Protokoll der Sitzung vom 12.03.2008

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Warum verlassen immer mehr Schülerinnen und Schüler das Gymnasium, bevor sie ihr Abitur machen? Das sind strukturelle Probleme, die wir endlich angehen und lösen müssen. Ansonsten werden wir weiter größte Schwierigkeiten haben und die Kinder und die Familien weiterhin belasten. Das nützt nichts, wenn es um eine gute schulische Ausbildung der Kinder geht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Nächste Rednerin: Frau Kollegin Tolle.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beginne einmal fachfremd mit dem Nichtraucherschutzgesetz. Das ist zwei Monate in Kraft. Ich rauche selbst, habe mich gut eingewöhnt. Sie verspüren da Kritik von einigen Menschen, die ihre Sucht nicht unter Kontrolle haben, und ratzfatz ändern Sie etwas.

Seit vier Jahren, seit fünf Jahrgangsstufen leiden bayerische Kinder unter einem handstreichartig eingeführten achtjährigen Gymnasium, und getan haben Sie, sehr geehrte Damen und Herren, nichts.

Herr Kollege Pschierer, ich gebe Ihnen recht: Dieses Ministerium ist ein Ankündigungsministerium geblieben.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und der Abgeordneten Dr. Hildegard Kronawitter (SPD))

Um mit den Ankündigungen zu beginnen, zitiere ich Herrn Stoiber. Er sagte im November 2003:

Wir sind heute überzeugt, dass das G 8 den Jugendlichen mehr Vorteile und Chancen bietet. Das künftige achtjährige Gymnasium wird den gleichen Qualitätsstandard bieten wie das bisherige neunjährige Gymnasium. Moderne Unterrichtsmethoden, begabungsgerechte Förderung und Persönlichkeitsbildung werden auch weiterhin prägende Merkmale des bayerischen Gymnasiums sein.

Meine Damen und Herren, was daraus geworden ist, können Sie täglich seit Monaten, seit vier Jahren in den Zeitungen lesen: hohe Belastungen der Schülerinnen und Schüler. In einer Zeitung habe ich gelesen: Kinder

werden als „Stopfgänse“ missbraucht. Hoher Nachhilfebedarf bis zu 25 %, Kosten von 10 bis 600 Euro. Das heißt, arme Kinder haben da nicht lange eine Chance. Kinder haben keine Zeit mehr für Hobbys und Vereine – das hat der Bayerische Landessportverband – BLSV – in der zweiten Anhörung zum G 8 gesagt – und schließlich: Den Schülerinnen und Schülern wird ein Stück Kindheit genommen.

Ein ganz wichtiger Punkt, den Sie damals hätten vorhersehen müssen und können, ist der massive Lehrermangel am Gymnasium. Er ist mittlerweile so gravierend, dass man zum Beispiel in Unterfranken eine Zeitarbeitsfi rma bemühen muss. Der Lehrermangel resultiert daraus, dass Sie seit Jahren falsche Signale an den Markt aussenden und dass Sie eine derartig schlechte Gestaltung von Arbeitsverträgen haben, dass Lehrer lieber woanders unterrichten als in Bayern. Die Folge ist wochenlanger Unterrichtsausfall an den Gymnasien. Da möchte ich einmal Ihren Fraktionsvorsitzenden zitieren: „Bringen Sie Ihre Leistung.“ Stellen Sie den bayerischen Kindern die notwendigen Lehrerinnen und Lehrer am achtjährigen Gymnasium zur Verfügung, damit zum Beispiel ein Umstand ausgemerzt wird.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Es gibt doch 200 Stellen!)

Das ist, dass mehr als 35% der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten in Klassengrößen über 30 lernen.

Das ist noch nicht das Ende der Liste. Das beste Beispiel für das Versagen der CSU ist der Lehrplan.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Und die 200 neuen Stellen?)

Auch da möchte ich Ihnen, Herr Kollege Waschler, ein paar Zitate vorlesen. Es ist nämlich schon interessant, sich das im Zeitablauf anzuschauen. Im April 2004 hat Frau Hohlmeier gesagt: „Die Lehrpläne sind schon überarbeitet und fertig.“ Wir alle wissen, wie viel Jahre es gedauert hat, bis der letzte Jahrgang im Internet stand. – Herr Stoiber hat 2004 angekündigt, dass er vom Lehrplan 60 % streichen will. – Herr Sibler hat schon im Januar 2004 gesagt: „Der entscheidende Punkt wird sein, dass wir die Lehrpläne weiter verkürzen, dass wir konkrete Inhalte herausnehmen.“ – Herr Schneider hat mir im April 2004 hier im Landtag gesagt: „Der Lehrplan wird bis zur Endabstimmung des Gesetzes vorliegen.“

Nichts war. Wir haben alle ziemlich lange in die Röhre geschaut.

Herr Waschler sagte 2006, bezüglich des G 8 seien entscheidende Wegmarken gesetzt worden, die dort noch bestehenden Probleme würden einer Lösung zugeführt.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Richtig!)

