Protokoll der Sitzung vom 12.05.2004

Mit der Absicht, die Lernmittelfreiheit abzuschaffen, schaffen Sie mit vollem Bewusst- sein wieder Schülerinnen und Schüler zweiter Klasse. Es ist unerträglich, dass Sie es durch die Abschaffung der Lernmittelfreiheit in Kauf nehmen, Schülerinnen und Schüler zweiter Klasse zu haben. Es wird die geben, die sich Bildung leisten und Büchergeld zahlen können, und die, die sich das nicht leisten können. Das kann nicht akzeptiert werden.

Zum Schluss möchte ich auf einen Umstand hinweisen, der eventuell rechtliche Relevanz hat. Ich verweise auf Artikel 129 Absatz 2 und auf Artikel 132 der Verfassung des Freistaates Bayern. Dort ist die Unentgeltlichkeit des Besuchs einer Schule im Freistaat Bayern festgelegt. Die Unentgeltlichkeit des Schulbesuches für jedermann heißt doch, dass keine Kosten entstehen dürfen. Wenn Sie die Lernmittelfreiheit abschaffen, werden Sie diesen Verfassungsgrundsatz verlassen. Dies sollte Ihnen bewusst sein. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, unserem Dringlichkeitsantrag zuzustimmen.

Sie sind inzwischen in kleinerer Anzahl anwesend und könnten zustimmen.

(Beifall bei der SPD – Thomas Kreuzer (CSU): Für euch reicht’s noch!)

Nächste Wortmeldung: Frau Kollegin Tolle.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn es um die Ärmeren im Freistaat Bayern geht, haben Sie nicht nur erheblichen zeitlichen Nachholbedarf. Ich schäme mich für dieses Parlament, dass Sie die Anträge zur Lernmittelfreiheit nicht dadurch honorieren, dass Sie pünktlich anwesend sind. Ich nehme die Opposition ausdrücklich aus.

Pisa und IGLU haben gezeigt, dass Bildung immer stärker im Zusammenhang mit der sozialen Herkunft der Eltern steht. Wer hat, dem wird gegeben. Der Rest bleibt auf der Strecke. Bildung ist ein Menschenrecht, und der Staat muss dafür Sorge tragen, dass jedes Kind Zugang erhält. Der Geldbeutel, meine Damen und Herren, darf nicht die Schulbildung bestimmen. Deswegen halte ich die Lernmittelfreiheit für eine der großen Errungenschaften für gerechte und faire Chancen auf Bildung. Sie darf nicht abgeschafft werden.

Wenn ich über Lernmittelfreiheit rede – Sie brauchen nicht zu lachen –, rede ich nicht von denen, die ihren Kindern alles kaufen können, sondern von denen, die kein Geld haben, die ohnehin schon unter ihren knappen finanziellen Mitteln leiden und denen Sie dann mit einer sozialverträglichen Lösung noch einmal im Jahr schriftlich bescheinigen, dass sie arm sind, und das womöglich noch so, dass die Kinder das mitbekommen.

Die Abschaffung der Lernmittelfreiheit führt zu einer ZweiKlassen-Elternschaft. Vielleicht können Sie sich nicht erinnern, oder vielleicht hatten Sie schon immer genügend Geld. Ich weiß aber noch sehr wohl, dass ich als Studentin gemeinsam mit meiner Tochter von 800 DM gelebt habe und dass damals die Anschaffung einer Winterjacke ein finanzielles Erdbeben ausgelöst hat. Ich war damals froh, dass mein Kind zum Gymnasium gehen konnte, ohne dass ich mir Gedanken um die Finanzierung der Bücher hätte machen müssen.

Ich habe weder Sozialhilfe noch Bafög bekommen, sondern habe mich selbst ernährt. Wenn ich im Elternbeirat gesessen hätte, hätte ich niemals zugegeben, dass ich mir die Bücher nicht leisten kann. Denn Geldnot, verehrte Kolleginnen, macht nicht selbstbewusst.

Dabei gibt es die absolute Lernmittelfreiheit ja schon gar nicht mehr. Die Eltern beteiligen sich schon jetzt an Anschaffungen wie Arbeitsmaterial, Übungshefte, Literatur, Atlanten, Zeichen- und Schreibgeräte, Taschenrechner und an den Kosten für das Schullandheim. Vom PC will ich gar nicht reden.

Den Hintergrund, vor dem die Lernmittelfreiheit entstanden ist, will ich Ihnen kurz ins Gedächtnis zurückrufen: Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, von der alle profitieren. Schon deshalb dürfen nicht nur die Eltern mit deren Kosten belastet werden, sondern Bildung müssen wir alle finanzieren. Lernmittelfreiheit sorgt für Chancengleichheit bei Familien mit geringem Einkommen und für eine finanzielle Entlastung bei allen Familien. Gerade Bayern will die Familien fördern. Die Maßnahme, die Sie planen, trägt nicht dazu bei.

