Protokoll der Sitzung vom 21.07.2004

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe zwar spärlich, aber dennoch anwesende Kolleginnen und Kollegen! Es gilt hier das alte Wort: Die Qualität geht vor Quantität.

(Herbert Müller (SPD): Vielen Dank!)

Die Thematik, die unserem Dringlichkeitsantrag zugrunde liegt, ist sehr ernst. In gewisser Weise knüpft sie an die Debatte von heute Morgen an. Wir haben darüber in der letzten Plenarsitzung schon heftig gestritten. Wir möchten dieses Thema noch einmal aufgreifen, weil sich die Lage nicht entspannt hat, wie das Kultusministerium in der heutigen Presseerklärung glaubhaft machen möchte. Die Befürchtungen, die wir in dem Pressegespräch mit den Lehrerverbänden und in der letzten Plenarsitzung geäußert haben, haben sich bewahrheitet, und wir stehen wirklich vor einer prekären Situation. Wir werden viel zu wenige Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen haben; stattdessen werden wir sie dort haben, wo sie nicht hingehören, nämlich auf der Straße.

(Beifall bei der SPD)

Ich verkenne dabei nicht, dass unsere Argumente nicht ganz ungehört im Kultusministerium verhallt sind. Einiges davon hat man sich durchaus zu Herzen genommen. Entgegen der ursprünglichen Planungen des Kultusministeriums, nämlich lediglich 1350 Lehrerinnen und Lehrern für dieses Jahr eine feste Planstelle anzubieten und 650 befristete Verträge zur Verfügung zu stellen, sind Sie doch einen Schritt weiter gegangen und sprechen jetzt in dieser Presseerklärung von 3600 Lehrkräften, die Sie einstellen möchten.

Wie alle Jahre wieder – das ist wirklich wie Weihnachten mit dem Christbaum und dem wunderbar glitzernden Schmuck, den Sie daran hängen – ist diese Zahl eine beschönigende Zahl.

(Beifall bei der SPD)

Selbst nach Ihrer Schönrechnerei bleiben trotzdem noch 2339 gut ausgebildete Junglehrerinnen und Junglehrer, die keine so schlechten Noten haben, wie man vielleicht annehmen könnte, weiter auf der Straße. Wenn Sie eine ehrliche Rechnung aufmachen würden, wie die, die ich versuche, Ihnen darzulegen, dann würden Sie feststellen, dass es 3456 junge Lehrerinnen und Lehrer sind, die ohne feste Stelle bleiben werden,

(Susann Biedefeld (SPD): Das ist ein Skandal!)

und das, obwohl es die Möglichkeit gäbe, sie einzustellen, obwohl es einen enormen Lehrerbedarf an Bayerns Schulen gibt und die Beseitigung dieses Lehrermangels dringend notwendig wäre.

(Beifall bei der SPD)

Diese 3600 angekündigten Lehrerstellen sind vergleichbar mit einer schön geschmückten Braut, die man sich im Schaufenster anschauen kann, die aber einer näheren Betrachtung nicht standhält. Wenn man hinter das Makeup schaut und den Schleier wegnimmt, dann stellt man fest: Oje, oje, so schön ist das Ganze gar nicht.

Sie schreiben selbst in Ihrer Presseerklärung, dass es 1903 feste Planstellen sind, die Sie Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung stellen werden. Dazu kommen 327 so genannte Superverträge. Das sind Stellen, bei denen junge Lehrerinnen und Lehrer zwar zunächst befristet eingestellt werden, aber bereits jetzt die feste Zusage für die Übernahme in den Staatsdienst erhalten. Damit sind wir bei 2230 Stellen. 2230 Stellen sind keine 3600 Einstellungen, wie es angekündigt wird.

Ich will nicht verhehlen: Sie stellen dazu noch 255 Dreiviertelverträge zur Verfügung. Die Inhaber dieser zunächst befristeten Dreiviertelverträge bekommen ebenfalls eine Einstellungsgarantie. Damit kommt man auf maximal 2485 Lehrerköpfe, aber nicht auf ganzen Stellen. Das sind auch keine 3600, die Sie uns vorgeben wollen.

(Susann Biedefeld (SPD): Rechnen können wir noch!)

Es bleibt dabei: Es werden 2485 so eingestellt, dass man von festen Einstellungen sprechen kann.

