Protokoll der Sitzung vom 25.10.2001

Das Vorhaben der erleichterten Ausweisung von Ausländern ist besonders ärgerlich. Sie wollen niederschwellige Ausweisungstatbestände schaffen, Regeltatbestände, bei denen nur ein Verdacht ausreicht. Bisher ist es immer noch die Regel, dass Beweise auf dem Tisch liegen müssen. Nach diesem Vorhaben reicht es aus, überspitzt gesagt, dass ein Ausländer im Verdacht steht, Kontakt zu einer Organisation zu haben, die im Verdacht steht, extremistisch zu sein; dann kann er schon ausgewiesen werden. Damit wird die Unschuldsvermutung über Bord geworfen. In der Konsequenz wird es Unschuldige treffen und menschliche Schicksale beeinflussen.

Nach dem Prinzip, niederschwellige Ausweisungstatbestände zur Regel werden zu lassen, die schon bei Verdachtsmomenten greifen, müssten Sie eigentlich den Generalstaatsanwalt Froschauer wegen des Verdachts einer möglichen Strafvereitelung im Amt aus dem Amt entlassen. Das wäre die logische Konsequenz. Das fordern wir hier nicht; wir fordern die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. Wir wollen hier niemanden vorab verurteilen.

Das Zuwanderungsgesetz auszuhöhlen oder aufzuschieben, ist der verkehrte Weg. Wir sind eine offene Gesellschaft, wir müssen das offensiv vorantreiben. Dazu gehört die Integration der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer, offensiv, mit allen Begleitmaßnahmen, Sprachkursen und Integrationsmaßnahmen. Unsere Wirtschaft braucht das Zuwanderungsgesetz. Wir brauchen Fachleute aus dem Ausland, wir brauchen ausländische Studentinnen und Studenten für unsere Universitäten. Dies jetzt zu stoppen, wäre der verkehrte Weg.

Ich möchte Ihnen noch ein Zitat vorlesen und Sie fragen, von wem es denn stammen könnte, um der Ernsthaftigkeit der Debatte nachzuhelfen.

Der gläserne Bürger und Steuerzahler führt zum Schnüffelstaat und zerstört die Vertrauensbasis gegenüber den Ehrlichen.

Das Ganze steht unter der Überschrift: „Big Brother rückt näher“. Ist dieses Zitat Teil der Resolution der GRÜNEN vom letzten Wochenende, oder stammt dieses Zitat von der kommunistischen Plattform? – Nein, es stammt von der Mittelstandsunion der CSU.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn es um das Bankgeheimnis geht, dann sehen Sie das plötzlich ganz eng; da darf der gläserne Bürger nicht eingeführt werden. Aber ansonsten sollen wir uns überall durchleuchten lassen, und es soll die Möglichkeit geschaffen werden, Bewegungsprofile zu erstellen etc.

So viel zur Ernsthaftigkeit der Debatte, wie sie bisher geführt wird. Wir sind dafür, dass das Bankgeheimnis gelockert wird, damit wir effektiv gegen das terroristische

Netzwerk vorgehen können. Wir wollen die Geldströme für die Terroristen austrocknen und damit ein effektives Mittel für die Bekämpfung des Terrorismus zur Verfügung stellen. Aber anscheinend will das Ihre Mittelstandsunion nicht.

Bei dieser Gelegenheit fordere ich ein, dass Sie, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, mit derselben Vehemenz, mit der Sie die Anti-Terror-Debatte führen, endlich einmal gegen die Wirtschaftskriminalität vorgehen. In der Bundesrepublik gibt es einen eklatanten Fall von Wirtschaftskriminalität, nämlich die Leuna-Affäre. Hier wäre es an der Zeit, dass dafür gesorgt wird, dass ein Antrag beim Generalbundesanwalt gestellt wird, damit eine Staatsanwaltschaft bestimmt wird, die das Sammelverfahren in dem gesamten Schmiergeldskandal LeunaElf-Aquitaine übernimmt. Hier hätte der Freistaat Bayern aktiv werden können. Die Augsburger Staatsanwaltschaft hätte das Sammelverfahren führen können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nicht der Ruf nach immer neuen Gesetzen hilft, sondern der Vollzug der vorhanden Gesetze und eine verbesserte Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Deshalb werden wir den Antrag der CSU ablehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächster Redner hat Herr Kollege Welnhofer das Wort.

Herr Präsident, Hohes Haus! Frau Kollegin Trausendfreund, vorweg ein paar Bemerkungen zu Ihnen: Sie sagen, mit der Videoüberwachung werden wir keinen einzigen Terroristen fangen. Wer sagt Ihnen denn das? Ich sehe die Dinge in einem größeren Zusammenhang: Je sorgfältiger das Sicherheitsnetz geknüpft wird, umso größer ist die Chance, dass Straftäter sich darin verfangen.

