Protokoll der Sitzung vom 16.12.2004

(Hans-Ulrich Pfaffmann (SPD): Deshalb ziehen Sie 100 Lehrer bei den Hauptschulen ab!)

Wir kümmern uns darum. Das gilt für die Gegenwart und für das Schuljahr 2005/2006. Wir machen uns über dieses Thema intensiv Gedanken. Die Beratungen zum Bildungshaushalt wurden in unserer Fraktion intensiv und spürbar genutzt. Ihre Lösungsvorschläge, die uns Frau Bulmahn dargelegt hat, nämlich die Hauptschule aufzulösen oder die Bildung in die Bundeskompetenz zu legen, sind nicht sinnvoll. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Wir sollen in das Mittelfeld oder an das Ende der Bildungsskala zurück.

Das darf doch nicht wahr sein! Das ist nicht unser Weg. Bayern wird an der Spitze bleiben, und wir werden verhindern, dass uns, die wir im Bildungsbereich eine Spitzenposition jetzt und auch noch in den nächsten Jahren einnehmen, der Bund dreinredet.

(Beifall bei der CSU)

Als Nächste hat sich Frau Kollegin Pranghofer zu Wort gemeldet.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Dringlichkeitsantrag der CSU und der Redebeitrag des Herrn Waschler haben uns sehr deutlich gezeigt, dass die CSU-Landtagsfraktion auch nach der Pisa-Studie wieder nicht bereit ist, endlich einmal eine vorurteilsfreie Bildungsdiskussion in Bayern zu führen.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CSU)

Sie verschwenden nicht einmal einen Gedanken daran. Herr Pfaffmann hat schon Recht, wenn er Sie fragt, wovor Sie eigentlich Angst haben. Wenn Sie wirklich eine solche Spitzenstellung einnehmen, wie Sie immer behaupten, dann frage ich Sie: Wovor haben Sie denn so große Angst, dass Sie nicht einmal eine Anhörung zulassen wollen? Wir werden – das darf ich jetzt schon ankündigen – von unserem Recht Gebrauch machen und gemäß der Geschäftsordnung eine Anhörung beantragen.

Mich stört ganz besonders, dass Sie diejenigen beschimpfen, die in der Diskussion für eine längere gemeinsame Schulzeit eintreten. Sie sagen, das seien die Gleichmacher, die alten Ideologen.

(Prof. Dr. Gerhard Waschler (CSU): Das stimmt ja!)

Was haben Sie selbst in den letzten Jahren getan? – Sie haben doch nichts anderes getan, als an den Strukturen Ihres Systems, wenn auch in eine andere Richtung, herumzubasteln. Was war denn die Einführung der R 6? – Das war doch keine Reform zugunsten besserer Lernbedingungen in der Schule, sondern das war eine Strukturveränderung. Auch das G 8, die M-Klassen usw. waren Strukturveränderungen. Wer selbst an Strukturen herumbastelt, darf anderen nicht vorwerfen, dass sie eine Systemdebatte führen würden.

(Beifall bei der SPD)

Bei Ihnen feiert die fixe Idee von der begabungsgerechten Schule immer noch fröhliche Urständ. Immer noch glauben Sie, Sie könnten die perfekte, begabungsgerechte Schule schaffen. Glauben Sie das wirklich immer noch? – Sie glauben, je leistungshomogener eine Lerngruppe ist oder je früher eine äußere Leistungsdifferenzierung durchgeführt wird, desto besser sind die Ergebnisse. Die Schulforschung hat diese Annahmen aber doch längst widerlegt!

Nachteile haben wir aus einer geringen Bildungsbeteiligung bei den mittleren und höheren Schulabschlüssen. Nachteile haben wir aus Bildungsabschlüssen, die nicht gesichert sind. Viel zu viele Schülerinnen und Schüler scheitern in ihrer Schullaufbahn, und sie haben keinen Erfolg im Beruf. Während der Schullaufbahn kommt es viel zu oft zu Verzögerungen, so dass Schulabschlüsse durchschnittlich ein Jahr später als in anderen Staaten erreicht werden. Das Sitzenbleiben kostet uns dann natürlich auch noch eine Menge Geld. Wir haben diese Nachteile – darauf muss ich Sie besonders hinweisen –, obwohl wir die Instrumente der Selektion perfektioniert haben. Bereits vor der Schule gibt es die Zurückstellung. In der Schule gibt es das System des Sitzenbleibens. Nach der vierten Klasse werden die Kinder obligatorisch auf andere Schularten verteilt. Dennoch bestätigen die Ergebnisse, dass wir die vorhin geschilderten Nachteile in unserem Schulsystem haben.

