Protokoll der Sitzung vom 20.10.2004

Explosive Stimmung herrschte gestern beim Bayerischen Landkreistag in der Stadthalle von Gerolzhofen, Landkreis Schweinfurt, als die Landräte unisono ihrem Unmut über die Verwaltungsreform im Freistaat und das Vorgehen der Staatsregierung und der CSU-Mehrheitsfraktion freien Lauf ließen … Besonders erbost und frustriert sind die Landräte, dass „unsere Vorschläge samt und sonders die Papierkörbe der Ministerien in München gefüllt haben“.

Der gastgebende Landrat Herr Harald Leitherer – Schweinfurt, CSU, füge ich hinzu – verglich die Reformpläne mit einem Geschäftsmann, der erst umbaut und sich dann fragt, was er eigentlich braucht. „So ein Geschäftsmann hat keine Chance auf dem Markt.“ So sagt Herr Leitherer mit Recht.

Das härteste Urteil über die Reformpläne fällte Dr. Günther Denzler, Bamberg, CSU: „Glatte Themaverfehlung, glatte Note 6.“ Herr Finanzminister – Herr Huber ist nicht mehr da, um das Urteil zu hören –, das sagen die Landräte Ihrer Partei.

Für uns steht ebenfalls fest: Die Zerschlagung der Forstverwaltung beeinträchtigt die Gemeinwohlfunktionen unseres Waldes, die Polizeireform gefährdet die innere Sicherheit, der Einzug von Lehrerstellen und die Personalkürzungen an den Hochschulen bedeuten einen Verlust an Bildungschancen und Forschungsergebnissen.

Der grundlegende Konstruktionsfehler von „Verwaltung 21“ aber ist: Der zentralistische Wasserkopf aus Staatsregierung und Ministerien bleibt bestehen.

Schon vor acht Jahren, am 8. Oktober 1996 hatte das Kabinett ein 20-Punkte-Aktionsprogramm zur Verwaltungsreform in Bayern beschlossen. Im Jahresbericht 2003 stellt der Oberste Rechnungshof dazu fest, ich zitiere:

Obwohl in den Aufgaben- und Organisationsprüfungen eine Vielzahl von Vorschlägen zur Aufgaben- und Leistungskritik erarbeitet worden war, hat dies – soweit die Vorschläge überhaupt umgesetzt wurden – nach den Erkenntnissen des ORH zu keinem nennenswerten Aufgaben- und Personalabbau geführt.

Und weiter heißt es auf Seite 47 des Berichts:

Auch ein Ländervergleich zeigt

den haben Sie heute so gerne angestellt, Herr Finanzminister –,

dass in der Bayerischen Staatsverwaltung noch erheblicher Gestaltungsspielraum zur Reduzierung von Aufgaben und Stellen bei den obersten Dienstbehörden besteht.

Der Freistaat Bayern hat auf der politischen Leitungsebene mit 4141 Euro pro Einwohner und Jahr die höchsten Kosten. In Baden-Württemberg sind es 4013 Euro und in Nordrhein-Westfalen 3002 Euro. Dies ist ein niederschmetterndes Urteil über die Politik der Regierung Stoiber in der Verwaltungsreform durch den Bayerischen Obersten Rechnungshof.

Eine Reform beginnt oben, beim Haupt, und dann folgen die Glieder. Deshalb lautet unser Plan: Zuerst gehören das Kabinett verkleinert, die überflüssigen Staatssekretärsposten abgeschafft, Kultus- und Wissenschaftsministerium wieder zusammengefasst sowie das Landwirtschafts- und Umweltministerium fusioniert.

(Beifall bei der SPD)

Dem folgt, wenn es nach uns geht, eine radikale Schlankheitskur für die Staatskanzlei: Die „Spiegelreferate“ verschwinden, die in unserer Verfassung verankerte politische Verantwortung der Staatsminister ist damit wieder hergestellt. Damit ließen sich schnell Haushaltseinsparungen in Millionenhöhe erzielen.

