Wir müssen Gewalt von Anfang an dort, wo sie auftritt, präventiv aufhalten. Das bedeutet zum Beispiel, dass wir innerhalb unserer Schulen mittlerweile eine Fülle von Konfliktlotsen und Streitschlichtern ausgebildet haben. Wir müssen jungen Menschen im Rahmen der Erziehung altersgerecht vermitteln, dass ältere Schüler Verantwortung für jüngere Schülerinnen und Schüler tragen. Ich halte es für wesentlich, dass ältere Schülerinnen und Schüler Vorbilder für jüngere sind.
Das ist in der gesamten Erziehungsdiskussion völlig abhanden gekommen. Wenn jüngere Schüler ältere Schüler so erleben, dass diese versuchen, sich in altersgleichen Gruppen mit abstrusesten Mutproben gegenseitig zu bestätigen, dann ist das etwas anderes, als wenn sie ältere Schüler als Konfliktlotsen, als Vertrauensschüler oder, wie es in Schweden bezeichnet wird, als Schutzengel erleben. Diese Schülerpartner haben die Verpflichtung und die Aufgabe übernommen, zu helfen. Sie haben innerhalb der Schule und der Elternschaft klare Ansprechpartner, die sie dabei unterstützen und begleiten, wenn sie ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen können. Wenn man Gewalt aufhalten will, dann braucht man ein Netzwerk der Zusammenarbeit.
Das ist eine Diskreditierung derjenigen, die sich für die Familie entschieden haben, die gerne Kinder erziehen und die bewusst in der Küche stehen und kochen. Ich sage das ganz nüchtern; sie gehen heute auch in die Kirche und finden dabei eine ethische Orientierung.
Ich habe die Berufstätigkeit gewählt, Herr Dr. Dürr. Das heißt noch lange nicht, dass ich Mütter, die die Arbeit in der Familie gewählt haben, diskreditiere.
Ich schätze die Arbeit dieser Frauen. Die CSU steht klar zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Herr Maget, auch Sie haben eine Formulierung gewählt, als würden wir noch eine Diskussion von vor 30 Jahren führen.
(Beifall bei der CSU – Frau Werner-Muggendorfer (SPD): Das machen Sie ständig! – Zuruf des Abgeordneten Mehrlich (SPD))
Meine Güte! Welches andere Land in Deutschland gibt 600 Millionen DM dafür aus, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern? – Sie bringen immer wieder die These, wir wären das Schlusslicht. Christa Stewens wird deutlich darauf antworten. Ich bitte Sie, endlich Ihre Statistiken zu erneuern; sie stimmen nämlich nicht mehr.
(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Maget (SPD): Sie hauen hier unverschämt herum! – Hofmann (CSU): Die haut nicht unverschämt herum!)
Vielleicht hören Sie erst einmal zu, Herr Maget. Sie haben es zwar liebenswert formuliert, aber trotzdem – –
Ich glaube nicht, dass die Forderungen der GRÜNEN zu einer Lösung führen. Ich habe von einem Netzwerk gegen Gewalt gesprochen. Ganztagsschulen sind keine generelle Lösung für das Problem. Bei dem Täter in
Brannenburg handelte es sich um einen Schüler, der ganztägig in der Schule betreut und begleitet wurde. Trotzdem ist es zum Amoklauf dieses Schülers gekommen.
Nach meinem Dafürhalten brauchen wir ein Netzwerk, in dem Eltern, Lehrer, Sozialpädagogen und die Jugendhilfe gemeinsam mit Schulpsychologen und Beratungsstellen sowie den älteren Schülern zusammenarbeiten und in dem, wie Alois Glück es formuliert hat, der eine den anderen respektiert und ihm zuhört.
All diese Fälle, die es gegeben hat, haben einen Hintergrund: Die jungen Männer waren alle Einzelgänger, sie waren still, und sie waren auffällig unauffällig.
Sie waren nicht gewalttätig und waren auch vorher nicht durch Gewalttaten aufgefallen. Niemand hat die Gefahr gesehen, dass eine Gewalttat von diesen jungen Männern ausgehen könnte.
Wir werden sensibel hinhören müssen, nicht nur in den Schulen. In einem Netzwerk von Partnern, die bereit sind, zusammenzuhalten und Werteerziehung zu betreiben, sollen junge Menschen aufgefangen werden, die still sind und glauben, ihre Verzweiflung nur durch Gewalttaten ausdrücken zu können.
In diesem Zusammenhang kann die Ganztagsschule richtig sein; zur Schaffung eines Netzwerks gehört aber mehr als die monokausale Begründung, dass in einer Ganztagsschule Derartiges wahrscheinlich nicht passiert wäre.
(Dr. Dürr (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch schon wieder Quatsch, was reden Sie für einen Unsinn?)
In Brannenburg ist das leider in einer Ganztagsschule passiert, weil der Schüler anscheinend dort auch keine Perspektive gesehen hat.
Ein gemeinsamer Aufruf an die Videoverleiher genügt mir nicht. Wir haben über Jahre hinweg so viele Aufrufe gemacht, dass eigentlich der letzte Videoverleiher ein Gespür entwickelt haben müsste. Ich glaube, wir müssen zu einem konkreten Verbot in bestimmten Bereichen kommen. Wir sollten in Deutschland den ersten Schritt gehen und uns nicht auf Aufrufe beschränken, die letztlich wenig bringen bzw. in der Vergangenheit wenig gebracht haben.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, die heutige Debatte macht deutlich, dass es nicht um Schuldzuweisungen geht.
