Protokoll der Sitzung vom 25.10.2001

Meine Damen und Herren, es hat schon seinen Grund, dass alle drei Polizeigewerkschaften, die Gewerkschaft der Bundeswehr und der Bundeswehrverband einhellig der Meinung sind, dass das, was Sie vorschlagen, nicht in Frage kommt. Sie sind ganz rechts außen, ganz weit ab von der Realität mit Ihrem Antrag.

Ich sage zum Schluss: Zwei Drittel der Bevölkerung – hiermit hat Kollege Hölzl mit seiner Erklärung verloren; Minister Beckstein redet vielleicht noch dazu – sind mit der Sicherheitspolitik der Bundesregierung einverstanden. Das ist ein ungeheuer hoher Wert.

(Beifall bei der SPD)

Die Ängste, die Sie erzeugen wollen, haben keinen Grund. Wir haben eine Bundesregierung, die das Thema Sicherheit voll im Griff hat. Dank Schröder und dank Innenminister Schily ist alles, was Sie betreiben, reine Angstmache.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Bernhard (CSU))

Das stimmt nicht. Seit wir an der Bundesregierung sind und Innenminister Schily haben, haben wir Ihnen den Startvorteil abgenommen. Sie rennen hinterher.

(Hölzl (CSU): Hahnzog mobilisiert gegen Schily!)

Der Antrag, den Sie vorgelegt haben, soll Ihrem Klientel erklären, dass Sie auch noch etwas von Sicherheitspolitik verstehen. Der Antrag ist falsch. Sie sollten ihn am besten zurückziehen und den Bürgern damit nicht Angst machen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Tausendfreund.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Es muss für Sie sehr bitter sein, Kolleginnen und Kollegen von der CSU, dass Otto Schily Innenminister ist.

(Lachen bei der CSU – Willi Müller (CSU): Für die GRÜNEN muss das schlimm sein! – Hofmann (CSU): Das ist ein großes Missverständnis! – Dr. Bernhard (CSU): Das ist für Sie ein Problem!)

Besonders hart muss es Minister Beckstein treffen. Er kommt gar nicht mehr nach mit seinen Vorschlägen, mit denen er mehr Sicherheit verspricht

(Hofmann (CSU): Haben Sie noch einen solchen Witz parat?)

und die von Vorschlag zu Vorschlag immer absurder werden. Entweder hat Otto Schily diese Vorschläge schon gemacht, oder er greift selbst die überzogensten Ideen Becksteins noch auf.

(Hofmann (CSU): Das ist für Sie ein Problem!)

Schily scheint es auf das Wählerklientel der CSU abgesehen zu haben.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Nicht auf das der GRÜNEN, das ist richtig! – Lachen bei der SPD)

Er lässt Beckstein und der CSU keinen Raum, sich zu profilieren. Das ist schon eine schlimme Situation für Sie, Herr Beckstein.

(Willi Müller (CSU): Was machen denn dann die GRÜNEN?)

So bleibt Ihnen heute anscheinend gar nichts anderes übrig, als auf Schilys Sicherheitspaket – auf das „OttoPaket“ – noch eins draufzusatteln, und zwar ohne Rücksicht auf Rechtsstaatsprinzipien und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin von der FDP hat es auf den Punkt gebracht. Ich zitiere sinngemäß:

Es findet ein gefährlicher Wettlauf zwischen Schily und Beckstein statt, bei dem die Kontrolle des Gewaltmonopols des Staates ausgehebelt wird.

(Willi Müller (CSU): Ist Schily plötzlich gefährlich?)

Für uns GRÜNE ist es bitter, dass Otto Schily Innenminister ist,

(Hofmann (CSU): Was machen wir denn da?)

weil er jedwede Sensibilität für eine ausgewogene Sicherheitspolitik verloren hat.

(Hofmann (CSU): Raus, aber schnell! – Dr. Bernhard (CSU): Das ist eine Koalitionsfrage!)

Er selbst hätte es wohl vor wenigen Jahren nicht für möglich gehalten, welche Positionen er heute vertritt und mit welcher Leichtigkeit er Rechtsstaatsprinzipien wie das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und polizeilicher Arbeit, die Unschuldsvermutung und die Persönlichkeitsrechte der Menschen über Bord wirft. Nicht nur wir GRÜNEN kritisieren das „Otto-Paket“ und die CSU-Vorschläge, vermehrt mischen sich Bürgerrechtsgruppen, Datenschützer, Vertreter der Gewerkschaft der Polizei, Bundeswehrvertreter, Politiker der SPD und auch der CDU kritisch in die Diskussion ein. Bemerkenswert ist auch die Kritik aus dem Bundesjustizministerium. Dort wird das „Otto-Paket“ – das Sicherheitspaket II – richtiggehend zerrissen und in Teilen als verfassungswidrig beurteilt. Es sind also nicht nur die bayerischen GRÜNEN, die Kritik üben. Ich verwahre mich insbesondere gegen die Kritik des Kollegen Hölzl, dass wir mit unserer Kritik den Rechtsstaat und die Sicherheit gefährden und wir GRÜNEN womöglich noch eine Sicherheitsgefahr darstellen würden.