(Beifall bei der CSU)

Das gilt ganz allgemein, nicht speziell für die Videoüberwachung, aber auch für diese, die wir im Übrigen nicht in erster Linie zur Terroristenbekämpfung eingeführt haben. Und schon wieder malen Sie das Schreckgespenst des Überwachungsstaates an die Wand. Ich frage Sie: Wo in dieser Welt kann man freier leben und sich freier entfalten als hier in der Bundesrepublik Deutschland?

(Beifall bei der CSU)

Das Problem ist doch nicht, dass wir zuviel Überwachung haben oder zu bekommen fürchten müssen, sondern das Problem ist, dass wir zu wenig Sicherheit haben. Sie sprechen von der in den letzten Jahrzehnten gewachsenen Rechtskultur. Sie haben schon Recht, es ist viel Rechtskultur gewachsen. Mitunter ist aber auch Unkultur dabei gewesen. Das wird man schon erwähnen dürfen. Nicht alles, was in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist, ist gute Rechtskultur.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, manche behaupten, seit dem 11. September 2001 sei nichts mehr, wie es einmal war. Ich halte diese Aussage zwar für bedenkenswert, aber auch für maßlos übertrieben. Nach meiner Einschätzung war die Welt nie anders, sie ist nur durch Zivilisation und Hochtechnologie anfälliger und verletzlicher geworden. Das ist der eigentliche Unterschied, und nicht etwa, dass der Mensch sich geändert hätte. Er wird sich nach meiner Einschätzung – aber da mögen Sie wiederum anders denken – nie fundamental ändern.

Ich bin auch der Meinung, der 11. September hat uns nicht etwa den Blick auf sicherheitspolitische Notwendigkeiten verstellt oder gar – wie heute schon gesagt worden ist – einen Sicherheitswahn ausgelöst. Nein, dieser 11. September mit seiner unsäglichen Katastrophe hat den Blick wieder frei gemacht für die sicherheitspolitischen Notwendigkeiten in diesem Lande und auf der ganzen Welt.

(Beifall bei der CSU)

Wir gaukeln auch keine falsche Sicherheit vor, wie gesagt worden ist, sondern wir tun das Notwendige in unserem Land und fordern das Notwendige auf Bundesebene. Sicherheit und Freiheit im demokratischen Rechtsstaat sind kein Gegensatz – oder jedenfalls nicht nur ein Gegensatz –, sondern sie bedingen einander. Dort, wo Sicherheit fehlt, kann Freiheit sich nicht entfalten. In einem totalitären Polizeistaat mag das nicht so sein, aber von dem sind wir – wohl auch nach Ihrer Auffassung –meilenweit entfernt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer sich seiner körperlichen Unversehrtheit nicht hinreichend sicher sein kann, dem fehlt persönliche Freiheit. So ist das, und nicht umgekehrt.

(Beifall bei der CSU)

Ich kann das Gerede von „Die Freiheit stirbt zentimeterweise“, dieses ganze larmoyante Gerede, nicht mehr hören.

(Beifall bei der CSU – Prof. Dr. Gantzer: Bei Ihnen dauert es etwas länger!)

Wir brauchen im Gegensatz zu dem, was ich von meiner Vorrednerin gehört habe, sehr wohl eine Kronzeugenregelung. Für Straftaten, die den Kernbereich der organisierten Kriminalität und insbesondere des Terrorismus zuzurechnen sind, muß wieder eine Kronzeugenregelung gelten, wie wir sie schon einmal zehn Jahre lang hatten. Diese Regelung ist leider 1999 nicht verlängert worden. Für die Verhinderung und Aufklärung terroristischer Straftaten klafft hier eine unerträgliche Gesetzeslücke. Der Terrorismus ist von einem hohen Maß an Konspiration geprägt. Wir müssen es den Ausstiegswilligen ermöglichen, dass ihr Verhalten, das für sie persönlich ja gefährlich ist, durch eine Kronzeugenregelung honoriert wird, die, wenn es in besonders schweren Fällen notwendig ist, auch mit der Vermittlung einer neuen Identität verbunden sein kann.

Wir brauchen auch eine verläßliche Rechtsgrundlage für den Einsatz verdeckter Ermittler. Es ist nicht so, dass wir sagen würden, der Zweck heiligt die Mittel, wie Sie uns vielleicht unterstellen. Es ist vielmehr ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass zum Schutz höherwertiger Rechtsgüter im Einzelfall niedriger wertige Rechtsgüter hintangestellt werden dürfen. Deswegen bin ich der Meinung, wenn wir verdeckte Ermittler brauchen – und wir brauchen sie für die Terrorismusbekämpfung –, dann müssen diese sich, ohne ein Rechtsrisiko einzugehen, milieugerecht verhalten dürfen. Das heißt, wer sich in das terroristische Umfeld begibt, der muß sich dort so verhalten dürfen, dass er nicht auffällt. Das ist für mich eine Selbstverständlichkeit, wenn wir den Terrorismus effektiv bekämpfen wollen. Das ist für mich ein Fall der Notwehr im weiteren Sinne.

