz gibt es derzeit 110 Ganztagsschulen, und dort wird dieses Angebot durch einen finanziellen Kraftakt bald um 300 erweitert. Über diese Zahlen müssen wir uns überhaupt nicht streiten.
Bayern hat demgegenüber gerade einmal drei staatliche Ganztagsschulen bei einer Gesamtzahl von 5384 Schulen. Der Anteil der Ganztagsschulen an den Schulen insgesamt beträgt somit – man mag es kaum erwähnen – gerade einmal ein halbes Promille. Und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, verweigern sich aufgrund Ihrer rückwärts gewandten familienpolitischen Ideologie standhaft einem Aufbruch in die bildungspolitische Moderne.
In unseren Augen ist dies die eigentliche Blamage, ja der Offenbarungseid der bayerischen Bildungspolitik.
Der beste Beweis dafür ist das von Ihnen im Kloster Banz verabschiedete Papier „Familien stärken, nicht ersetzen“, aus dem deutlich hervorgeht, wohin es in der
Bildungspolitik in Zukunft gehen soll. Wir sehen darin einen bedauerlichen Rückschritt in die alte ideologische Diskussion, ob der Staat mehr bildungspolitische Verantwortung übernehmen soll. Sie verneinen das. Außerdem ist dieses Papier eine schallende Ohrfeige für die Kultusministerin, die bereits zaghaft den Aufbruch in die schulpolitische Moderne gewagt hatte.
Wochenlange Ankündigungen zum Einstieg in das System „Ganztagsschule“ geraten durch Ihren Widerspruch zur Farce. Dieser kräftige Tritt ans Schienbein der Ministerin zeigt, welchen Stellenwert die Bildungspolitik in Ihrer Partei offensichtlich hat. Ich bin der Auffassung, die Ganztagsschule in Bayern wird zwischen der mangelnden Bereitschaft, Geld zu investieren und einer überholten konservativen Familienideologie zerrieben. Das haben die bayerischen Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer und die Eltern, die sich seit Jahren Gedanken über eine zukunftsfähige Schule machen, nicht verdient.
Sie wollen den Menschen Betreuung als Pädagogik verkaufen. Wir meinen, Ganztagsschulen sind etwas anderes als Unterricht und Suppenausgabe mit anschließender Nachmittagsverwahrung. Die CSU setzt einseitig auf Betreuung nach Bedarf und verweigert damit den Kindern und Jugendlichen ein Schulangebot, das die Verbesserung der Qualität von Schule vorsieht. Mit unserem Dringlichkeitsantrag „Vorrang für Bildung – Ganztagsschulen in ganz Bayern“ haben wir nicht nur finanzielle Vorschläge gemacht, sondern auch verdeutlicht, wie eine zeitgemäße Bildungspolitik auszusehen hat. Uns geht es dabei außer dem stufenweisen bedarfsdeckenden Einstieg in Ganztagsschulen um eine Qualitätsverbesserung des Unterrichts in den bayerischen Schulen sowie um eine verbesserte Unterrichtsversorgung der Schülerinnen und Schüler. Mit der Forderung nach Ganztagsschulen springen wir nicht auf den Zug auf, wie das Herr Kollege Unterländer gesagt hat, sondern erkennen die Zeichen der Zeit und bieten einer pluralen Gesellschaft plurale Bildungsangebote. Die Staatsregierung entzieht sich dagegen den Wünschen einer modernen Gesellschaft.
Wir wollen die Einrichtung sowohl gebundener als auch offener staatlicher Ganztagsschulen erreichen. Die Entscheidung darüber sollte in den jeweiligen Schulen gemeinsam mit allen Beteiligten getroffen werden. Herr Kollege Unterländer, gerade durch das pädagogische Konzept und das erweiterte Zeitbudget erhalten die Schülerinnen und Schüler bessere Möglichkeiten für eine individuelle Förderung und können daher weitaus bessere Abschlüsse erzielen. Unübersehbare Stärken der Ganztagsschule sind die neue Lern– und Lehrkultur, die flexible Unterrichtsgestaltung, die Vertiefung des Stoffes ohne Stress sowie die Förderung sozialer Kompetenzen und ein intensiveres Miteinander.