Es bleiben 3456 Lehrer ohne festen Job, und zwar nach Ihren eigenen Zahlen. Das sind keine Erfindungen von uns, sondern wir beziehen uns auf die Zahlen, die wir ihrer Presseerklärung entnehmen können. Diese Situation besteht – ich sage das noch einmal –, obwohl die Lehrer dringend gebraucht würden. In der Presseerklärung heißt es: „Wir haben auf die stark steigenden Schülerzahlen durch eine solide Einstellungspolitik reagiert.“ Dazu muss ich feststellen: Es mag schon sein, dass Sie aufgrund der stark steigenden Schülerzahlen nicht anders konnten, als doch noch ein paar Lehrer mehr einzustellen, als Sie es ursprünglich geplant hatten. Von einer soliden Einstellungspolitik kann man aber wirklich nicht sprechen.

(Beifall bei der SPD)

Ich würde gerne einmal Frau Staatsministerin und Herrn Staatssekretär einen Mathematiklehrer vorbeischicken, aber ich weiß, dass der Mangel an den Schulen so groß ist, dass ich es den Schulen nicht zumuten möchte, einen Lehrer für ein paar Tage abzustellen, da es – wie ich befürchte – mit ein paar Stunden nicht getan sein wird, weil keine sehr große Einsichtsfähigkeit bestehen wird.

Ich möchte der Vollständigkeit halber dazusagen, dass zum Beispiel an den Grundschulen und an den Gymnasien in besonderem Maße, aber auch an anderen Schulen, Junglehrerinnen und –lehrern teilweise befristete Verträge angeboten werden, weil diejenigen, die zurzeit in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen, gekündigt worden sind. Das Problem der Junglehrerinnen und –lehrer wird also auf dem Rücken von Lehrerinnen und Lehrern ausgetragen, die bereits im Schuldienst waren und deren Vertrag nicht verlängert worden ist. Ich habe zahlreiche Briefe

und E-Mails von Lehrerinnen und Lehrern erhalten, die zum Beispiel bei Privatschulen ausgestiegen sind und eine befristete Anstellung an einer staatlichen Schule erhalten haben. Vor der Wahl war keine Rede davon, dass es nach der Wahl eine Arbeitszeiterhöhung geben wird und somit nach der Wahl für diese befristeten Verträge kaum eine Möglichkeit einer unbefristeten Weiterbeschäftigung besteht.

(Susann Biedefeld (SPD): Wahlbetrug!)

Deswegen kann man nicht von einer soliden Einstellungspolitik sprechen. Ich bin mir ganz sicher, dass die geplante Einstellungspolitik in Bezug auf die Lehrerplanung und die Nachwuchsgewinnung schädlich sein wird. Es wird hundertprozentig dazu kommen, dass viele, wenn sie von diesen Einstellungszahlen hören – ich werde im Einzelfall noch darauf eingehen –, ihr Studium abbrechen werden und viele junge Leute, die heuer Abitur machen, sich nicht trauen werden, ein Lehramtsstudium aufzunehmen.

(Zuruf des Abgeordneten Siegfried Schneider (CSU))

Herr Kollege Schneider, Sie sagen ungläubig „gei, gei“. Das war aber bisher immer so. Daher kommt ja dieser „Schweinezyklus“. Sie können das nachvollziehen, wenn Sie sich die Zahlen anschauen. Es war bislang immer so, dass die Studienanfängerzahlen gesunken und die Abbrecherzahlen gestiegen sind, wenn nicht eingestellt worden ist, und dass zu einem Zeitpunkt, zu dem die Lehrer gebraucht worden wären, diese nicht in ausreichender Zahl vorhanden waren.

(Beifall bei der SPD)

Schauen Sie sich doch bitte die Zahlen konkret an. In Ihrer eigenen Vorlage steht, dass von 1400 Bewerberinnen und Bewerbern fürs Lehramt an Grundschulen gerade einmal 379 eingestellt werden können. Das bedeutet, dass etwas mehr als ein Viertel der Bewerber eine Anstellung erhalten kann. Die anderen werden auf befristete Verträge verwiesen, zum großen Teil in Teilzeitform. Diese sind zwar besser als nichts, aber in vielen Fällen gibt es keine Übernahme bzw. Teilanstellungen. Dabei wissen wir alle, dass es gerade bei den Grund- und Hauptschulen in den nächsten Jahren eine große Pensionierungswelle geben wird und dass wir sinnvollerweise, wenn wir aus Pisa etwas lernen wollen, in den Grundschulen die Klassen kleiner machen und die individuelle Förderung verbessern müssten.

