Protokoll der Sitzung vom 14.11.2001

Olaf Henkel zitieren, der entsetzt und sogar angewidert ist von den Versuchen, die nötige Zuwanderung nach Deutschland mit Hinweisen auf die Anschläge wieder in Frage zu stellen. Entsetzt und sogar angewidert – so wird von Arbeitgeberseite ihre Position charakterisiert.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch ein zweites Beispiel anfügen, um die inhaltliche Substanzlosigkeit Ihrer vorgelegten Kritik zu untermauern. Sie behaupten allen Ernstes – ich zitiere:

Die Gewährung eines Aufenthaltsrechts für Fälle nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung und die – von den Rechtsfolgen her betrachtete – Gleichstellung mit der politischen Verfolgung schafft zusätzliche Zuwanderungsanreize.

Ich frage mich ernsthaft, Herr Welnhofer, was waren denn die Tränen Ihrer Kolleginnen und Kollegen im Petitionsausschuss wert, wenn wir bei entsprechenden Eingaben immer wieder gehört haben, dass es die bestehende Regelung leider nicht rechtfertige, bei abgelehntem Asyl auf Abschiebung zu verzichten. Es wäre doch die Aufgabe des Berliner Gesetzgebers, zu klaren Regelungen zu kommen. Jetzt haben wir die klaren Regelungen. Jetzt wird das vorgeschlagen, und jetzt halten Sie den Frauen, die an den Genitalien verstümmelt und vergewaltigt worden sind, vor, sie kämen nur, weil es hier Zuwanderungsanreize gibt.

(Frau Radermacher (SPD): Weil sie „drangsaliert“ werden!)

Ich halte das für infam. Ich halte das für zynisch.

(Welnhofer (CSU): Das ist falsch. Sie haben das nicht verstanden!)

Ich glaube, dass Sie das nicht verstanden haben. Reden Sie doch mal mit den Frauen, Herr Welnhofer, und reden Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss. Sie reden nicht, Sie wiederholen gebetsmühlenhaft die gleichen banalen dumpfen Formulierungen. Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag nicht zu.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Welnhofer (CSU): Sie haben es nicht verstanden, aber ich bin bereit, es Ihnen zu erklären!)

Als nächste Rednerin hat Frau Kollegin Köhler das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Herr Welnhofer, ich habe Ihnen zugehört und empfehle Ihnen: Bauen Sie eine hohe Mauer um Bayern und sperren Sie den Minister Huber ein, weil dieser durch die Welt reist und Inder und Leute aus allen Teilen der Welt nach Bayern einlädt, und zwar nicht nur um Bayern zu besuchen, sondern um in Bayern zu bleiben und Betriebe aufzubauen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihrer Logik nach müssten Sie diese Konsequenz ergreifen.

(Welnhofer (CSU): Wo Minister Huber hingereist ist, hat das seine Ordnung!)

Nur einige Landesteile Indiens zählen nicht zur Dritten Welt.

Zum Thema: Ein modernes und zukunftsfähiges Zuwanderungsgesetz muss den wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfordernissen Deutschlands Rechnung tragen. Es muss den demographischen Faktor und die humanitären Verpflichtungen, die Deutschland eingegangen ist, berücksichtigen. Und schließlich muss ein Zuwanderungsgesetz, das zukunftsfähig sein soll, die Integration fördern, und zwar nicht nur die Integration der neu Ankommenden, sondern auch für die zweite und dritte Generation, die hier leben.

Deutschland braucht Einwanderung, um als Wirtschaftsund Wissenschaftsstandort konkurrenzfähig zu bleiben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Erkenntnis hat sich jetzt nach 20 Jahren Reformstau im Bereich der Migrationspolitik deutschlandweit durchgesetzt. Ich dachte eigentlich, dass sich diese Erkenntnis auch in den Reihen der CSU zumindest verbreitet hat. Wenn ich mir aber den heutigen Antrag ansehe, dann stelle ich fest, dass Sie wieder eine Rolle rückwärts vorführen wollen. Je näher der Wahltermin rückt, desto mehr machen Sie eine Politik, die lautet: Zwei Schritte haben wir nach vorne gemacht, jetzt müssen wir schnell vier zurück gehen, nicht nur drei, damit wir bei den Wahlen den rechten Rand nicht verlieren.