Im Zuge der aktuellen Diskussion um die innere Sicherheit sollten wir nicht allein auf den Ausbau kriminaltechnischer Möglichkeiten setzen, sondern auch auf die Prä
vention in Form von kulturellem Verständnis. Damit könnten wir zudem einen wichtigen Beitrag zur Integration leisten. Die intensivere Kommunikation an Ganztagsschulen und die dort bestehenden größeren Freiräume sind die beste Vorbeugung gegen Vorurteile und das Entstehen von Feindbildern.
Der Bedarf an Ganztagsschulen in Bayern steht außer Frage. Eine seriöse Umfrage des „Bayerischen Rundfunks“ unter Eltern hat eine Quote von 86% Befürwortung ermittelt. In Familien, in denen beide Eltern berufstätig sind, beträgt sie sogar über 90%. Nicht nur die SPD fordert Ganztagsschulen.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Frau Kollegin Goertz, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen. Ihre Redezeit ist bereits überschritten.
Im Gegenteil: Die Reihen der Unterstützer werden immer dichtet. Neben dem bayerischen Elternverband und den Lehrerverbänden sprechen sich auch der Bayerische Städte– und der Gemeindetag, der Schulleiter- sowie der Ganztagsschulverband und insbesondere die Wirtschaft eindeutig für ein bedarfsdeckendes Angebot an Ganztagsschulen aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen der CSU, nachdem die Staatsregierung bereit ist, etliche Summen für den Ausbau der Betreuung einzusetzen, lassen Sie uns nun auch mit der Ganztagsschule beginnen, weil uns – und hier beziehe ich alle Kolleginnen und Kollegen des Hauses ein – für die Zukunft unserer Kinder nichts zu teuer sein darf.
Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Kollege Sackmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Wort „Integration“ wird von vielen in der Politik gebraucht und es wird allerdings auch vielfältig interpretiert. Wenn ich dabei insbesondere an die Schulsituation in Bayern denke, ist die Integration ein Paradebeispiel dafür, dass die CSU mit diesem Thema immer noch auf Kriegsfuß steht.
Ein Beweis dafür ist auch, dass das gesamte SPD-Antragspaket „Aufbruch zur zieldifferenten Integration“ abgelehnt wurde. Damit hat die CSU wieder einmal wei
tere Schritte zum Ziel Integration verhindert, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Diese permanente starre Haltung der CSU lässt außerdem keine Überlegungen darüber zu, ob unsere Vorschläge und Forderungen für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht doch dienlich sind.
Diese Haltung ist nicht nur bedauerlich, sondern sie ist langsam auch beschämend und, wie ich meine, unglaubwürdig.
Obwohl sich Bayern als ein Land darstellt, bei der Integration bundesweit führend zu sein und 10000 Kinder integrativ zu beschulen, kann nicht geleugnet werden, dass Bayern tatsächlich immer noch eines von fünf Bundesländern ist, das in seinem Schulgesetz eine gemeinsame zieldifferente Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung nicht festgeschrieben hat.
Bayern – das muss immer wieder gesagt werden und auch immer wieder betont werden – ist darüber hinaus Schlusslicht in der Integrationsentwicklung in den alten Bundesländern. Es hat noch nie einen Schulversuch „Gemeinsame zieldifferente Unterrichtung“ zugelassen, ja noch nicht einmal vorgesehen.
Bayern setzt beharrlich auf zwei Wege, und zwar zum einen auf die ambulante Versorgung mit Hilfe von Mobilen Sonderpädagoischen Diensten und zum anderen auf Integration durch Kooperation.
Mobile Sonderpädagogische Dienste sind Sonderschullehrer, die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an den allgemeinen Schulen unterstützen. Gesetzlich vorgeschrieben ist jedoch in Artikel 21 Absatz 1 BayEUG, dass Schüler, die nicht lernzielgleich unterrichtet werden können, keine Mobilen Sonderpädagoischen Dienste in Anspruch nehmen dürfen. Das bedeutet – und das wird natürlich nicht erwähnt –, dass diese so genannten 10000 integrativ beschulten Kinder im traditionellen Unterricht beschult werden.
