Protokoll der Sitzung vom 12.12.2001

Liebe Frau Kollegin, wenn eine Ganztagsschule den Unterricht am Vormittag und am Nachmittag anbietet, kann diese Schule nicht am Vormittag für alle da sein und am Nachmittag für die Hälfte. Das ist doch logisch. Für die, die in der Klasse sind, ist es verpflichtend.

(Frau Radermacher (SPD): Es ist eine freiwillige Entscheidung der Eltern!)

Auch wenn Sie hier rumplärren, wird das was Sie sagen, nicht besser.

(Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Aber Ihre Rede auch nicht! – Gartzke (SPD): So kann man keine Schulpolitik machen! – Weitere Zurufe von der SPD)

Wenn Sie sich wieder beruhigt haben – –

(Glocke des Präsidenten)

Das Wort hat vorwiegend Herr Kollege Schneider. Vielleicht sollte man sich später in anderer Form auseinandersetzen.

(Gartzke (SPD): Die müssen noch einmal in die Schule gehen!)

Sobald sich alles beruhigt hat, können wir weitermachen.

Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass die Aussage folgendermaßen lautet: Wenn es an einem Standort eine gebundene Ganztagsschule gibt,

(Frau Radermacher (SPD): Freiwillig, die Kinder müssen nicht hingehen!)

ist die Teilnahme nicht mehr freiwillig, sondern für die Kinder verpflichtend, weil sonst der Unterricht nicht am Vormittag und am Nachmittag gegeben werden kann.

(Frau Radermacher (SPD): Trifft nur für die zu, die ihre Kinder dort hinschicken wollen!)

Sie haben Recht, wenn die Ganztagsschulen nur in den Städten angesiedelt werden. Dann funktioniert es. Eine Schule in der Stadt, die Ganztagsunterricht anbietet, müssen nur die Kinder besuchen, die in eine Ganztagsschule gehen wollen. Sollen die Ganztagsschulen aber auch im ländlichen Bereich angeboten werden, würde dies dazu führen, dass sich die Ganztagsschule an einem Standort im Landkreis konzentrieren muss und die Kinder verpflichtet sein werden, 20, 30 Kilometer dorthin zu fahren. Das wollen wir nicht.

Unser Ziel ist es, möglichst wohnortnah Angebote zu schaffen, die pädagogisch wertvoll und keine simple Betreuung sind, sondern den Schülern das Angebot zur Verfügung gestellt wird, die interessiert sind und für die es notwendig ist, am Nachmittag zum Beispiel Stützkurse zu besuchen.

Wir werden Ganztagsschulen nicht ablehnen.

(Frau Radermacher (SPD): Das ist doch schon einmal ein großer Fortschritt!)

Insofern missverstehen Sie uns. In der Entschließung der CSU-Fraktion und den Beschlüssen der Staatsregierung ist deutlich festgehalten, dass dort, wo wir glauben, dass der Unterricht am Vormittag und am Nachmittag organisiert werden muss – ich betone: der Unterricht – Ganztagsschulen eingerichtet werden sollen. Das kann zum Beispiel bei sprachlichen Defiziten, kann in sozialen Brennpunkten sein, kann aber auch bedingt sein durch das besondere Profil der Schule, sei es im Sport oder in anderen Programmen.

Wir sind überzeugt, dass wir mit dem Ganztagsangebot zur Förderung und Betreuung der Kinder und Jugendlichen insgesamt auf dem richtigen Weg sind. Wir werden dies konsequent ausbauen, und es wird sich im Laufe des Ausbaus zeigen, ob die eine oder andere Maßnahme verstärkt werden muss. Ich bin überzeugt, dass wir den richtigen Ansatz gefunden haben. Deshalb haben wir Ihre Anträge abgelehnt. Wir haben sie nicht pauschal abgelehnt, weil wir uns nicht damit auseinandergesetzt hätten, sondern weil wir kurz vorher in einer Aktuellen Stunde im Plenum über das Thema intensiv gesprochen haben.

