Protokoll der Sitzung vom 22.07.2004

Die Zwischenrufe, die ich gehört habe, haben gezeigt, dass die Zwischenrufer nur wenig von der Schule und der Bildungspolitik verstehen.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Das ist eine Unverschämtheit!)

Bei allen bildungspolitischen Debatten ist es entscheidend, dass das Kind im Mittelpunkt der Überlegungen steht.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Heuchler! Der Haushalt steht bei Ihnen im Mittelpunkt!)

Hören Sie doch zu. Ich habe nur sechs Minuten. Herr Kollege Dr. Dürr, wenn Sie mir die Chance gäben, wenigstens vier Minuten zu sprechen, wäre ich Ihnen dankbar.

Herr Kollege Schneider, ich verspreche Ihnen, wenn Sie nicht zu Wort kommen, gebe ich Ihnen die Zeit dazu.

Frau Präsidentin, vielen Dank. Wir müssen in der Hauptschule die Organisation so gestalten, dass das Kind bestmöglich gefördert wird. Das ist der entscheidende Punkt dieses Antrags. Hier geht es nicht um Auflösungen oder um Fragen der inneren Reformen. Darüber können wir noch trefflich diskutieren. Hier geht es darum, wie eine Schullandschaft gestaltet werden muss, um den Schülerinnen und Schülern, die den Weg über die Hauptschulen gehen, die besten Bildungschancen zu eröffnen. Bildungschancen heißt, dass ein angemessenes Angebot vorhanden sein muss, dass differenziert werden kann, dass Schülern mit guter kognitiver Leistungsfähigkeit die mittlere Reife ermöglicht wird und Schülern, die eine besondere Förderung brauchen, Praxisangebote gemacht werden können. Frau Kollegin Schieder, das kann nicht funktionieren, wenn nur 15 oder 16 Schüler vorhanden sind.

(Marianne Schieder (SPD): Herr Kollege Schneider, hier ist von 23 Schülern die Rede!)

Wie wollen Sie das organisieren? Wenn Sie sich den Lehrplan und die Angebote der Hauptschule anschauen, stellen Sie fest, dass es in der 7. Jahrgangsstufe eine Wahlmöglichkeit zwischen drei Arbeitsfeldern gibt.

Herr Kollege Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Pfaffmann? – Bitte, Herr Kollege Pfaffmann.

Herr Kollege Schneider, wollen Sie damit sagen, dass die individuelle Förderung von Kindern nur dann funktioniert, wenn die Klassen möglichst groß sind? Sie sagten, wenn die Klassen klein seien, ginge das nicht. Der Umkehrschluss wäre, wenn die Klassen möglichst groß sind, würde die individuelle Förderung funktionieren.

Bitte, Herr Kollege Schneider.

Herr Kollege Pfaffmann, ich habe gesagt, dass das Angebot an der Hauptschule sehr differenziert ist. Ich habe bereits gestern gesagt, wenn wir ein Füllhorn hätten oder Frau Holle uns permanent Goldtaler zuschütten würde, könnten wir für jedes einzelne Kind ein eigenes Programm machen. Das funktioniert jedoch in keinem staatlichen Schulsystem. Wir haben in der

Hauptschule Wahlpflichtangebote Technik, Bürokommunikation und soziale Arbeit. Diese Angebote können nicht aufrecht erhalten werden, wenn sie von zwei oder fünf Schülern in Anspruch genommen werden. Wir brauchen bestimmte Größen, andernfalls funktioniert die Differenzierung nicht. Das ist das Einmaleins. Wenn Sie das nicht kapieren, kann ich Ihnen leider nicht helfen.

Wir brauchen also bestimmte Größen, um das Angebot zu gewährleisten. Bei einem Gymnasium, das nur eine Klasse mit 15 Schülern hätte, könnten Sie kein differenziertes Angebot mit verschiedenen Fremdsprachen und Schwerpunkten machen. Das würde nicht funktionieren. In der Hauptschule gelten die gleichen Gesetze wie am Gymnasium.

Das Thema „Wohnortnähe“ ist uns sehr wichtig. Wenn wir nichts täten, würde sich in manchen Gebieten aufgrund der Entscheidung für das R6, aufgrund der demografischen Entwicklung aber auch aufgrund eines neuen Bildungsverhaltens und Bildungsaspiration der Eltern die Situation ergeben, dass Schulen keine Planungssicherheit hätten und dass immer mehr Schulen die 15er-Grenze nicht mehr erreichen.

