Protocol of the Session on October 24, 2002

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Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 99. Vollsitzung des Bayerischen Landtags.

Presse, Funk und Fernsehen sowie Fotografen haben um Aufnahmegenehmigung gebeten. Die Genehmigung wurde erteilt.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich noch zwei Glückwünsche aussprechen. Am 15. Oktober feierte Frau Kollegin Christine Stahl einen halbrunden Geburtstag.

(Beifall)

Ich gratuliere der Frau Kollegin Stahl im Namen des ganzen Hauses und persönlich sehr herzlich. Ich wünsche Ihnen für das neue Lebensjahr alles Gute sowie viel Erfolg bei der parlamentarischen Arbeit.

Ebenfalls herzliche Glückwünsche – aus anderem Anlass – spreche ich unserer bisherigen Kollegin Frau Renate Schmidt aus. Der Herr Bundeskanzler hat sie als neue Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in sein Kabinett berufen. Im Namen des Bayerischen Landtages und persönlich wünsche ich ihr viel Erfolg und eine glückliche Hand in ihrem neuen Amt.

(Beifall)

Wir kommen zur Tagesordnung,

(Beifall bei den GRÜNEN)

und zwar zum Tagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Stunde

Für die heutige Sitzung ist die Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN vorschlagsberechtigt. Sie hat eine Aktuelle Stunde zum Thema „Finger weg von ARD und ZDF – Fernsehen wie in Bayern kein Modell für Deutschland?“ beantragt.

In die Beratung beziehe ich den zum Plenum eingereichten

Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Christine Stahl, Dr. Dürr, Elisabeth Köhler und Fraktion (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für mehr Staatsfreiheit und Parteiferne der Gremien der Fernsehsender (Drucksache 14/10523)

ein. In der Aktuellen Stunde dürfen – wie Sie wissen – die einzelnen Redner grundsätzlich nicht länger als 5 Minuten sprechen. Auf Wunsch einer Fraktion erhält einer ihrer Redner 10 Minuten Redezeit. Das wird auf die Gesamtredezeit der jeweiligen Fraktion angerechnet.

Ergreift ein Mitglied der Staatsregierung das Wort für mehr als 10 Minuten, erhält eine Fraktion auf Antrag für eines ihrer Mitglieder zusätzlich 5 Minuten Redezeit.

Ich bitte Sie, jeweils auf mein Signal zu achten.

Der erste Redner ist Herr Kollege Dr. Dürr; er hat eine 10-minütige Redezeit beantragt.

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Es ist natürlich schon interessant, dass der Bayerische Rundfunk heute, wo es auch um seine Probleme geht, nicht hier ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CSU)

Aber das Bayerische Fernsehen, über das wir hauptsächlich diskutieren wollen, ist nicht hier. Gut, das freut uns, Herr Spaenle, wenn Sie das so genau wissen.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gut. „Bayerischer Schwarzfunk – ein Modell für Deutschland?“ ist der Titel der Aktuellen Stunde, der Ihnen, Herr Präsident, nicht gefallen hat.

(Zuruf von der CSU: Jawohl!)

Was uns nicht gefällt, ist, dass es einen „bayerischen Schwarzfunk“ gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir unsachlich finden, ist, dass Staatsregierung und CSU auf Programm und Posten bei ARD und ZDF parteipolitischen Einfluss nehmen.

„Bayerischer Schwarzfunk“ – damit kritisieren wir nicht die große Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks, die sehr gute Arbeit nach journalistischen Kriterien machen.

Mit dem Begriff „bayerischer Schwarzfunk“ kritisieren wir die vielen Fälle politischer Einflussnahme durch CSU und Staatsregierung auf einzelne Sendungen, aber auch auf die Besetzung von Intendantenpositionen, Posten von Programmchefs und so weiter.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese andauernde und immer drohende Einflussnahme gefährdet die redaktionelle Unabhängigkeit und journalistische Qualität aller Sendungen des Bayerischen Fernsehens, die irgendwie mit Politik zu tun haben.

Das ist in Bayern alltäglich. Aktuell und damit Anlass für die Aktuelle Stunde wurde das Prinzip „Schwarzfunk“ dadurch, dass es CSU und Staatsregierung wieder einmal auch auf den Rest der Republik ausdehnen wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei der CSU)

Da gibt es nichts zu lachen, Kollege! Ziel ist dabei zurzeit vor allem das ZDF.

Die CSU setzt dabei mit vier Hebeln an: Durch massive Medienschelte, durch Intervention gegen unliebsame Personen, durch massive parteipolitische Einflussnahme bei der Besetzung von Stellen und schließlich dadurch, dass sie wieder einmal die Debatte über die Rundfunkgebühren dazu missbraucht – dabei tut sich auch Minister Huber besonders gut hervor –, die eigene Wichtigkeit zu demonstrieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die eigene Wichtigkeit zu demonstrieren, ist jetzt besonders dringend, weil der bundespolitische Bedeutungsverlust so schmerzt.