Ist das Kind erst einmal in einer Schulform einsortiert, gibt es nicht die Durchlässigkeit, wie wir sie uns wünschen. Sie besteht zwar formal – das gebe ich gerne zu –, aber die Praxis sieht anders aus. Die Durchlässigkeit nach oben beträgt 3,2 % und nach unten 11,2 %. Das sind die Fakten, die Sie sich einmal zu Herzen nehmen sollten.

Meine Damen und Herren, das betrachten wir wirklich als Verschwendung von Bildungsressourcen. Es ist höchste Zeit, dass wir uns endlich um die Schul- und Bildungspolitik in Bayern ernstlich Gedanken machen. Sie von der CSU sollten das nicht einfach wegwischen, sondern wirklich etwas tun.

Es ist aber auch ein neues Denken notwendig; neue Strukturen allein reichen nicht aus. Deswegen haben wir in unserem Dringlichkeitsantrag ein Sofortprogramm für Bayerns Schulen gefordert. Bayerns Schulsystem ist chronisch unterfinanziert. Herr Waschler, nicht wir, sondern Sie sind mit Blindheit geschlagen, wenn Sie nicht wahrnehmen wollen, was in der Schullandschaft passiert.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Herr Schneider, nachdem selbst Sie sagen, dass 800 Lehrer fehlen, bitte ich Sie, uns zu sagen, wo Sie diese Kräfte im nächsten Haushaltsjahr bereitstellen. Sie müssen endlich dem abhelfen, was Sie hier jetzt so groß kritisieren.

(Beifall bei der SPD)

Wir werfen Ihnen jedenfalls vor, dass Sie als Mehrheitsfraktion nicht dafür gesorgt haben, dass trotz Schülerrückgang an den Grund- und Hauptschulen keine Qualitätsverbesserung eingetreten ist, sondern dass Sie den Schülerrückgang dazu genutzt haben, um dort Lehrerstellen abzuziehen. Diesen Vorwurf machen wir Ihnen.

Meine Damen und Herren der CSU, das ist wirklich ein ernst gemeinter Appell an Sie: Hören Sie auf, die Dinge schönzureden. Hören Sie endlich damit auf, immer alles Rot-Grün in die Schuhe zu schieben. Machen Sie doch endlich eine Bestandsaufnahme und lassen Sie uns gemeinsam die dringenden Notwendigkeiten für Bayerns Schulen diskutieren. Davon werden nicht nur die Schüler, sondern auch die Wirtschaft und die Gesellschaft profitieren.

Herr Waschler, Sie haben das Sparen für die Zukunft der Kinder angesprochen. Bei allem Sparen darf man gerade die jetzige Generation nicht vernachlässigen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Jetzt hat sich Frau Staatsministerin für Unterricht und Kultus gemeldet. Bitte, Frau Ministerin.

Staatsministerin Monika Hohlmeier (Kultusministerium) : Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal darf ich auf das dreigliedrige Schulwesen eingehen. SPD und GRÜNE haben wohl noch nie begriffen, dass das dreigliedrige Schulwesen nicht dazu dient, gemäß dem Niveau einzusortieren und Schüler auf- oder abzuwerten, sondern es dient der Begabungsorientierung.

(Beifall bei der CSU – Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): So ein Unsinn!)

Der Quali der bayerischen Hauptschule hat in ganz Deutschland einen guten Ruf. Die SPD- und Grün-regierten Länder, die nie einen Quali eingeführt haben, haben die Hauptschule hingegen von Anfang an abgewertet. Deshalb haben diese Schüler noch schlechtere Chancen.

(Beifall bei der CSU)

Frau Tolle, Sie sagen, nach der neuesten Pisa-Studie seien wir unter 50 Ländern an neunzehnter Stelle. Dazu muss ich nüchtern sagen: Die Bayern sind Zehnte. Die Bremer rangieren allerdings ungefähr auf dem Platz von Mexiko. In Bremen tragen aber nicht wir die Verantwortung, sondern dort hatte über Jahrzehnte hinweg allein die SPD die

Verantwortung. Frau Tolle, daran sind Sie nicht einmal schuld.

(Beifall bei der CSU)

Herr Pfaffmann, Sie haben gesagt, nicht wir, sondern die guten Lehrer seien für die guten Leistungen verantwortlich. Das stimmt, wir haben gute Lehrer. Wir machen unseren Lehrern auch ein Kompliment.

