Protokoll der Sitzung vom 30.01.2002

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Gibt es Wortmeldungen? – Frau Dr. Kronawitter, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! In der Tat einstimmig wurde in allen mitberatenden Ausschüssen der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion angenommen, dessen zentrales Anliegen die Erziehung von Kindern in unseren Schulen zum partnerschaftlichen und gleichberechtigten Miteinander von Frauen und Männern ist. Das ist ein gutes Zeichen für die heutige Abstimmung, und ich denke, wir haben damit auch eine gewisse Vorgabe. Wir können aus diesen Ausschussvoten außerdem schließen: Das zeitgemäße und verfassungsrechtlich formulierte Leitbild von der Gleichberechtigung von Mann und Frau und deren partnerschaftlichem Umgang miteinander ist endlich bei allen politischen Kräften im Landtag angekommen. Dieser Konsens, so wichtig er ist, sollte aber trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine Aussprache notwendig ist. Herr Knauer, Sie wissen, dass ich es für sehr wichtig halte, solche wichtigen Meilensteine zu dokumentieren und dazu etwas zu sagen.

Meine Damen und Herren, mittlerweile ist es eine Binsenweisheit, dass die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheidend mit wichtigen Rahmenbedingungen zu tun hat. Ich nenne nur die fehlenden Kinderbetreuungseinrichtungen.

Ohne eine zusätzliche Änderung des gesellschaftlichen Leitbildes, das vielerorts immer noch besteht und wonach die Frau ins Haus gehört, wird die notwendige Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht zu meistern sein. Wir hören immer noch so und so oft, die Doppelbelastung von Frauen durch Familie und Beruf sei enorm hoch. Das ist richtig. Warum hören wir aber nie von der Doppelbelastung von Männern, obwohl auch Männer Kinder haben?

(Knauer (CSU): Endlich einmal jemand, der das anspricht!)

Wir hören davon nichts, weil sich Väter nicht für die Erziehungsaufgaben verantwortlich fühlen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte das noch einmal präzisieren: Frauen sind bis heute von der gesellschaftlichen Einschätzung her für Familie und Haushalt verantwortlich. Männer dürfen sich der Karriere widmen. Erst wenn Frauen es für sich persönlich auf die Reihe gebracht haben, Familie und Haushalt irgendwie zu organisieren, können sie sich dem Beruf zuwenden.

(Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei der CSU ist das auf jeden Fall so!)

Dieses Bild ist immer noch vorherrschend. Manchmal werden Themen genau zur richtigen Zeit diskutiert. Heute steht in der „Erdinger Zeitung“, die als konservativ eingeschätzt wird: „Männer stärker in die Pflicht nehmen – Kreisversammlung der Landfrauen: Frauen fordern mehr Mitarbeit in der Familie“. Diese Botschaft muss ankommen.

(Brosch (CSU): Herr Zehetmair wird schon ganz rot! – Frau Christine Stahl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ich bezweifle, dass Sie wissen, wo bei Ihnen daheim der Mülleimer steht!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieses Zitat ist wichtig, weil es deutlich macht, dass dies nicht nur ein großes Anliegen städtischer Frauen ist. Vielmehr wollen Frauen in allen Schichten und allen Regionen unseres Landes eine gesellschaftliche Veränderung erreichen.

(Brosch (CSU): Wir haben damit keine Probleme!)

Wenn Sie damit keine Probleme haben, werden Sie unserem Antrag sicherlich mit großer Überzeugung zustimmen.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte noch einen Hinweis geben, weil dadurch der gesellschaftliche Auftrag, der sich hinter diesem Problem verbirgt, sichtbar wird: Wir wissen, dass junge Frauen heute gleichermaßen Familie und Beruf wollen. Wir wissen aber auch, dass 40% der jungen Akademikerinnen, also Frauen, die im gebärfähigen Alter sind, keine Kinder haben. Da muss man nicht viel hineininterpretieren. Für mich ist klar, diese Frauen haben sich für eine individuelle Lösung entschieden, weil sie Familie und Beruf nicht auf die Reihe gebracht haben. Für diese Frauen ist der Beruf existenziell. Deshalb haben sie sich individuell entschieden. Ich weiß, dass wir heute noch viele Tagesordnungspunkte zu behandeln haben. Deshalb möchte ich nur noch einen Hinweis geben: Derzeit nehmen 1,5 bis 2% der Väter die Möglichkeit der Elternzeit in Anspruch.

(Knauer (CSU): Das ist zu wenig!)

