Protokoll der Sitzung vom 16.03.2004

Wir sollten endlich lernen, dass aus der Haushaltskrise auch eine Chance erwachsen kann. Es müssen Strukturen überprüft und neue Beratungskonzepte entwickelt werden. Es sind hier beispielhaft die Eltern- und Familienberatung zu nennen, die Ausländersozialberatung mit ihrer Weiterentwicklung zu Kompetenzzentren für Migration, und es ist die Insolvenz- und Schuldnerberatung, auch im

Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Anwälten, die sich in diesem Bereich betätigen, zu nennen.

Wir müssen im Rahmen dieser Einsparungen auch die politische Wirksamkeit von Maßnahmen überprüfen.

(Werner Schieder (SPD): Sie sollte man auch mal überprüfen!)

Sie handeln verantwortungslos, wenn Sie immer nur sagen: „Weiter so“, aber gar nicht mehr wissen, ob das, was Sie fordern, sinnvoll ist. Als Beispiel sei hier die Schwerpunktsetzung beim Landeserziehungsgeld genannt. Beim ersten Kind haben Eltern diese Leistung häufig nicht in Anspruch genommen, weil beide Elternteile oder die Alleinerziehenden nach relativ kurzer Zeit wieder mit der Arbeit begonnen haben. Deshalb wird mit der Umstrukturierung oder dem Ausbau der Leistungen für Mehrkinderfamilien nicht nur die Regierungserklärung umgesetzt, sondern auch ein Weg zur präventiven Armutsbekämpfung beschritten.

Was bleibt nach der Einsparrunde an Strukturen übrig? Bayern bleibt sozial. Die Leistungen sind in vielen Bereichen weiterhin vorbildlich. Dies nehmen Sie von der Opposition bewusst nicht zur Kenntnis. Ich frage Sie: In wie viel Bundesländern gibt es denn das Landeserziehungsgeld überhaupt, mit dem wir uns hier auseinandersetzen? Es sind neben dem Freistaat Bayern drei unionsregierte Bundesländer. Wir können uns mit diesen Leistungen wahrhaft sehen lassen.

(Beifall bei der CSU)

Ich frage Sie nach der Höhe des bayerischen Blindengeldes. Vergleichen Sie das mit den Leistungen in anderen Bundesländern. Wir sind sicherlich nicht das Schlusslicht in der Champions League.

(Beifall bei der CSU)

Ich frage Sie auch nach den Gebühren in den Kindertagesstätten. Sie sind durch die Verlässlichkeit des bayerischen Finanzierungsmodells weiterhin akzeptabel – das wird auch so bleiben –, während in anderen Bundesländern durch die Reduzierung der Förderung die Gebühren deutlich zulasten der Eltern angehoben wurden. In Bayern ist die Landeshauptstadt München leider Gottes ein Negativbeispiel. Hier wurden die Gebühren teilweise um über 100 % erhöht. Familien mit Kindern können Einrichtungen wie Horte gar nicht mehr in Anspruch nehmen, weil die Gebühren explosionsartig gestiegen sind.

Was muss in Zukunft beachtet werden? Mit den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege gehen

die Sozialpolitiker der CSU-Landtagsfraktion völlig konform, dass die Folgekostenabschätzung von Einsparmaßnahmen von besonderer Bedeutung ist. Wir müssen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wonach Ausgabenkürzungen im präventiven Bereich später bis zum Dreifachen an Mehrkosten zur Folge haben, mehr Beachtung schenken.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Darum wird ja bei Aids und bei der Drogenhilfe gestrichen!)

Dies gilt auch für den Doppelhaushalt 2005/2006, bei dem wir dies berücksichtigen müssen.

Der Dreiklang konsolidieren, reformieren und investieren als wesentliches Gestaltungsmerkmal der Regierungspolitik ist auch im Haushalt und vor allen Dingen in der Sozialpolitik zu berücksichtigen, die bereits einen wesentlichen Beitrag zu den Einsparungen im Nachtragshaushalt erbracht hat. Ich denke, wir sind im Interesse der Menschen, die ein soziales Bayern wollen, auf dem richtigen Weg. Vielen Dank.

(Beifall bei der CSU)

Das Wort hat Herr Kollege Volkmann. Bitte schön.

Frau Präsidentin, ich bin geneigt zu beginnen: Lieber Herr Unterländer. Sie wissen, dass wir Sie alle außerordentlich schätzen, weil Sie wahrscheinlich so etwas wie das soziale Gewissen der CSU sind. Sie sind wirklich Sozialpolitiker. Aber ich denke, bei Ihrem Beitrag hat man es förmlich gespürt, wie unwohl es Ihnen über weite Strecken Ihres eigenen Vortrags war.