Das Gesagte macht deutlich, dass viele kleine Schritte notwendig sind. Die drei vorliegenden Dringlichkeitsanträge zeigen, dass mit pauschalen Schuldzuweisungen wenig zu erreichen ist.
Es ist deutlich geworden, dass die Schule als ein Teil der Gesellschaft nicht von gesellschaftlichen Entwicklungen losgelöst sein kann. Viele Probleme und Fragen in der Gesellschaft betreffen die Schulen. Sie sind gefordert, sich mit diesen Herausforderungen auseinander zu setzen. Die Schule hat diesen Auftrag im Bewusstsein, dass sie nicht alle Probleme lösen kann. Wir müssen über ein neues Selbstverständnis der Schule diskutieren, das sich von einer zu starken Orientierung auf Lernprobleme und Anforderungen löst und die Lebensanforderungen und Probleme der jungen Menschen ins Blickfeld nimmt.
Die gesellschaftliche Entwicklung – das wurde bereits gesagt – ist von einer Wertepluralität geprägt bis hin zu einer Tendenz des „anything goes“, jeder kann nach seiner Facon glücklich werden. Das ist alles durchaus nachvollziehbar. Gleichzeitig wird die Schule wie ein Katalysator benutzt: Ich gebe meine Kinder in der Schule ab, und anschließend hole ich sie als gut ausgebildete, wohlerzogene Kinder zurück.
Diese Gesellschaft und wir als ihre Mitglieder müssen uns mit diesen Fragen auseinander setzen, mit den Gewaltdarstellungen und mit den Bildern, die wir in den Medien transportieren. Es wurde bereits auf das in den Vorabendsendungen vermittelte Bild der Gesellschaft hingewiesen, darauf, welche Vorbilder und Helden den jungen Menschen angeboten werden. Die Klagen der Lehrkräfte kreisen immer um diese Fragen. Wenn die Kinder nach den Wochenenden in die Schule kommen – ich nenne das Stichwort „Montagssyndrom“ –, dann braucht man viele Anläufe, um junge Menschen wieder aufnahmefähig zu machen.
Ich habe vom Selbstverständnis der Schule gesprochen. Ich sage deutlich, dass neben der Vermittlung von Wissen die Werteerziehung eine zentrale Herausforderung sein wird, um die jungen Menschen ganzheitlich zu fördern und sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen.
Dazu zählt, dass man die Pädagogik und die Arbeit in der Schule vom Kind aus sieht, einfach gesagt, dass man sich um das Kind kümmert. Dazu gilt es, bei der Zusammenarbeit zwischen der Schule und dem Elternhaus Verbesserungen anzugehen. Wir müssen die guten Ansätze, die wir in vielen Schulen sehen, ausbauen und dafür sorgen, dass sich die Lehrkräfte untereinander besser austauschen. Alle, die in einer Klasse unterrichten, sollen sich um das Kind kümmern, dass zum Beispiel der Englischlehrer auch weiß, wie sich das Kind beim Sportlehrer oder beim Mathematiklehrer macht. Die Unterrichtsstunden dürfen nicht isoliert gesehen werden, sondern das Kind und seine Entwicklung müssen im Mittelpunkt stehen.
Die Schule kann die Erziehungsaufgabe der Eltern nicht ersetzen. Sie kann unterstützen. Sie kann ergänzen. Das Recht und die Pflicht der Erziehung liegt und bleibt bei den Eltern. Aber – hier möchte ich aufgreifen, was Alois Glück angeführt hat –, ein Großteil der Persönlichkeitsentwicklung findet schon im jungen Alter statt. Diejenigen, die Kinder im Alter von 15, 16 oder 17 Jahren haben, wissen, wie schwierig es ist, die Kinder zu prägen, da die Peergruppe eine immer größere Rolle in der Entwicklung des Kindes einnimmt. Ich glaube, dass unser Ansatz, nicht nur die Ganztagsschule zu propagieren, sondern die Ganztagsbetreuungsangebote, das Hereinnehmen der Vereine und Verbände, das Vernetzen mit den Angeboten in der Region, ein zielführender Ansatz ist, um jungen Menschen die Förderung in sinnvollen Peergruppen zu geben, ihnen zum Beispiel sportliche Angebote zu machen,
ihnen ein Angebot im musischen Bereich zu machen. Das kann die Blaskapelle sein oder der Musikverein. Wir müssen Angebote schaffen, damit junge Menschen ihre Persönlichkeit entwickeln können.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen die Lehrkräfte unterstützen und dürfen sie mit diesen Fragen nicht alleine lassen. Ein paar Punkte hat Frau Staatsministerin Hohlmeier bereits angesprochen. Wir haben Beschlüsse gefasst, dass in der Lehrerbildung auf diese Fragen Rücksicht genommen werden soll. Die Lehrkräfte sollen in Fragen der Sozialpädagogik, in Fragen der Behandlung von Kindern mit Behinderungen und Schwierigkeiten sattelfester werden. Wir müssen – darauf wird Kollege Unterländer sicherlich noch intensiver eingehen – die Eltern- und Familienbildung als wichtigen Teil dieser gesamten Anstrengung sehen. Wir brauchen Erziehungspartnerschaft. Es wurde bereits davon gesprochen, dass es immer schwieriger werde, einen grundlegenden Konsens über Erziehungsfragen, Normen und Werte zu erreichen. Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, Schule, Bildung und Erziehung können nicht wertfrei sein, können nicht normfrei sein. Voraussetzung ist, dass junge Menschen einen Orientierungsrahmen bekommen.