(Hölzl (CSU): Sind Sie auch, das ist unstrittig!)

Wir verkennen nicht, dass nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und den bisherigen Erkenntnissen über die Terroristen, logistischen Zusammenhänge und ihre Netzwerkstruktur die bestehenden Sicherheitskonzepte auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Die Verbesserungen im Sicherheitssystem müssen allerdings tatsächlich zu einer effektiven Terrorismusbekämpfung beitragen und dürfen unsere freiheitliche Grundordnung nicht beschädigen.

Zwei kurze Beispiele: Sie werden mit der Video-Überwachung in unseren Städten und Gemeinden keinen Terroristen fangen. Trotzdem wird die Ausweitung der VideoÜberwachung im Zusammenhang mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus genannt. Hier besteht wirklich kein Zusammenhang. Das ist nicht die Debattenkultur, die wir bräuchten.

Das zweite Beispiel des Eingriffs in unsere freiheitliche Grundordnung: Sehr kritisch zu betrachten sind die von Schily und Ihnen angestrebten verdachtsunabhängigen Ermittlungen des Bundeskriminalamts, des BKA. Bisher musste es zumindest einen Anfangsverdacht geben. Die Schwelle zum Anfangsverdacht ist sowieso schon sehr niedrig. Zukünftig soll das BKA verdachtsunabhängig überall ermitteln und Telefongespräche überwachen dürfen und Zugang zu den Protokollen bekommen. Hierüber gibt es keine gerichtliche Kontrolle. Bisher musste eine Telefonüberwachung angeordnet werden. Es waren der

entsprechende Tatverdacht und eine gerichtliche Anordnung nötig. Das darf nicht untergraben werden.

Wir GRÜNE fordern eine Sicherheitspolitik mit Augenmaß ein, die eine Balance zwischen der Gewährleistung der inneren Sicherheit und der Wahrung von Freiheitsund Bürgerrechten gewährleistet und mit der niemand unter Generalverdacht gestellt wird. Wie das Konzept konkret aussieht, können Sie im letzten „Forum der Fraktionen“ in der „Bayerischen Staatszeitung“ nachlesen. Die Resolution der bayerischen GRÜNEN vom letzten Wochenende zur inneren Sicherheit hatte einen ähnlichen Wortlaut.

Mit dem Dringlichkeitsantrag der CSU wird genau das Gegenteil verfolgt. Der Antrag ist wieder einmal Öl ins Feuer der aufgeregten, ja zum Teil panischen Diskussion in Deutschland. Bereits jetzt hat sich das gesellschaftliche Klima negativ verändert. Misstrauen wird geschürt. Plötzlich sind alle verdächtig – alle 82 Millionen –, insbesondere die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Jeder ist ein potenzieller Straftäter. Gerade die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger werden ausgegrenzt und stigmatisiert. Ein Beispiel ist die Rasterfahndung an den Universitäten. Bevor man überhaupt ein Täterprofil hat, wird einfach gesucht und gesucht und gesucht. Man hat eine Datenflut.

Alle männlichen ausländischen Studenten, die reisefreudig und ungebunden sind, sind plötzlich potenzielle Schläfer. So kann man nicht miteinander umgehen. So wird ein Klima des Misstrauens gefördert. In dieser Situation packen Schily und Beckstein ihre schon lange geschriebenen Wunschzettel aus und nutzen die Situation nach den schrecklichen Anschlägen vom 11. September 2001 schamlos aus. Der Staatsrechtler Erhard Denninger schätzt dies wie folgt ein, ich zitiere:

Wenn die das wirklich alles machen, dann ist das der Überwachungsstaat. Die neuen Gesetze fegen vieles hinweg, was in vielen Jahrzehnten Rechtsstaatskultur gewachsen ist.

Dieser Einschätzung kann ich mich nur anschließen.

Zu dem Antrag der CSU im Einzelnen, ich gehe nur auf einzelne Punkte ein: Eine Grundgesetzänderung bezüglich der Bundeswehr ist mit uns nicht zu machen. Wir wollen, dass die Bundeswehr nicht im Inneren tätig ist; wir pochen auf eine strikte Trennung von Polizei und Bundeswehr. Ich möchte hier auf die jüngere deutsche Geschichte verweisen. Es kommt nicht von ungefähr, dass diese Trennung eingeführt wurde und keine Nationalgarde eingeführt worden ist. Außerdem ist die Bundeswehr dafür weder ausgebildet noch personell ausgestattet. Die bisherigen Anforderungsmöglichkeiten für Hilfeleistungen im Einzelfall reichen völlig aus.