Der Sinn überstürzter Veränderungen in der Justiz etwa – um einen Bereich herauszugreifen – bleibt unerfindlich. Warum wartet man nicht die von Bund und Ländern geplante Reform der besonderen Gerichtsbarkeit, Finanz-, Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit ab? Besonders scheinheilig gebärden sich manche Mitglieder der Staatsregierung und CSU-Abgeordnete bei Strukturveränderungen von Bundesbehörden und –investitionen. Sie laufen selbst dort Sturm, wo Aufgaben weggefallen sind oder sich grundlegend verändert haben. So hat die Deutsche Bundesbank den Hauptteil ihrer Aufgaben an die Europäische Zentralbank und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht abgeben müssen. Das hinderte Finanzstaatssekretär Franz Meyer aber keineswegs, gemeinsam mit seinem Passauer Kollegen Waschler gegen die Schließung der dortigen Zweigstelle der Deutschen Bundesbank zu opponieren.

(Johanna Werner-Muggendorfer (SPD): Genau!)

Die Bundeswehr braucht auch unser Land nicht mehr gegen die Invasion durch die Armeen des Warschauer Paktes zu verteidigen; darüber sind wir alle froh. Strategische Umstrukturierungen auf die neuen sicherheitspolitischen Erfordernisse und eine Verringerung von Garnisonen sind unumgänglich. Proteste von CSU-Mandatsträgern sind trotzdem an der Tagesordnung. Dieselben Leute kritisieren dann

gleichzeitig vehement die schwierige Haushaltslage des Bundes. In Bayern so zu handeln, aber den Bund zu kritisieren, das halten wir für scheinheilig und doppelzüngig.

(Beifall bei der SPD – Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Genau!)

Zu unseren Schwerpunkten im Haushalt: Der Grundwert der Gerechtigkeit steht im Mittelpunkt des politischen Wollens und Handelns der Sozialdemokratie. Wir wissen, dass sich unter den Bedingungen der Europäisierung und Globalisierung Gerechtigkeit in erster Linie in der Forderung nach gleichen Bildungschancen manifestiert.

„Keiner darf verloren gehen.“ Nach dieser Maxime wollen wir das bayerische Schulsystem umgestalten. An unseren Schulen ist zurzeit bei Schülern, Lehrern und Eltern eine schlechte Stimmung weit verbreitet; insbesondere die Hauptschulen leiden an Perspektivlosigkeit.

(Zuruf des Abgeordneten Kurt Eckstein (CSU))

Herr Kollege Eckstein, das alles ist Haushaltspolitik. Haushaltspolitik ist auch Bildungspolitik, das müssen Sie kapieren lernen.

(Beifall bei der SPD)

Resignation macht sich breit. Die überstürzte Einführung des G8 hat aus unseren Gymnasien eine Großbaustelle gemacht; es fehlt an Lehrern, Schulbussen und Mittagsbetreuung.

(Zuruf des Abgeordneten Kurt Eckstein (CSU))

Die große Nachfrage nach den knappen, begehrten Plätzen in Privatschulen ist ein Alarmzeichen für die staatlichen Schulen. Wir von der SPD wollen keine Amerikanisierung unseres Schulsystems. Gute Bildung und Ausbildung für unsere Kinder darf nicht vom Einkommen der Eltern abhängig sein.

(Beifall bei der SPD – Johanna Werner-Muggen- dorfer (SPD): Genau!)

Es gibt in der Tat viele Gründe für eine neue Bildungskultur in Bayerns öffentlichen Schulen: 10% der Schüler verlassen die Schule ohne Abschluss, nur 17 % erreichen das Abitur. Pro Jahr bleiben 60 000 Schüler sitzen; die geschätzten Kosten, Herr Kollege Eckstein, betragen 250 Millionen Euro. Früher Leistungsdruck und mangelnde individuelle Förderung der Schüler führen zu sozialer Auslese. Die Zahl der Klassen mit über 30 Schülern hat sich in den letzten Jahren verdreifacht. Die Finanzierung der Bildung belastet Eltern und Kommunen immer stärker. Der Anteil der bayerischen Bildungsausgaben, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, stagniert seit 20 Jahren. Bayerische Bildungsausgaben sind niedriger als deutsche und internationale Werte. Das regionale Bildungsgefälle in Bayern muss abgebaut werden.

(Beifall bei der SPD)

Es geht nicht an, dass die Quoten für Übertritte ans Gymnasium in Starnberg, München, Bamberg und Erlangen mehr als doppelt so hoch sind wie in Hassberge, Cham, Regen oder Freyung-Grafenau.

