Protokoll der Sitzung vom 25.10.2001

Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass es jederzeit möglich ist, dass unser Land auch Ausführungsraum für extremistische terroristische Anschläge aus dem isla

mistischen Bereich wird. Spätestens seit dem Auftreten der Meliani-Gruppe beim Weihnachtsmarkt in Straßburg und seit der Varese-Gruppe, zu der Ben Heni gehört, wissen wir, dass auch bei uns Menschen leben, die terroristische Anschläge vorbereitet haben. Auf Seite 2 der „Süddeutschen Zeitung“ von heute wurde das in einer, wie ich meine, recht eindrucksvollen Weise dargestellt.

Wenn wir davon ausgehen, dass die Sicherheitslage noch nicht den kritischen Höhepunkt erreicht hat, müssen wir uns darauf vorbereiten, wie wir Gefahren weitgehend vermeiden können. Frau Kollegin Tausendfreund, ich habe nicht die leisesten Probleme damit, dass die Innenminister von Bund und Ländern intensiv und vertrauensvoll in einer solchen Gefährdungssituation zusammenarbeiten; ich halte das sogar für notwendig. Ich habe auch überhaupt kein Problem damit, offen zu sagen, dass ich mit Herrn Bundesinnenminister Schily gut und vertrauensvoll zusammenarbeite, auch wenn wir in der einen oder anderen Frage unterschiedlicher politischer Auffassung sind. Die Bevölkerung hätte kein Verständnis dafür, wenn wir in einer solchen Situation im parteipolitischen Clinch lägen und nicht versuchen würden, gemeinsam die Gefahren des Terrorismus zu bekämpfen.

Ich erinnere an einen Fall, in dem Rot-Grün selbst die Entscheidung zu treffen hatten; ich sage das ganz bewusst hier. Ich weiß, dass die formelle Entscheidung darüber, ob das Oktoberfest stattfindet, beim Münchner Oberbürgermeister lag. Er hat zum Schluss jeden Tag mehrfach bei uns im Ministerium angefragt, ob wir Bedenken gegen die Durchführung des Oktoberfestes hätten. Wer eine solche Verantwortung zu tragen hat, wird es nicht auf parteipolitischen Hickhack anlegen, sondern darüber nachdenken, was man tun kann, damit für den normalen Bürger das Leben so normal wie nur möglich weitergehen kann, damit die Menschen keine Angst haben.

(Beifall bei der CSU)

Manche Leute haben ein so kurzes Gedächtnis, dass sie nicht mehr wissen, dass in den ersten Tagen des Oktoberfestes Zehntausende von Besuchern weniger kamen als in den Jahren zuvor, weil die Menschen Angst hatten.

(Zustimmung des Abgeordneten Spitzner (CSU))

Es war selbstverständlich, dass wir in dieser Situation überlegten, was wir tun können, um die innere Sicherheit zu erhöhen. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich das hier so deutlich sage, wie ich es empfinde: Ich halte es für ein dummes Gequatsche, wenn hier gesagt wird, dass die Videoüberwachung nichts bringe. Die rot-grün regierte Landeshauptstadt München hat sogar die Hälfte der Kosten bezahlt, damit wir die Videoüberwachung durchführen. Sie aber sagen hier, das wäre alles nur Aktionismus.

(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Uns geht es um den Terrorismus!)

So oberflächlich können wir nicht miteinander diskutieren.

(Beifall bei der CSU)

Sie stellen sich hier hin und sagen, es sei für Sie bitter, dass Schily Innenminister sei. Aber ohne Sie könnte er nicht Innenminister sein. Dazu kann ich nur sagen: Hören Sie mit dieser schlimmen Scheinheiligkeit auf. Das wird Ihnen kein Wähler abnehmen.

(Beifall bei der CSU)

Sicherheit ist Voraussetzung der Freiheit und nicht etwa ihre Gefährdung. Wer das jetzt noch nicht verstanden hat, läuft nicht mit offenen Augen, sondern mit Scheuklappen durch die Welt. Wir müssen überlegen, wie wir die Sicherheit so erhöhen können, dass die Freiheit einer überwältigenden Mehrzahl der Bürger möglichst wenig eingeschränkt wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Abgeordneter Tausendfreund? –

Herr Dr. Beckstein, können Sie sich daran erinnern, dass ich im Ausschuss ausdrücklich die Videoüberwachung auf der Wies‚n befürwortet habe?

