Protokoll der Sitzung vom 10.06.2008

Die erste Rednerin ist Herr Kollege Wahnschaffe. – Entschuldigung, der erste Redner. Lieber Herr Kollege Wahnschaffe, ich habe mich gerade in der Quotierung geirrt.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Das ist durchgegendert!)

sorgen dafür, dass Versammlungen friedlich ablaufen, aber es gibt keinen Freibrief für Chaoten auf unseren Straßen.

Nächster Fragesteller: Herr Kollege Welnhofer.

Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, dass die Versammlungsfreiheit zwar ein sehr wichtiges Grundrecht ist, keineswegs aber ein „Ober“-Grundgerecht – wenn ich das einmal so fl apsig sagen darf –, das alle anderen Rechte verdrängt, sondern dass es vielmehr darauf ankommt, die bestehende Grundrechtskonkurrenz in praktische Konkordanz zu bringen, und dass dazu das Versammlungsrecht den entscheidenden Beitrag zu leisten hat? – Das ist das eine.

Ich frage weiter: Teilen Sie meine Auffassung, dass auch das Versammlungsrecht seinen Beitrag – seinen vielleicht im Einzelfall bescheidenen Beitrag, aber eben seinen Beitrag – leisten muss zur Bekämpfung rechtsradikaler Umtriebe, zur Bekämpfung der Verherrlichung des Nationalsozialismus, zur Bekämpfung der Verniedlichung des Holocaust? Und, Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Auffassung, dass der Gesetzentwurf der Staatsregierung keineswegs aus Rechtsgründen zwingend geändert werden muss durch den Antrag der CSUFraktion, dass es aber bei nochmaliger Überlegung aller Umstände zweckmäßig ist, diese Änderungen – in Randbereichen, jenseits des Kerns des Gesetzentwurfs der Staatsregierung – einzubringen? Teilen Sie schließlich meine Auffassung, dass die Staatsregierung, wenn es ihr denn tatsächlich, wie unterstellt wird, um eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit ginge, einen ganz anderen Gesetzentwurf vorgelegt hätte?

Herr Kollege Welnhofer, die letzte Frage ist völlig hypothetisch, weil es schlichtweg unvorstellbar ist, dass es eine Staatsregierung – jedenfalls eine von meiner Partei geführte – gibt, die auch nur im Entferntesten einen solchen Gedanken hegen könnte. Von daher verbietet es sich von selbst, darauf auch nur eine hypothetische Antwort zu geben.

Betreffend die anderen Fragen kann ich nur nachdrücklich feststellen: Natürlich teile ich Ihre Auffassung – wie auch sonst in den allermeisten Dingen, lieber Herr Kollege Welnhofer. Ich will nur Folgendes noch einmal nachdrücklich unterstreichen: Wir müssen in der Tat immer sehen, dass das Versammlungsrecht ein grundlegendes Element unserer Demokratie und der Freiheit in unserem Land ist, dass es aber von Chaoten nicht missbraucht werden darf. Wir haben das – ich nehme noch einmal den 1. Mai in Hamburg – erlebt.

Wenn es gleichzeitig Demonstrationen der Rechtsradikalen und der Linksradikalen gibt und die nicht vernünftig geordnet werden, führt das zu Straßenschlachten und schwersten Körperverletzungen, weil die aufeinan

dass der Basiswert, der Stellenschlüssel, die Gastkinderregelung verändert werden sollen, die Weiterbildung, die Fortbildung mehr gefördert werden soll, muss man sich fragen, warum Sie das in den letzten fünf Jahren nicht getan haben.

(Beifall bei der SPD)

Sie waren doch an der Regierung. Sie haben eine komfortable Zwei-Drittel-Mehrheit. Jetzt machen Sie den bayerischen Wählerinnen und Wählern vor, irgendwann mittelfristig werden Sie in diese Richtung etwas tun. Jetzt brauchen die Kinder dies, jetzt sind Maßnahmen gefordert, um den Menschen, insbesondere den Kindern, zu helfen.