(Marianne Schieder (SPD): Herr Kollege Schneider, wir reden hier nicht von 15 Schülern, sondern von 23!)

In Bayern gibt es Landkreise, die überhaupt keine Teilhauptschule I haben. In diesen Landkreisen wurde im Zuge der Schulstrukturreform eine andere Organisation festgelegt. Andere Landkreise haben 15 bis 16 Teilhauptschulen. Das ist zum Beispiel in meinem Stimmkreis der Fall. Wir setzen uns dort mit den Bürgermeistern zusammen und versuchen, ein regionales Konzept zu entwickeln, um die Struktur der Hauptschule in Zukunft aufrechtzuerhalten. Wenn wir das nicht täten, würden die Schülerzahlen in ein paar Jahren möglicherweise unkoordiniert einbrechen. Ich bin mit meinen Bürgermeistern im Gespräch.

Frau Kollegin Schieder, ich kenne Ihre Bürgermeister nicht. Ich glaube aber nicht, dass die bayerischen Bürgermeister an diese Sache herangehen werden, indem sie sich die Köpfe einschlagen. Sie werden vielmehr verantwortungsbewusste und auf die Zukunft gerichtete Entscheidungen treffen und mittragen, mit denen die Struktur aufrechterhalten wird. Das ist das Ziel dieses Antrags.

Vor Ort soll ein Konzept – unter Einbindung der kommunalen Verantwortlichen – erarbeitet werden, sodass

Räumlichkeiten soweit wie irgend möglich genutzt werden. Außerdem soll im Gesetz verankert werden, dass die Einzügigkeit Bestand hat. Die Einzügigkeit setzt aber selbstverständlich das Vorhandensein einer gewissen Schülerzahl voraus. Wir werden noch darüber diskutieren, ob die Schülerzahlen bei 15, 16, 17, 18, 19 oder 20 Schülern liegen müssen. Im Antrag steht davon nichts. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der CSU)

Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Der federführende Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport empfiehlt die unveränderte Annahme. Wer dem Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Kolleginnen und Kollegen der CSU-Fraktion. Wer ist dagegen? – Das sind die Fraktionen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN. Wer enthält sich der Stimme? – Niemand. Damit ist der Antrag angenommen.

Außerhalb der Tagesordnung gebe ich bekannt, dass eine Reihe von Anträgen für erledigt erklärt wurden. Im einzelnen verweise ich auf die Ihnen vorliegende Aufstellung.

(siehe Anlage 1)

Das Hohe Haus nimmt davon zustimmend Kenntnis.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 13 Dringlichkeitsantrag der Abgeordneten Franz Maget, Marianne Schieder und anderer und Fraktion (SPD) Neuordnung der beruflichen Bildung von Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag – Keine Beschulung in Jungarbeiterklassen –

(Drucksache 15/1368)

Ich eröffne die Aussprache. Die Redezeit pro Fraktion beträgt wiederum 15 Minuten. Frau Kollegin Pranghofer hat sich zu Wort gemeldet.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sommerpause naht. Wir wollen aber die Mehrheitsfraktion nicht in die Sommerpause entlassen, bevor sie den Schulabgängern eine Zusage gemacht hat.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine die Zusage, dass allen Ausbildungsbewerbern – auch denjenigen, die keinen betrieblichen Ausbildungsvertrag in der Tasche haben – im September oder Oktober ein berufliches Bildungsangebot gemacht wird, das den Einstieg – nicht den Ausstieg – in eine berufliche Zukunft sichert.

Ich darf Sie daran erinnern: In der nächsten Woche beginnen die Ferien. Ein großer Teil der Jugendlichen, die die Schule in der nächsten Woche verlassen werden, haben immer noch keinen Ausbildungsplatz. Ich zitiere jetzt die Zahl aus der Statistik vom Juni 2004. Danach haben 37 500 Jugendliche in Bayern noch keinen Ausbildungsplatz.

Auf einhundert unvermittelte Bewerber kommen nur noch etwa 42 Ausbildungsangebote. Wenn das so ist – und das ist auch so –, dann haben wir auch in Bayern ein sehr großes Ausbildungsproblem. Wir müssen erkennen, dass sogar in den Gewinnerregionen mit guten Ausbildungsangeboten wie München oder Oberbayern die Ausbildungskapazitäten zurückgehen. Das Angebot an betrieblichen

Ausbildungsplätzen in Bayern ist in diesem Jahr um 10,6 % gegenüber dem Vorjahresniveau gesunken. Gleichzeitig hat sich die Zahl derjenigen, die sich um einen Ausbildungsplatz bewerben, um 8 % erhöht.

