Protokoll der Sitzung vom 14.05.2002

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage ist heute, was wir konkret an Bayerns Schulen tun können, um Verbesserungen zu erreichen. Ich stelle diese Frage nicht vordergründig parteipolitisch, weil es anderswo in Deutschland zum Teil wahrscheinlich nicht besser aussieht. Eine Antwort scheint mir aber klar zu sein: Das Konfliktpotential und die Gewaltbereitschaft an unseren Schulen ist angewachsen. Es fällt auf, dass die Art der Gewaltausübung eine veränderte Qualität angenommen hat. Oft stehen nichtige Anlässe am Anfang. Verletzungen werden nicht nur in Kauf genommen, sondern absichtlich herbeigeführt. Der unterlegene Gegner wird oft noch getreten, wenn er schon am Boden liegt. Außerdem werden eine extreme Ichbezogenheit und Rücksichtslosigkeit beobachtet. Es fehlt an Einfühlung und Unrechtsbewusstsein. Bestürzend ist auch die Brutalisierung der Sprache, die allzu oft verletzend und menschenverachtend ist. Eine Antwort auf diese Situation muss es doch nun wirklich geben: In eine solche Schule gehören mehr Schulpsychologen und Schulsozialarbeiter. Das ist doch ein Punkt, in dem wir übereinstimmen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Gerade auf diesem Gebiet wird in Bayern viel zu wenig getan, ist man über Modellprojekte bislang leider nicht hinausgekommen. Ich bedaure es, dass Initiativen der Opposition in diese Richtung in diesem Hause stets abgewehrt und abgelehnt worden sind.

Fünftens. Die Zeichen der Zeit hat man eigentlich längst erkannt. Im Jahr 1993 hat die Bayerische Staatsregierung die Verschärfung der Problematik von Gewalt an unseren Schulen zum Anlass für eine interministerielle Arbeitsgruppe genommen, die, soweit ich weiß, unter der Leitung der damaligen Staatssekretärin Frau Hohlmeier stand und die einen Bericht – „Jugend und Gewalt“ hieß er – vorgelegt hat. Er enthält auf 13 Seiten eine gute Analyse und auf weiteren 50 Seiten wünschbare Maßnahmen. Er ist 1994 erschienen, und nun muss man überprüfen, was aus diesen Erkenntnissen geworden ist.

Wir sollten die heutige Debatte zum Anlaß nehmen, diesen Bericht aus der Schublade zu holen und kritisch zu überprüfen, was in den zurückliegenden sieben Jahren von den vorgeschlagenen Maßnahmen tatsächlich umgesetzt worden ist. Es ist nämlich viel zu wenig geschehen. Ich nenne kurz die Punkte, die vor sieben Jahren von einer Arbeitsgruppe der Bayerischen Staatsregierung zum Thema „Gewalt und Jugend“ vorgetragen wurden.

Mehr Schulsozialarbeit gegen die Gewalt an Schulen. – Geschehen ist in diesen sieben Jahren viel zu wenig. Die Maßnahmen sind an einer Hand, an zwei Händen, vielleicht an drei Händen abzuzählen.

Neue Unterrichtsformen und mehr Projektunterricht. Wer heute in unsere Schulen schaut, weiß, dass es beim 45-Minuten-Rhythmus der Vermittlung weitestgehend geblieben ist. Es gibt keine neuen Unterrichtsformen.

Öffnung der Schule und Einbeziehung des regionalen Umfeldes. Wer in die Schulen schaut, wird meist feststellen: Fehlanzeige.

Vermittlung von Zugehörigkeit, Gemeinschaftserfahrung und Verantwortlichkeit im Rahmen ganztägiger Betreuungsangebote. Man höre und staune! Sieben Jahre liegt diese Erkenntnis zurück, und heute stellen wir fest, dass Bayern auf diesem Gebiet immer noch Schlusslicht in Deutschland ist.

(Beifall bei der SPD)

Wohlgemerkt, ich zitiere hier aus einer guten Analyse, die die interministerielle Arbeitsgruppe vorgelegt hat. Es handelt sich um gute Vorschläge. Ich kritisiere das nicht.

Gefordert wird weiter der Ausbau der außerschulischen Betreuung. – Viel zu wenig geschehen!

Befähigung zum friedlichen Zusammenleben in ethnischer, nationaler und kultureller Vielfalt. Wo gibt es in unseren Kindergärten interethnischen und multikulturellen Unterricht sowie multikulturelle Begegnung?