Das ist nicht nur zu wenig, sondern das ist erschreckend wenig.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte auch noch die Wirtschaft anführen, die derzeit sehr um junge Frauen wirbt und deshalb von sich aus ein großes Angebot für Kinderbetreuungseinrichtungen geschaffen hat. Lesen Sie hierzu einmal die Informationsschriften der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Uns geht es darum, dass an der gesellschaftlichen Einschätzung etwas geändert wird. An anderer Stelle wird hier auch wieder über Kinderbetreuung gesprochen werden. Ich gestehe zu, dass neben den Elternhäusern auch die Schulen gefordert sind. Von Staats wegen können wir aber nur Vorgaben für die Schulen machen.

Wir müssen uns bewusst werden, dass Frauen und Männer die Fähigkeit zu einer gleichberechtigten Partnerschaft von klein auf erlernen müssen. Ich erinnere nur an den Spruch: Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir. Wenn dies richtig sein sollte, müssen wir unsere Kinder zur Partnerschaft erziehen. Erziehung bedeutet dabei auch, für Kinder da zu sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus eben diesem Grund wollten wir im Bayerischen Erziehungs– und Unterrichtsgesetz unter anderem folgenden Satz verankert haben:

Die Schule soll die Schülerinnen und Schüler zur gleichberechtigten Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten in Familie, Staat und Gesellschaft befähigen, insbesondere Buben und junge Männer ermutigen, ihre künftige Vaterrolle verantwortlich anzunehmen sowie Familien– und Hausarbeit partnerschaftlich zu teilen.

Meine sehr geehrten Kollegen von der CSU, mit dieser Festlegung haben Sie gewisse Schwierigkeiten gehabt. Dies ging aus dem Protokoll des Bildungsausschusses hervor.

(Knauer (CSU): Das war ein Missverständnis!)

Wenn das ein Missverständnis war, habe ich nichts dagegen. Im Protokoll liest es sich anders. Ich hielte es für zweckmäßig, wenn künftig solche Missverständnisse überhaupt nicht mehr aufkämen. In Ihren Reihen sollte Einigkeit darüber bestehen, dass es mit dem Rollenbild, wonach die Frau ins Haus gehört, vorbei ist. Dann kommt es auch nicht mehr zu Missverständnissen.

(Knauer (CSU): Wir sind nicht unfehlbar!)

Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu. Damit stimmen Sie auch dem zeitgemäßen und in der Verfassung formulierten Leitbild von der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Partnerschaft zu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN) )

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Frau Münzel.

Frau Präsidentin, Kolleginnen und Kollegen! Erfreulicherweise findet der vorgelegte Gesetzentwurf die Zustimmung aller Fraktionen. Dies ist ohne Zweifel ein Erfolg.

(Beifall der Frau Abgeordneten Werner-Muggendor- fer (SPD))

Nun gilt es allerdings, die gesetzlichen Änderungen mit Leben zu erfüllen. Wenn etwas im EUG drin steht, heißt das noch lange nicht, dass sich an den Schulen wirklich etwas tut.

Ich möchte zwei Punkte herausgreifen; der eine betrifft hauptsächlich die Buben, der andere hauptsächlich die Mädchen, zunächst zu den Buben.

(Hofmann (CSU): Sehr schön!)

Ich möchte den Satz, den Frau Dr. Kronawitter schon zitiert hat, auch noch einmal aufgreifen, weil ich ihn für einen zentralen Satz halte. Ich zitiere: Aufgabe der Schule wird es zukünftig sein, „die Schülerinnen und Schüler zur gleichberechtigten Wahrnehmung ihrer Rechte und Pflichten in Familie, Staat und Gesellschaft zu befähigen, insbesondere Buben und junge Männer zu ermutigen, ihre künftige Vaterrolle verantwortlich anzunehmen sowie Familien- und Hausarbeit partnerschaftlich zu teilen.“ Gerade der zweite Teil des Satzes, dass nämlich Familien- und Hausarbeit partnerschaftlich geteilt werden sollen, erscheint mir als außerordentlich wichtig, wenn wir die Gleichstellung von Männern und Frauen wirklich erreichen wollen. Hier liegt auf der Seite der Männer noch vieles im Argen.

Zur Teilzeit gibt es im Gleichstellungsbericht Zahlen aus unseren Behörden. Von allen Beschäftigten, die Teilzeit arbeiten, sind circa 90% Frauen und 10% Männer. Beim Erziehungsurlaub – das hat Frau Dr. Kronawitter schon gesagt – sieht es noch düsterer aus: Von allen Beschäftigten, die Erziehungszeit in Anspruch nehmen, sind

98% Frauen und 2% Männer. Wer ist für die Hausarbeit und für die Erziehung zuständig? Es gibt eine Studie aus dem Jahr 2001, derzufolge 72% der Männer angeben, dass die Frau die Hauptzuständige in der Erziehung ist. Vollerwerbstätige Frauen mit Kindern leisten 5,3 Stunden Hausarbeit pro Tag und vollerwerbstätige Männer mit Kindern lediglich 2,5 Stunden pro Tag. Das heißt also, dass die Frauen nicht nur doppelt, sondern dreifach belastet sind. Sie üben die Erziehungsarbeit, die Hausarbeit und den Beruf aus. Da müssen die Männer noch ganz schön an sich arbeiten, bis wir Frauen zufrieden sind.