Als Mitglied eines Zweckverbandes eines Gymnasiums kann ich Ihnen auch sagen: Wenn Sie die Eltern über ei

nen Bücherbeitrag entscheiden lassen wollen, schieben Sie den Schwarzen Peter von sich weg. Sie sollten sich vielmehr Ihrer Verantwortung stellen und die blutige Nase nicht anderen aufbürden.

Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen, mich über die Informationspolitik der Staatsregierung zu beklagen. Ich habe zur Lernmittelfreiheit am 31. März 2004 eine schriftliche Anfrage gestellt. Sie haben bis letzten Montag gebraucht, um mir mitzuteilen, dass Sie dreimal mit irgendwelchen Leuten verhandelt haben. Die Antwort blieb also weit hinter dem zurück, was man in der Zeitung lesen konnte. Ich beklage das. Ich wünsche mir mehr Aufrichtigkeit; denn mit Ihrer Zweidrittelmehrheit haben Sie solche Dinge gar nicht nötig. Und: In einer Demokratie ist der Diskurs über eine bestimmte Angelegenheit auch eine Aufgabe des Parlaments. Ich möchte mich gerne mit Ihnen austauschen, wünsche mir dabei aber mehr Fairness und mehr Information. Hinzufügen muss ich: vielleicht auch mehr Pünktlichkeit.

(Beifall der Abgeordneten Johanna Werner-Mug- gendorfer (SPD))

Das gilt auch für den derzeitigen Diskussionsstand zum Thema Lernmittelfreiheit. Die Lernmittelfreiheit ist eine soziale Errungenschaft und erleichtert den Weg zur Bildung für alle Gesellschaftsschichten.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Dafür wird sich meine Fraktion einsetzen. Ich wünsche mir dazu eine gute Informationspolitik und freue mich auf die andere Auseinandersetzung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung: Herr Kollege Schneider.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns doch zunächst einmal die Frage stellen, warum es eine Debatte über die Lernmittelfreiheit überhaupt gibt. Diese Debatte gibt es nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland. Die Antwort auf diese Frage ist relativ einfach: weil die Haushalte in allen Ländern Deutschlands auf dem Prüfstand stehen. Was ist in Zukunft noch finanzierbar? Wo müssen wir Eigenverantwortung, wo müssen wir mehr Eigenbeteiligung einfordern? Auch die Debatte über die Frage, ob es einen Beitrag der Eltern gibt, findet nicht nur in Bayern, sondern in ganz Deutschland statt.

(Susann Biedefeld (SPD): Wir sind hier aber im Bayerischen Landtag!)

Die Debatte wird auch unabhängig von der politischen Parteizugehörigkeit geführt. Ich kann Ihnen genauso viele betroffene Länder aufzählen, in denen Ihre Parteifreunde die Verantwortung tragen, wie es Länder gibt, in denen die Union regiert. Überall in Deutschland wird darüber debattiert, und der Grund ist recht einfach: Wir haben zu wenig Einnahmen. Schuld an dieser Situation ist die Bundesre

gierung mit ihrer desolaten Wirtschaftspolitik. Die Situation ist ganz einfach!

(Beifall bei der CSU – Lachen bei der SPD)

So einfach ist die Situation.

(Susann Biedefeld (SPD): Bitte eine neue Schallplatte auflegen!)

Sie zerstören mit Ihrer Politik in Berlin die Grundlagen, die wir brauchen, damit in den Ländern eine gute Politik gemacht werden kann.

(Susann Biedefeld (SPD): Lenken Sie doch nicht vom eigenen Unvermögen ab!)

Der Auftrag, seriöse Haushalte vorzulegen, gilt für alle Länderparlamente, nicht nur für das bayerische. Denn nur, wer einen seriösen Haushalt vorlegt, hat Zukunftsfähigkeit. Wir wissen, dass nicht alle Maßnahmen populär sind, die notwendig sind. Trotzdem müssen wir uns aus Verantwortlichkeit gegenüber unseren Kindern und Enkelkindern dieser Aufgabe stellen.

Für das Schuljahr 2004/2005, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es keine Änderungen. Gleichwohl muss gesagt werden, dass sich für den nächsten Doppelhaushalt diese Frage wieder stellen wird und dass eine Neuregelung diskutiert wird. Dazu finden vielfältige Gespräche statt, unter anderem auch mit Elternverbänden, mit Elternvertretern. Dass solche neuen Regelungen nicht überall gut ankommen, versteht wohl jeder. Aber bei den Gesprächen wird auch spürbar, dass die Menschen wissen, dass Änderungen notwendig sind und dass ein Beitrag der Eltern erforderlich ist.