(Zahlreiche Zurufe von der CSU)

Frau Kollegin, das eben zeigt Ihre Doppelzüngigkeit. Zu Fällen, von denen Sie wissen, dass Videoüberwachung offensichtlich notwendig ist, sagen Sie ja, aber die rechtlichen Möglichkeiten, das einzuführen, verweigern Sie.

Das ist doch der Punkt. Am Bahnhof und bestimmten öffentlichen Plätzen brauchen wir die Videoüberwachung, z. B. um zu erkennen, ob jemand gefährliche Gegenstände trägt. Das sind Dinge, die man wissen muss. Man kann doch nicht behaupten, derartige Maßnahmen brauche man nicht.

(Beifall bei der CSU)

Lassen Sie mich zu fünf Punkten etwas sagen und zunächst zur Bundeswehr kommen. Herr Kollege Professor Dr. Gantzer, ich verweise auf meine Äußerungen im Ausschuss. Sie informieren bewusst falsch, wenn Sie behaupten, wir hätten Personal bei der Polizei abgebaut. Ich fordere Sie auf, die konkreten Zahlen zu nennen und das zu belegen. Ich sage Ihnen, dass wir in den vergangenen Jahren im Unterschied zu den Ländern, in denen die SPD die Verantwortung trägt, kein Personal bei der Polizei abgebaut haben.

Wir haben auch kein Personal speziell beim Verfassungsschutz abgebaut. Deswegen bin ich übrigens auch aus Ihren Reihen wiederholt kritisiert worden. Wir haben ausschließlich die gesperrten Stellen, die für das sowjetische Generalkonsulat vorgesehen waren, nicht geschaffen. Ansonsten haben wir, abgesehen von pauschalen Kürzungen, die die gesamte Staatsverwaltung betroffen haben, keine Stellen beim Verfassungsschutz reduziert. Im Gegenteil, ich habe im Ausschuss in Ihrer

Anwesenheit gesagt, dass ich zur verstärkten Überwachung und Bekämpfung des Islamismus 21 Stellen aus der Polizei verwendet habe. Deshalb ist Ihre Behauptung, wir hätten Sicherheitskräfte reduziert, nicht richtig. Das haben wir im Übrigen, anders als fast alle anderen Länder und alle die Länder, in denen die SPD Regierungsverantwortung trägt, nicht gemacht. Deshalb lassen Sie dieses Doppelspiel. Wir haben das für die Sicherheit Erforderliche getan.

(Beifall bei der CSU)

Wir brauchen aber trotzdem zusätzliches Personal. Deshalb bin ich dankbar, dass wir das größte Sicherheitspaket aller Länder geschnürt haben. Ich bedanke mich dafür beim Bayerischen Landtag und insbesondere der CSU-Fraktion.

Wofür will ich die Bundeswehr einsetzen? Ich gehe eine Wette mit Ihnen ein, dass Bundesinnenminister Schily innerhalb des nächsten Jahres meine Meinung übernehmen wird, weil ich genau sage, wofür ich die Bundeswehr benötige. Ich will deswegen durch die Änderung des Artikels 35 GG eine Klarstellung, damit der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe und in der Verantwortung der Polizei möglich ist.

Grafenwöhr ist der größte Truppenübungsplatz in Europa. Die Amerikaner haben verlangt, ihre eigenen Sicherheitskräfte in die kämpfende Truppe zu nehmen. Deshalb wollten sie rund um die Uhr 120 Sicherheitskräfte. Ich habe mich geweigert, dafür die Polizei einzusetzen, weil das den Abzug von 600 Polizisten aus dem Land bedeutet hätte, was die Sicherheit der Bevölkerung bei einer erhöhten Gefährdungslage beeinträchtigt hätte. Ich habe den Einsatz von BGS-Kräften vorgeschlagen. Herr Schily hat auf die schwierige Personallage beim BGS hingewiesen. Daraufhin habe ich erklärt, dass wir die Bundeswehr brauchen. Ich sage hier öffentlich: Es war gut, dass es gelungen ist, die Bundeswehr einzusetzen. Es hat allerdings fünf Wochen gedauert, bis zwischen dem Bundesinnenministerium und dem Verteidigungsministerium Klarheit darüber hergestellt war, ob es zulässig ist, dass Bundeswehr als Wachpersonal eingesetzt werden kann.