Bessere Förderung verhaltensauffälliger und sozial benachteiligter Schüler und Jugendlicher. – Auch hier stellen wir fest: Es wird immer mehr ausgegrenzt und in sonderpädagogische Einrichtungen abgeschoben, statt dass konzentriert versucht wird, behinderte und verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche zu integrieren.

Die letzte Forderung bezieht sich auf die Unterstützung und Motivation der Schulleiter und Lehrkräfte.

Ich glaube, dass dieser Katalog allen Anlaß dazu bietet, unsere bildungspolitischen Anstrengungen in Bayern deutlich zu verstärken. Wir müssen dabei das Rad nicht neu erfinden, sondern vielmehr endlich tun, was von uns schon längst als notwendig erachtet worden ist.

Sechstens. Zwei Vorschläge, die in den letzten Wochen unterbreitet worden sind, halte ich für verfehlt. Der erste Vorschlag besteht darin, das Alter der Volljährigkeit von 18 Jahren auf 21 Jahre heraufzusetzen. Ich sehe in diesem Vorschlag absolut keine Antwort auf die Vorgänge in Erfurt.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin deshalb und aus anderen Gründen ohne jede Einschränkung für eine Beibehaltung der Volljährigkeitsgrenze bei 18 Jahren. Mit 18 Jahren nehmen unsere Jugendlichen volle gesellschaftliche Verantwortung wahr. Dies gilt für Wahlen ebenso wie für den Erwerb des Führerscheins oder den Dienst bei der Bundeswehr. Unsere 18-Jährigen zu stärken, statt sie zu entmündigen, muss unser Ziel sein.

(Beifall bei der SPD)

Für untauglich halte ich auch den Vorschlag, unsere Schulen zu schützen und vor den Toren Schüler auf Waffen zu kontrollieren. Ich halte diese Idee nicht nur für nicht realisierbar, sondern auch für bedrückend. Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit für unsere Kinder, nicht mehr Überwachung an unseren Schultoren.

(Beifall bei der SPD)

Siebtens. Ohne die Verfügbarkeit einer Schusswaffe kann kein Amokläufer töten. Deshalb rückt die Frage des Waffenrechtes und der Beschaffung von Waffen mit Recht in den Mittelpunkt der Diskussion und der Betrachtung. Zunächst gilt: Schießen ist ein Sport wie viele andere auch. Es dient der Geselligkeit, der Entfaltung des sportlichen Ehrgeizes und der Freizeitgestaltung. Allerdings besteht ein großer Unterschied zu anderen Sportarten darin, dass im Fall der Schützenvereine das Sportgerät Menschen töten und zu einem Mordwerkzeug werden kann. Deshalb – und nur deshalb – verbietet es sich, Schützenvereine mit anderen Sportvereinen gleichzustellen. Ihre Sportgeräte müssen in der Tat sorgfältiger verwahrt werden; an ihre Mitglieder sind andere und höhere Maßstäbe anzulegen. Die Diskussion um eine Veränderung des Waffenrechts ist aus diesem Grund auch keine Debatte, die sich gegen die Schützenvereine richtet. Es geht vielmehr um die Suche nach einem fairen Ausgleich.

Ich begrüße es, dass wir eine Verschärfung des Waffenrechtes durchsetzen wollen, und zwar im Konsens. Das war leider nicht immer so. Noch im November 2000 forderte das bayerische Innenministerium in einem Bulletin, dass in Bayern Sportschützen einen Grundbestand an Schusswaffen ohne Einzelbedürfnisnachweis halten dürfen, sofern eine Mitgliedschaft im Schützenverein

besteht. Ich würde eine solche Entwicklung für falsch halten. Noch im März dieses Jahres lehnte die Staatsregierung den Entwurf des Bundes zur Verschärfung des Waffenrechts ab mit folgender Bemerkung: Darin zeige sich ein pauschales Misstrauen gegenüber legalen Waffenbesitzern. Dieses sei vollkommen verfehlt und absolut inakzeptabel. Es wird von unvertretbaren Belastungen für Jäger und Sportschützen gesprochen.

Ich freue mich, dass mittlerweile die Vorschläge von Bundesinnenminister Schily breite Zustimmung gefunden haben und dass die jetzt vorliegenden Vorschläge offensichtlich in voller Übereinstimmung mit dem Präsidenten des Deutschen Schützenbundes unterbreitet worden sind.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Achtens. Wir müssen die Fähigkeit der Eltern stärken, den schwierigen Umgang mit neuen Medien, Computerspielen und Ähnlichem zu gestalten. Entwickler und Produzenten von Filmen und Computerspielen sind gehalten, Gewaltdarstellungen zu vermeiden. Wir wissen natürlich, dass es schwierig sein wird, mittels Verboten und Sanktionen einschlägiges Material aus halblegalen und nichtlegalen Bereichen oder gar aus dem Internet wirksam zu verbannen. Es kann aber zumindest auf dem öffentlichen Sektor eine intensivere Diskussion über Selbstbeschränkung und wohl auch über guten und schlechten Geschmack geführt werden.