Sie fordern mehr Datenzugriffe durch den Verfassungsschutz. Hier haben wir wieder das Problem mit der Kontrolle der Kontrolleure. Wer kontrolliert, welche Telefonüberwachungen stattgefunden haben? Hier muss es dabei bleiben, dass die Telefonüberwachung nur richterlich angeordnet werden darf. Die jetzigen Möglichkeiten werden nicht im Entferntesten ausgeschöpft. Natürlich

können rechtmäßigerweise Daten gesammelt werden, aber faktisch gibt es überhaupt nicht die Möglichkeiten, Daten zwischen den einzelnen Sicherheitsbehörden auszutauschen. Ich erinnere an das Datensystem Inpol 2; es war mit hohem Kostenaufwand verbunden und ist gescheitert. Man muss wieder auf das alte System zurückgreifen. Nicht einmal das, was im Gesetz jetzt schon vorgesehen ist, kann überhaupt ausgeschöpft werden.

Sie wollen die bundesweite Schleierfahndung. Die Diskussion darüber hatten wir hier schon häufiger. Das ist eine Methode nach dem Zufallsprinzip. Hiermit können Sie keine Terrorismusbekämpfung durchführen; Sie suchen nach der Nadel im Heuhaufen.

Die Kronzeugenregelung wurde zu Recht abgeschafft. Eine Wiedereinführung animiert lediglich Straftäter, wahrheitswidrig gegen andere Beschuldigte auszusagen. Bisher hat die Kronzeugenregelung keinen nennenswerten Nutzen gebracht. Sie ist meines Erachtens ein Verstoß gegen das Gerechtigkeitsprinzip.

(Beifall der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Keinesfalls darf es Rechtfertigungsgründe für Straftaten verdeckter Ermittler geben. Es ist vielfach betont worden, dass es überhaupt nicht möglich sei, die richtigen Personen zu finden, die man in die islamistische Terrorszene einschleusen könnte. Trotzdem werden hier Rechtfertigungsgründe für eventuelle Straftaten verdeckter Ermittler, die anscheinend gar nicht einsetzbar sind, weil man nicht über einsetzbare Personen verfügt, gefordert. Außerdem steckt in diesen Rechtfertigungsgründen eine echte Gefahr für die innere Sicherheit; denn wenn im Gesetz steht, wie weit die verdeckten Ermittler gehen können, vom Diebstahl hier bis zum Raub dort, und diese verdeckten Ermittler getestet werden sollen, dann wird mit einer Mutprobe genau diese Grenze überschritten. Damit bringt Ihnen ihr Rechtfertigungsgrund überhaupt nichts.

Zum Thema Fingerabdruck im Ausweis und biometrische Kennzeichen: Das ist ein Vorhaben, das absolut unverhältnismäßig ist. Hiermit wird die gesamte Bevölkerung erkennungsdienstlich behandelt. Sie haben auf der anderen Seite eine erhebliche Datenflut, mit der überhaupt nicht mehr umgegangen werden kann. Dieses Vorhaben ist in Europa, wo es Länder gibt, in denen es überhaupt keine Melde- oder Passpflicht gibt, einfach lächerlich. Es wird nicht berücksichtigt, dass sich die Menschen im Laufe ihres Lebens verändern. Die Gesichtsmerkmale sind im Alter völlig anders. Sie können sogar je nach Gemütslage anders sein. Die technischen Voraussetzungen sind nicht gegeben, darauf einzugehen. Das führt letztlich dazu, dass man die eigene Existenz beweisen muss, wenn man aufgrund des Fingerabdrucks und biometrischer Kennzeichen nicht erkannt wird.

Am liebsten hätten Sie sowieso, dass man gleich nach der Geburt einen Chip eingepflanzt bekommt, mit dem man jederzeit erkennbar und am besten per GPS verfolgbar ist.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Das können die GRÜNEN vorschlagen!)

Das Vorhaben der erleichterten Ausweisung von Ausländern ist besonders ärgerlich. Sie wollen niederschwellige Ausweisungstatbestände schaffen, Regeltatbestände, bei denen nur ein Verdacht ausreicht. Bisher ist es immer noch die Regel, dass Beweise auf dem Tisch liegen müssen. Nach diesem Vorhaben reicht es aus, überspitzt gesagt, dass ein Ausländer im Verdacht steht, Kontakt zu einer Organisation zu haben, die im Verdacht steht, extremistisch zu sein; dann kann er schon ausgewiesen werden. Damit wird die Unschuldsvermutung über Bord geworfen. In der Konsequenz wird es Unschuldige treffen und menschliche Schicksale beeinflussen.