Noch eine Anmerkung zum Schluss: Frau Görtz, Sie haben schon wieder die bayerische Abiturentenquote von 20% als zu niedrig bezeichnet. Ich muss Ihnen wieder einmal Folgendes sagen, und ich bitte Sie, das endlich aufzunehmen: In Bayern gibt es Fachoberschulen und Berufsoberschulen. Dort wird über den so genannten zweiten Weg – wenn Sie so wollen – von einer Vielzahl Fachabitur und Abitur erworben. Zusammengezählt

ergibt das eine ähnliche Quote wie in anderen Bundesländern.

(Frau Radermacher (SPD): Das stimmt doch gar nicht!)

Sie sprechen von zu wenigen bayerischen Abiturenten und blenden dabei die Fachoberschulen und die Berufsoberschulen aus.

(Beifall bei der CSU)

Meine Damen und Herren, in der Diplomatenloge hat eine Delegation des Föderationsrates der russischen Föderation und der Regionen Nowgorod und Wologda Platz genommen. Die Damen und Herren halten sich zu einem Informationsbesuch in München auf und führen verschiedene Fachgespräche. Im Namen des Hohen Hauses und persönlich begrüße ich unsere Gäste sehr herzlich und wünsche Ihnen einen angenehmen und interessanten Aufenthalt in München.

(Beifall)

Jetzt hat Frau Kollegin Münzel das Wort.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Durch die Pisa-Studie hat die Diskussion um die Ganztagsschule neue Aktualität bekommen. Die Tatsache, dass die Länder an der oberen Leistungsskala Ganztagsschulen haben, kann man nicht einfach beiseite wischen und sagen, dass das überhaupt keine Rolle spiele und ignoriert werden könne. Der ehemalige Kultusminister Zehetmair hat jetzt, wo er nicht mehr die Verantwortung für die Schulen trägt, dies erkannt und im Forum Bildung gesagt und zugestimmt, dass die Errichtung von Ganztagsschulen wichtig sei.

Was hat Pisa eigentlich gezeigt? – Pisa hat gezeigt, dass unsere Schülerinnen und Schüler Probleme nicht lösen, ihr Wissen nicht anwenden, nicht kreativ genug mit den Inhalten umgehen und nicht eigenständig genug denken können. Klar ist: An unseren Schulen wird viel gepaukt, und den Schülerinnen und Schülern wird viel Wissen eingetrichtert. Sie können das Wissen aber nicht anwenden. Sie können es nicht dazu benutzen, um komplexe Probleme adäquat zu lösen.

Was kann die Ganztagsschule dazu beitragen? – In einer Ganztagsschule steht mehr Zeit zur Verfügung. In der Halbtagsschule ist der Paukunterricht nötig, weil alle 45 Minuten ein neues Fach angeboten wird und es einen übervollen Lehrplan gibt. Deshalb muss in möglichst kurzer Zeit das Wissen in kleinen Häppchen eingepaukt werden. Moderne Unterrichtsformen erfordern die Ganztagsschule. Dort kann man Inhalte in Ruhe durchdenken, kann man Fehler machen und daraus lernen – es gibt auch das Lob des Fehlers – und kann man zu eigenständigen Lösungen kommen. Solche zeitintensiven Lernformen sind in einer Halbtagsschule so gut wie nicht möglich. Wir brauchen die Ganztagsschule, um die Lernzeit zu entzerren.

(Beifall der Frau Abgeordneten Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Würde das so angepackt werden, könnte die Unterrichtsqualität verbessert werden. Es ist richtig, dass es nicht genügt, die Zeit auf 16.00 Uhr auszudehnen, sondern es muss die Qualität des Unterrichts verbessert werden. Indem mehr Zeit zur Verfügung gestellt wird, gibt es eine größere Chance, die Unterrichtsqualität zu verbessern als wenn man bei dem Herkömmlichen bleibt.

Wir brauchen in Zukunft mehr Unterrichtszeit, weil auf die Unterschiedlichkeit der Kinder eingegangen werden muss – auf die Leistungsstarken, die Leistungsschwachen, auf die, die Lernstörungen haben und auf die, die hoch begabt sind. Man braucht mehr Zeit, wenn man davon wegkommen will, alles über einen Kamm zu scheren, sodass Mittelmäßigkeit herauskommt.