Bei den Realschulen werden – so schreiben Sie es selbst – knapp die Hälfte der Bewerber eingestellt. Das geschieht vor dem Hintergrund, dass in dieser Schulart – wie der Realschullehrerverband uns vorrechnet – 240 Klassen vorhanden sind, die mehr als 33 Schülerinnen und Schüler umfassen. Das kann doch vor dem Hintergrund der Schilderung des großen Erfolgs der R 6 nicht das letzte Wort gewesen sein.

(Beifall bei der SPD)

Sie schreiben: „Durch den großen Erfolg der sechsstufigen Realschule sind die Einstellungszahlen für das kom

mende Jahr gut.“ Sie konnten aufgrund des starken Anstiegs der Schülerzahl nicht umhin, ein paar Lehrer mehr einzustellen. Wenn Sie aber das Bemühen um die Realschule wirklich ernst nehmen würden, dann würden Sie alles daransetzen, die Zahl der Klassen mit einer hohen Klassenstärke zurückzuführen.

Absolut interessant finde ich die Zahlen für die Förderschulen. Bei den Förderschulen bekommen – man höre und staune – von 560 Bewerberinnen und Bewerbern 95 eine feste Planstelle und 296 einen befristeten Vertrag. Da frage ich Sie, Frau Ministerin: Wo wollen Sie denn mit den Förderschulen hin? Wenn Sie 560 Bewerber haben, aber nur 95 feste Stellen und eine Beschäftigungsmöglichkeit für 296 Bewerber mit befristeten Verträgen, dann frage ich Sie: Warum ist es nicht möglich, die Zahl der festen Planstellen zu erhöhen?

(Beifall bei der SPD)

Ich kann Ihnen sagen, dass wir in jeder Sitzung des Bildungsausschusses drei bis vier Petitionen haben, die sich mit der Situation an den Förderschulen und dem Mangel an Personal beim Mobilen Sonderpädagogischen Dienst beschäftigen. Immer wieder bekommen wir von den Petenten Hinweise darauf, dass die große Erneuerung durch Artikel 41 des Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes nicht zu realisieren ist, also die Ausweitung der Beschulung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Regelschulen nicht möglich ist, weil es die dazu nötige Unterstützung nicht gibt, da die Förderschulen mangels Personal nicht in der Lage sind, Personal abzustellen, um an den Regelschulen den betroffenen Schülerinnen und Schülern die nötige sonderpädagogische Unterstützung zu geben. Sie haben die Möglichkeiten, die Situation zu verbessern. Ich würde gerne wissen, wie es zu diesen Zahlen kommt.

Sie loben die hervorragende Einstellungspolitik bei den beruflichen Schulen. Wenn dort die Schülerzahlen um 16,5 % gestiegen sind, dann muss es doch zu Einstellungen kommen. Da Sie wissen, dass Sie eine Budgetlücke von 8,6 % bei FOS und BOS sowie von 6,4 % bei den beruflichen Schulen haben, was insgesamt einer Lücke von 450 Lehrerstellen entspricht, konnten Sie nicht mehr anders und hätten es niemanden erklären können, warum Sie Bewerberinnen und Bewerber auf der Straße stehen lassen wollen. Im Übrigen wissen Sie, dass es auch im nächsten Jahr wieder viel zu wenige Absolventen beim Lehramt für berufliche Schulen geben wird. Die erwarteten Zahlen von 350 werden nicht ausreichen, um den Bedarf auch nur annähernd zu decken.

Ganz ernüchternd sind meines Erachtens die Zahlen für die Gymnasien. Für insgesamt 1850 Bewerberinnen und Bewerber stellen Sie für gerade mal 580 eine feste Stelle zur Verfügung, und zwar für 300 sofort und für weitere 280 im Rahmen von Superverträgen. Das macht nicht einmal ein Drittel der Bewerberzahlen aus. Heute Morgen haben wir – ich möchte Sie an die Debatte erinnern – ausführlich über die Not an den Schulen diskutiert. Sie haben diese Not nicht bestritten, sondern sich hier hergestellt und so getan, als hätten Sie nicht gehört, was wir gefragt haben. Sie haben keine Antwort auf die Fragen gegeben, wie die