Zweitens. Deutschland braucht Zuwanderung, auch aus demografischen Gründen. Ich spreche diesen Punkt hier ganz bewusst an, weil er von der CSU so vehement verleugnet wird. Ich frage Sie: Wer soll die sozialen Sicherungssysteme zukünftig finanzieren? – Ihre Familienpolitik animiert jedenfalls auch in Bayern die Frauen nicht, mehr Kinder auf die Welt zu bringen. Oder haben wir hier in Bayern vielleicht einen Kinderboom zu verzeichnen?

In diesem Zusammenhang komme ich auf das Gutachten von Prof. Schmid zu sprechen, wobei ich nicht all seinen Thesen zustimme. Aber in dem Gutachten, das ich gelesen habe, findet man interessante Berechnungen über die Bevölkerungspolitik in Deutschland. Prof. Schmid rechnet genau vor, wie gravierend der Bevölkerungsrückgang in Deutschland ist, und er kommt zu dem Ergebnis, dass es eines Politikmixes bedarf, bestehend aus Familienpolitik, flexibler Arbeitspolitik und einer Einwanderungspolitik, um unsere Gesellschaft nicht überaltern zu lassen und die sozialen Sicherungssysteme aufrecht zu erhalten. Er rechnet sogar in diesem Gutachten einen jährlichen Zuwanderungsbedarf von 200000 Personen für Deutschland vor. Diese demografische Komponente wird von der CSU vehement geleugnet. Ich frage mich: Lesen Sie eigentlich nicht die Gutachten, die Sie selber in Auftrag gegeben und bezahlt haben? Wozu

engagieren Sie eigentlich Wissenschaftler, wenn Sie das, was diese herausfinden, in der Öffentlichkeit leugnen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Deutschland muss auch weiterhin die Aufnahme von Menschen in Not gewährleisten und kann sich nicht aus internationalen Verträgen wie zum Beispiel der Genfer Flüchtlingskonvention verabschieden. Gerade in diesen Tagen wird uns wieder vor Augen geführt, wie wichtig es ist, dass die Staaten ihre Grenzen für Flüchtlinge und verfolgte Menschen öffnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Viertens. Ein Zuwanderungsgesetz muss Integration fördern und fordern. Wir dürfen die Fehler der Gastarbeitergeneration nicht wiederholen. Das heißt, dass die Sprachförderung auf neue Füße gestellt werden muss und ein Angebot entwickelt werden sollte, damit Zuwanderer in Orientierungskursen das deutsche Rechts- und Gesellschaftssystem kennen lernen. Die Finanzierung dieser Integration müssen sich Bund, Länder und Kommunen teilen. Denn die Kosten der Nichtintegration – die haben wir einmal für Bayern berechnen lassen – belasten die öffentlichen Haushalte enorm. Deshalb meine ich: Jede D-Mark oder – ab 1. Januar – jeder Euro, der in die Integration fließt, entlastet die öffentlichen Haushalte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bisher trägt der Bund die Kosten für die Sprachkurse. Das waren im Jahr 2001 ungefähr 350 Millionen DM. Nach Bayern sind 2,7 Millionen DM geflossen. Es gibt EU-Programme, und die Kommunen schießen Geld zu diesen Sprachkursen bei. Aber es gibt keinerlei Landesmittel für diese Sprachkurse. Deshalb haben wir im Nachtragshaushalt erstmals 10 Millionen Euro zur Finanzierung der Sprachkurse gefordert. Man kann nicht immer nur Integration von anderen einfordern, aber selber nichts dafür tun. Das geht nicht, Herr Kollege Welnhofer.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, das Zuwanderungsgesetz der Bundesregierung hat sich an diesen vier Punkten orientiert. Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf der rot-grünen Regierung ist ein Kompromiss, der nicht alle Wünsche von allen erfüllt, nicht alle Wünsche unserer Partei, nicht alle Wünsche der Wirtschaft oder der Flüchtlingsorganisationen und auch nicht alle Wünsche der Opposition in Berlin.