(Frau Radermacher (SPD): Dazu brauchen wir keine Grundgesetzänderung!)

Lassen Sie mich zu Bad Aibling und Echelon kommen. Die Amerikaner verlangen, dass wir diese weltweit wichtigste elektronische Aufklärungsanlage schützen. Dazu wollen sie nicht nur einige Polizisten mit Maschinenpistolen.

(Frau Gote (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die sollen sie doch zumachen!)

Wir könnten natürlich der Bereitschaftspolizei einige Panzer kaufen und dort postieren. Ich frage Sie, ob es nicht sinnvoller ist, eine solche Einrichtung von der Bundeswehr bewachen zu lassen.

(Beifall bei der CSU)

Herr Schily und ich haben uns darauf geeinigt, diese Einrichtung, anders als die Amerikaner, die die Abhörstation als zivile Einrichtung betrachten, als militärische Einrichtung anzusehen. Dann ist die Heranziehung der Bundeswehr zulässig. Dieser Auffassung hat sich aber bis heute der Bundesverteidigungsminister nicht angeschlossen. Darum haben wir dort nicht die Möglichkeit, die Polizei durch die Bundeswehr zu ersetzen, obwohl ich nicht glaube, dass irgendjemand ernsthafte Bedenken äußern würde. Denken Sie auch an den Schutz des Amerikahauses in München, das eine zivile Einrichtung ist. Auch der Schutz des Amerikahauses ist erforderlich.

Ein weiteres Beispiel ist der Schutz vor ABC-Waffen. Am Freitag vor acht Tagen wurden zwei Briefe am Briefpostamt Nürnberg angehalten, weil sie die Aufschrift trugen „Der heilige Krieg hat begonnen“. Die Rechtschreibung war abenteuerlich, und aus den beiden Briefen rieselte weißer Puder. Daraufhin sind die Polizei und die Feuerwehr verständigt worden. Beide haben die Menschen in Quarantäne genommen. Polizeibeamte und Feuerwehrleute, die nie einen praktischen Umgang mit ABC-Waffen hatten, haben die Sachbehandlung übernommen. 40 Kilometer entfernt in Amberg befindet sich ein ABCZug der Bundeswehr, der jedoch wegen verfassungsrechtlicher Bedenken nicht herangezogen werden konnte.

(Willi Müller (CSU): Das ist ein Witz!)

Ich halte es für unverantwortlich, vorhandene qualifizierte ABC-Abwehrkräfte nicht einsetzen zu dürfen. Deren Einsatz wäre aber zulässig gewesen, wenn die Briefe aus dem Ausland gekommen wären. Die besagten Briefe sind jedoch im Inland aufgegeben worden.

Ich lese Ihnen nun ein Schreiben einer Persönlichkeit vor, deren Namen ich Ihnen später nennen werde.

(Willi Müller (CSU): Wahrscheinlich ein Sozi!)

Diese Person schreibt:

In diesem Zusammenhang bitte ich Sie, beim Verteidigungsminister die Einrichtung der Sanitätsakademie als Kompetenzzentrum und Beratungsstelle für die Katastrophenschutzbehörden bei Anschlägen mit biologischen und chemischen Kampfstoffen einzufordern. Denn zum einen hat die Sanitätsakademie ihren Standort in München, zum anderen konnte die Feuerwehr München bereits beim Giftgasanschlag in Tokio mit einer sehr guten und schnellen Beratung helfen.

