Protokoll der Sitzung vom 10.06.2008

Mein Redebeitrag greift aber vor allem einen Teilaspekt auf, den Sie, Herr Wahnschaffe, vorhin aufgegriffen haben: Warme Mahlzeiten für alle Kinder. Ich gehe davon aus, Kolleginnen und Kollegen von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie kennen unseren Antrag.

(Simone Tolle (GRÜNE): Ja!)

Deshalb geht es mir langsam schlicht auf die Nerven, wenn Sie dieses Thema alle zwei Wochen, in regelmäßiger Abfolge, in einer Art ritualisierter Form auf die Tagesordnung setzen, ja wenn Sie es geradezu zelebrieren.

(Karin Radermacher (SPD): Sonst geht ja nichts vorwärts!)

Ich habe eher den Verdacht, Sie schielen damit vielmehr auf die Öffentlichkeit. Denn, Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie unseren Antrag kennen, dann wissen Sie, dass dieser Antrag die Staatsregierung beauftragt,

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

ein fundiertes, ein schlüssiges Konzept zusammen mit den Kommunen in den nächsten Wochen vorzulegen,

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Aber die Staatsregierung kommt nicht zu Potte! Dazu war eine Frist gesetzt!)

ein Konzept, das Ihrem Begehren gerecht wird. Es soll ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder geben. Vielleicht unterscheiden wir uns in diesem Fall, Herr Wahnschaffe, denn wir meinen wirklich alle Kinder. Es geht uns auch

enthaltsmöglichkeit erzählt und diese anpreist oder vom nächsten Klassenausfl ug spricht. Ich hatte die Gelegenheit, jüngst einen solchen Fall live mitzuerleben. Da ist ein Gymnasiast. Seine Mutter ist Hartz-IV-Empfängerin. Er konnte sich einen solchen Auslandsaufenthalt nicht leisten. Er hat nirgendwo das dafür erforderliche Geld auftreiben können. Er hätte das zwar sagen können, hat sich aber geschämt, seine Armut öffentlich zu machen.

Hier liegt ein Problem, das wir sehen müssen. Wir dürfen Kinder nicht beschämen, sondern müssen in der Bildungspolitik und den Schulen die Rahmenbedingungen schaffen, damit auch arme Kinder in einem so reichen Land wie Bayern eine wirkliche Bildungschance haben.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Kupka.

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kinderarmut beginnt mit der Armut der Familie und der alleinerziehenden Frauen und Männer. Es ist zwar alles richtig, was hier gesagt worden ist, aber man darf bei diesem Thema die steuerliche Seite nicht ausklammern.

Als ich am 6. Mai von dieser Stelle aus zu unserem Programm „Mehr Netto für alle“ sprach, ist mir vonseiten der Opposition viel Hohn entgegengebracht worden. Ich habe damals gesagt: Der Ärger mag darin liegen, dass wir die Ersten sind, die dieses Thema erwähnen. Ich habe auch gesagt – Sie können es im Protokoll nachlesen –, dass Sie noch staunen werden, wie alle Fraktionen neue Programme auf den Tisch legen werden.

(Beifall bei der CSU)

Dieses Programm, das Steuererleichterungen für alle bringen soll, ist jetzt zu einem Renner geworden. Wir werden in Bayern die Meinungsführerschaft auf diesem Sektor behalten. Wir werden vor allem – das gilt für die Zeit ab 1. Januar 2009 – das Kindergeld erhöhen und den Freibetrag anheben. Wir wollen, dass dieses Ziel bereits bei der Haushaltsaufstellung berücksichtigt wird.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das ist nicht Ihre Erfi ndung!)

Dann sind wir beieinander. Ich kann nicht mehr erwarten als Ihre Zustimmung. Ich bedanke mich dafür.

Kernpunkte des Gesamtprogramms, das eine Entlastung um fünf Milliarden Euro bringen wird – –

(Zuruf des Abgeordneten Eike Hallitzky (GRÜNE))

Es ist nicht so, dass sie das Ganztagsbetreuungsmodell so toll fänden, sondern sie sparen sich die Kosten der echten Ganztagsschule. Weil der Staat diese Schule nicht fi nanzieren will, müssen die Eltern die Finanzierung aufbringen. Wenn man dies ändert, wäre es ein echter Beitrag zugunsten armer Kinder.