(Welnhofer (CSU): Gar keine!)

Aber der jetzt vorliegende Entwurf bedeutet in vielen Bereichen eine Verbesserung und ist ein Fortschritt. Deshalb urteilt zum Beispiel der Verband der Bayerischen Wirtschaft, dass der Gesetzentwurf rasch verabschiedet werden soll. Das größte Hemmnis bei der Verabschiedung sei die CSU. So kommentieren es die Vertreter der Wirtschaft rauf und runter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung äußern sich positiv: Die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen und die Flüchtlingsorganisationen,

(Hofmann (CSU): Das ist klar!)

aber gleichzeitig mahnen diese Organisationen weitere Nachbesserungen im humanitären Bereich an. Eine sich christlich nennende Partei wie Sie es sind stellt sich vollkommen taub, wenn es um die Aufnahme von Menschen aus humanitären Gründen geht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hof- mann (CSU): Aha, wir stellen uns gegen die Wirtschaft!)

Alte Kampfbegriffe werden dann aus der Mottenkiste herausgekramt wie zum Beispiel der Kampfbegriff „Asylmissbrauch“. Wir haben derzeit Flüchtlingszugangszahlen wie in den Achtzigerjahren. Das heißt, dass unser Land durch die Flüchtlingszahlen nicht überfordert ist. Wenn Sie sich die Hauptherkunftsländer der Flüchtlinge ansehen, dann können Sie feststellen, dass dies alles Staaten sind, in denen massive Menschenrechtsverletzungen geschehen.

Es wurde mir zwar signalisiert, dass die Redezeit zu Ende ist, aber lassen Sie mich noch einen Satz sagen. Besonders empörend finde ich, dass der Herr Ministerpräsident und Herr Kollege Welnhofer behaupten, alle erniedrigten Frauen der Welt

(Frau Radermacher (SPD): Drangsalierten!)

würden zum Sturm auf Deutschland antreten, wenn die geschlechtsspezifische Verfolgung anerkannt würde. Es ist eines Rechtsstaates nicht würdig, Menschen – und das sind insbesondere Frauen – den Schutz vor geschlechtsspezifischer Verfolgung zu versagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es gäbe noch eine Menge zu Ihrem Antrag zu sagen, aber die Redezeit ist zu Ende. Meine Fraktion wird Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Herr Minister, ich bitte um ein wenig Geduld. Ich möchte schnell das Abstimmungsergebnis der namentlichen Abstimmung zum Dringlichkeitsantrag 14/7901 der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bekannt geben. Mit Ja haben 67 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein 90. Der Stimme enthalten haben sich 3. Damit ist der Dringlichkeitsantrag abgelehnt.

(Abstimmungsliste siehe Anlage 3)

Jetzt erteile ich Herrn Staatsminister Dr. Beckstein das Wort. Das Redezeitkonto der Staatsregierung weist noch 5 Minuten aus. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bedanke mich zunächst für den Hinweis und die Aufforderung, eine neue Runde zu eröffnen. Ich will mich aber bemühen, die 5 Minuten einzuhalten.

Die Staatsregierung begrüßt den Dringlichkeitsantrag der CSU. Für uns ist in der Tat der entscheidende Punkt, dass wir nicht mehr Zuwanderung wollen, sondern eine andere. Das ist auch das, was zumindest formal von Bundesinnenminister Schily immer wieder betont wird. Anders als hier die Vertreter der GRÜNEN hebt er hervor, dass es ihm auch darum geht, Zuwanderung zu begrenzen. Es ist deshalb für uns erstaunlich, wenn bei demselben Gesetz die GRÜNEN in Jubelgeheul ausbrechen und behaupten, sie hätten sich durchgesetzt, gleichzeitig aber eine massive Zuwanderung wollen, so wie es soeben Frau Köhler deutlich gemacht hat. Daran sehen wir, dass der Schily-Entwurf leider eine Mogelpackung ist. Es steht Steuerung und Begrenzung darüber, in Wirklichkeit steht aber massive Erweiterung drin.