Neuntens. Im Strafgesetzbuch gibt es den Paragraphen 131, der regelt, dass sich jeder strafbar macht, der Ton- und Bildträger, Abbildungen und andere Darstellungen verbreitet, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung von Gewalttätigkeit ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt. Damit ist Gewaltdarstellung durch unsere Gesetze längst unter Strafe gestellt. Leider ist es jedoch so, dass es in Bayern wegen Verstößen gegen diesen Paragraphen so gut wie keine Ermittlungen und auch keine Verurteilungen gibt. Nicht das fehlende Gesetz ist das Problem, sondern die fehlende Anwendung des bestehenden Gesetzes.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb rege ich an, einen gemeinsamen öffentlichen Aufruf an alle Videoverleiher und Fernsehanstalten bei Androhung der Strafverfolgung zu richten, die Verbreitung von strafbaren Gewaltdarstellungen künftig zu unterlassen. Des Weiteren wäre es sinnvoll, in Bayern eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft zu bilden, deren Aufgabe es ist, Videos und tägliche Fernsehsendungen systematisch auf strafbare Gewaltdarstellungen zu überprüfen und bei dringendem Verdacht Ermittlungsverfahren einzuleiten.

(Beifall bei der SPD)

Ich gehe soweit, zu fragen, ob es zu Hausdurchsuchungen bei Videoverleihern und Fernsehanstalten kommen

sollte, wenn diese unter dem dringenden Verdacht stehen, strafbare Gewaltdarstellungen zu verbreiten. Nur wenn wir zu solchen Maßnahmen tatsächlich bereit sind, wird der Appell, auf Gewaltdarstellung und -verherrlichung in den Medien zu verzichten, glaubwürdig sein.

(Beifall bei der SPD)

Zehntens und letztens. Ich möchte mit einigen Bemerkungen über Eltern und Familien abschließen. Leider höre ich hinter vorgehaltener Hand viel zu oft den Vorwurf, berufstätige Eltern würden ihre Kinder geradezu systematisch vernachlässigen.

Mancherorts heißt es schließlich sogar, die Mutter gehöre eben doch nach Hause, um eine anständige Erziehung der Kinder zu garantieren. Wer seine Kinder nachmittags in einer Betreuungseinrichtung habe – so heißt es –, könne keine gute Mutter bzw. kein guter Vater sein.

(Frau Stamm (CSU): Das ist Quatsch! – Gegenruf der Abgeordneten Radermacher (SPD): Freilich ist das Quatsch!)

Dieser Vorwurf, der zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gehört, richtet sich insbesondere gegen Frauen, und er ist nicht nur ungerecht, sondern er ist absolut verfehlt.

(Prof. Dr. Gantzer (SPD): Anwesende ausgenommen!)

Er ist nicht nur verfehlt, er ist auch eine Beleidigung für die vielen berufstätigen oder alleinerziehenden Mütter, die in großartiger Weise Kindererziehung, Familie und Beruf unter einen Hut bringen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Gebot der Stunde ist deshalb nicht die Wahlfreiheit der Eltern zwischen Familie und Beruf – diese Wahlfreiheit ist eine Selbstverständlichkeit, und hier ist zwischen unseren familien- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen ein fundamentaler Unterschied, Herr Kollege Glück –, das Gebot der Stunde ist vielmehr die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

(Beifall bei der SPD)

Sie werden in unserer Gesellschaft den Frauen die Erfüllung ihres Kinderwunsches nur ermöglichen, wenn Sie ihnen gleichzeitig zugestehen, dass sie ihren Anspruch auf Berufstätigkeit in gleicher Weise erfüllen und in Anspruch nehmen können.

(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nur dann wird es gelingen. Diese Erkenntnis hat sich bei Ihnen aber leider noch nicht durchgesetzt.

Herr Kollege Maget, Sie sollten jetzt langsam zum Ende kommen.

So sieht das in Bayern leider aus. Unsere politische Aufgabe ist es deshalb, Frauen, die erwerbstätig sind und berechtigterweise auch berufstätig sein wollen – Männer im Übrigen auch –, nicht in Misskredit zu bringen, sondern ihnen ein selbstbestimmtes Leben und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen. Wenn dies gelingt, ist für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft schon viel erreicht.

(Beifall bei der SPD)