Meine Damen und Herren, Armut bedeutet nicht nur materielle Armut. Armut bedeutet insbesondere Armut an Bildung, bedeutet weniger Teilhabe an Sport und Kultur, oft keine Teilhabe an Schulausfl ügen und was die Dinge mehr sind. Deswegen wäre ein Sofortprogramm vonnöten, das den Eltern die Teilnahme ihrer Kinder am Kindergarten erleichtert, sie in den Schulen ohne zusätzliche Kosten auskommen können und schließlich auch Studiengebühren für Eltern erlassen werden. Dies wären die ersten Fragen, nicht die letzten. Aber sie wären zumindest ein Anfang.

Wir haben schon im Januar dieses Jahres ein Programm vorgelegt, mit dem wir eine Reihe von Maßnahmen gefordert haben. Nicht eine von diesen Maßnahmen haben Sie nur andeutungsweise angenommen. Wir kämpfen immer noch um die Frage, ob es denn eine warme Mahlzeit für die Kinder geben darf. Es gibt ein Schreiben des Landwirtschaftsministers, der augenblicklich mit der Milch zu kämpfen hat, mit dem er initiieren will, dass mehr Milch gegen Kosten in den Schulen verteilt wird. Das wäre auch ein Anfang. Aber nicht einmal das können Sie bisher realisieren.

Herr Kollege,

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Ich bin am Ende meiner – –)

Sie haben bereits eine Minute Zeitüberschreitung. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Meine Damen und Herren, nur noch ein Schlusssatz. In Berlin den großen Maxe mit Spendierhosen spielen wollen und in Bayern die Taschen zuhalten, das wird Ihnen in Bayern keiner mehr durchgehen lassen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege, vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Herr

Herr Präsident, es lag mir fern, Ihnen widersprechen zu wollen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in den letzten Wochen haben wir mehrere Berichte der Bundesregierung zur Kenntnis nehmen müssen – sowohl den Armuts- wie den Reichtumsbericht, wie auch den UNICEF-Bericht, wobei die beiden ersten signifi kante Untersuchungen bezüglich der Kinderarmut in Deutschland und damit auch in Bayern wiedergeben.

Umso mehr stellt sich die Frage, wann die Bayerische Staatsregierung wie versprochen endlich ihren eigenen Sozialbericht vorlegt. Sie hatte ihn für den Sommer dieses Jahres angekündigt. Inzwischen ist es sehr still geworden. Frau Staatsministerin, wir sind gespannt, was Sie heute dazu zu sagen haben.

Arme Kinder in Bayern sind für ein so reiches Land eine Schande. Deswegen müsste man eigentlich annehmen, dass angesichts von 4,2 Milliarden Euro Mehreinnahmen alleine im bayerischen Staatssäckel die Staatsregierung ein Programm erstellt oder zumindest Maßnahmen ankündigt oder sogar verwirklicht, die dieser Kinderarmut entgegenwirken.

Der CSU-Vorsitzende und Finanzminister dieses Landes zieht durch die Lande und fordert ein milliardenschweres Entlastungsprogramm für Leistungsträger. Nun fragt man sich allerdings, warum er, wenn er für Leistungsträger eintritt, die Leistungsträger von morgen, nämlich die Kinder und insbesondere die armen Kinder, am Wege zurücklässt. Wir haben vor einer Woche eine Diskussion geführt, in der es um einen kleinen Baustein zur Bekämpfung der Kinderarmut ging, nämlich der Beitragsfreistellung in den Kindergärten. Im Januar wie auch letzte Woche hat Frau Staatsministerin sinngemäß gesagt: Das Geld haben wir nicht.

Noch einmal: 4,2 Milliarden Euro nimmt der Freistaat Bayern mehr ein, aber er hat die 100 Millionen Euro nicht, um in diesem einen Punkt die Kinderarmut zu bekämpfen. Nun könnte man annehmen, dass das Geld anderweitig gebraucht wird, beispielsweise dafür, die Zumutungen, die den Menschen 2003 nach der Landtagswahl in Bayern auferlegt worden sind, wo Blinde, Kranke und Pfl egebedürftige Leistungseinbußen hinnehmen mussten, zurückzunehmen und wenigstens einen Teil wieder zurückzugeben. Aber weit gefehlt.