(Beifall bei der SPD)

Das ist auch nicht weiter verwunderlich. Wenn Sie sagen: „Wir sparen, um das soziale Bayern zu erhalten“ und dann den Herrn Finanzminister zitieren mit den 100 Millionen Euro Zinsen täglich, dann meinen Sie damit natürlich nicht den Freistaat, sondern wohl den Bund. Herr Kollege Heinz Kaiser hat heute schon unwidersprochen gesagt, dass der Bund 16 % seines Haushalts jährlich an Zinsen bezahlt und der Freistaat Bayern 3 %. Da frage ich Sie: Wollen Sie eigentlich in Anbetracht solcher Zahlenverhältnisse allen Ernstes mit Zahlen des Bundes argumentieren, um den Leuten deutlich zu machen, dass Sie ihnen in Bayern das nehmen müssen, was Sie ihnen jetzt wegnehmen.

(Joachim Unterländer (CSU): Sie sehen die Zusammenhänge nicht, Herr Kollege!)

Das kann doch einfach nicht richtig sein.

Zu Ihrem Beispiel mit den Münchner Krippen- und Hortgebühren sage ich Ihnen zwei Dinge – nein,

eines sage ich nur dazu, das reicht völlig. Ich sage Ihnen Folgendes: Die Stadt München muss für eine Aufgabe, die ausschließlich Aufgabe des Freistaates Bayern ist, nämlich die Bezahlung von Lehrern an städtischen Schulen, ungefähr 140 Millionen Euro jedes Jahr mehr ausgeben. Geben Sie den Städten, die städtische Schulen betreiben, nur dieses Geld, dann braucht die Stadt München sich über Hortgebühren und Krippengebühren überhaupt nicht echauffieren.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wahnschaffe?

Lieber Kollege Volkmann, würden Sie mir darin zustimmen, dass es außer in München auch noch anderswo kommunale Schulen gibt und dass andere Städte unter derselben Problematik leiden?

(Zuruf von der CSU: Frage stellen!)

Er hat mich doch gefragt, ob ich ihm zustimme. Ich werde Ihnen sagen, was ich dazu sage: Ich stimme ihm zu.

(Allgemeine Heiterkeit – Alexander König (CSU): Das überrascht uns aber!)

Sie müssen zu früher Abendstunde auch mit Überraschungen leben. Das gehört zum Parlamentarismus dazu.

Meine Damen und Herren, jetzt komme ich zu meiner eigentlichen Rede. Ich wollte zum Sozialhaushalt eigentlich fast nichts sagen. Sie konnten ja der Tagesordnung schon entnehmen, dass wir zu den beiden Anträgen 15/460 und 15/461, nämlich Sozialer Wohnungsbau und Modernisierungsprogramm, etwas sagen wollen. Es ist schade, dass Herr Rotter jetzt nicht da ist und dass auch vom Innenministerium niemand da ist. Aber es gibt vielleicht ein Protokoll.

(Karin Radermacher (SPD): Nicht nur vielleicht, es gibt eines!)

Das gibt es mit Sicherheit, Herr Kollege.

Ich bedanke mich für die Richtigstellung, Frau Präsidentin. Es gibt also mit Sicherheit ein Protokoll, und da steht dann sicher auch das Richtige drin, hoffen wir doch.

Sie können es ja kontrollieren.

Mir geht es um diese zwei Anträge, und ich möchte Ihre erfreuliche geschätzte Aufmerksamkeit, die abends um ein Viertel nach neun offenkundig wesentlich besser ist als nachmittags um drei, ganz kurz darauf richten, was ich mit drei, vier Sätzen zur Wohnraumversorgung in Bayern zu sagen habe, weil das viel mehr ein Problem ist, als die Leute heute glauben.

Die Situation ist in der Bundesrepublik allgemein so, dass wir einen extrem gespaltenen Markt haben, das wissen Sie. Im Osten, aber auch im Norden und Westen stehen Wohnungen leer, in Ballungsgebieten dagegen haben wir die Situation, dass man nicht weiß, wie man den Wohnraum bezahlen soll, weil er viel zu teuer und zu knapp ist.

Viele Leute meinen, das sei in Bayern nicht so. Wir hören ja von der Staatsregierung immer, dass hier alles ideal ist, und wenn einmal etwas nicht ideal ist, dann ist die Bundesregierung daran schuld. Aber es ist wie gesagt ein Irrtum. Wir haben auch in Bayern – das wissen viele von Ihnen, gerade die, die aus der Oberpfalz und aus Oberfranken kommen – Leerstände auch im Norden und Nordosten Bayerns. In Selb, Tirschenreuth und in anderen Gemeinden gibt es Wohnungsbaugesellschaften, die mehr als 10 % Wohnungsleerstände haben. Man muss sich überlegen, was das bedeutet. Andererseits haben wir Engpässe. Von München ist es allgemein bekannt, aber auch in Nürnberg, in Ballungsgebieten und allgemein im Süden sind die Mieten und auch die Kaufpreise teilweise nicht mehr bezahlbar. So viel zur Situation auf dem Wohnungsmarkt.