Frau Kollegin, einen Augenblick bitte! Ich bitte das Fotostudio Scharf-Gerlspeck, seine Arbeiten draußen weiterzuführen. Danke schön.

Entschuldigung, Frau Kollegin.

Den zweiten Umstand habe ich schon genannt. Die Rahmenbedingungen an den Schulen haben sich so verschlechtert, dass die Eltern immer mehr Bildung zukaufen müssen. Das heißt, es muss immer mehr von Nachhilfe Gebrauch gemacht werden. Man braucht immer mehr Übungshefte, immer mehr Unterrichtsmaterialien, damit zu Hause das nachgelernt werden kann, was an den Schulen infolge der schlechten Versorgung mit Lehrern leider nicht geleistet werden kann. Auch hier könnte ein wichtiger, guter Beitrag zur Stärkung der Familien geleistet werden.

(Widerspruch des Abgeordneten Eduard Nöth (CSU))

Herr Nöth, ich weiß nicht, wo Sie leben. Ich kenne Familien, die sich die Nachhilfe leisten, und Familien, die sie sich nicht leisten können. Aber leider ist der Bildungserfolg heute auch von Nachhilfestunden abhängig.

All das zeigt auch, dass arme Kinder nicht von sich aus bildungsarm sind, sondern bildungsarm gemacht werden. Deswegen können wir etwas dagegen tun.

Damit die Schule Schutzfaktor gegen Kinderarmut sein kann, muss die Bildungspolitik, müssen aber auch die Schulen vor Ort sofort und konsequent Maßnahmen ergreifen. Ich nenne Ihnen einige. Eine Maßnahme habe ich schon genannt. Das ist der Ausbau der echten Ganztagsschule. Weiter nenne ich den Ausbau einer kostenfreien vorschulischen Bildung, die Schaffung kleinerer Klassen, mehr individuelle Förderung, auch den Verzicht auf Selektion, ebenso ein positives Klassenklima, welches Diskriminierungen ausschließt.

Natürlich brauchen wir auch soziale Netzwerke in den Schulen. Ich denke an Netzwerke, die nicht nur Kinder, sondern auch Familien unterstützen.

Lassen Sie mich zum Schluss ein Thema ansprechen, das mit Bildung nur indirekt zu tun hat.

Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal Gelegenheit hatten, Kinder zu beobachten, die in einer Klasse sitzen und sich nicht zucken, wenn die Lehrerin von einer Auslandsauf

Herr Kollege, vielen Dank. Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Strohmayr.

Sehr geehrte Damen und Herren! Über die Zahlen haben wir heute schon gesprochen. Ob in Bayern 160 000 oder nur 145 000 Kinder in Armut leben, ist letztlich gleich. Es ist eine unvorstellbar große Zahl. Die Auswirkungen dieser Armut sind vielfältig. Es geht um materielle Armut, es geht um Armut bei der Gesundheitsversorgung, und es geht vor allen Dingen auch um Bildungsarmut. Dazu möchte ich einige Ausführungen machen.

Die ISS-Studie der AWO hat festgestellt, dass bei der Schuleingangsuntersuchung Kinder aus armen Familien sieben Mal häufi ger von der Schule zurückgestellt werden als Kinder aus anderen Familien, und zwar weil sie Sprachdefi zite haben, weil sie soziale Defi zite haben, weil sie feinmotorische Defi zite haben, weil sie Konzentrationsstörungen haben.

(Engelbert Kupka (CSU): Das liegt aber nicht nur am Geld!)

Diese Kinder sind oft schlecht in die Gesellschaft integriert. Sie schaffen häufi ger die Klassenziele nicht. Sie bekommen auch von ihren Eltern weniger Unterstützung. Es ist nicht genug Geld für Nachhilfestunden, Sportverein, Musikverein und Ähnliches vorhanden. Auch gehen sie seltener auf weiterführende Schulen.

Die Benachteiligung dieser Kinder fängt schon in den Kindertagesstätten an. Kindern aus SGB-II-Familien zahlt das Sozialamt den Kindergarten. In meinem Landkreis, im Landkreis Aichach-Friedberg zahlt jedoch das Sozialamt gerade einmal vier Stunden, auch wenn die Kinder einen höheren Bildungsbedarf haben, wenn es für die Kinder wichtig wäre, länger in den Betreuungseinrichtungen zu sein, damit sie von der erdrückenden Situation zu Hause weg sind, damit sie die Probleme nicht jede Stunde mitbekommen, damit sie die Armut nicht so sehr mitbekommen. Auch wenn ein höherer Bildungsbedarf vorhanden ist, zahlt das Sozialamt nur diese vier Stunden.