Ich komme nun auf die Integration durch Kooperation. Es ist dies eine Form der Integration, bei der das Kultusministerium nicht müde wird, immer wieder neue Varianten vorzulegen. Das letzte Angebot – es nennt sich „integrative Kooperationsklasse“; selbst Fachleute bitten hier schon um Aufklärung – wurde im vergangenen Jahr unverzüglich als Schulversuch in Schwabach umgesetzt. Ist das vielleicht mit der freundlichen Unterstützung durch Herrn Staatssekretär Freller zu erklären? Der Förderverein „Integrative Schule Coburg e.V.“ dagegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, konnte genau dieses Modell, das im Übrigen vom Kultusministerium als Ersatz für die ursprünglich geforderte Integrationsklasse angeboten wurde, erst mit Hilfe einer Petition an den Landtag erkämpfen.
Die verzweifelten Eltern, die monatelange Arbeit in dieses Modell gesteckt haben, habe ich noch sehr gut in Erinnerung.
Wirft man nun einen kurzen Blick auf das jüngst aufgelegte „Aktionsprogramm Förderschulen“, so stellt man fest, dass der vielseitige Frust mit den zusätzlich 81 Lehrkräften pro Jahr für 383 Förderschulen in Bayern nicht gelindert werden kann.
Rein rechnerisch entfällt auf jede fünfte Schule sage und schreibe ein neuer Lehrer, liebe Kolleginnen und Kollegen. Was soll man damit anfangen? Das ist kein Aktionsprogramm, nein, meine Damen und Herren, das ist ein kümmerliches Notprogramm und sonst gar nichts.
Verwunderlich sind auch folgende Verhaltensweisen, Kolleginnen und Kollegen der CSU. Einerseits werden Fachleute nach Wildbad Kreuth eingeladen und beauftragt, sich mit dem EUG hinsichtlich Integration zu befassen und neue Formulierungen bzw. Vorschläge zu erarbeiten, andererseits werden unsere Anträge, die konstruktive Vorschläge zu diesem Thema vorlegen, kategorisch abgelehnt. Es ist wirklich bedauerlich, dass allzu oft nach rein parteipolitischem Kalkül gehandelt wird.
Man handelt nicht um der Sache willen oder im Sinne der Kinder und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Das, Kolleginnen und Kollegen der CSU, verstehen weder die Fachleute noch die betroffenen Eltern.
In unserem Antragspaket gehe ich als Erstes auf den Antrag „Zielsetzung von Begutachtungsverfahren“, Drucksache 14/4903, ein. Wir greifen hier Veränderungen in der sonderpädagogischen Theorie und Praxis auf, Kinder und Jugendliche nicht mehr defizitorientiert zu beurteilen, sondern zunächst festzustellen, was ein Kind kann.
Besonders wichtig ist dabei, einen Integrationsblick und nicht einen Aussonderungsblick zugrunde zu legen und dafür zu sorgen, dass die bisherigen Testverfahren in diese Richtung ausgerichtet werden. Die Diagnose soll durch ein interdisziplinäres Fachteam erfolgen. Sie muss außerdem ständig weiter überprüft und verbessert werden und selbstverständlich mit Förderkonsequenzen verbunden sein.
Für ausgesprochen falsch halte ich die Argumentation der CSU im Bildungsausschuss, dass die Begutachten dessen, was ein Kind kann, neutral sei. Im Gegenteil: Eine Begutachtung ist im höchsten Maße subjektbezo
gen und muss dies auch sein, weil sie der Ausgangspunkt jeglicher Förderung ist.
Beim Antrag „Einrichtung von Förderausschüssen“, Drucksache 14/4905, ist die SPD daran interessiert, eine dauerhafte, vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Schule und Eltern mit Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu schaffen. Deshalb soll es möglich werden, in Einzelfällen ein multiprofessionelles Team als Förderausschuss einzuberufen, das anhand der Kind-Umfeld-Analyse den sonderpädagogischen Förderbedarf ermittelt, und eine Empfehlung über Fördermaßnahmen, Lernort und weitere Schullaufbahn abgibt. Die Eltern sind in diesen Förderausschuss einzubeziehen und haben zudem das Recht, eine Person ihres Vertrauens mitzubringen.