Ein Jahr zuvor sagte der Minister:

Ich habe den Auftrag an die Schulen erteilt, dem Ministerialbeauftragten Schwierigkeiten beim Lehrplan zu melden. Je nach Ergebnis werden wir auch Kürzungen nicht scheuen.

Bei der zweiten Anhörung zum G 8 sagt Herr Gremm, der die Gymnasialabteilung leitet, substanzielle Kürzungen seien weder nötig noch möglich. – Ein paar Monate später kündigt Herr Sibler an, dass man nun den Lehrplan doch entschlacken werde, und – Herr Sibler, da möchte ich Sie auch noch einmal zitieren –, am 28. Januar 2004 haben Sie gesagt: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CSU hat in den letzten 40 Jahren immer und immer wieder bewiesen, dass sie auch in einem engen Zeitkorsett sehr gründlich arbeiten kann.“

Da möchte ich ihnen sagen: Das enge Zeitkorsett dauert nun schon mehr als vier Jahre. Mein Resümee ist: Sie können es nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nach vier Jahren macht es der Staatssekretär selbst, weil es das Ministerium nicht kann oder nicht will.

Herr Pschierer: „Es wird seit Jahren diskutiert, das Ministerium sei bisher nicht über das Ankündigungsstadium hinausgekommen.“ Sein Fazit: „Das Macherimage nimmt uns hier doch niemand mehr ab.“

Ich möchte hinzufügen, der Chef kriegt das nicht in den Griff. Sie haben am achtjährigen Gymnasium eine ganze Generation – eine ganze Schülergeneration! – als Versuchskaninchen missbraucht. Sie haben nicht korrigierend eingegriffen, obwohl schon in der ersten Anhörung zum G 8 ein Kollege aus dem Saarland, das damals schon zwei Jahre Erfahrung hatte, alle später eingetretenen Probleme benannt hat. Wenn Sie uns die Probleme nicht glauben wollten, wenn Sie sie weder den Eltern noch den Schülerinnen und Schülern glauben wollten, hätten Sie doch jemandem glauben können, der aus einem Land mit Erfahrungen kommt und Ihnen sagt, auf was man aufpassen muss.

Vier Jahre lang ist nichts passiert. Das Rauchverbot ist nicht für Ihr schlechtes Kommunalwahlergebnis verantwortlich, sondern auf der Unzufriedenheitsskala steht mit weitem Abstand das Thema Bildung, wie Herr Kollege Pschierer, ihr ehemaliger Bundesminister Dr. Waigel oder Herr Sailer gesagt haben. Es gibt also in diesem Bereich eine Summe von Fehlentscheidungen, nicht nur das G 8. Das G 8 ist aber das Symbol für den Scherbenhaufen, den Sie angerichtet haben. Sie haben eine Summe von Fehlentscheidungen getroffen, die Sie nicht korrigiert haben. Außer vielen Pressekonferenzen und Pressemitteilungen haben Sie nichts getan. Was es allerdings im Kultusministerium an Veränderungen oft gibt, sind Veränderungen im Organigramm. Jetzt hat man die Presseabteilung wieder direkt dem Kultusminister zugeordnet.

Herr Minister, ich muss Ihnen sagen: Marketing ist nur dann gut, wenn auch etwas dahinter ist. Damit Ihnen die Leute noch glauben können, müssen Sie mal Butter bei die Fische bringen und nicht immer nur schöne Sprüche loslassen.

Das G 8 ist wie ein Flugzeug mit unbestimmtem Ziel losgefl ogen, das ab und zu notlanden muss. Aber auch danach ändert sich nichts, wie das Beispiel Lehrplan beweist. Die einzige Botschaft ist: Wir fl iegen weiter. Macht euch keine Sorgen. Wohin wir fl iegen, wissen wir zwar immer noch nicht. Aber alles wird gut – irgendwann. Deshalb glaube ich Ihnen kein einziges Wort mehr, wenn Sie von Verbesserungen sprechen. Da haben wir schon zu viel Ihrer verbalen Bekundungen erlebt. Deswegen haben wir heute einen Dringlichkeitsantrag eingebracht, um Nägel mit Köpfen zu machen, um am G 8 Korrekturen sofort anzupacken und zu vollziehen. Es ist mir wichtig, dass der Landtag feststellt, dass die Staatsregierung bei der Einführung des G 8 ein großes Chaos angerichtet hat. Die Leidtragenden sind vor allem die Schülerinnen und Schüler, aber auch ihre Lehrerinnen und Lehrer und Eltern. Bei den seit Jahren vorliegenden Schwierigkeiten handelt es sich um grundlegende konzeptionelle Probleme, vor denen man Sie immer wieder gewarnt hat.