Ich will Ihren Argumenten gleich vorbeugen. Ich habe die Schallplatte schon wieder im Ohr. Natürlich werden Sie nachher wieder sagen, an dieser Situation und all diesen Umständen sei wieder Rot-Grün Schuld.

(Beifall und Zustimmung bei der CSU)

Meine Damen und Herren, Sie müssen sich schon einmal die Frage gefallen lassen, warum Bayern im bundesweiten Vergleich den größten Rückgang an Ausbildungsplätzen hat. Nur Sachsen und Sachsen-Anhalt haben einen noch größeren Rückgang an Ausbildungsplätzen.

(Eduard Nöth (CSU): Das glauben Sie doch selber nicht!)

Das können Sie nachlesen.

(Eduard Nöth (CSU): Belegen Sie das mit Zahlen! – Siegfried Schneider (CSU): Wo sind die Zahlen?)

Wenn es stimmt, dass Bayern im bundesweiten Vergleich, wie Sie immer sagen, wirtschaftlich noch Spitze ist, dann fragen wir uns schon, warum dieses wirtschaftsstarke Bayern nicht auch bei der Schaffung von Ausbildungsplätzen eine so starke Position hat.

(Beifall bei der SPD)

Ich will hier aber nicht über die Schuldfrage diskutieren. Wir müssen das Problem lösen. Ich meine auch, wir müssen Antworten auf das Problem finden. Darauf möchte ich jetzt eingehen.

Als wir den Antrag vorgelegt haben, haben Sie im Ausschuss für Bildung, Jugend und Sport gesagt, Sie würden bis September oder Oktober warten, und dann würden Sie etwas tun. Ich frage mich nur, auf was Sie warten. Ich verstehe, dass Sie vielleicht der Meinung sind, dass die Maßnahmen, die die Bundesregierung eingeleitet hat, greifen und dass es doch noch zu einem guten Ergebnis kommt. Wir wollen aber nicht wissen, wie viele am Schluss keinen Ausbildungsvertrag haben, sondern wir wollen von Ihnen die Zusage haben, dass diejenigen, die keinen Ausbildungsvertrag haben, also die weder in einem Betrieb sind noch in einer Berufsfachschulklasse unterkommen, eine weiterführende Schule besuchen oder an irgendeiner Berufsvorbereitungsmaßnahme teilnehmen, dass auch diesen Jugendlichen ein Ausbildungsangebot von Seiten des Landes Bayern gemacht wird.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf deshalb auf Ihren Bericht zurückkommen, den Sie mit einem recht unverdächtigen Titel dem Ausschuss in schriftlicher Form vorgelegt haben. Sie haben sich offensichtlich nicht getraut, diese Ergebnisse auch mündlich

vorzutragen. Der Titel lautet: „Neuordnung der beruflichen Bildung von Jugendlichen ohne Ausbildungsverhältnis“. Diesen Bericht haben Sie uns vorgelegt. Dieser Bericht ist sehr aufschlussreich, aber nicht etwa deswegen, weil es drei Jahre gedauert hat seit dem Prüfbericht des Obersten Rechnungshofs im Jahr 2001. Drei Jahre haben Sie also gebraucht, um die Missstände niederzuschreiben. Der Bericht ist deswegen aufschlussreich, weil darin ganz klar und deutlich wird, dass die derzeitige Situation an den Berufsschulen und das Angebot an die Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag ein Armutszeugnis bayerischer Schulpolitik darstellen. Ich möchte zwei Punkte herausgreifen und ansprechen.

Der Bericht macht deutlich, dass Sie an den Berufsschulen kein ausreichendes Ausbildungsangebot schaffen. Wenn von 18 000 Jugendlichen ohne Ausbildungsvertrag im Jahr 2002/2003 egal aus welchen Gründen nur einem Drittel ein berufliches Qualifizierungsangebot in Form kooperativer oder integrativer Maßnahmen in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit gemacht werden kann, während zwei Drittel – also 12 000 – überhaupt kein Ausbildungsangebot erhalten, sondern nur einen Tag Berufsschule in der Woche, dann ist das ein Armutszeugnis für die berufliche Bildung in Bayern.

(Joachim Wahnschaffe (SPD): Das ist ein Skandal!)