Das bestreitet bei uns kein Mensch; Sie sehen das ähnlich wie wir. Was wir aber anders sehen, ist Folgendes: Sie sagen, Sie seien nicht verantwortlich. Anscheinend wollen Sie in Bremen, in Nordrhein-Westfalen und in all den Bundesländern, in denen Sie bei Pisa schlecht abgeschnitten haben, für die schlechten Leistungen nicht verantwortlich sein, Sie schieben es den Lehrern in die Schuhe. Das wäre der Umkehrschluss dieser Diskussion, und das ist sicher nicht richtig.

(Beifall bei der CSU)

Wir haben bei Pisa deutlich besser als andere Länder abgeschnitten. Das hat seinen Grund auch darin, dass wir in Bayern die inhaltlichen Standards sehr hochgehalten haben, und zwar sowohl in der Hauptschule als auch in der Realschule, am Gymnasium, an den Fachoberschulen und an den Berufsoberschulen. Wir haben hohe Standards gesetzt. Im Gegensatz zu Ihnen haben wir Leistung immer betont.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Leistung lohnt sich in Bayern doch nachweislich nicht!)

Leistung lohnt sich in Bayern, Herr Dürr. Wesentlich mehr als in allen anderen Ländern, in denen Sie regieren. Bei uns gibt es nämlich, im Gegensatz zu jenen Ländern, noch Arbeitsplätze. Deshalb lohnt sich Leistung bei uns in Bayern.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): Aber Ihr Arbeitsplatz ist gefährdet!)

Mit Ihren Angaben stellen Sie ständig alles auf den Kopf. Sie tun so, als gebe es in den Ländern, in denen Sie regieren, Labsal während wir in Bayern von Anfang an die besseren Chancen gehabt hätten. Bayern hatte nicht die besseren Chancen, sondern hat sich über Jahrzehnte hinweg von ganz unten nach ganz oben gearbeitet. Jetzt wird Bayern neidisch betrachtet.

Ich will ein paar Daten in Erinnerung rufen. Bayerns türkische Schülerinnen und Schüler, also die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund – von denen Sie behaupten, sie würden Bayern so schlecht behandelt –, diese Schülerinnen und Schüler weisen bessere Ergebnisse auf als die gesamte deutsche Schülerschaft in Bremen.

(Dr. Sepp Dürr (GRÜNE): 25 % sind ohne Schulabschluss!)

Das muss doch irgendetwas mit verfehlter Bildungspolitik der Sozialdemokratie zu tun haben.

(Beifall bei der CSU)

Wenn Sie davon sprechen, eine Einheitsschule würde bessere Ergebnisse produzieren, dann widersprechen Sie Pisa-Wissenschaftlern. Diese haben das expressis verbis dementiert. Die Professoren Prenzel, Baumert und Köller haben ausdrücklich Herrn Dr. Schleicher widersprochen. Lesen Sie doch, was Herr Dr. Schleicher in seinem eigenen Bericht schreibt. Seite 3 entspricht dort nicht Seite 14, denn dort steht das Gegenteil von Seite 3. Ich würde auch Herrn Dr. Schleicher empfehlen, sich an die eigenen Studien zu halten und keine Diskussionen zu führen, die durch die Pisa-Studie nicht belegt sind.

(Zuruf der Abgeordneten Ulrike Gote (GRÜNE))

Sehen Sie sich Belgien und Deutschland an. Sie werden feststellen, dass Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern die ersten Plätze bei der Pisa-Studie belegen. Sie tun das mit einem differenzierten Schulwesen. Innerhalb Belgiens, schauen Sie sich das einmal an, ist das differenzierte Schulwesen besser als das der Einheitsschulen. Das bedeutet, dass man in einem differenzierten Schulwesen die Kinder und Jugendlichen sehr gut fördern kann.

Damit gehe ich auch gleich auf die Bildungsabschlüsse ein. Ihre Behauptung, Frau Tolle, die Abiturquote in Bayern habe sich überhaupt nicht gesteigert, ist schlichtweg falsch.

(Simone Tolle (GRÜNE): Ein wenig!)

1990 hatten wir eine Abiturientenquote von 25 %. Heute liegt die Quote bei über 32 %. 1990 hatten wir beim mittleren Abschluss 36 %, heute haben wir knapp 43 %. Eines möchte ich aber deutlich hinzufügen: Diese Daten belegen, dass wir versuchen, möglichst vielen Kindern eine möglichst guten Bildungsabschluss zu geben. Das bedeutet aber nicht, dass wir in Bayern das Niveau gesenkt haben, und das bedeutet auch nicht, dass wir die Hauptschülerinnen und Hauptschüler abwerten und damit auch den Quali abwerten wollen. Der Quali ist für uns ein hervorragender Schulabschluss, und das wird er auch bleiben.

(Beifall bei der CSU)