Ich möchte in diesem Zusammenhang nur noch kurz anführen, dass Sie nach Einführung des G 8 als erste Großtat bei den gymnasialen Personalausgaben 6,2 Millionen Euro gestrichen haben. Ich fordere Sie auf, den an einer ganzen Schülergeneration vorgenommenen unverantwortlichen Feldversuch sofort zu beenden und bis Ende April gekürzte Lehrpläne vorzulegen, in denen alle Fächer gleichermaßen reduziert und die Kürzungen auf alle Jahrgangsstufen verteilt werden. Ich fordere ein Personalplanungskonzept, das berücksichtigt, dass die Lerngruppengröße in Intensivierungsstunden und in der Oberstufe maximal 15 Personen beträgt. Ich fordere als erklärtes Ziel den Erhalt der Intensivierungsstunden in ihrer bisherigen Form, eine ordentliche Ausstattung der Schulen für den Ganztagsbetrieb, ein nahrhaftes Mittagessen und ein fl ächendeckendes Angebot an gebundenen Ganztagsschulen. Ich fordere auch die Abschaffung der schriftlichen Hausaufgaben, um die hohe Belastung der Schülerinnen und Schüler zu mildern. Die Vertiefung des Lehrstoffes erfolgt im Unterricht, insbesondere in den Intensivierungsstunden. Das muss genügen.

(Beifall bei den GRÜNEN – Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das ist eine tolle Pädagogik!)

Herr Kollege Waschler, solange Sie Ihre Leistung nicht erbringen, wird das Sitzenbleiben am achtjährigen Gymnasium abgeschafft. Sitzenbleiben ist sowieso ein Schmarrn. Aber solange Sie Ihre Bringschuld bei den Schülerinnen und Schülern an Bayerns Gymnasien nicht erbracht haben, sollen die Schülerinnen und Schüler auch nicht die Konsequenzen tragen. Dieser Antrag

zieht sofort Konsequenzen. Dieser Antrag ist mutig und handelt. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächster Redner: Herr Kollege Eisenreich.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einigen allgemeinen Feststellungen zum G 8 beginnen, bevor ich dann zu den Einzelheiten komme. Die Einführung des G 8 war richtig, das hat sich auch gezeigt. Es freut mich, dass eine Diskussion über G 8 oder G 9 im Grunde genommen nicht mehr stattfi ndet. Wir brauchen das G 8, um die Ausbildungszeiten zu verkürzen. Wir haben mit dieser Verkürzung auch eine neue Lehrplankonzeption eingeführt, die bei den Kernkompetenzen und dem notwendigen Grundwissen einen neuen Schwerpunkt setzt.

(Zuruf der Abgeordneten Karin Radermacher (SPD))

Wir haben damit das Gymnasium gleichzeitig auf neue und aktuelle Herausforderungen vorbereitet, zum Beispiel mit einer neuen Oberstufe und der Einführung von Seminaren. Es ist wichtig, dass es am Gymnasium – wegweisend für Deutschland – Intensivierungsstunden gibt. Es gibt hohe Investitionen in die Schulbauten und Mensen von Gymnasien.

(Zuruf von der CSU: So ist es!)

Darüber hinaus ist in die Einbindung der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern in den Schulalltag Bewegung gekommen. Ich denke zum Beispiel an die Aufwertung des Schulforums oder an das Gymnasium in Bad Aibling, wo am Wochenende die Versammlung der Landeselternvereinigungen stattfand, die sogar ein Schulparlament haben. Das ist ein tolles Ergebnis bei Themen, die wir an den Gymnasien verändern und voranbringen wollen.

Wenn wir das G 8 ehrlich diskutieren, müssen wir feststellen, dass es zu diesem Thema eine bundesweit ähnliche Debatte gibt, und zwar unabhängig davon, ob in den Ländern die Union oder die SPD regiert. Es gibt eine Debatte über die Lehrpläne, es gibt eine Debatte über die Stundentafel und über das Thema „Forderung und Überforderung“. Auch die Kultusministerkonferenz hat sich erst vor Kurzem mit diesem Thema befasst und hier einige Eckpunkte neu justiert.

Es ist auch wichtig, in der Debatte zu unterscheiden, was sind ehrliche oder vordergründige Argumente, was sind offene oder verdeckte Ziele. Bevor wir in die Debatte über Einzelheiten einsteigen, muss sich jeder fragen, ob derjenige, der redet, das Gymnasium erhalten oder abschaffen bzw. verstümmeln will.

(Beifall bei der CSU)

Wer wie die GRÜNEN, eine verlängerte gemeinsame Schulzeit und damit nur noch einen Rumpf, ein G 3 will und das Gymnasium damit im Grunde genommen abschaffen will, oder wer wie die SPD, das Gymnasium verstümmeln will, der wird die entsprechende Taktik verfolgen und das Gymnasium nicht gut-, sondern schlechtreden. Das ist die gleiche Taktik, die bei den Hauptschulen angewendet wird: Wer etwas abschaffen will, macht es schlecht.

(Beifall bei der CSU)

Dagegen müssen wir uns wehren, und das tun wir auch.

Wir wollen das G 8 erhalten. Das Gymnasium ist eine tragende Säule unseres Bildungssystems. Die Substanz ist gut und das, was die Lehrer, die Eltern sowie die Schülerinnen und Schüler an unseren Gymnasien leisten, ist hervorragend und verdient größte Anerkennung.

(Beifall bei der CSU)