Bayerns Ministerpräsident probt nach der verlorenen Bundestagswahl den Zugriff auf den Sender, schrieb die „SZ“ letzten Samstag unter dem Titel „Parteibuch sticht Kompetenz – Union blockiert Wahl von fachlich anerkanntem ZDF-Programmchef“.

Dabei wird dasselbe schlechte Stück wie zuletzt bei der Intendantenwahl aufgeführt. Damals dauerte das ein ganzes Jahr und dabei wurde ein Dutzend Kandidaten verschlissen. „Die haben aus dem Desaster der Intendantenwahl nichts gelernt“, sagt der ZDF-Fernsehrat Jochen Flasbarth: „Die missbräuchliche politische Einmischung in die Personalplanung ist ein Skandal.“ Da hat er Recht.

Weil sie etwas gelernt haben, wollen Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die Gremien des ZDF aus dem „Würgegriff der Parteien“ befreien. Sie schlagen vor, dass alle Berufspolitiker das ZDF verlassen. Die Vertreter der Länder, des Bundes und der Parteien sollen durch Repräsentanten gesellschaftlich relevanter Gruppen und durch unabhängige Sachverständige ersetzt werden. Dies ist bitter nötig; denn CSU und Staatsregierung haben alle Hemmungen verloren. Dabei tut sich Kollege Markus Söder in aller Öffentlichkeit besonders plump hervor.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist seine Aufgabe. Er ist Stoibers Minenhund und muss für Stoiber linke Minen aufstöbern. Er will etwas werden. Er mischt sich öffentlich in alle Personalien ein, die beim ZDF anstehen, vom Programmdirektor über den Nachrichtenmoderator bis zur Frage, wer als Experte eingeladen wird.

(Zuruf von der CSU)

„Wenn bei ZDF und HR wichtige Posten vergeben werden, steht die CSU gern mit Rat und Tat zur Verfügung“, spottete die FAZ. Und wegen der Art, mit der der Gernegroß- und Möchte-gern-Generalsekretär Söder vorgeht, sah sich die FAZ – dieses linke Kampfblatt – gezwungen, mehrfach zu fragen, was sich auf Söder reime.

(Zuruf von der CSU: Was reimt sich auf Sepp?)

Dabei müssten wir eigentlich fragen: Was reimt sich auf Stoiber? Denn wer in der CSU etwas werden will, macht doch keine Alleingänge. Er hat den Auftrag bekommen, mit den Linksjournalisten mal richtig aufzuräumen. Bei ihrer Säuberungsaktion scheut die CSU auch vor Rufmord nicht zurück und fordert in guter alter Stasi-Manier Berufsverbote. Sie verlangt vom Chefredakteur des ZDF öffentlich ein Auftrittsverbot für parteiische Wahlexperten, nennt Namen und erklärt: „Solche trojanischen Pferde gehören vom Bildschirm weg.“ So etwas ist unerhört. Das war vor der Wahl.

Nach der verlorenen Bundestagswahl mussten Schuldige gefunden werden; denn Programm und Person des Kandidaten konnten für die CSU an seiner Niederlage nicht schuld sein. Schuld waren die Medien. Rundfunkrat Dr. Günther Beckstein warf der ARD „massive Verletzungen journalistischer Prinzipien“ vor. Rundfunkrat Alois Glück hat sich beim ARD-Vorsitzenden beschwert und auch Medienminister Huber warf sich ins Zeug. Aber den Vogel schoss wieder einmal der allzu nassforsche, frisch gebackene ZDF-Fernsehrat ab. Er muss ja zeigen, dass er mit den Großen mithalten kann. Er ging auf ARD und ZDF los und sagte, sie machten linke Politik. Wie ein richtiger Politkommissar witterte er überall die falsche Gesinnung. Er sagte, in den Redaktionsstuben sei linke Politik gemacht worden. Das war sogar der linksliberalen „Welt“ zu viel. Sie wunderte sich. Selbst das satirische Kandidatenduell zweier Gummipuppen in Frontal 21 kritisierte Dr. Söder: „Da hat immer der Kanzler gewonnen.“ Dies ist sozusagen wie im richtigen Leben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber da versteht die CSU keinen Spaß. Medienminister Huber macht es zwar weniger plump, aber trotzdem durchsichtig, wenn er mit dem Knüppel droht. Er fordert nicht wie andere wegen der Wahlkampfberichterstattung eine Grundsatzdebatte über die Existenzberechtigung der öffentlich-rechtlichen Sender. So weit geht die CSU: bis zur Frage der Existenzberechtigung. Diese Frage stellen andere – Minister Huber nicht. Er lässt andere so weit gehen. Weil sich die CSU vernachlässigt fühlt, spricht sie ARD und ZDF die Existenzberechtigung ab. Dies ist dreist und unverschämt.