Schulen mit der Personalnot fertig werden sollen. Sie haben in etwa gesagt, Sie könnten die Lehrerinnen und Lehrer nicht an den Haaren herbeiziehen. Ich versichere Ihnen: Wenn Sie sich sachkundig machen, Frau Staatsministerin, werden Sie feststellen, dass die Bewerberzahl in bestimmten Fächern wie Mathematik oder Latein nicht sehr hoch ist, aber dass es zum Beispiel in den Fächern Deutsch oder Englisch sehr wohl die Möglichkeit gibt, mehr Bewerber einzustellen, wenn man bereit wäre, die Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der SPD)

Ich appelliere noch einmal an Sie: Stellen Sie das G 8 auf finanziell solide Beine, so, wie Sie es versprochen haben und wie Sie es den Betroffenen immer wieder zugesagt haben. Stellen Sie die nötigen Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung und bleiben Sie die Einlösung dieser Zusage nicht weiter schuldig.

Ich möchte – im Rahmen einer Frage war es mir nicht möglich – auf das zurückkommen, was Sie, Herr Schneider, gesagt haben: Es ist eine absolute Lüge zu behaupten, dass die SPD Eltern und Schüler aufgefordert hätte, sich nicht an einem achtjährigen Gymnasium anzumelden.

(Siegfried Schneider (CSU): Das habe ich doch nicht gesagt!)

Das haben Sie heute Morgen gesagt. Im Gegenteil: Weder ich noch meine Kolleginnen und Kollegen haben irgendwo eine Gelegenheit ausgelassen, trotz der Angst vor dem G 8 und trotz der Kritik der Eltern an diese zu appellieren, den fürs Gymnasium geeigneten Kindern den Besuch des Gymnasiums zu ermöglichen.

(Beifall bei der SPD)

Sie können versichert sein, dass wir nicht wollen, dass den Kindern Bildungs- und damit auch Lebenschancen genommen werden, nur weil Sie nicht imstande sind, eine solide Bildungspolitik zu betreiben.

(Beifall bei der SPD)

Wir hätten neben diesen einzelnen Löchern und neben dem Mangel, den es seit Jahren in den einzelnen Schularten gibt, wesentlich mehr Anträge auf den Ausbau des Ganztagsschulangebotes, als Sie bereit sind zu genehmigen. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Wir haben mehr Anträge für den weiteren Ausbau von Ganztagsklassen, aber auch einen enormen Personalbedarf für die Ganztagsbetreuungsangebote. Also gibt es auch hier einen Grund, junge Lehrerinnen und Lehrer nicht auf der Straße stehen zu lassen, sondern sie einzustellen.

Ich kann nur noch einmal an Sie appellieren: Tun Sie das auch wirklich und geben Sie nicht wieder ein so schlechtes Bild ab, wie Sie Ihren Aufgaben nachkommen, wie heute Morgen! Es reicht schon, wenn das G 8 nicht ordentlich auf die Reihe gebracht wird. Wir sollten jetzt im Bereich der Lehrerbedarfsplanung und der Einstellungen

von Lehrkräften nicht noch einmal dasselbe Desaster erleben müssen; denn sonst müsste ich wirklich anschließen an das, was heute Morgen debattiert wurde, und sagen: Wir sollten uns überlegen, ob wir die Frau Ministerin nicht nur in die Ferien entlassen, sondern überhaupt.

(Beifall bei der SPD – Lebhafter Widerspruch bei der CSU – Bernd Sibler (CSU): Das macht der Landtag sicher nicht! – Sebastian Freiherr von Rotenhan (CSU): Das habt ihr zum Glück nicht zu bestimmen! – Gegenruf der Abgeordneten Marianne Schieder (SPD): Du hast auch nicht recht viel mitzureden, oder?)

Zum Dringlichkeitsantrag der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN darf ich Frau Kollegin Tolle das Wort geben.

Frau Präsidentin, sehr Kolleginnen und Kollegen! Die Thematik „G 8“ und auch die so genannte Hauptschulreform – wir werden uns ja im Laufe des Plenums auch darüber unterhalten – zeigt: Die Staatsregierung schießt aus der Hüfte. Was Ihnen fehlt, ist eine Strategie, wie sie erfolgreiche Unternehmen haben. Bei denen könnten Sie sich etwas abgucken. Zu einer Strategie gehört nämlich auch Personalplanung.