(Allgemeine Heiterkeit)

Wir Frauen haben uns in den vergangenen Jahrzehnten, auch dank der Frauenbewegung, auf den Weg gemacht. Für uns ist es heute selbstverständlich, einen Beruf zu erlernen und diesen auszuüben. Die Zeiten, in denen Frauen ihre Berufstätigkeit wegen der Kinder unterbrechen, werden immer kürzer. „Karrierefrau“ ist kein Schimpfwort mehr, im Gegenteil: Frauen, die Karriere machen, sind zu Vorbildern geworden. Es gab und gibt viele Veränderungen im Rollenverständnis der Frauen. Es ist höchste Zeit, dass sich auch die Männer auf den Weg machen und ihr Rollenverständnis hinterfragen und ändern. Für Schule bedeutet dies, dass Unterrichtsinhalte, Unterrichtsformen und Unterrichtsmethoden entwickelt werden müssen, die diesem Ziel Rechnung tragen. Dies sehe ich im Moment noch nicht.

Nun zu den Mädchen. Da heißt es, die Schule wird zukünftig die Aufgabe haben, „auf Arbeitswelt und Beruf vorzubereiten, in der Berufswahl zu unterstützen und dabei insbesondere Mädchen und Frauen zu ermutigen, ihr Berufsspektrum zu erweitern.“ Wir wissen es und haben es seit Jahren immer wieder im Landtag thematisiert, dass sich Frauen weniger für die mathematisch-naturwissenschaftlichen und technischen Berufe interessieren mit Ausnahme von Biologie. Die Pisa-Studie hat genau das bestätigt, was wir hier immer wieder eingebracht haben. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die Unterrichtsinhalte in den genannten Richtungen so gewählt werden müssen, dass diese auch für Mädchen interessant sind. Sie müssen zum Beispiel wirklichkeitsnäher gestaltet werden. Wir haben auch immer wieder darauf hingewiesen, dass es sinnvoll sein kann, zeitweise getrennt zu unterrichten. Zu diesem ganzen Komplex gibt es eine Fülle von Untersuchungen. Hier hätte der Landtag schon längst tätig werden können. Wir haben das zwar immer wieder eingefordert, aber die CSU erwies sich als äußerst unbeweglich.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt sehe ich einen kleinen Hoffnungsschimmer am Horizont. Aufgrund unserer Initiativen und Anträge führt jetzt der Hochschulausschuss zusammen mit dem Bildungsausschuss eine Anhörung zu dem Thema durch: Wie kann das Interesse von Mädchen und jungen Frauen an naturwissenschaftlichen und technischen Fächern in Schule und Hochschule gestärkt werden? Wie bei einer Gesetzesänderung wird es mit einer Anhörung allein nicht getan sein. Ich hoffe doch sehr und

appelliere an die rechte Seite, dass die Anhörung, die Anfang Februar durchgeführt wird, Ausgangspunkt für Veränderungen in Schule und Hochschule sein wird. Auch nach der Anhörung wird es nach meiner Einschätzung nicht leicht sein, die Gleichstellung von Frauen und Männern wirklich vehement vorwärts zu bringen. Meine Erfahrung im Landtag ist die, dass Gleichstellung in Bayern ein zähes Geschäft ist. Wir GRÜNEN werden diese aber weiterhin, wie schon in der Vergangenheit, hartnäckig und kompetent einfordern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Frau Abgeordneten Werner-Muggendorfer (SPD))

Frau Zweite Vizepräsidentin Riess: Das Wort hat Herr Knauer.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Kronawitter, Sie haben mit Recht dieses Thema aufgegriffen. Ich habe Ihnen schon bei der Ersten Lesung signalisiert, dass wir den Gesetzentwurf sehr wohlwollend prüfen werden, weil das, was Sie dargestellt haben, in der Tat in der Realität so anzutreffen ist. Ich bedaure auch, dass von den Teilzeitmöglichkeiten, die wir eingeräumt haben – auch im öffentlichen Dienst –, weit mehr Frauen als Männer Gebrauch machen. Im Interesse einer vernünftigen Erziehung wäre es durchaus sinnvoll, wenn auch einmal die Männer für kurze Zeit zurückstecken und sich stärker um die Familie kümmern würden, anstatt dies immer nur vom anderen Geschlecht zu verlangen.

(Zuruf des Abgeordneten Brosch (CSU))

Wir werden Ihrem Antrag daher selbstverständlich zustimmen.

Mir hat nicht so gefallen, dass die beiden Kolleginnen immer den Eindruck zu erwecken versuchten, als wären die CSU-Männer anders als die SPD-Männer oder die Männer der GRÜNEN.