Warum soll nicht die Bundeswehr, die als einzige Einrichtung in Bayern echte Milzbrandbakterien hat, Untersuchungen durchführen? Der Oberbürgermeister der Stadt München, der mir den eben zitierten Brief geschrieben hat, sagt zu Recht, dass die Bundeswehr zur Amtshilfe herangezogen werden muss. Sie gehören zu den Letzten, die sich dagegen wehrten.

(Beifall bei der CSU)

Vor zwei oder drei Jahren hatten wir den Fall eines Amokschützen in Bad Reichenhall. Damals hat ein junger Mann wahllos auf alles geschossen, was sich bewegte. Die örtliche Polizei wollte einen Panzer der Bundeswehr, um mit dessen Hilfe unmittelbar zu dem Amokschützen fahren zu können. Das war nicht möglich, weil die Amtshilfe bei der Bundeswehr massiv eingeschränkt ist. Ich erinnere an die Artikel 35 und 87a des Grundgesetzes.

Das KSK 9 ist für bestimmte Einsätze geschult. Warum soll man dieses nicht unter der Verantwortung der Polizei einsetzen? Dasselbe gilt für Fernmeldesysteme. Für derartige Fälle müssen wir eine klare Rechtsgrundlage schaffen. Es wäre in einer erweiterten Auslegung des Grundgesetzes möglich, diese Möglichkeiten zuzulassen. Dann wäre auch das Air-Policing dabei. Man müsste sich allerdings dann auf den übergesetzlichen Notstand berufen, damit das Grundgesetz in konkreten Gefährdungslagen durchbrochen wird. Das halte ich aber für eine abenteuerliche Konstruktion. Wir müssen den Sicherheitskräften eine eindeutige Rechtsgrundlage geben, damit man die eben beschriebenen Einsätze ermöglichen kann.

(Beifall bei der CSU)

Nun zur Rasterfahndung. Auch da will ich eine kurze Bemerkung zur Aktuellen Stunde von heute morgen machen. Natürlich wollen wir ein weltoffenes Land sein und bei der Gewinnung von Höchstqualifizierten in den internationalen Wettbewerb eintreten. Aber deswegen kann ich doch nicht die leisesten Bedenken dagegen haben, dass wir uns, wenn wir Gefährdungsbilder haben, beispielsweise mit einer Rasterfahndung umsehen. Ich nenne nur ein Beispiel. Wenn jemand Student der Naturwissenschaften, zum Beispiel der Biochemie ist, aus einem der problematischen Länder stammt und einen Flugschein oder einen Gefahrgutführerschein gemacht hat, da, meine ich, werde ich in Deutschland nur wenige Leute außerhalb der SPD und der Grünen hier in diesem Hohem Hause finden, die es nicht für erforderlich hielten, eine entsprechende Überprüfung vorzunehmen, um Gefahren zu vermeiden.

(Beifall bei der CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Ich finde es schon ziemlich pervers, wenn Herr Hoderlein und Herr Maget durchs Land ziehen und sagen, die SPD sei nicht mehr der linke Haufen von früher, sondern habe sich jetzt Herrn Schily als Listenführer ausgesucht, während Sie hier im Hohen Haus immer noch links wie vor fünf oder sechs Jahren daherreden. Das müssen Sie sich abschminken, sonst merkt hier noch der Letzte im Land, wie der Hase läuft.

(Zurufe der Abgeordneten Mehrlich (SPD) und Frau Werner-Muggendorfer (SPD))

Zur Änderung des Ausländerrechts. Frau Tausendfreund, zu dem, was Sie sagen, dazu habe ich einen ganz konkreten Vorschlag gemacht. Das war übrigens eine gemeinsame Initiative des Landes Niedersachsen und des Landes Bayern. Niedersachsen ist bekanntlich

kein unionsgeführtes Land. Wir haben einen konkreten Antrag eingebracht, das Ausländerrecht dahin gehend zu ändern, dass diejenigen, bei denen nachgewiesen ist, dass sie einer gewaltbereiten, islamistischen, extremistischen Organisation angehören, als Regelfall ausgewiesen werden. Das betrifft die Fälle der GIA, der Hamas, der Hisbollah, des ICCB bzw. des Kalifatstaates.