(Karin Radermacher (SPD): Es geht doch nicht ums Gut-Ankommen, sondern um das Grundrecht auf Bildung!)

Es wird darüber diskutiert, ob die Lernmittelfreiheit abgeschafft wird, ob sie eingeschränkt werden muss, oder ob neue Modelle entwickelt werden, wie etwa das im Antrag der SPD aufgeführte Büchergeld. Für uns ist wichtig – das sage ich hier deutlich –, dass die Situation der Familien beachtet wird, dass wir auf soziale Ausgewogenheit achten. Herr Pfaffmann, Sie brauchen hier nicht eine angebliche Kommunalfeindlichkeit der CSU zu apostrophieren. Sprechen Sie doch mit Vertretern der Kommunen in anderen Bundesländern! Sie alle werden sagen: Wenn wir die gleiche Unterstützung durch die Landesregierung hätten wie in Bayern, dann wären wir sehr, sehr froh.

(Susann Biedefeld (SPD): Wir sprechen mit bayerischen Kommunen, dem Bayerischen Städtetag, dem Bayerischen Gemeindetag, dem Bayerischen Landkreistag!)

Ich möchte aber noch kurz auf die Situation in anderen Ländern hinweisen, damit man ein klares Bild von der Diskussion hat.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Radermacher?

(Beifall bei der CSU – Günter Gabsteiger (CSU): Sehr gut! Wir wollen ja vorankommen!)

In Brandenburg, SPD/CDU-regiert, gibt es einen vierzigprozentigen Anteil der Eltern an den Bücherkosten. In Mecklenburg-Vorpommern, SPD/PDS-regiert, gibt es einen Eigenanteil der Eltern bis 30 Euro. In Nordrhein-Westfalen, SPD/Grün-regiert, bezahlen die Eltern ein Drittel des Richtbetrages als Eigenanteil.

(Sebastian Freiherr von Rotenhan (CSU): Hört, hört!)

In Rheinland-Pfalz, SPD/FDP-regiert, gibt es einen vollen Eigenanteil der Eltern. In Berlin gibt es eine Pauschale von 100 Euro. Auch CDU-regierte Länder wie das Saarland, Niedersachsen und Hamburg gehen dazu über, die Eltern zu beteiligen.

(Susann Biedefeld (SPD): Bayern will doch besser sein! Geben Sie den Anspruch auf?)

Es gibt auch noch einen zweiten Aspekt, den man nicht völlig negieren darf, nämlich einen pädagogischen. Bei einer Beteiligung an den Kosten oder auch bei einem Selbstkauf steigt sicher auch die Beachtung des Buches, der Wert des Buches wird höher eingeschätzt, und der Umgang mit dem Buch wird sorgfältiger. Überall werden Debatten darüber geführt, wofür Geld ausgegeben wird. Es ist die Frage, ob man in einer schwierigen Situation auch verlangen kann, dass für Bücher ein Beitrag geleistet wird. Dieser Beitrag wäre sicherlich nur ein Bruchteil der Kosten, die tagtäglich und monatlich für Handys und andere Dinge ausgegeben werden.

(Beifall bei der CSU)

Auch diese Debatte müssen und dürfen wir führen. Insgesamt werden wir heute die beiden Anträge ablehnen, weil die Entscheidung darüber heute aus unserer Sicht eine Vorwegnahme des noch laufenden Diskussions- und Entscheidungsprozesses wäre.

Zu Ihrem Vorwurf, Herr Kollege Pfaffmann, Bayern sei nicht familienfreundlich, darf ich Ihnen nur ein Beispiel nennen: das Landeserziehungsgeld. Schauen Sie doch einmal nach, in welchen Ländern es überhaupt ein Landeserziehungsgeld gibt! Sie werden feststellen: Wenn es eines gibt, dann nur in unionsregierten Ländern.

Sie sollten nicht über Dinge reden, über die Sie nichts wissen! – Herr Kollege Wahnschaffe, an diese Maxime halte ich mich, aber Sie wahrscheinlich nicht! – Ihre Anträge werden wir ablehnen. (Beifall bei der CSU)

Nächste Wortmeldung: Frau Staatsministerin Hohlmeier.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf auf die verschiedenen Argumente eingehen, die in Bezug auf die Lernmittelfreiheit gebracht wurden.

(Bärbel Narnhammer (SPD): Sie haben sie doch gar nicht gehört, Sie waren ja gar nicht da!)