Eine neue Bertelsmann-Studie zeigt, dass gerade Kinder aus benachteiligten Familien von den Kindertageseinrichtungen profi tieren. Sie profi tieren umso mehr, desto länger sie in diesen Einrichtungen sind, am besten von der Kinderkrippe an. Sie brauchen also frühkindliche Bildungsangebote, damit sie den Übertritt in die weiterführenden Schulen schaffen. Hierzu gibt es viele Langzeitstudien, auch aus den USA, die belegen, dass Kinder, die solche Bildungsangebote wahrnehmen können, ihr ganzes Leben von dieser Bildung profi tieren. Deswegen ist Kinderbetreuung letztendlich Armutsprävention und schafft Bildungsgerechtigkeit.

Heute stand wieder in der „Süddeutschen Zeitung“, frühkindliche Erziehung sei besonders wichtig und ein le

Herr Hallitzky, lassen Sie mich, bevor Sie mir recht geben, ausreden. Ich sage das immer wieder.

Ich nenne die Kernpunkte. Erstens ist es die Wiedereinführung der Pendlerpauschale vom ersten Kilometer an. Es ist nicht so, dass wir nur Hartz-IV-Empfänger hätten. Wir haben auch Niedriglohnarbeiter, die weite Fahrten zur Arbeitsstätte auf sich nehmen müssen. Für die müssen wir unbedingt etwas tun. Wir müssen es tun neben der Erhöhung des Kindergeldes, des Kinderfreibetrags und der Förderung des Wohnungsbaus.

Das Wort „Ökonomie“ kommt aus dem Griechischen „Eukonomia“ und bedeutet „das Haus in Ordnung halten“. Auf diesem Sektor ist unser Haus in Unordnung geraten. Und in was für eine Unordnung!

Die Energiepreise explodieren. Trotz Lohnerhöhung sinkt der Lebensstandard der Familien. Jetzt können Sie in der Zeitung lesen: Für den Herbst dieses Jahres ist eine Gaspreiserhöhung um 40 % angesagt.

Wissen Sie, was wir damit machen? Der Staat kassiert brutal mit. Eine Erhöhung von 40 % bedeutet auch eine Steuererhöhung um 40 %. Wir haben auf diesem Sektor auch noch eine Steuer von der Steuer. Aber Sie wollen sich nicht bewegen und sagen uns, wir sollten Ihnen die Finanzierung des Steuerprogramms nachweisen.

Es kann nicht sein, dass der Staat Milliardeneinnahmen hat – aufgrund der infl ationären Entwicklung, aufgrund der Tatsache, dass die Steuertarife jede Lohnerhöhung auffressen –, aber wir wollen den Familien nichts weitergeben. Mit uns werden Sie das nicht machen können. Das Haus ist in Unordnung geraten. Wir laufen über die Steuer in eine Verarmungswelle hinein, die den Familien die Grundlage nimmt, um einigermaßen existieren zu können.

Damit möchte ich nicht sagen, dass andere Programme überfl üssig würden. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir diese Basis nicht haben – darüber müssen wir uns einig sein –, wenn wir diese Basis nicht bald fi nden und der Staat dadurch zu einem schuldenfreien Haushalt kommt, dass die Menschen immer mehr Steuern zahlen, wobei der Staat den Haushalt auch anders schuldenfrei machen könnte, dann ist das mit Sicherheit das falsche System.

Wir werden bereits im Juli dieses Jahres eine entsprechende Vorlage in den Bundesrat einbringen, und dann werden wir sehen, wie diskutiert wird. Sie haben die Möglichkeit, mit Ihren Fraktionen zuzustimmen. Wir werden auf jeden Fall ein Steuerkonzept für die Familien vorlegen und die massive Entlastung der Familien einfordern.

(Beifall bei der CSU)

Aufgrund unserer wirtschaftlichen Gesamtsituation und der Situation des Arbeitsmarktes haben wir in Bayern sicherlich eine andere Datenlage als andere Bundesländer, was die Armutsstatistik anbelangt.

(Maria Scharfenberg (GRÜNE): Ach so!)