Wir haben nach wie vor den Zustand, dass die Staatsregierung der Entwicklung tatenlos zusieht. Das ist eine schlimme Situation für unser Land; denn Frau Staatsministerin, ob es nun 143 000 Kinder sind, wie Sie behaupten, oder 160 000 Kinder, die von Armut bedroht oder arm sind in Bayern – wir müssen jetzt etwas tun. Wir müssen mehr tun, als Sie in dem Papier des Vorstands der CSU ankündigen, das im Übrigen ein offenes Eingeständnis Ihrer Untätigkeit ist. Wenn Sie dort für die Zukunft fordern,

scheidende Schlüssel. Das müssen wir immer wieder im Fokus haben. Wenn Väter und Mütter einen Arbeitsplatz bei entsprechender Bezahlung haben, ist dies der erste Schritt aus der Armutsfalle. Insofern ist aktivierende Familienpolitik, aktivierende Sozialpolitik natürlich eine, die in diesem Bereich den Schwerpunkt auf die Sicherung von Arbeitsplätzen legt.

Die zweite Forderung ist der Familienlasten- und der Familienleistungsausgleich. Familien werden wegen ihrer Mehrbelastung und aufgrund ihres Dienstes an Staat und Gesellschaft im Familienlasten- und Familienleistungsausgleich stärker zu unterstützen sein. Hierzu dient der Vorschlag der CSU zur Steuerreform, die Initiative für ein Betreuungsgeld, das Bundeselterngeld, das anzuhebende Kindergeld und das Landeserziehungsgeld mit am 01.01.2009 angehobenen Einkommensgrenzen, die gerade auch Durchschnittsverdiener vor Armut bewahren. Es ist ein großer Fortschritt, wenn, Frau Staatsministerin, wieder ein wesentlich höherer Anteil von Familien im Freistaat Bayern in den Genuss der Anspruchsberechtigung des Landeserziehungsgeldes kommt.

Deswegen müssen wir auch als dritten Punkt darauf hinweisen, dass gerade das Ziel, Durchschnittsverdiener vor dem familienbedingten Abrutschen in fi nanzieller Hinsicht zu bewahren, eine entscheidende Strategie darstellt. Das müssen wir bei allen Leistungen und bei allen Konzepten immer wieder hinterfragen. Wir müssen diejenigen, die in der Armut sind, herausholen, aber wir müssen verhindern, dass andere in die Armut gelangen.

Viertens. Wir brauchen die Möglichkeit, dass ein Mittagessen zur Verfügung steht und dass es auch eine kostenmäßige Entlastung gibt. Hierzu gibt es übrigens auch einen fraktionsübergreifenden, einstimmigen Beschluss des sozialpolitischen Ausschusses. Hierzu wird die Staatsregierung auch berichten. Kollege Imhof wird auf die Details noch näher eingehen.

(Zuruf der Abgeordneten Dr. Simone Strohmayr (SPD))

Fünftens. Die bildungspolitischen Rahmenbedingungen für die Familien sind weiterzuentwickeln und zu stärken. Dies ist ebenfalls ein präventiver Ansatz, der Familien durch bessere Chancen der Teilhabe am Arbeitsmarkt und der gesellschaftlichen Teilhabe durch verbesserte Bildungsbedingungen nachhaltig hilft. Hierzu wird die Kollegin Brendel-Fischer auch noch im Detail etwas sagen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen sechsten Punkt benennen: die frühkindliche Bildung. Die frühkindliche Bildungseinrichtungen sind, wie auch die Haushaltszahlen des Freistaates Bayern beweisen – sie gehen seit Jahren ständig nach oben; das hat nicht nur mit dem quantitativen Ausbau zu tun –, familien-, gesellschafts- und sozialpolitische Prioritäten im Freistaat Bayern. Die Kinderbetreuung hat in der CSU-Landtagsfraktion und in

Kollege Unterländer. Mir wurde gemeldet, Sie haben zehn Minuten. So steht es auch auf dem Bildschirm.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Wahnschaffe, wenn Sie kritisieren, dass die Steuerreformkonzeption der CSU unter Federführung Ihres Parteivorsitzenden Erwin Huber Leistungsträger entlastet, muss ich diese Kritik entschieden zurückweisen, weil sie übersieht, dass auch Familien Leistungsträger unserer Gesellschaft sind und Familien ein wesentlicher Bestandteil der Steuerreform sind. Egal, ob 143 000 oder 160 000 Kinder, über die Zahlen sollten wir nicht streiten, sondern wie wir helfen können, dass Kinderarmut vermieden werden kann.