Nun haben wir zwei Änderungsanträge zu diesem Haushalt gestellt, und ich möchte Sie wirklich nachdrücklich darum bitten, meine Damen und Herren, dass Sie den Anträgen 15/460 und 15/461 Ihre Zustimmung erteilen. Beim Antrag 15/461 geht es um den sozialen Wohnungsbau, den Sie um sage und schreibe 40,5 Millionen Euro kürzen wollen. Man muss wissen, dass der soziale Wohnungsbau genau in den Ballungsgebieten wichtig ist, wo wir keine Leerstände haben, bzw. dort, wo der Wohnungsmarkt einigermaßen ausgeglichen ist. Wir haben die Situation, dass die Zahl der Sozialwohnungen immer weniger wird, weil Sozialwohnungen zum großen Teil mit staatlichen Mitteln finanziert sind, und wenn diese Mittel getilgt sind, fallen die Wohnungen aus der Sozialbindung heraus. Man muss wissen, dass zwei Drittel der Bewohner von Sozialwohnungen sozialwohnungsberechtigt sind. Wenn die Wohnungen aus der Sozialbindung fallen, gibt es erhebliche Mieterhöhungen.

In dieser Situation, meine Damen und Herren, kürzen Sie jetzt die Mittel für die Errichtung neuer und damit preiswerter Sozialwohnungen, und zwar über alle Maßen. Was uns heute vorliegt, ist eine Kürzung um „nur„ 40,5 Millionen Euro. Das ist bereits sehr,

sehr viel. Aber viel wichtiger ist der Zusammenhang mit den vergangenen zwei Jahren zu sehen. Vor zwei Jahren waren es nämlich noch 286 Millionen Euro, die im Haushalt standen, jetzt sind es nur noch 186 Millionen Euro, das heißt genau 100 Millionen Euro weniger. Davon kürzen Sie jetzt noch einmal 40,5 Millionen Euro. Das heißt, binnen zwei Jahren haben wir eine Reduzierung, Herr Rotter, des sozialen Wohnungsbaus um fast genau 50 %. Das, finde ich, ist nun wirklich allerhand. Schade, dass Herr Beckstein nicht da ist. Ich möchte nämlich gerade Bezug nehmen auf eine seiner fulminanten Presseerklärungen, die immer einen Teil der Wahrheit wiedergeben, allerdings nur einen Teil der Wahrheit und manchmal sehr viel weniger als die Hälfte. Der Herr Staatsminister des Innern rühmt sich nämlich in einer Presseerklärung vom 2. Februar, dass der Bund seine Mittel für die soziale Wohnraumförderung 2004 weitaus stärker zurückfahren würde als der Freistaat. Der Bund stelle nur noch 110 Millionen Euro zur Verfügung, davon für Bayern nur 15 Millionen Euro. Das sei nicht einmal mehr die Hälfte des Vorjahres. Dazu muss man wissen, die Wahrheit – –

Herr Kollege, ich könnte mir vorstellen, dass Sie sich von der linken Seite des Hauses, von uns aus gesehen, etwas mehr Aufmerksamkeit wünschen würden.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Wir sind ganz Ohr!)

Die wissen eigentlich, was ich sage. Aber es wäre schöner, wenn sie ruhiger wären. Es war gut gemeint, aber es fällt mir schwer, euch zu kritisieren, das ist klar.

(Zuruf von der SPD: Sie hat die GRÜNEN gemeint! – Zuruf von den GRÜNEN: Wir neh- men alles auf uns!)

Sie hat die GRÜNEN gemeint. Gut. Schönen Dank für den Hinweis.

Wie gesagt, das behauptet das Innenministerium in einer Presseerklärung vom 2. Februar.

Das finde ich nun wirklich ärgerlich. Denn wenn man sich die volle Wahrheit vor Augen führt, dann ist es folgendermaßen: Es ist zutreffend, dass der Bund seine Mittel für den sozialen Wohnungsbau von 230 auf 110 Millionen Euro für 2004 gekürzt hat. Nur muss man dazu wissen, meine Damen und Herren, dass der Bund 230 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt hatte, 110 Millionen Euro sind herausgekommen als Ergebnis des Vermittlungsverfahrens, weil es im Vermittlungsausschuss vom Bundesrat so verlangt worden war. Da finde ich es dreist, wenn Sie dann so tun, als wäre dies sozusagen Verschulden der Bundesregierung. Im Übrigen sei noch

darauf hingewiesen, dass alle CSU-Abgeordneten diesem Ergebnis zugestimmt haben. Da finde ich es nicht anständig, wenn das Innenministerium den Eindruck erweckt, der Bund gehe mit schlechtem Beispiel voran, wenn man doch selber die Ursache dafür gesetzt hat.