Wichtige Schritte für eine neue Bildungskultur in Bayern sind deshalb für uns: individuelle Förderung statt „Paukschule“; bessere Chancengleichheit für alle Schüler, unabhängig von Herkunft und sozialer Schicht; wirksame Schulsozialarbeit; größere pädagogische und organisatorische Schulautonomie; frühere pädagogische Förderung, soll heißen: Die Zeit vor der Regelschulzeit ist Bildungszeit, Kinderbetreuungseinrichtungen sind Teil des Bildungssystems.

(Beifall bei der SPD)

Ferner: Lebenslanges Lernen; Vernetzung der Schule mit Angeboten der Jugendarbeit und der Erwachsenenbildung. Weil wir aber wissen, dass zum Nulltarif keine bessere Schule zu erreichen ist, fordern wir schlicht und einfach: mehr Geld für unsere Schulen.

Wir wollen Prioritäten setzen, eine finanzielle Kraftanstrengung unternehmen und in den nächsten fünf Jahren jedes Jahr 200 Millionen Euro mehr Geld für unsere Schulen zur Verfügung stellen. Wir wollen für Bayerns Jugend die Bildungsinvestitionen auf das bundesdeutsche Niveau bringen. Wir wollen auch, dass die Staatsregierung die Initiativen der Bundesregierung für mehr Betreuungseinrichtungen, das Tagesbetreuungsausbaugesetz und das Programm „Zukunft, Bildung und Betreuung“ für mehr Ganztagsschulen nachdrücklich unterstützt. Wir müssen endlich gemeinsam die Konsequenzen aus der Pisa- und den verschiedenen OECD-Studien ziehen. Wir werden darüber in den Ausschussberatungen ausführlich zu diskutieren haben.

Abschließend nur noch eines: Die Abschaffung der Lernmittelfreiheit bzw. die Einführung eines Büchergeldes ist ein falsches, ein bildungs- und familienfeindliches Signal der bayerischen Politik.

(Staatsminister Prof. Dr. Kurt Faltlhauser: Das sa- gen Sie einmal Ihren Kollegen in den SPD-geführ- ten Ländern!)

Herr Finanzminister, ich habe für Sie einen guten Vorschlag: Ein haushaltsneutraler Befreiungsschlag für Bayerns Schulpolitik wäre ein Wechsel an der Spitze des Kultusministeriums. Ein Aufatmen ginge durch unsere Schulen. Deshalb, Frau Hohlmeier: Treten Sie endlich zurück. Tun Sie damit Ihren letzten Dienst für die bayerische Bildungspolitik.

(Beifall bei der SPD)

Bildung, Wissenschaft und Forschung sind die zentralen Herausforderungen für die Zukunft unseres Landes und unserer Bürger.

(Zuruf des Abgeordneten Markus Sackmann (CSU))

Herr Sackmann, Sie werden es noch erleben, dass Frau Hohlmeier ihr Amt verlassen muss. Warten wir noch ein

paar Monate ab, dann wird diese Forderung Wirklichkeit werden.

(Zuruf von der CSU)

Deshalb sind für uns der Kultus- und auch der Wissenschaftsetat die wichtigsten Eckpunkte des Doppelhaushalts. Die SPD-Fraktion hat Vorschläge für die Hochschule der Zukunft vorgelegt, die in einen Hochschul-Gesetzentwurf münden werden. Zu den herausragenden Forderungen der SPD gehört die Autonomie der Hochschulen. Zu welchen Schildbürgerstreichen der Zentralismus der Staatsregierung fähig ist, zeigt der Beschluss des Kabinetts, alle Universitäten und Hochschulen anzuordnen, ihre zum Teil sehr günstigen Stromlieferverträge zu kündigen, so gegen den Widerstand vieler Hochschulverwaltungen geschehen.

Die europaweite Ausschreibung schlug fehl und musste aufgehoben werden. Der Abschluss neuer Energielieferverträge brachte durch die Bank für die Universitäten und Hochschulen schlechtere Konditionen und damit höhere Energiekosten.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

Jetzt heißt es dazu im Haushaltsentwurf:

Allen Bereichen des Einzelplans 15 kommt zugute, dass für die Bewirtschaftung der Grundstücke und Gebäude zusätzlich 12,4 Millionen Euro für 2005 bzw. weitere 0,7 Millionen Euro für 2006 bereitgestellt werden.

Das nennt man Chuzpe. Es ist eine Frechheit, die eigene Dummheit als Wohltat zu verkaufen.