Kein Kind darf in seiner Entwicklung verloren werden. Jeder einzelne Fall von Kinderarmut muss verhindert werden, bzw. es muss konkrete Hilfe kommen. Es wird doppelt und dreifach zurückgezahlt, wenn wir hier in zweifacher Hinsicht tätig sind: zum einen in der konkreten Hilfe, um Armut zu bekämpfen, zum anderen auch präventiv, um Armut zu vermeiden.

Die Auswirkungen von Kinderarmut sind eine Verfestigung der Perspektivlosigkeit in den betroffenen Familien für die Kinder. Dies muss auch im Sinne der immer wieder befürchteten Scherenbewegung in unserer Gesellschaft zwischen denen, die eine erheblich bessere Einkommenssituation haben, und den Einkommensschwächeren unser Ziel sein.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang gleich feststellen: Konsequente Bekämpfung von Kinderarmut bedeutet Familien zu stärken. Das bedeutet natürlich auch, gerade die Durchschnittsverdiener unter den Familien vor einem Abrutschen zu schützen und ihnen entsprechend in den Steuer- und Transfersystemen die Möglichkeit einer Entlastung zu bieten. Deshalb muss, wenn wir auf der einen Seite Prävention und auf der anderen Seite konkrete Armutsbekämpfung betreiben, ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung der Kinderarmut Realität sein.

Herr Kollege Wahnschaffe, wenn ich noch einmal auf Ihren Beitrag eingehen darf: Dieses Sofortprogramm, das Sie fordern, ist heute bereits wesentlicher Bestandteil der Konzeption der Bayerischen Staatsregierung und der CSU-Landtagsfraktion, im Übrigen auch der gesamten CSU. Es beinhaltet die wesentlichen Bausteine, übrigens auch in acht oder zehn Punkten zusammengefasst, so ähnlich wie es ja von Ihrer Bundespartei jetzt aus dem Hut gezogen worden ist. Dazu sage ich aber: Da fi nden wir sehr viele Ladenhüter.

Erster entscheidender Punkt zur Vermeidung von Kinderarmut und materiell schwieriger familiärer Situation ist es eine Perspektive für die Familien in ihrer Existenz zu schaffen. Das bedeutet: Die Vermeidung und erfolgreiche Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ist hierzu der ent

und gesellschaftliche Armut mit negativen Perspektiven. Wir müssen im Sinne einer umfassenden Familienpolitik, eines Gesamtkonzeptes, das wir haben und das wir umsetzen, hier der Bekämpfung der Kinderarmut den notwendigen Stellenwert einräumen. In diesem Sinne bitte ich unsere Konzeption, wie sie CSU und Bayerische Staatsregierung haben, zu unterstützen.

(Beifall bei der CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Ackermann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist schon immer wieder beeindruckend, wenn man die Reden der Sozialpolitiker hört. Da müsste man denken, Sie sind sich alle einig. Dann müsste doch auch irgendwann einmal etwas passieren. Komischerweise tut es das aber nicht. Woran das liegt, weiß ich nicht.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Ich schon!)

Gestern hat mich eine Aufzählung von „BR-Online“ zu Armutsrisiken von Kindern sehr beeindruckt. Ich will Ihnen einige davon zum Besten geben. Armutsrisiko Nummer Eins: „Kind in einer Ein-Mama- oder Ein-Papa-Familie“. Die Kinder von Alleinerziehenden in Deutschland sind zu fast 40 Prozent arm. „Mit 90 ins Abseits“. 90 Euro, so viel kostet die Mitgliedschaft im Fußballclub „Spielvereinigung Unterhaching“. 90 Euro sind zuviel für ein Hartz-IV-Kind.

(Dr. Thomas Beyer (SPD): Das Kind ist doch hoffentlich davon befreit!)

Arme Kinder vereinsamen und bewegen sich zu wenig.

(Engelbert Kupka (CSU): Was soll jetzt das? – Dann sagen Sie doch mal, was Sie in Rotenhain verlangen! 50 Euro! Fällt Euch nichts Besseres ein!)

Wenden Sie sich an den Bayerischen Rundfunk!