Auch die Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor Einbürgerungen und vor der Erteilung dauerhafter Aufenthaltstitel sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Unser Innenminister sagt immer wieder zu Recht: Wer sind wir denn, dass wir uns künstlich dumm halten? Es gibt Erkenntnisse, und wir nutzen sie nicht. Wir bürgern ein, ohne zu fragen, wen wir da aufnehmen. Wir verleihen den Status des deutschen Staatsbürgers, ohne zu fragen, was gegen den Mann oder die Frau vielleicht an Schwerwiegendem vorliegt. Wer so handelt, handelt unverantwortlich.

(Beifall bei der CSU)

Das Gleiche gilt, wenn Ausländer hierher kommen wollen.

Ich will jetzt nicht zur Einwanderungspolitik im Allgemeinen sprechen; da gäbe es einiges zu sagen. Wir brauchen Zuwanderungsbegrenzung. Der Schwerpunkt liegt auf „Begrenzung“. Wir müssen Zuwanderung einheitlich sehen, nicht getrennt nach Asylbewerbern und anderen. Unser Land verträgt nur ein gewisses Maß an Zuwanderung, sonst macht die Bevölkerung nicht mit, sonst ist die Bevölkerung nicht bereit, ihren unverzichtbaren Beitrag zur notwendigen Integration zu leisten.

Eines aber ist klar: Jeder, der zu uns kommen will, muss sich vorher auf Herz und Nieren überprüfen lassen. Wir wollen doch nicht Gefahr laufen, uns Verbrecher ins Land zu holen. Ich weiß zwar, dass all das keinen absoluten Schutz verspricht, aber alles, was möglich ist, muss auch getan werden. Das ist der Sinn unseres Antrags.

Wer hierher kommt, muss die Hausordnung beachten.

(Beifall des Abgeordneten Spitzner (CSU))

Das Grundgesetz ist zwar ein wesentlicher Bestandteil der Hausordnung, aber diese geht darüber hinaus. Wer hierher kommt, muss sich unserer Art zu leben anpassen. Wer hierher kommt, um hier so zu leben, wie er es in der Türkei gewohnt war, soll dort bleiben; dort kann er das, bei uns aber nicht. Die Freiräume, die unsere Gesellschaftsordnung bietet, sind ohnehin so groß, dass man sich hier entfalten kann wie kaum in einem anderen Land auf dieser Welt. Wir verlangen keine Assimilation,

keine Preisgabe der ethnischen Identität, aber wir verlangen Integration. Wir fordern die Anerkennung der Hausordnung und das Sich-Einfügen in die Verhältnisse, die hier herrschen, und die Akzeptanz unserer Gesellschaft, wie sie ist.

Wir haben einen Kanzler, der das eigentlich erkennt. Das ist ein Kanzler der starken Worte, der ruhigen Hände, aber anscheinend auch der kalten Füße.

(Beifall und Lachen bei der CSU)

Seine Gedanken sind ja nicht so schlecht, jedenfalls nicht immer. Ich habe von ihm zur Ausländerkriminalität gehört: abschieben, und zwar sofort. Sehr gut, aber was ist geschehen?

(Zurufe von der CSU: Nichts!)

Nichts. Zu Kinderschändern hat er gesagt: wegschließen, und zwar für immer. Aber was ist geschehen?

(Zurufe von der CSU) : Nichts!)

Nichts, heiße Luft! So stellen wir uns das nicht vor. Wir wollen, dass etwas getan wird. Damit Sie auch zeigen können, was Sie sich vorstellen, beantrage ich namens meiner Fraktion eine namentliche Abstimmung.

(Beifall bei der CSU)

Herr Staatsminister Dr. Beckstein hat ums Wort gebeten. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist notwendig, dass der Innenminister seine Meinung zu diesem Antrag vor dem Parlament darstellt, da es um eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik geht. Ich will auch zu dem Stellung nehmen, was die Kollegen Dr. Gantzer und Frau Tausendfreund dargestellt haben.

Zur Sicherheitslage: Es ist übereinstimmende Meinung der Innenminister des Bundes und aller Länder, dass wir noch nicht auf dem Höhepunkt der Sicherheitskrise sind, sondern erst an deren Beginn. In den vergangenen Monaten und Jahren wussten wir, dass wir auch Ruheraum für Terroristen, insbesondere aus dem islamistischen Bereich, geworden sind. Darauf gab es viele Hinweise. Spätestens seit dem 11. September ist eindeutig, dass wir Vorbereitungsraum sind. Die Amerikaner behaupten sogar, dass wir das allererste Land der Vorbereitung sind. Die Amerikaner machen uns sehr heftige Vorwürfe. Sie sprechen davon, dass wir ein „golden heaven for terrorists“ wären, also ein goldener Himmel für Terroristen, und weisen anklagend darauf hin, dass von 19 erkannten Selbstmordattentätern 16 durch Europa gekommen sind und nur deswegen die Möglichkeit hatten, nach Amerika einzureisen, weil sie vorher mehrere Jahre in Europa gelebt hatten.

Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass es jederzeit möglich ist, dass unser Land auch Ausführungsraum für extremistische terroristische Anschläge aus dem isla