Die Ganztagsschulen den jetzigen Schulen überzustülpen würde nicht zum Erfolg führen. Die Schulen können nicht dazu verdonnert werden zu Ganztagsschulen zu werden. Unser Antrag „Selbst ist die Schule“ zielt darauf ab, Ganztagsschulen für alle Schularten zu ermöglichen.

Lassen Sie die Entscheidung offen. – Ich kritisiere, dass die Staatsregierung erst einmal 30 Schulen als Limit setzt.

(Frau Radermacher (SPD): Bis 2006, das ist lächerlich!)

Das ist ein Witz, das ist nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.

Ich kritisiere, dass die Staatsregierung und die CSU schon im Kopf haben, welche Schulen Ganztagsschulen werden sollen und welche nicht. Ich habe Ihnen bei diesem Punkt sehr genau zugehört, Herr Kollege Schneider. Jetzt kommen auf einmal doch wieder die sozialen Brennpunkte ins Spiel. Vorher hatten Sie schon mal eine größere Offenheit gezeigt und sich dafür ausgesprochen, Ganztagsschulen nicht nur an sozialen Brennpunkten zu errichten, damit die Schülerinnen und Schüler, die die Ganztagsschule besuchen, nicht stigmatisiert werden. Jetzt geht es also doch wieder um die sozialen Brennpunkte.

Ganz interessant fand ich Ihre Äußerung, dass die Schulen im Rahmen ihrer Profilbildung, zum Beispiel Sport oder bei sprachlichen Defiziten, Ganztagsschulen werden können. Wenn dieser Satz, den Sie gesagt haben, Herr Schneider, richtig ist, dann müssen Sie meinem Antrag heute zustimmen, weil genau das darin steht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dort heißt es nämlich:

Die Staatsregierung wird aufgefordert, Schulen aller Schularten im Rahmen ihres jeweiligen Schulprogramms die Möglichkeit einzuräumen, sich als Ganztagsschule zu organisieren und zu profilieren.

Ich habe übrigens den Passus „im Rahmen von Modellversuchen“ streichen lassen, weil das schon so alt ist. In dem Antrag steht also genau das, was Sie gesagt haben.

Dann habe ich noch das Prozedere aufgeschrieben. Auch dagegen können Sie nichts haben. Es wird das Einvernehmen mit dem Schulaufwandsträger angesprochen, weil der zahlen muss, die Bewerbung beim Staatsministerium, damit auch das Ministerium ein Auge darauf hat, eine Konzeption muss erstellt werden, was in unser aller Interesse ist, und die Schulen sollen vom Staatsministerium, vom Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung und von der Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Dillingen unterstützt werden.

Ich verstehe die Welt nicht mehr, Herr Kollege Schneider, wenn Sie diesen Antrag ablehnen, denn er beschreibt nur das Prozedere, wie man zu Ganztagsschulen kommt. Ich habe keine Zahl genannt. Das haben wir an anderer Stelle ausgeführt. Unser Antrag wäre auch für Ihr Konzept sehr hilfreich.

Ich wünsche mir von Frau Hohlmeier, dass sie mutiger ist. Sie spricht von „Ganztagsangeboten“.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Kollegin Radermacher?

Gerne.

Frau Kollegin Münzel, könnte die Tatsache, dass die CSU Ihrem Antrag nicht zustimmen möchte, damit zusammenhängen, dass gestern Herr Kaul, als ich empfohlen habe, Herrn Zehetmair bezüglich der 12 Empfehlungen zu folgen, in denen die Ganztagsschule enthalten ist und denen Herr Zehetmair zugestimmt hat, davon gesprochen hat, dass das „sozialistische Forderungen“ seien?

Das scheint doch noch in den Köpfen herumzuspuken. Das ist sehr interessant. Es ist sehr verräterisch, was in den Köpfen der CSU-Kollegen herumspukt. Wenn es um Ganztagsschulen geht, ist das immer noch sozialistischer Kindesentzug, trotz aller anderen wohltönenden Worte.

Ich wünsche mir von Frau Staatsministerin Hohlmeier, dass sie mutiger ist und Ganztagsschulen fordert und Ganztagsschulen fördert, und zwar über die 30 hinaus, und dass sie nicht weiter nur von Ganztagsangeboten spricht. Ich appelliere noch einmal an Sie, unserem Antrag zuzustimmen.